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Veranstaltungsberichte

Vom Bruder bei der Stasi verhaftet

Schulveranstaltungen mit der DDR-Zeitzeugin Elke Schlegel

Im März fanden zwei Schulveranstaltungen der Konrad-Adenauer-Stiftung mit der DDR-Zeitzeugin Elke Schlegel statt. Begleitend zu den beiden Veranstaltungen wurde die Ausstellung „DDR - Mythos und Wirklichkeit" gezeigt: am 04.03.2025 am Schulzentrum Carl-von-Ossietzky in Bremerhaven und am 18.03.2025 in der Edith-Stein-Schule in Bremerhaven. Als Tagungsleiterinnen fungierten Dana Alyoussef sowie Anna Prigge. Die Ausstellung wurde auch nach dem Vortrag den Schulen noch zur Verfügung gestellt.

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Elke Schlegel berichtete eindrücklich von ihren Erlebnissen in der DDR. Sie wurde 1958 in der thüringischen Stadt Jena geboren und hatte bereits in ihrer Kindheit die ersten Berührungspunkte mit dem SED-Regime. Trotz ihrer halbwegs unbeschwerten Kindheit bekam sie früh zu spüren, was es bedeutete, in der DDR aufzuwachsen. Die Kinder wurden in der Schule vor den anderen Kindern bloßgestellt, wenn sie zum Beispiel westdeutsches Fernsehen sahen anstelle des DDR-Rundfunks. Ähnlich verhielt es sich mit der religiösen Ausbildung der Schülerinnen und Schüler in der DDR, da den Schülern in Bezug auf ihre Religion nicht freie Hand gelassen wurde.  Im Kontext der Jugendweihe erzählte Elke Schlegel den Schülern, was ihr während des Festes gesagt wurde: „Sie werden heute in den Kreis der Erwachsenen aufgenommen. Die Welt steht Ihnen offen.“ Schlegel bemerkte jedoch schnell, dass dies nicht auf ihre Kindheit und ihr Leben in der DDR zutraf und keinesfalls der Wahrheit entsprach. 

 

Schlegel bekam innerhalb ihres Umfeldes mit, wie ein Fluchtversuch scheiterte und ein Mann durch eine Selbstschussanlage an den Beinen verletzt wurde. Deshalb unternahm sie keinen Fluchtversuch, sondern stellte einen Ausreiseantrag, in dem sie auf die Schlussakte von Helsinki verwies. Dort verpflichtete sich die DDR 1975 zur Achtung und Einhaltung der Menschenrechte. In ihrem Ausreiseantrag machte Schlegel auf die nicht vorhandene Meinungs-, Presse- und Reisefreiheit und die Nichteinhaltung von Menschenrechten in der DDR aufmerksam.

 

Schlegels ursprünglicher Berufswunsch war es, eine Ausbildung zur Raumausstatterin/Innenarchitektin zu absolvieren. Da sie jedoch nicht die Erlaubnis für die Ausbildung bekam, machte sie eine Ausbildung zur Hotelfachfrau und wurde 1981 Mutter eines Sohns. Schlegel nahm an der oppositionellen Friedensgemeinschaft Jena und am „Weißen Kreis“ teil. Der „Weiße Kreis“ war eine Vereinigung von Ausreiseantragsstellern, die von der Staatssicherheit kriminalisiert wurde.

 

Nachdem Schlegel mehrmals „zur Klärung eines Sachverhalts“ vorläufig festgenommen wurde, entzog man ihr letztlich den Personalausweis und stellte ihr einen vorläufigen Ersatzausweis, den sogenannten „PM 12“, aus. Mit dem „PM 12“ wurden politisch Unerwünschte, Haftentlassene mit Auflagen oder Ausreiseantragssteller gekennzeichnet. Dazu stand auf ihrem Personalausweis ein rotes A. Der Buchstabe A stand dafür, dass sie einen Ausreiseantrag gestellt hatte. Eine Folge war , dass sie schwerer eine Wohnung bekam. Darüber hinaus behinderte der PM 12 die Betroffenen oft, bestimmte Orte zu verlassen oder zu besuchen und war auch mit Schwierigkeiten, den Arbeitgeber zu wechseln, verbunden.

 

 

 

Am 10. Dezember 1983, dem „Tag der Menschenrechte“ wurde sie zusammen mit ihrem Mann in Jena bei einer Demonstration für den „Weißen Kreis“ von der Staatssicherheit festgenommen. Einer der Mitarbeiter der Stasi, der sie festnahm, war ihr Bruder.  Schlegel fand die Situation schrecklich, weil sie nicht wusste, ob ihr Bruder schießt.

 

Sie verabschiedete sich nach der Festnahme von ihrem Sohn mit den Worten: „Ich gehe Dir was Schönes kaufen“. Darauf folgten drei Monate in Untersuchungshaft, in denen Schlegel von der Stasi wie eine schwere Straftäterin behandelt wurde und nur eine Nummer für das Ministerium war. Kurze Zeit vor Schlegels Inhaftierung hatte die BRD der DDR einen Kredit genehmigt, unter der Bedingung politisch Inhaftierte freikaufen zu können. Schlegel wurde wegen eines Telefonats mit ihrer Verwandtschaft im Westen zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt.

 

Der Alltag im Frauenzuchthaus Hoheneck war geprägt von inhumanen Zuständen, da Schlegel gemeinsam mit 42 weiteren Frauen auf engstem Raum in einer Zelle untergebracht wurde. Hinzu kamen mehrere körperliche Übergriffe durch ihre Mitinsassen. Mit ihrem Status als politische Gefangene standen ihr im Gefängnis in der DDR weniger Rechte zu, als verurteilten Mörderinnen oder Inhaftierten, die andere Straftaten begangen haben. Nicht essbare Mahlzeiten wie kalte Suppe mit Kakerlaken oder nasses Brot gehörten genauso zum Alltag im Gefängnis wie die Zwangsarbeit, die die Gefangenen ableisten mussten. Zusätzlich dazu wurden die Insassen in der Zelle alle 20 Minuten, auch nachts, mit einem Leuchtstrahler angestrahlt, sodass Schlafen unmöglich wurde. Das Ausmaß dieser Methoden war ihr zum Zeitpunkt der Inhaftierung noch nicht bewusst. Heute weiß sie, dass es Folter war.

 

Schlegel wurde 1984 im Zuge eines durch den damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Strauß initiierten Milliardenkredits, aus der Haft freigekauft. Auch ihr Mann wurde freigelassen und ein Jahr darauf durfte Schlegel endlich ihren Sohn wieder in die Arme schließen, der während ihrer Haft bei der Großmutter in Thüringen lebte. Schlegel begab sich in Therapie, um mit dem Erlebten im Frauenzuchthaus Hoheneck besser umgehen zu können. Sie sagte im Vortrag, dass sie bis 2012 brauchte, um das Geschehene einigermaßen zu verarbeiten.

 

Am Ende der Veranstaltungen wurde ein Film von anderen Insassen des Frauenzuchthauses Hoheneck gezeigt. In dem Film berichteten sie über die unmenschlichen Zustände, unter denen die Frauen im Gefängnis leiden mussten. Abschließend wurden auch noch von den Schülern Fragen an die DDR-Zeitzeugin gestellt. Inhalt dieser Fragen war zum Beispiel, welche Rolle die Kirche in der DDR gespielt hat, und auch, ob Schlegel noch Kontakt zu ihrem Bruder habe.

 

Autorin: Julia Sütterlin

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Dr. Ralf Altenhof

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Landesbeauftragter und Leiter Politisches Bildungsforum Bremen

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