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Dr. Henning Riecke, DGAP

Veranstaltungsberichte

"Großer Frust" und "ein soziales Problem"

von Christopher Altstädt

Die Administration Donald Trumps und die Unruhen in den USA

Online-Seminar mit Dr. Henning Riecke von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (18.Juni 2020, 17 Uhr)

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Der Tod des Afroamerikaners George Floyd durch Polizeigewalt löste in zahlreichen Städten der USA Proteste und Unruhen aus. Die daraus resultierenden Debatten über Polizeigewalt, Diskriminierung und Rassismus beschränken sich nicht nur auf die Vereinigten Staaten. Weltweit gab es Demonstrationen und Solidaritätsbekundungen für die Black Lives Matter-Bewegung.

Wenige Monate vor den Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten fallen die Beliebtheitswerte Donald Trumps rapide. Wie angespannt die Lage ist, zeigten die Bilder der mittlerweile abgezogenen Nationalgarde in Washington. Trumps Umgang mit dem Thema steht von vielen Seiten in der Kritik. Darüber sprachen wir in einem Adobe-Connect Online-Seminar mit Dr. Henning Riecke von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Seit 2009 ist er bei der DGAP, derzeit koordiniert er den Schwerpunkt Internationale Ordnung und Demokratie.

 

„Großer Frust über alltäglichen Rassismus“

Dr. Riecke betonte bereits zu Beginn des Gespräches, dass es zwar Ausbrüche von Unruhen, Plünderungen und Brandlegungen gebe, sich die Gewalt aber in Grenzen halte. Die Bilder, die wir vielfach in den Medien sehen, seien demnach „nicht die Regel“. In den Protesten und Auseinandersetzungen zeige sich die große Frustration über die Benachteiligung der Afroamerikaner in den USA. George Floyds Tod mag der Anstoß gewesen sein, eigentlich ginge es aber um viel mehr, „nämlich die Erfahrungen des strukturellen Rassismus in den USA“, so Riecke. Das sei eine ganz alltägliche Erfahrung und betreffe insbesondere die Strafverfolgung. 13% der Amerikaner seien Afroamerikaner, in den Gefängnissen jedoch 40% der Insassen. „Schwarze können wesentlich leichter in Schwierigkeiten mit der Polizei geraten. Sie werden früher angehalten, werden bei Kontrollen härter angegangen, kommen schneller ins Gefängnis, werden härter bestraft. Das ist eine Erfahrung die jeder Schwarze in den USA über irgendeine familiäre oder freundschaftliche Verbindung kennt“, so Riecke. Die Weißen würden diese Probleme mehrheitlich nicht als Teil eines tieferliegenden Rassismus sehen. Die Black Lives Matter Bewegung helfe diesem Frust auf der Straße durch Proteste Ausdruck zu verleihen.

 

„Ein soziales Problem”

Auf die Frage, wie er die schlechtere wirtschaftliche Situation von Afroamerikanern, die sich durch die Corona-Pandemie nochmals verschärfte, einordnen würde, antwortete Riecke, er sehe ein klares soziales Problem. „Schwarze haben es schwerer, in bessere Jobs zu kommen, haben es schwerer, in Bewerbungsverfahren, erhalten weniger Geld, haben es schwerer, gute Wohnungen in guten Wohnlagen zu bekommen, haben es schwer, an die zum Teil teure Ausbildung zu kommen“, erklärt der Experte. Der hohe Anteil an Afroamerikanern in den Gefängnissen sei nicht nur darauf zurückzuführen, dass Gerichte zu ungerecht oder Polizisten zu hart sind, sondern liege auch daran, dass Afroamerikaner verstärkt in Gegenden wohnten, wo Kriminalität an der Tagesordnung sei. Es sei ein sehr kompliziertes Problem, das sich nicht nur mit einem Blick auf die Polizeigewalt begreifen lasse.

Die Corona-Pandemie und ihre wirtschaftlichen Folgen träfen die wirtschaftlich Schwächeren ohnehin stärker, aber die überproportionale Belastung der Afroamerikaner sähen diese natürlich als Ausdruck eines gesellschaftlichen Rassismus, so Riecke. Eine größere Verbreitung von Vorerkrankungen wie Bluthochdruck oder Diabetes, aber auch schlechterer Zugang zu Gesundheitsversorgung führten dazu, dass an Covid 19 zweieinhalbmal so viele Schwarze sterben wie Weiße. Auch die Wut darüber fache jetzt die Proteste an.

Mit Blick auf die anhaltenden Problemlagen, trotz ‚affirmative action‘ in den vergangenen Jahren und trotz der hohen Bedeutung von ‚political correctness‘ beispielsweise in der Filmindustrie in Hollywood, verwies Riecke auf die lange Historie der Sklaverei, Rassentrennung und Bürgerrechtsbewegung in den USA. Gesellschaftlicher Wandel brauche seine Zeit, aber es gebe auch Gegenkräfte gegen die Emanzipation. Es gebe genug Leute, die die politisch gewollte Bevorzugung von Schwarzen bei Jobs und in der Ausbildung als eine eigene Ungerechtigkeit betrachteten. Es gebe viele Konservative, die diese Art von „Gleichheitspolitik“ nicht unterstützten und viele Populisten, die dies für Polarisierung nutzten - „auch Trump“. Obama wollte sich auch nicht als Präsident der Schwarzen verstehen, so Riecke. Nach den Protesten in Ferguson von 2014 habe Obama sich auch lange zurückgehalten, weil der nicht als Aktivist der Farbigen auftreten, sondern „Präsident für alle Amerikaner“ sein wollte, womit er auch viele Menschen enttäuscht habe.


Black Lives Matter – „Ein berechtigtes Anliegen“

Auf die Frage, ob die Demokratische Partei vor den Präsidentschaftswahlen mit ihrer Unterstützung der Black Lives Matter Bewegung womöglich gar politische Ziele verfolge und von den Unruhen profitieren könnte, entgegnete Riecke, dass Black Lives Matter „ein berechtigtes Anliegen“ habe und dieses am Anfang stehe. Die Nähe zu der alten, kirchlichen, mittelständischen und friedlicheren Bürgerrechtsbewegung sei jedoch nicht allzu groß, erklärte Riecke. Die Demokraten haben die Proteste jedoch weder angestoßen noch können sie die Proteste instrumentalisieren. „Wenn es Proteste gibt, die in Gewalt umschlagen, dann steht auch ein demokratischer Gouverneur schlecht dar“. Es gebe ein politisches Anliegen der Bewegung, das sich mit den Vorstellungen der Demokraten in vielen Bereichen decke.

 

Trumps Reaktion auf die Unruhen

Die politischen Kompetenzen seien in den USA sehr dezentral bei den Staaten, Distrikten und Städten organisiert, und wenn Trump sage, er nehme das jetzt in die Hand, „dann ist das eine Geschichte, die er so erzählt“ aber eigentlich habe er die Möglichkeiten dazu gar nicht. Trump habe zwar eine richtige Direktive zu der Polizei auf den Weg gebracht, doch komme diese viel zu spät und sei eingebettet in seine Polarisierung und seine aggressive Rhetorik, so Riecke. Trump habe die Antifa, „das breit gefächerte Bündnis antifaschistischer Kräfte“, die nicht ganz wie unsere Autonomen seien, zum Schuldigen erklärt und diese mit schwarzen Aktivisten gleichgesetzt, die ein ganz anderes Programm hätten. Weiterhin führte Dr. Riecke aus, Trump nutze „wie schon im Wahlkampf 2016 diese Art der Polarisierung für die Mobilisierung seiner Wähler, indem er das, was passiert, noch düsterer darstellt als es ist“. Die Art und Weise, wie Trump sich „mit Tränengas den Weg zu der kleinen Kirche freigeschossen hat, um die Bibel hochzuhalten“, habe viele Menschen brüskiert und habe ihm nicht wirklich genutzt. Um das Problem des Rassismus anzugehen, müssten sich die Eliten wie die Zivilgesellschaft auf allen Ebenen nachhaltig für mehr Gerechtigkeit einsetzen, wofür man in Washington einen Führer bräuchte, der das Problem ernst nehme, „und das ist Donald Trump nicht“, so Riecke.

Auf Nachfrage bezüglich autonomer Zonen, wo mitunter linksradikale Politiker wie Kshama Sawant in Seattle aktiv sind und inwiefern es auch linksradikale Gruppen gibt, die die Situation nutzen und damit Trump eine Steilvorlage liefern, entgegnete Riecke, die Entscheidung wie man mit solchen Regelüberschreitungen und zivilem Ungehorsam umgeht, solle lokal getroffen werden und nicht vom Präsidenten in Washington. Es sei die Frage, ob man mit aller Gewalt das Gesetz durchsetzen oder man mit diesen Gruppen erst einmal verhandeln und sie einbinden solle, erklärte Riecke. Man habe jedoch gesehen, dass ein rigoroses Vorgehen der Polizei nicht hilfreich sei, weil dies zu Solidarisierungen und Radikalisierung führe.

 

Internationale Politik spielt im Wahlkampf nur eine untergeordnete Rolle

Zu den Präsidentschaftswahlen sagte Riecke, dass Trump wohl erheblich an Unterstützung verlieren und es für ihn nicht einfach werde. Sogar in den ‚Battleground-States‘ liege sein Herausforderer Joe Biden inzwischen in der Regel deutlich vorne. Trump müsse mittlerweile sogar aktiv versuchen, seine sicher gedachten Staaten zu halten und gleichzeitig einen Fokus auf die umkämpften Staaten legen, was nicht einfach für ihn werden dürfte. Allerdings sind es noch über fünf Monate bis zur Wahl, und Joe Biden sei auch ein angreifbarer Kandidat. Auf die Frage, ob Donald Trump versuchen könnte, die Debatten auf Außenpolitik zu verlagern, um damit zu punkten, äußerte er die Vermutung, seinen potenziellen Wählern sei es wichtiger, dass er sein ‚Make America Great Again‘-Programm umsetze. Er habe Deutschland ins Fadenkreuz genommen, wegen seines Handelsbilanzüberschusses gegenüber den USA und weil es nicht genug für die Verteidigung ausgebe. Dies sei „ein ganz krudes Bild davon, wie wir uns als Deutschland in der NATO verhalten“. Dass Trump Deutschland mit einem Truppenabzug bestrafen wolle, der den Amerikanern und der NATO mehr schade, zeige, es gehe in Wirklichkeit darum, hartes Auftreten zu demonstrieren. Mit Blick auf Russland, China, Israel, den Iran und Nordkorea habe er zwar eine harte Linie verfolgt - „aber hat er irgendein Problem gelöst?“. Vielleicht habe Donald Trump gar kein Interesse daran, Außenpolitik zum Thema im Wahlkampf zu machen. „Biden könnte ihn da an vielen Stellen angreifen, und das weiß Trump auch“.

 

Die NATO und das Zwei-Prozent-Ziel

Auf Nachfrage, ob es bei einer denkbaren Verlegung von aus Deutschland abgezogenen US-Truppen nach Osteuropa nicht Staaten gebe, die sich darüber freuen würden, schätze Riecke die Lage eher so ein, dass auch die baltischen Staaten und Polen eine allgemeine Schwächung der NATO durch einen Abzug von US-Truppen befürchten und kritisch sehen. Die Europäer müssten dann stärker über Ihre eigene Rolle in der NATO nachdenken und möglicherweise Lücken füllen. Außerdem wäre es eine gute Sache, erfüllte Deutschland seine sich selbst gesetzten Verteidigungsziele. Bezüglich des Zwei-Prozent-Ziels der NATO betonte Riecke, dies sei nicht eine Forderung Donald Trumps, sondern das Versprechen Deutschlands. Allerdings sei das Versprechen nicht gewesen, im Jahr 2020 zwei Prozent des Bruttoinlandproduktes für Verteidigung auszugeben, sondern sich bis 2024 auf dieses Ziel zuzubewegen. „Das ist eine butterweiche Formulierung“. Wichtiger seien die eigenen Fähigkeitszusagen: Deutschland habe z.B. die Bereitstellung drei einsatzfähiger Divisionen bis 2032 zugesagt. „Dazu müssen noch einige Hausaufgaben gemacht werden, denn die Bundeswehr ist immer noch an vielen Stellen unterversorgt und zu langsam“.

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