Länderberichte
Der Wahlkampf in Brasilien ist in der losen Parteienlandschaft Brasiliens ein personalisierter. Es treten drei Kandidaten an, die sich zumindest in der offiziellen Rhetorik allesamt als sozialistische oder sozialdemokratische Kandidaten ausgeben, mitunter also politisch links sind: Bei genauerer inhaltlicher Betrachtung repräsentiert jedoch Präsidentin Dilma Rousseff und ihre Arbeiterpartei PT die sozialistische Strömung, während Aécio Neves der liberale Kandidat der Bürgerlichen ist. Eduardo Campos bildet mit seiner Vize, der Umweltaktivistin und ehemaligen Ministerin Marina Silva, eine sozialistisch-grüne Alternative. Daneben kandidieren weitere Politiker, denen jedoch allesamt keine Chancen eingeräumt werden.
Wer ist wer?
Dilma Rousseff, Arbeiterpartei (PT)
Dilma Rousseff führt das Land seit 2010. Unter ihrem Vorgänger Lula war sie Energieministerin sowie zuletzt als Präsidialamtsministerin (vergleichbar mit dem deutschen Kanzleramtsminister) die rechte Hand ihres Vorgängers. Auch seinem Zutun hat Dilma es zu verdanken, 2010 als erste weibliche Präsidentschaftskandidatin angetreten und schließlich an die Spitze des Landes gewählt worden zu sein. Auf dem PT-Parteitag im Juni wurde sie per Akklamation von den Delegierten zur Präsidentschaftskandidatin gekürt. Sie tritt mit dem Wahlkampfslogan „Mehr Wandel, mehr Zukunft“ an. Dilmas Beliebtheit ist jedoch im Laufe dieses Jahres kontinuierlich gesunken. Während ihres repräsentativen Besuchs zum WM-Eröffnungsspiel der brasilianischen Nationalmannschaft in São Paulo wurde sie vom Gros der Stadionbesucher ausgebuht und beleidigt. In den im Lande gerade bei der jungen Bevölkerung beliebten Sozialen Netzwerken gingen Hunderte von Beleidigungen gegen die Präsidentin ein. Trotzdem liegt sie in den Umfragen vor ihren Konkurrenten. Der aktuelle Vizepräsident Michel Temer von der unprogrammatischen PMDB kandidiert erneut als Dilmas Stellvertreter.
Aécio Neves, Partei der Sozialen Demokratie (PSDB)
Der Senator aus dem konservativen Bundesstaat Minas Gerais, Aécio Neves, ist Dilma Rousseffs schärfster Konkurrent und steht der größten Oppositionspartei Brasiliens, der PSDB, vor. Diese vertritt sowohl konservative als auch liberale, aber ebenso sozialdemokratische Positionen. Mit Fernando Henrique Cardoso - der die Partei im Wahlkampf tatkräftig unterstützen wird - stellte die PSDB bereits von 1995-2002 den Präsidenten, der mit dem „Plano Real“ die derzeitige Währung Real einführte, die Wirtschaft stabilisierte, auf diese Weise Millionen von Brasilianern aus der Armut hob und so die Grundlagen für das exponentielle Wachstum Brasiliens in den 2000ern legte. Die PSDB propagiert ein sozial gerechtes Brasilien, das sie von der PT als heruntergewirtschaftet ansieht. Sie prangert den PT-Klientelismus an. Aécio Neves ist der Enkel von Tancredo Neves, der als erster demokratischer Präsident des Landes nach der Militärdiktatur 1985 hätte vereidigt werden sollen, jedoch kurz vor Amtsantritt verstarb. Neves steht somit indes für eben jenes System einer brasilianischen Politikerkaste, welche das Gros der Brasilianer so verabscheut. Fraglich bleibt, ob er den Makel, aus eben jener Oberschicht zu entstammen, deren Machtstrukturen der ehemalige Tagelöhner Lula mit seiner Wahl 2002 zu durchbrechen suchte, aushebeln wird können. Dies wird insbesondere von seiner Fähigkeit abhängen, breite Bevölkerungsschichten von seiner Vision eines sozialen Brasiliens, das in öffentliche Infrastruktur investiert und flexiblere Arbeitsmodelle zulässt, zu überzeugen. Zuletzt stiegen Neveses Beliebtheitswerte kontinuierlich – nicht jedoch in dem gleichen Maße, in dem Dilmas Werte abnahmen. Neves gilt weiterhin bis dato nur wenigen als überzeugende Dilma-Alternative – lediglich sein Heimatbundesstaat Minas Gerais bildet hier eine Außnahme. Neves hat keinen offiziellen Stellvertretenden Präsidentschaftskandidaten nominiert, wird jedoch von den liberalen Demokraten (DEM) unterstützt.
Eduardo Campos, Sozialistische Partei Brasiliens (PSB)
Eduardo Campos, der ehemalige Gouverneur des Nordost-Bundesstaates Pernambuco und Vorsitzender der Sozialisten, ist die Alternative von links zu Präsidentin Dilma Rousseff. Campos werden nur geringe Erfolgschancen eingeräumt. Die einzige Hochburg bildet sein Heimatstaat Pernambuco. Sein Ausscheiden bereits im ersten Wahlgang ist wahrscheinlich. Camposes staatssozialistisches Model in Pernambuco generierte dort jedoch ein beachtliches Wachstum und brachte ihm Respekt ein. Er gilt als ehrgeizig und es ist nicht unwahrscheinlich, dass er bei kommenden Präsidentschaftswahlen erneut antreten könnte. Mit Marina Silva hat er eine Stellvertreterin an seiner Seite, die seine eigene Popularität übersteigt. Silva ist für ihre Geradlinigkeit und das Eintreten für stringent grüne Politik bekannt – sie war bereits vor vier Jahren Präsidentschaftskandidatin und erzielte ein beachtliches Ergebnis. Inzwischen hat sie jedoch die Partei gewechselt und ist PSB-Mitglied.
Wahlkampf in Brasilien
Welcher Medien bedienen sich die Kandidaten für ihre politischen Botschaften? Durch das Wachstum der neuen unteren Mittelschicht, der sogenannten „Classe C“, besitzt heute die Mehrheit der brasilianischen Haushalte einen Fernseher. Hier strahlen die Parteien prozentual zu ihren Wahlergebnissen aus der letzten Wahl Werbespots aus. Im ersten Wahlgang bekommt jedoch die Partei des Präsidenten einen Anteil von 50% aller Wahlwerbespots – ein nicht zu unterschätzender Vorteil. Erst im zweiten Wahlgang, bei dem es zur Stichwahl zwischen den beiden Kandidaten mit den meisten Stimmen kommt, gleicht sich dies wieder in ein faires 50:50-Verhältnis aus. Auch die Sozialen Medien, insbesondere das Netzwerk Facebook, spielt im Wahlkampf eine entscheidende Rolle. Wer wie viele Anhänger („Likes“) hinter sich weiß, wird auch in den konventionellen Medien kommentiert – und hier investiert Herausforderer Neves einiges. Seine Facebook-Fans übersteigen inzwischen die Anhängerschaft der Amtsinhaberin.
Wer wird also als Sieger aus dieser Wahl hervorgehen und neuer brasilianischer Präsident werden? Wird Dilma ihre Vormachtstellung behaupten können und ihre beiden Kontrahenten auf die Plätze verweisen? Es sieht wohl ganz nach dem zweitem Szenario aus – allen Unken- und Buhrufen zum Trotze hat die Arbeiterpartei weiterhin eine angestammte Wählerschaft, insbesondere im bevölkerungsreichen und unterentwickelten Nordosten des Landes. Neveses Herkunft aus einer Politikerfamilie könnte viele auch liberale und konservative Wähler von einer Stimmabgabe zu seinen Gunsten abhalten. Eine Umfrage nach der Kandidatenpräferenz des brasilianischen Forschungsinstituts Datafolha, die Anfang Juni 2014 durchgeführt wurde, sieht Dilma Rousseffs Zustimmungsrate bei 34%, während Aécio Neves bei 19% und Eduardo Campos bei 7% liegen. Obschon also Dilma stetig an Zuspruch verliert, können ihre beiden Kontrahenten nur mäßig aufholen oder – im Falle von Campos – verlieren gar selbst an Vertrauen. Trotzdem sind Dilmas Konkurrenten nicht chancenlos – im Wahlkampf 2010 lagen Dilmas Werte lange Zeit unter denen ihres damaligen PSDB-Herausforderers José Serra – letztlich entschied sie die Wahl doch für sich.
Es bleibt also zu konstatieren, dass im ohnehin fragilen politischen System Brasiliens das Vertrauen in einzelne Persönlichkeiten stetig sinkt. Dieses müssen nun alle Kandidaten - um der allgemeinen Politikerverdrossenheit entgegenzuwirken – zurückgewinnen. Das ist vielleicht die wichtigste Aufgabe im brasilianischen Wahlkampf 2014.
Der Artikel erschien auch in der Zeitschrift Tópicos 2/2014 der Deutsch-Brasilianischen Gesellschaft e.V.