Veranstaltungsberichte
Europa in Wissenschaft und Politik
Die Vorsitzende der Hanns-Seidel-Stiftung Prof. Ursula Männle und der Brüsseler Büroleiter der Konrad-Adenauer-Stiftung Dr. Stefan Gehrold eröffneten am 7. März 2016 im Europäischen Parlament in Straßburg die Tagungsreihe Europa in Wissenschaft und Politik, zu der die Konrad-Adenauer-Stiftung gemeinsam mit der Hanns-Seidel-Stiftung und der CDU/CSU-Gruppe unter den Vorsitzenden Dr. Angelika Niebler, MdEP, und Herbert Reul, MdEP, gemeinsam geladen hatten. Die rege Beteiligung der Abgeordneten an den Diskussionen mit zwanzig Professoren ließ darauf schließen, wie notwendig der informelle Dialog zu aktuellen Europa-Themen wie politische Kultur in den Mitgliedsstaaten, europäische Wirtschaftsregierung, Außen- und Sicherheitspolitik sowie Flüchtlingskrise derzeit ist. Rudolf Hrbek, emeritierter Professor an der Universität Tübingen, ging in seinem Lagebericht insbesondere auf die unterschiedlichen Integrationsräume in Europa und die fehlenden außenpolitischen Gemeinsamkeiten ein. Auch in der Wirtschafts- und Währungsunion seien die ordnungspolitischen Risse erkennbar, zudem sei eine politische Union in weiter Ferne.
Funktionswidriges Selbstverständnis von nationalen Interessen
Europa präsentiere sich als uneinheitlicher Raum, die Disparitäten zwischen den Mitgliedsstaaten wüchsen, der Gemeinschaftsgeist nehme ab. Dahinter stecke mehr als mangelnde Solidarität, es handele sich vielmehr um schwerwiegende Defizite der politischen Kultur, wie Heinrich Oberreuter, langjähriger Direktor der Politischen Akademie in Tutzing, am Beispiel Polen belegte. Die politische Elite in vielen osteuropäischen Staaten sehe die europäische Integration als Gegensatz zur nationalen Souveränität und offenbare damit ein funktionswidriges Selbstverständnis von nationalen Interessen, wodurch das komplexe supranationale Governance-System der EU blockiert werde. Zudem werde die Handlungsfähigkeit vieler Regierungen insofern geschwächt, als auf Wahlen häufig keine stabilen Mehrheiten folgten und einzelne Parteien einen strikten Kurs der Durchsetzung nationaler Interessen einschlügen. Dieser Interessen geleitete Politikansatz sei zwar nicht neu, aber in Verbindung mit neo-nationalistischen Tendenzen kaum noch mit den Grundprinzipien einer europäischen Werte- und Solidargemeinschaft in Einklang zu bringen. Als Ausweg aus der Blockade plädierten die beiden Europa-Kenner für ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten, dessen Kern aus einer Koalition der Willigen bestehe. Und vielleicht setzt sich bei den Nationalisten im Osten und den Linkspopulisten im Süden doch noch Vernunft durch, so der Berliner Europaabgeordnete Joachim Zeller, denn die EU sei die logische Konsequenz aus früheren Kriegen, heutigen gemeinsamen Herausforderungen und steigendem Globalisierungsdruck. Herbert Reul, MdEP, legte Wert darauf, dass die viele Gesellschaftskreise in Europa erfassende Wertekrise die positiven Effekte der europäischen Integration nicht vollständig überschatten dürften. Ein genauerer Blick auf die Krise Europas zeige, dass das Problem weniger bei Kommission und Parlament läge als vielmehr beim Rat, der in den letzten Jahren Züge eines Clubs der Egoisten angenommen habe. Trotz aller Schwierigkeiten gebe es keinen Grund, in Panik auszubrechen. Auch die aktuelle Migrationskrise komme einer Chance gleich, in der Europa seine Problemlösungskompetenz beweisen könne.
Regelbasierter versus situativer Ansatz
Der Reutlinger Wirtschaftsprofessor Bodo Herzog nahm die EU-Initiativen zur Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion kritisch unter die Lupe und erkannte in den Brüsseler Überlegungen eine bedenkliche Tendenz hin zu einer Transferunion. Dabei blendeten die Brüsseler Entscheidungsträger aus, dass Transfermechanismen keine Strukturprobleme lösten, wie man in Deutschland am Beispiel des überschuldeten Bundeslandes Bremen glasklar erkenne. Laut Markus Ferber, CSU-Finanzexperte, stünden sich in der Währungsunion ein regelbasierter Ansatz, wie ihm sich Deutschland verpflichtet fühle, und ein situativer Ansatz, dem Frankreich zuneige, gegenüber. Da die Kommission die Einhaltung der Stabilitätskriterien nur unzureichend einfordere, werde die Eurozone immer fragiler und die Zweifel an einem stabilen Euro nähmen zu. Rechtsbrüche dürften keine Tradition werden in Europa und insbesondere in der Währungspolitik müsse man dem „no-bail-out-Gebot“ wieder Geltung verschaffen.
Geeintes Europa ist Voraussetzung für erfolgreiches internationales Krisenmanagement
Dem Eintreten für nationale Lösungen und stärkere Nationalstaaten, wofür sich der Verfechter der realistischen Theorie Martin Wagener von der Hochschule des Bundes stark machte, erwiderten die Parlamentarier Monika Hohlmeier und Elmar Brok, dass es genau die Mitgliedsstaaten gewesen seien, die ihren Verpflichtungen beim Schutz der Außengrenzen, beim Aufbau effektiver EU-Agenturen und bei der Finanzunterstützung für das UN-Flüchtlingswerk nicht nachgekommen seien. Es gebe in der Asyl- und Migrationspolitik zu wenig EU, nicht zu viel EU, die künstlichen Grenzen innerhalb der EU wie beim Datenschutz, auf dem Energie- oder Kapitalmarkt müssten überwunden und Maßnahmen bei der inneren Sicherheit und bei der Terrorbekämpfung sollten zwischen den Mitgliedsstaaten viel enger koordiniert werden. Gerade im internationalen Krisenmanagement brauche man ein geeintes Europa, sonst könne man auf die globalen Krisen nicht adäquat reagieren. Bei der Suche nach Lösungen auf die zahlreichen Krisen sei die Politik auf die Unterstützung aus der Wissenschaft angewiesen. Mit der Expertentagung im Europaparlament in Straßburg leisteten die Konrad-Adenauer-Stiftung und die Hanns-Seidel-Stiftung hierfür einen wertvollen Beitrag, wofür Angelika Niebler und Herbert Reul im Namen der deutschen Gruppe den beiden Stiftungen zum Abschluss herzlich dankten.