Hintergrund
Der Ende Februar spontan für den 6. März einberufene Sonderratsgipfel behandelte die Themen, die im Vorfeld der Ankündigung international und insbesondere transatlantisch Wellen schlugen: Verteidigung und Unterstützung für die Ukraine. Nachdem bereits am 3. Februar ein informelles Treffen der EU-Staats- und Regierungschef zum Thema Verteidigung stattgefunden hatte, überschlugen sich die Ereignisse, die eine erneute Zusammenkunft zwei Wochen vor dem planmäßigen Ratsgipfel am 20. März nahezu unabdingbar machten.
Ein Hauptgrund für die Volatilität der Situation ist das Agieren der neuen US-Administration unter Donald Trump, welcher seit seiner Amtseinführung die US-amerikanische Außen- und Sicherheitspolitik radikal umbaut. Äußerungen US-amerikanischer Vertreter deuteten eine Abkehr von den traditionellen Partnern der USA an: So kritisierte US-Vizepräsident JD Vance im Rahmen der Münchner Sicherheitskonferenz die europäischen Demokratien und die USA stellten ihr Engagement auf anderen Kontinenten sowie innerhalb der Vereinten Nationen infrage. Letzteres machte sich bereits durch massive Budgetkürzungen im entwicklungspolitischen Bereich bemerkbar. Auch der US-Verteidigungshaushalt soll Ankündigungen zufolge halbiert werden.
Spätestens nach einem Treffen zwischen US-amerikanischen und russischen Regierungsvertretern am 18. Februar in Riad, Saudi-Arabien und der damit eingeleiteten Kehrtwende im Krieg in der Ukraine reagierten die Europäer: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron lud die Staats- und Regierungschefs einiger EU-Staaten sowie des Vereinigten Königreichs, die höchsten Vertreter der NATO und der EU-Institutionen am 17. und 19. Februar zu zwei Dringlichkeitstreffen nach Paris ein. Am Jahrestag der russischen Invasion, dem 24. Februar, wurde das 16. Sanktionspaket gegen Russland verabschiedet und die Arbeit an einem 17. Folgepaket verkündet. Außerdem reiste Macron am selben Tag nach Washington, dicht gefolgt vom britischen Premierminister Keir Starmer am 27. Februar, jeweils für bilaterale Gespräche mit Trump. Trotz dieser Bemühungen kam es am 28. Februar zum Eklat zwischen Trump und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, die sich vor laufenden Kameras einen verbalen Schlagabtausch lieferten. Dies hatte zur Folge, dass das zuvor ausgehandelte Rohstoffabkommen zwischen der Ukraine und den USA nicht unterschrieben wurde. Am selben Tag blockierte Ungarn einen EU-Vorschlag, der sowohl Sicherheitsgarantien für die Ukraine als auch ein neues EU-Militärhilfepaket beinhalten sollte, da die EU, laut dem ungarischen Premierminister Viktor Orbán, stattdessen direkte Verhandlungen mit Russland suchen solle. Europäische Regierungen reagierten bestürzt auf diesen Vorstoß, sodass beim Ukraine-Gipfel am 2. März in London die Unterstützung Europas für die Ukraine bekräftigt wurde.
Gleichermaßen reagierte die Europäische Kommission mit einer Intensivierung ihrer Bestrebungen, im Verteidigungsbereich Fortschritte zu machen, indem Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am 4. März mit „ReArm Europe“ ein neues Instrument vorstellte, das höhere Investitionen in die Verteidigungsindustrie finanzieren soll. Außerdem zirkulierte kurz vor Gipfelbeginn ein Brief der Präsidentin der Europäischen Investitionsbank (EIB), Nadia Calvino, zu einer geplanten Änderung der Kreditvergabebedingungen bei Unternehmen und Projekten im Verteidigungsbereich. Daraus geht hervor, dass mehr Verteidigungsprojekte als bisher gefördert und der jährliche Höchstrahmen für diese erweitert werden können. [1] Aus Ungarn und der Slowakei wiederum wurden im Vorfeld des Sondergipfels Forderungen öffentlich, die die Unterstützung der EU für die Ukraine infrage stellten und dafür plädierten, keine Schlussfolgerungen festzulegen, da sonst mit deren Veto zu rechnen sei. Der slowakische Premierminister Robert Fico forderte energiepolitische Zugeständnisse im Vorfeld des Gipfels, u.a. eine Wiederaufnahme des russischen Gastransits durch die Ukraine nach Westeuropa, der Anfang des Jahres eingestellt worden war. Gleichzeitig sprach er sich gegen weitere finanzielle oder militärische Unterstützung für Kyjiw aus.
[1] Euronews: https://www.euronews.com/my-europe/2025/03/05/european-investment-bank-set-to-broaden-defence-investment-scope-later-this-month