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„CDU pur, was heißt das heute?“

Ein Gespräch mit dem Historiker Prof. Peter Hoeres über Traditionen, Wandel und Aufbruch der CDU anlässlich des 75. Gründungsjubiläums der Partei

Zusammenfassung des Gesprächs mit Prof. Hoeres über die CDU.

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Prof. Dr. Peter Hoeres Foto: Gerhard Bayer
Prof. Dr. Peter Hoeres, Prof. für Neuere Geschichte an der Universität Würzburg

1. Die Wurzeln 1945/1950: So fing es an mit der CDU

Der „Berliner Gründungsaufruf“ einer „Christlich-Demokratischen Union Deutschlands“ vom 26. Juni 1945 ist das erste markante Datum für den längeren Gründungsprozess der CDU nach dem Zweiten Weltkrieg. Zu den 41 Unterzeichnern des Berliner Aufrufes gehörten 21 ehemalige Politiker des katholischen Zentrums, zwölf Protestanten aus meist konservativen Parteikreisen, aber auch einer von der SPD, sechs frühere Mitglieder der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei, sechs der Bewegung „Freies Deutschland“ und ein jüdischer Deutscher.[1] Die „Kölner Leitsätze“ vom 1. Juli 1945, so etwas wie ein vorläufiger Programmentwurf für die neue Partei, gehören zu den bedeutendsten Gründungsdokumenten der CDU. Das Bekenntnis zur Würde des Menschen, zu Rechtsstaatlichkeit, Freiheit und Föderalismus legte die Basis für das Selbstverständnis der Christlich Demokratischen Union. Hier fanden vor allem naturrechtliche Denkanstöße der Walberberger Dominikanerpatres Laurentius Siemer und Eberhard Welty aus der Katholischen Soziallehre Aufnahme.[2]

Der folgende Zusammenschluss von unterschiedlich geprägten lokalen Gründungen zu regionalen Verbänden zog sich bis 1947 hin. Eines der wichtigsten Daten der Frühgeschichte der Union ist dabei das „Godesberger Reichtreffen“ vom 14.-16. Dezember 1945. Von diesem Zeitpunkt an wurde der Name „Union“, wie er in Berlin und in der SBZ geprägt worden war, im Westen übernommen. Die CDU Brandenburg wurde am 16. Oktober 1945 gegründet und Wilhelm Wolf zum ersten Vorsitzenden bestimmt. Vom 1. bis 3. Februar 1947 tagten dann Delegierte des Zonenausschusses der CDU im Kloster St. Michael in Ahlen, um unter dem Vorsitz von Konrad Adenauer das „Ahlener Programm“ zu beraten, das einen Weg jenseits von Kapitalismus und Sozialismus beschrieb. Es dauerte dann noch fast weitere drei Jahre bis auf dem 1. Parteitag in Goslar vom 20.-22. Oktober 1950 schließlich eine gemeinsame Organisation, die CDU-Bundespartei, gebildet wurde. Deshalb konnte die CDU also 2020 auf mindestens zwei Jubiläen zurückblicken: auf den ersten Gründungsaufruf und die ersten programmatischen Leitsätze vor 75 Jahren und die Gründung der Bundespartei vor 70 Jahren.[3]

2. Der Gesprächspartner: ein renommierter Historiker

Grund genug, mit einem Zeithistoriker über die Tradition, den Wandel und den Aufbruch in der Jubiläumspartei zu sprechen, was wir am 11. November 2020 auf Facebook unternommen haben.[4] Gesprächspartner war Peter Hoeres, Professor an der Universität Würzburg und Mitglied im Beirat der Bundeszentrale für Politische Bildung, der 2019 mit einer Geschichte der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hervorgetreten ist, die wiederum den Weg der CDU seit November 1949 kritisch begleitet hat.[5]

3. Zur Tradition der CDU: Union – Soziale Marktwirtschaft - Konservatismus

Was war das Erfolgsgeheimnis der neuen Partei? Für Hoeres war es vor allem das Konzept der „Union“ als Volkspartei, als Sammlungsbewegung mit großer politischer Integrationskraft über konfessionelle, politisch-weltanschauliche, soziale Unterschiede hinweg. Dabei habe man sich einerseits in Nachfolge der katholischen Zentrumspartei befunden, andererseits aber mit dem Brückenschlag über die Konfessionsgrenzen hinweg etwas ganz Neues begründet, wobei der antitotalitäre Konsens dafür den „entscheidenden Schub“ gegeben habe. Der Evangelische Arbeitskreis, am 16. März 1952 auf Initiative von Hermann Ehlers in Siegen gegründet, zeugt bis heute von dem Willen in der Union, beide Konfessionen gleichermaßen zu berücksichtigen.[6] Gleichzeitig habe die neue christliche Union im katholischen Teil eine stärkere politische Emanzipation von der Kirche bewirkt.

Das Konzept einer „Sozialen Marktwirtschaft“, entstanden aus dem Ordoliberalismus und den Prinzipien der Solidarität und Subsidiarität der christlichen Soziallehre, sei anfangs keineswegs populär gewesen, führte Hoeres aus. Die Idee habe sich erst durchringen müssen gegen Vorstellungen eines Sozialismus aus christlicher Verantwortung, wie sie z.B. von Jakob Kaiser in Berlin vertreten wurde. Ludwig Ehrhards Versprechen eines „Wohlstandes für alle“, der Teilhabe, nicht der sozialistischen Umverteilung, habe sich schließlich aber durchgesetzt. Die „Soziale Marktwirtschaft“, heute von allen Parteien als Leitmodell akzeptiert, sei damals ein Alleinstellungsmerkmal der Union gewesen zwischen dem sozialistischen Ansatz der SPD und dem liberal marktwirtschaftlichen der FDP. Grundbedingung für den Erfolg sei jedoch das bis in die 1960er Jahre anhaltende starke Wirtschaftswachstum gewesen.

Das dritte Erfolgsgeheimnis der neuen Union als Volkspartei sei sodann gewesen, dass sie es geschafft habe, auch die konservativen Parteien zu absorbieren und diese politische Flanke weitestgehend abzudecken. Dazu später mehr.  

4. Zum Wandel der CDU: christliche Werte – politische Konzepte - Diskussionskultur

Gibt es heute überhaupt noch Bedarf für eine christliche Volkspartei angesichts des Schrumpfens des christlichen Anteils in der Bevölkerung? Auch die Wahlmobilisierung und Bindung unter christlich orientierten Bürgern sei für die Union heute viel schwieriger als in den ersten zwei Jahrzehnten, weil auch hier mittlerweile eine größere politische Pluralität herrsche. Gleichwohl sei das christliche Leitbild, das ja auch Eingang in unser Grundgesetz gefunden habe, für sehr viele Menschen nach wie vor attraktiv und wirke als kulturelles Erbe nach, meint Hoeres.  

Aber hat sich nicht die Union selbst teilweise von ihren christlichen Grundwerten gelöst, wie das etwa die „Werte Union“ beklagt? Die Union sei nie eine Programmpartei, sondern immer stark pragmatisch ausgerichtet gewesen, analysiert der Historiker. Bewahrung („Keine Experimente“) und Wandel hätten in der Union stets zusammengehört, allerdings mit dem Anspruch, den Wandel selbst zu gestalten und sich ihm nicht zu unterwerfen. So habe Helmut Kohl innerparteilich anfangs geradezu als „Revuluzzer“ gegolten, weil er die Partei in den 1970er Jahren in der Opposition programmatisch und organisatorisch mit Hilfe seines Generalsekretär Kurtz Biedenkopf neu aufstellte, für innerparteiliche und gesellschaftliche Debatten sorgte zum Beispiel über die Grundwerte-Frage und die „Neue soziale Frage“, die Rolle der Frauen, bis hin zu seinem Ziel einer „geistig-moralischen Wende“. In der Regierungszeit Kohls habe sich die innerparteiliche Debatte dann wieder stärker verfestigt. Ein Defizit sieht Peter Hoeres mehr in einer anderen Frage: Die CDU habe – teilweise gegen heftige Widerstände – stets für bestimmte politische Konzepte gestanden: die Westbindung und Soziale Marktwirtschaft unter Adenauer und Erhard, die Nachrüstung, die Wiedervereinigung und Europäische Einigung mitsamt dem Euro unter Helmut Kohl. Das fehle der Union heute, meint Hoeres.

5. Zum Aufbruch in der Union: neuer Vorsitz – Europa – neues Programm

Mit Blick auf die Wahl eines neuen Vorsitzenden sah Hoeres den Kandidaten Armin Laschet wahrscheinlich vorne. Was er sowohl bei Laschet und Röttgen jedoch vermisse, seien Aussagen zu den Alleinstellungsmerkmalen der Union, also ein klares Profil. Für ihn sei unter den „drei Kandidaten“ Sebastian Kurz der beste, ob seiner Jugendlichkeit und weil er die ÖVP inhaltlich und organisatorisch neu erfunden habe, so dass sich sogar die Grünen in der Regierung Österreichs ein- und untergeordnet hätten. So einen hätten wir aber nun einmal derzeit nicht in Deutschland. Und was ist mit Markus Söder? Der habe das Problem, dass seine eigene Neuerfindung nicht immer authentische wirke, meint Hoeres. Wenn er denn als Kanzlerkandidat gerufen würde, müsste auch er erstmal klare politische Ziele für Deutschland definieren.

Auf die Frage aus dem Publikum, welche europapolitischen Ziele die Union verfolgen solle, wies Peter Hoeres auf drei Punkte hin: 1. die Stabilität des Währungsbundes und die Verhinderung eines Abgleitens in eine Schuldenunion; 2. eine enge Anbindung Großbritanniens an die EU, trotz der Trennung; man dürfe jetzt nicht zu sehr alte Rechnungen begleichen, sondern solle die Britten, wo dies möglich ist, mit in ein „Beiboot“ holen; 3. die Spaltung in Ost und West in Europa dürfe nicht noch weiter vertieft werden, sondern müsse mit Brücken überwunden werden.

Und das neue Grundsatzprogramm der Union?  Hier müsse die Handschrift des neuen Vorsitzenden deutlich werden, wobei es insbesondere um zwei bis drei „knallige Akzente“ gehe, die die Union unterscheidbar mache von der Konkurrenz. Es gehe um die Beantwortung der Frage: „CDU pur, was heißt das heute?“ Zwar müsse man am Ende in der Politik kompromissfähig sein, aber zuvor programmatisch für den Wähler ein klares Angebot formulieren. Die CDU habe dabei einen Vorteil als einzig verbliebene große Volkspartei. Die Grünen seien als Partei der westlichen, wohlhabenderen Städter und wegen ihrer schwachen Verankerung im Osten und in ländlichen Gebieten noch keine echte Volkspartei.

Die CDU bedürfe aber eines stärker eigenständigen Profils, eigenständiger Ideen und Konzepte. Zuletzt könne man sich an die Idee einer deutschen Leitkultur mit Blick auf die Einwanderung sowie an die Pläne zu einer grundlegenden Steuerreform und Reform des Sozialsystems als eigene politische Konzepte vor 15/20 Jahren erinnern. Danach sei mehr der Eindruck entstanden, die Union wolle vor allem Schlimmeres durch andere Parteien verhindern, passe sich diesen aber gleichzeitig an. Auch ein neuer Konservatismus könne zum Beispiel dabei helfen, das „eingeschnürte, bleierne geistig-kulturelle Klima“ aufzubrechen, wenn es etwa um den öffentlichen Diskurs um Einwanderung, Islam, Energie- und Umweltpolitik, Patriotismus etc. gehe.[7] Hier könne die Union Themen wieder einmal offensiv mit eigenen Ansätzen besetzen.

 

[1] Vgl. Ralf Thomas Baus: Gründungsaufruf der CDU in Berlin, in: https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/kalender/kalender-detail/-/content/gruendungsaufruf-der-cdu-in-berlin (alle LInks abgerufen 2.2.2021).

[2] Vgl. Katrin Zehender: Beratungen ehem. Zentrumsmitglieder und christlicher Gewerkschafter in Köln über die Gründung einer christlich-demokratischen Partei, in: https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/kalender/kalender-detail/-/content/beratungen-ehem.-zentrumsmitglieder-und-christlicher-gewerkschafter-in-koeln-ueber-die-gruendung-einer-christlich-demokratischen-partei.

[3] Günter Buchstab: 1945-1949: Gründungsphase der CDU, in: https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/gruendungsphase-der-cdu-1945-1949-.

[4] Vgl. die Facebook-Site der Konrad-Adenauer-Stiftung Brandenburg, https://www.facebook.com/195317957221600/videos/1597277653777435.

[5] Peter Hoeres: Zeitung für Deutschland. Die Geschichte der FAZ, München und Salzburg 2019.

[6] Vgl. Philipp Wölbern: Die Gründung des Evangelischen Arbeitskreises (EAK) der CDU: in: Michael Borchard, Judith Michel (Hrsg.), Erinnerungsort der Christlichen Demokratie in Deutschland. Konrad-Adenauer-Stiftung Berlin 2020, 97 – 101, https://www.kas.de/de/web/wissenschaftliche-dienste-archiv/publikationen/einzeltitel/-/content/erinnerungsorte-der-christlichen-demokratie-in-deutschland.

[7] Vgl. Peter Hoeres: Programmatik erwünscht. Wie progressiv muss ein Konservatismus sein? Drei Gefahren und drei Postulate, in: Die Tagespost, 7.11.2019, https://www.die-tagespost.de/gesellschaft/feuilleton/Programmatik-erwuenscht;art310,202833; ders.: Plädoyer für einen Konservativismus der Zukunft. Nach der Postmoderne: Wie Konstruktivismus und Identitätspolitik überwunden werden können. Ein Beitrag zu einer Themen-Agenda für einen zukunftsfähigen Konservativismus, in: Die Tagespost, 10.5.2020, https://www.die-tagespost.de/politik/aktuell/plaedoyer-fuer-einen-konservativismus-der-zukunft;art315,208046.

 

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Stephan Georg Raabe

Stefan Georg Raabe

Leiter des Auslandsbüros Bosnien und Herzegowina in Sarajevo

Stephan.Raabe@kas.de +387 33 215 240

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