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Umberto Eco im „Krieg gegen Intoleranz"

Besprechung des Buches "Der ewige Faschismus"

Buchbesprechung zu Umberto Eco: Der ewige Faschismus, 4. Auflage, München 2020.

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Der 2016 verstorbene italienische Professor und Schriftsteller Umberto Eco (geb. 1932) schenkte uns die Romane „Im Namen der Rose" und „Das Foucaultsche Pendel“. Vielen wird vor allem die populäre Verfilmung des im Mittelalter spielenden Romans „Im Namen der Rose“ durch Jean-Jacques Annaud 1986 in Erinnerung sein, sie gab Millionen einen prägenden Eindruck. Erfolgreiche Schriftsteller wie Umberto Eco werden gerne zu besonderen Anlässen als Redner eingeladen, und der hier vorgestellte Band, erschienen im Carl Hanser Verlag, versammelt fünf Vorträge, gehalten zwischen 1995 und 2012. Eco beschäftigte sich in ihnen vor allem mit den Themen Faschismus, Migration und Intoleranz.

Das Vorwort zu der Sammlung steuerte Roberto Saviano bei, ein mutiger Journalist, der wegen seiner Recherchen zur Mafia unter lebensbedrohlichen Druck geriet. Umberto Eco rief 2006 erfolgreich dazu auf, ihn vor Mordversuchen zu schützen. Bis heute lebt Saviano versteckt. Saviano dokumentiert in seiner Einführung, wie Linksliberale die Welt sehen: „Es gibt keinen Unterschied zwischen den Menschenrechten [...] und den Bürgerrechten..." Der ersehnte Weltstaat existiert aber bis heute nicht, und deshalb handelt es sich in der Tat um die „fixe Idee einer [...] Wohlstandselite“. Allein Staaten garantieren Bürgern festgeschriebene Rechte, was ebenso für Sicherheit und soziale Absicherung gilt. „Recht" ist nur Recht, wenn es umgesetzt werden kann. Das ist weltweit nur der Fall für Staatsbürger, eben nicht für Menschenbürger. Was die derzeitige Pandemie wiederum eindrucksvoll zeigt. Ohnehin stellten die durch den Islam geprägte Staaten in der Kairoer Erklärung 1990 die Menschenrechte unter den Vorbehalt der Scharia, und in Asien herrscht ein anderes Verständnis von Menschrechten, das sich von unserem, durch das Christentum geprägtem, unterscheidet.

„Ewiger Faschismus"

Seinen Vortrag über den „ewigen Faschismus“ hielt Eco 1995 auf Einladung der Columbia Universität in New York. Seine Thesen sind spürbar beeinflusst von Francis Fukuyama, der wenige Jahre zuvor, 1992, das „Ende der Geschichte“ prophezeit hatte. Damit lag er falsch, heute stehen wir vor durchaus bedrohlichen Entwicklungen, mit denen bis vor wenigen Jahren kaum jemand rechnete. Fukuyama übersah, dass in der Geschichte jede Bewegung eine Gegenbewegung provozierte, jede Aktion auch Reaktion nach sich zog. Derzeit formiert sich die Reaktion auf den vermeintlichen Sieg der westlichen Demokratie nicht allein in Gestalt des Islamismus, sondern – Todgesagte leben länger – auch Sozialismus und Kommunismus präsentieren sich weltweit in neuen, modern wirkenden Gewändern.

Eco beschreibt den italienischen Faschismus in Anknüpfung an die Totalitarismustheorien der 1980er Jahre als weiches Modell: er habe keine „Quintessenz" besessen, es handelte sich vielmehr um einen „verschwommenen Totalitarismus", „keine monolithische Ideologie, sondern eher eine Collage aus verschiedenen politischen und philosophischen Ideen, ein Bienenkorb voller Widersprüche.“ Der Nationalsozialismus verfügte hingegen durch Hitlers Buch „Mein Kampf" über eine „vollständige Offenlegung eines politischen Programms“, eine „Theorie des Rassismus und des Ariertums“. Es habe nur „eine Nazi-Kunst", nur eine „Nazi-Architektur“ gegeben, das sei unter Mussolini in Italien anders gewesen. Ecos Wissen über den Nationalsozialismus erscheint allerdings begrenzt. Nimmt er doch wirre Ansichten von SS-Angehörigen etwa zum Mythos vom „Heiligen Gral“ als Ausdruck nationalsozialistischer Ideologie.

Ins Zentrum der Analyse trat seit den 1980er Jahren, mit einem Wort des Historikers Ernst Nolte, das „Überschießende", nicht die traditionelle Werte perpetuierenden Inhalte der Ideologie, der Synkretismus, den auch Eco thematisiert. Die Massen in den 1930er Jahren sahen im Faschismus vor allem Patriotismus und Sozialismus, Aufbau der Wirtschaft und technologischen Fortschritt. Antisemitismus, Rassismus, Diktatur usw. waren eben nicht die Gründe, warum Mussolini oder Hitler an die Macht kamen. Das sieht Eco eigentlich auch so. Denn wer dazu aufruft, den „ewigen Faschismus" täglich zu bekämpfen, muss traditionelle Werte der europäischen Nationen und anthropologische Konstanten mit diesem Kampf in Verbindung bringen. Ein Kampf gegen die fehlerhafte Natur, die dem Menschen trotz zivilisatorischer Fortschritte hin zum „Ewigen Frieden“ Immanuel Kants mitgegeben ist. Es braucht einen anderen, neuen Menschen, der geschaffen werden will. Und der drohende Faschismus muss lebendig sein, sonst wäre der Aufruf, ihn zu bekämpfen, lächerlich. Aus diesem Grund warnte Martin Walser in seiner Rede in der Frankfurter Paulskirche 1998 davor, Auschwitz zu „gegenwärtigen Zwecken" zu missbrauchen.

Eco präsentiert eine Aufzählung von Kriterien für den „Ur-Faschismus", die an die in den 1940er Jahren entwickelten Theorien Theodor Adornos und anderer Sozialwissenschaftler erinnert, die im Auftrag der US-Regierung Studien zur „autoritären Persönlichkeit“ verfassten. Er beginnt mit dem Traditionalismus, den „Kult der Überlieferung“ begreift er als Zentrum des Faschismus. Dazu gehören letztlich auch die Religionen der Welt, weil in deren Sicht „die Wahrheit ein für alle Mal offenbart“ worden sei. Das weitere Handeln folge bis heute daraus. Auch die Nazis hätten aber an den „Heiligen Gral“ und die „Protokolle der Weisen von Zion“ geglaubt. Außerdem sei die Ablehnung der Moderne ein wichtiges Merkmal des Ur-Faschismus, denn die Ideologie von „Blut und Boden“ zählte trotz verbreiteten Technikglaubens stärker. Als wichtiges Merkmal erwähnt er zudem den „Kult der Aktion um der Aktion willen“ und die Unfähigkeit, Kritik zu akzeptieren. Zusätzlich die Angst vor Vielfalt und Andersartigkeit, den Appell an frustrierte Mittelklassen, Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit, die Ablehnung von Pazifismus, das Elitedenken und die Verachtung der Schwachen, die Erziehung zum Heldentum, sowie Populismus und eine reduzierte Sprache - „Newspeak“. Der „Machismo", die Frauenverachtung, zählt für ihn gleichfalls dazu.

Viele dieser Kriterien finden wir in abgewandelter Form aber ebenso im Kommunismus oder Islamismus. Was Eco als Kriterien des „Ur-Faschismus“ bezeichnet, sind oft herausgebildete Konstanten menschlicher Existenz, in überschießender Form auch aller „Ismen". Es braucht daher einen neuen Menschen, um den Faschismus in uns allen zu überwinden, so die damit letztlich verknüpfte Botschaft. Schon 1995 ging es Umberto Eco offenbar darum, ein politisches Machtinstrument gegen „rechts“ zu entwickeln mit der Warnung: „Der Ur-Faschismus ist immer noch um uns, manchmal in gutbürgerlich-ziviler Kleidung. [...] Es ist unsere Pflicht, ihn zu entlarven und mit dem Finger auf jede seiner neuen Formen zu zeigen – jeden Tag, überall in der Welt.“ Wurden aus diesem Grund seine Vorträge neu aufgelegt? Soll Ecos „ewiger Faschismus“ jenen dienlich sein, die mit „Faschismuskeulen“ andere zum Schweigen bringen möchten?

Nebeneinander existierende Kulturen

1997 sprach Eco in Valencia über „Migrationen des Dritten Jahrtausends“. In Europa könne es bald wie in New York oder in „lateinamerikanischen Ländern“ aussehen, „die Negation des Konzepts vom melting pot, verschiedene Kulturen existieren nebeneinander...“ und mischen sich oft wenig. Zwischen Migration und Immigration gelte es dabei zu unterscheiden. Denn Immigration könne kontrolliert werden, nicht aber Migration, die wie ein Naturphänomen die Wanderung eines „ganzen Volkes“ beschreibe, was in der Folge die Eingeborenen im Zielland zur Anpassung zwinge, ihre Kultur „tiefgreifend“ verändere. Während Immigranten sich der Kultur der Einheimischen anpassten. Als „abgebrochene Migration“ begreift er etwa die zeitweise Eroberung der iberischen Halbinsel durch arabische Völker.

Umberto Eco fragte bereits 1997 treffend, ob es noch möglich sei, „Immigration von Migration zu unterscheiden, wenn der ganze Planet zum Schauplatz sich überkreuzender Wanderbewegungen wird?“ Theoretisch - „zynisch gesprochen“ – sei dies praktikabel, da Immigranten notfalls ins Ghetto gezwungen werden könnten. Dies sei aber eine Illusion, denn in der Regel gehe es heute – 1997 -  bereits um Migration, viele Nationen versuchten lediglich, sie unter dem Begriff Immigration zu behandeln: „Die ‚Dritte Welt’ klopft an die Pforten Europas, und sie kommt auch herein, auch wenn Europa sie nicht hereinlassen will.“ Das werde durchaus „blutige Folgen“ haben, was aber für Umberto Eco 1997 kein wirklicher Anlass zur Sorge war. Solange die Rassisten eine „aussterbende Rasse“ seien, werde alles gut. Er blickte damals optimistisch in die Zukunft, denn auch das Absterben des römischen Weltreiches habe immerhin einige hundert Jahre gedauert. Ob er das zwanzig Jahre später noch so formuliert hätte?

Eco glaubte, dass die kulturellen Unterschiede schlicht respektiert werden müssten: „Einander als Angehörige verschiedener Kulturen zu verstehen heißt nicht zu evaluieren, was es jeden kostet, den jeweils anderen gleich zu werden, sondern wechselseitig zu verstehen, was uns trennt, und die jeweilige Andersartigkeit zu akzeptieren.“ Eine schöne Vorstellung. Der Mensch, der heute diesen Planet bevölkert, ist damit aber offenbar überfordert. Zumal er tief eingeprägte Traditionen besitzt, etwa jene, sich als Angehöriger einer Kultur, einer Nation oder eines Volkes zu begreifen. Wolfgang Schäuble sprach vor einigen Jahren von „Schicksalsgemeinschaft".

Herrschaft der Moralisten

Die aus den USA kommende „political correctness“ fordere Toleranz und „Anerkennung aller religiösen, ethnischen und sexuellen Unterschiede“, so Eco, sie entwickle sich „aber immer mehr zu einem neuen Fundamentalismus, der in fast ritueller Weise die Alltagssprache durchdringt und sich zum Schaden des Geistes an den Buchstaben klammert.“ Eine treffende Kritik der inzwischen immer massiver um sich greifenden Genderideologie. Umberto Eco warnte außerdem vor einem „TV- oder Internet-Populismus, bei dem die emotionale Antwort einer Gruppe ausgewählter Bürger ‚als Stimme des Volkes' präsentiert und akzeptiert werden kann.“ Ein Phänomen, das wir inzwischen öfter verzeichnen.

Um Rassismus zu bekämpfen, empfahl Eco die „permanente Erziehung“ der Kleinsten, sie müsse im „zartesten Alter“ einsetzen und die Kinder bearbeiten, bis Intoleranz keine Chance mehr habe, Wurzeln zu schlagen. Anders als die Beauftragte für Migration der deutschen Bundesregierung von 2013 bis 2018, Aydan Özogus (SPD), die eine deutsche Kultur jenseits der Sprache nicht kennt und 2015 meinte, das Zusammenleben müsse täglich interkulturell neu „ausgehandelt“ werden, will Eco Grenzen ziehen. Auch er sieht hier aber ein Tagesgeschäft für alle Europäer. Was in einer „toleranten Weltsicht für uns intolerabel wäre“ sollen wir „jeden Tag neu“ entscheiden, es gehe nicht darum, „den ethischen Relativismus zur neuen europäischen Religion“ zu machen. Immerhin erkennt Eco „manche Werte“, die das Erbe Europas repräsentierten, „auf das wir nicht verzichten können“. Der Leser hätte an dieser Stelle gerne erfahren, welche Werte er jenseits geteilter Erfahrungen und der viel gelobten Toleranz meint.

Im „Krieg“, das Wort nutzt er tatsächlich, gegen Intoleranz müsse „jederzeit zwischen Tolerablem und Intolerablem zu unterscheiden“ sein. Insofern bot er in den 1990er Jahren einen Aufruf zur Übernahme der Herrschaft durch Moralisten. Weil er übersah, dass in einer rechtstaatlichen Demokratie alles tolerabel sein muss, was nicht gegen Gesetze verstößt, selbst radikale – intolerante - Ansichten. Damit hat ein Demokrat zu leben, mag es ihn auch herausfordern, ohne in Säuberungswahn zu verfallen. Sonst ist er selbst nicht mehr Demokrat. Und schon gar nicht tolerant.

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