Veranstaltungsberichte
In diesem Jahr lautete das Thema der Geschichtsmesse der Bundesstiftung Aufarbeitung „Diktatur und Demokratie im Zeitalter der Extreme“. Über 200 Gäste aus ganz Deutschland nahmen an der Messe teil, die wieder im thüringischen Suhl stattfand. Vertreten waren u.a. die Außenstellen des Beauftragten für die Stasi-Unterlagen, die Landeszentralen für politische Bildung, Gedenkstätten und Stiftungen, Schulen sowie Vereine und Initiativen. Auf dem „Markt der Möglichkeiten“ präsentierten sich rund 30 Organisationen, für die Konrad-Adenauer-Stiftung war das Politische Bildungsforum Brandenburg vor Ort.
Nach der Begrüßung der Teilnehmer durch den Suhler Oberbürgermeister und der Eröffnung durch die Geschäftsführerin der Bundesstiftung Aufarbeitung, Dr. Anna Kaminsky, sprach Dr. Ekkehard Klausa, FU Berlin und Gedenkstätte Deutscher Widerstand, über das Thema der Messe. Er beschäftigte sich mit der „oft geleugneten Vergleichbarkeit“ nationalsozialistischer und kommunistischer Verbrechen, allein der russische Bürgerkrieg habe 10 Millionen Menschen das Leben gekostet. Er forderte, dass die Deutschen sich in ihrer Erinnerungskultur nicht allein negativen Ereignissen widmen sollten, sondern „positive“ wie etwa die Friedliche Revolution 1989 stärker in den Vordergrund treten sollten. Zudem sollten Jugendliche dazu angeleitet werden, sich bei ihrer Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus stärker in die Zeit zu versetzen, unter der Fragestellung, wie sie sich selbst verhalten hätten. In der folgenden Podiumsdiskussion betonte Prof. Eckhard Jesse von der TU Chemnitz, dass man die beiden „deutschen Diktaturen“ schon deshalb nicht ohne weitere Differenzierung vergleichen können, weil die DDR (SED) allein als von der Sowjetunion abhängige Macht existierte. Das 20. Jahrhundert, so Jesse, sei das Jahrhundert der „Systemwechsel“, und man dürfe nicht übersehen, dass die nationalen Perspektiven auf diese Geschichte weiter wesentlich seien. Minimalkonsens sei dabei die Ablehnung beider totalitärer Ideologien.
Abends präsentierte der Regisseur Stefan Weinert („Gesicht zur Wand“) seinen neuen Film „Die Familie“. In ihm kommen Angehörige von Opfern zu Wort, die an der innerdeutschen Grenze erschossen worden sind. Die Familien wollten eigentlich nicht über das Thema sprechen, teilweise leben sie heute noch in Nachbarschaft mit auf sie angesetzten IM. Im anschließenden Gespräch meinte Rainer Eppelmann, Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung, pointiert, die DDR-Bürger seien mit dem Bau der Grenzanlagen am 13. August 1961 zu „Leibeigenen“ des SED-Regimes geworden.
Am zweiten Tag der Messe folgten 50 parallele Projektpräsentationen. Themenfelder waren:
- „Gelebte Geschichte: 25 Jahre Friedliche Revolution“,
- „Spannungsfeld deutsch-deutsche Geschichte im europäischen Kontext“,
- „Opposition und Repression in Diktaturen“,
- „Lernen für die Demokratie: Deutsche Zeitgeschichte im Klassenzimmer“,
- „Lernen am historischen Ort“,
- „1914-1989: Historische Streiflichter in Europa“,
- „Deutsche Zeitgeschichte regional“.
Anders als das Thema der Messe vermuten lassen könnte, erfolgten auch die Projektpräsentation überwiegend zur Aufarbeitung des SED-Regimes, nicht zum Thema Nationalsozialismus, Stalinismus oder Kommunismus.
In der Diskussion zur „Zukunft der Aufarbeitung – Herausforderungen und Potentiale der historisch-politischen Bildungsarbeit in Deutschland und Europa“ beschrieb die Ministerin für Schule und Weiterbildung in NRW, Sylvia Löhrmann, ihre persönlichen Erfahrungen mit politischer Bildung über die Zeit des Nationalsozialismus. Darunter auch Fahrten in die Gedenkstätte Auschwitz. Sie verwies auf das Konzept „Erinnern für die Zukunft“ des Ministeriums, das unter der Schirmherrschaft Hildegard Hamm-Brüchers für Schulen entwickelt worden ist. Jugendliche müssten lernen, so die Ministerin, dass sie mit gestalten können. Aus dem Publikum wurde die unter den Teilnehmern verbreitete Klage vorgebracht, dass immer weniger Zeit zur Vermittlung von Politik und Geschichte an Schulen verfügbar ist. Offenbar schwindet das Interesse gleichzeitig bei Schülern. Auch vier Schüler, die ihre Projekte den Teilnehmern auf der großen Bühne präsentierten, gaben an, sich später beruflich auf diesem Gebiet nicht betätigen zu wollen.
Das abschließende Podium am Samstag eröffnete ein Vortrag des Präsidenten der Stiftung Deutsches Historisches Museum Berlin, Prof. Dr. Alexander Koch. Die wesentliche Botschaft seines Beitrages lautete, dass Geschichtsbilder nicht für alle Zeiten festgelegt seien, sondern permanentem Wandel unterliegen. Nachfolgende Generationen würden die Überlieferung anders betrachten. Der demographische Wandel stelle zudem auch Museen vor Herausforderungen. 1990 hätten in Deutschland 100 Millionen rund 4200 Museen besucht; 2014 ca. 110 Millionen Menschen rund 7000 Einrichtungen. Trotz einer größeren Zahl an Museen stagniere – insgesamt - die Zahl der Besucher. Obwohl zugleich deutlich mehr Menschen in Deutschland leben. Im Juni eröffnet das DHM eine Sonderausstellung zum Ersten Weltkrieg, 2015 wird das Museum an das Ende des Zweiten Weltkrieges erinnern. Dabei werden neue Perspektiven maßgebend sein, denn der Blick gelte den Ländern Europas, er wird nicht wesentlich auf Deutschland gerichtet sein. Prof. Koch bezeichnete die Gedenk- und Erinnerungskultur in Deutschland als vorbildhaft, in vielen Ländern würden auch heute die dunklen Seiten der eigenen Nationalgeschichte verdrängt.
In der anschließenden Diskussion kam Prof. Dr. Bernd Faulenbach, Universität Bochum, auf eine Anregung zurück, die er im vergangenen Jahr bereits unterbreitete: Deutschland benötige mehr Orte, die an die Durchsetzung von Freiheit und Demokratie erinnerten. Man müsse die Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte im Sinne einer Demokratiegeschichte in die politische Bildungsarbeit einbeziehen. Mit Bezug auf die Debatten in den 1980er Jahren, als der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl heftig für Bau und Konzept des „Haus der Geschichte“ in Bonn attackiert wurde, meinte Prof. Faulenbach, damals „überzogene Befürchtungen“ gehabt zu haben.
Schließlich wurde die Frage gestellt, ob es bei dem „Haus der Europäischen Geschichte“ des Europäischen Parlaments, das in Brüssel errichtet wird, nicht wiederum um ein Projekt handle, das die öffentliche Debatte und auch Kritik meide. Dem widersprach Prof. Koch deutlich, der die Bedeutung des Hauses als politisches Signal hervorhob, zugleich aber auch davor warnte, die Konstruktion europäischer Identitäten in ihrer Bedeutung für die Nationen zu überschätzen.