Veranstaltungsberichte
„Sicherheit“ ist ein zentrales Anliegen der Bürger Lateinamerikas. Dabei geht es nicht nur um die Sorglosigkeit im Hinblick auf die allgemienen Lebensrisiken, sondern insbesondere auch um den Schutz vor Gewalt und Kriminalität. Die meisten Länder Lateinamerikas weisen ein im internationalen Vergleich relativ hohes Ausmaß an innerstaatlicher Gewalt auf. In Barsilien beispielsweise fallen jährlich mehr als 40.000 Menschen krimineller Gewalt zum Opfer.
Dieses hohe Ausmaß innerstaatlicher Gewalt scheint im Widerspruch zu einem anderen Phänomen zu stehen: Lateinamerika gilt im internationalen Vergleich als die Region mit den geringsten zwischenstaatlichen Konflikten und den im Verhältnis zum Sozialprodukt geringsten Militärausgaben. Es gibt keine größeren Grenzstreitigkeiten und keine religiösen oder ethnischen Konflikte. Zudem ist Lateinamerika die einzige Region der Erde, in der alle Länder eindeutig den Besitz oder Erwerb von Nuklearwaffen ablehnen. Zentrale Themen auf der Agenda internationaler Sicherheit, wie der Kampf gegeben den Terrorismus oder die Non-Proliferation berühren die lateinamerikanischen Länder daher nicht unmittelbar – und deshalb ist innerhalb Lateinamerikas das Interesse für diese Themen und das Verständnis für die Zusammenhänge eher begrenzt. Entsprechend gering ist die Neigung von Politikern, Medien und einer breiteren Öffentlichkeit, den Kampf gegen den Terrorismus oder die Einschränkung der Proliferation von Nuklearwaffen zu unterstützen. Das wird durch die weit verbreitete Kritik an der Bush-Administration und die US-Militärpräsenz in Kolumbien eher noch bestärkt.
Andererseits treten die Länder Lateinamerikas im Hinblick auf Fragen der internationalen Sicherheit keineswegs geschlossen auf. Eine gemeinsame Sichtweise der Sicherheitsprobleme existiert ebenso wenig wie ein abgestimmtes Vorgehen auf internationalen Foren. Die lateinamerikanischen Länder sind „free riders“ im Hinblick auf Sicherheitsfragen. Die Nähe zu den USA empfinden sie nicht so sehr als Schutzschild vor Bedrohung, sondern sie füihlen sich eher bedrängt von dem Hegemon aus dem Norden.
Unabhängig davon ist Lateinamerika in jüngster Zeit immer stärker zum Schauplatz neuartiger Formen der Bedrohung von Sicherheit geworden, vor allem im Hinblick auf den illegalen und verbrecherischen Handel mit Menschen, Drogen und Waffen, insbesondere Kleinwaffen. Zudem hat der Konflikt zwischen Kolumbien, Ecuador und Venezuela im April 2008 bestätigt, wie schnell aus einem jener Elemente ein zwischenstaatliches und regionales Sicherheitsproblem erwachsen kann. Dieser Konflik hat die Notwendigkeit einer neuen oder erweiterten Sicherheitsarchitektur für Lateinamerika deutlich gemacht.
Angesichts der Bedeutung sicherheitspolitischer Fragen organisiert und fördert die Konrad-Adenauer-Stiftung über ihr Studienzentrum in Rio de Janeiro, Brasilien, einen Dialog und Erfahrung über Themen regionaler und internationaler Sicherheitspolitik. Die jährlich stattfindende Konferenz des Forte Copacabana in Rio de Janeiro ist mittlerweile ein zentrales Forum für diesen Dialog und Erfahrungsaustausch zwischen Südamerika und Europa geworden. Politiker, Regierungsvertreter, Militärs, Wissenschaftler und Vertreter nationaler und internationaler Organisationen nutzen diese Konferenz als Plattform der Diskussion aktueller sicherheitspolitischer Themen.
In Ergänzung zu der Jahreskonferenz in Rio de Janeiro hat das Europa-Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Studienzentrum in Rio de Janeiro vom 10. bis 12. Juni in Brüssel eine europäische Konferenz über Fragen internationaler Sicherheitspolitik organisiert. Die Konferenz hatte zum Ziel, Meinungen und Erfahrungen im Hinblick auf verschiedene Themen einer gemeinsamen Agenda in Fragen der Sicherhreitspolitik zu diskutieren. Die Vertreter aus Südamerika konnten gegenüber Repräsentanten der Europäischen Union und der NATO die neuen Entwicklungen im Sicherheitsbereich in Lateinamerika vorstellen. Die Europäer wiederum konnten ihren Gesprächspartnern zentrale Themen europäischer und internationaler Sicherheit aus Sicht der EU und der NATO darlegen. Zudem bot die Konferenz Gelegenheit zu Besuchen im Europäischen Rat, der Europäischen Kommission und der NATO. Die Tagung leistete damit ein Beitrag zur Intensivierung des insgesamt noch sehr schwach entwickelten Dialogs zwischen Europa und Südamerika im Bereich der Sicherheitspoltiik.
An der Konferenz nahmen Vertreter aus Argentinien, Brasilien, Chile, Peru, Uruguay und Venezuela teil.
Das erste Panel diskutierte das südamerikanische Sicherheitssystem nach der Krise zwischen Ecuador, Kolumbien und Venezuela und die Möglichkeit der Einrichtung eines südamerikanischen Verteidigungsrates, der von Brasilien vorgeschlagen worden war. Während der Diskussion wurde deutlich, dass dieses Projekt in Südamerika keineswegs auf einhellige Zustimmung stößt, weil vor allem die kleineren Staaten der Region eine Hegemonialstellung Brasiliens befürchten und ablehnen. Andererseits wurde betont, Brasilien müsse die politischen und finanziellen Kosten aus der Übernahme einer regionalen Führungsrolle akzeptieren und sich noch stärker dabei engagieren, die unterschiedlichen Interessen auszugleichen, um regionale Stabilität zu garantieren.
Das zweite Panel war der Kapazität der Europäischen Union zur Garantierung von Sicherheit und Stabilität auf dem europäischen Kontinent gewidmet. Vertreter der Europäischen Kommission, des Europäischen Rates und des Europäischen Parlaments äusserten sich zu Fragen der Prävention, Behandlung und Lösung internationaler Konflikte. Die Politik der Erweiterung der Europäischen Union wurde als ein zentrales Instrument der Konfliktprävention der EU vorgestellt. Allerdings wiesen die Vertreter der europäischen Einrichtungen auch auf die Begrenztheit dieses Ansatzes hin. Deshalb wurde die Notwendigkeit einer größeren Kohärenz zwischen den Zielen der Union (Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Menschenrechtsschutz) in ihrem Verhältnis zu Drittstaaten betont. Angesprochen wurden in diesem Rahmen schließlich auch noch die Perspektiven der europäischen Ratspräsidentschaft u.a. im Hibblick auf die für 2009 vorgesehene Revison der Europäischen Verteidigungsstrategie (ESS).
Das dritte Panel behandelte gemeinsame Sicherheitsprobleme der EU und Südamerikas. Von besonderer Bedeutung waren in diesem Zusammenhang die Themen Drogenhandel und die Folgen illegaler Migration für die öffentliche Sicherheit. Der Drogenhandel wurde als ein Phänomen vorgestellt, das keineswegs isoliert als Problem eines oder nur weniger Staaten betrachtet und behandelt werden dürfe. Die Interdependenz zwischen den Staaten Südamerikas aber auch zwischen Südamerika und Europa wurde deutlich hervorgehoben. Deshalbn sei es auch unverzichtbar, dass dieses Problem mit gemeinsamen und kohärenten Maßnahmen angegangen werde, z.B. durch eine Ausweitung des Überwachungssystems im Amazonas SIVAM (Sistema de Vigilância da Amazônia), den besseren Informationsaustausch mit Ländern außerhalb der Region sowie eine bessere Kooperation zwischen den Bundespolizeien einzelner Staaten etc. Im Hinblick auf die illegale Migration wurde die Bedeutung der Geldüberweisung der Migranten für viele ihrer Heimatländer in Lateinamerika und der Karibik betont. Die Vertreter Südamerikas hoben dabei auch nachdrücklich hervor, dass der Kampf gegen den Terrorismus nicht als Vorwand zu einem nachlässigen Umgang mit den Menschenrechten oder einer Ausweisung von Migranten aus Europa genommen werden dürfe. Es wurde empfohlen, in diesem Bereich dem dritten Pfeiler der EU (Zusammenarbeit der Justiz- und Polizeibehörden in den Bereichen Justiz und Inneres) große Beachtung zu schenken und neue Mechanismen zu entwickeln, um die neuartigen Probleme in den Griff zu bekommen.
Das vierte Panel war gemeinsamen Visionen Südamerikas und der EU im Hinblick auf globale Sicherheitsfragen gewidmet. Diskutiert wurde über die Wahrnehmung von Bedrohungen der beiden Regionen, die Möglichkeiten eines intensiveren Dialogs sowie die Bereiche einer möglichen effizienteren Kooperation zwischen Südamerika und der EU. Thematisisert wurde einerseits die neue Rolle und gestiegene Bedeutung Lateinamerikas auf den internationalen Foren, die jedoch andererseits mit einer größeren Diversifikation und der Schaffung neuer Dialog und Abstimmungsmechanismen Südamerikas mit anderen Weltregionen einhergeht (z.B. China, Indien, die Arabische Liga Russland und andre). Daraus ergäben sich Schwierigkeiten einer engerene Abstimmung mit der EU, die es deshalb schwerer hat, dauerhaft lateinamerikanische Alliierte zu finden. Dennoch besteht ein großes Potential für eine Vertiefung der Kooperation, vor allem im Bereich der Bekämpfung von illegalem Drogenhandel, illegaler Migration und dem Handel mit Kleinwaffen, der Energiesicherheit oder dem Umgang mit „failing states“ (in diesem Zusammenhang wurden die südamerikanischen Anstrengungen im Hinblick auf die UN-Friedensmission in Haiti – MINUSTAH- ausdrücklich gewürdigt).
Die Diskussion während der Konferenz machte deutlich, dass trotz der anhaltenden Bedeutung traditioneller Bedrohungen die “neuen Bedrohungen” auf der Sicherheitsagenda beider Regionen ständig an Bedeutung gewinnen. Drogenhandel und illegale Migration sind die wichtigsten Themen einer Agenda zwischen der Europäischen Union und Südamerikas im Bereich der Sicherheitspolitik. Der Protagonismus der südamerikanischen Länder bei der Friedensmission in Haiti und die friedliche Lösung des Konfliktes zwischen Ecuador, Kolumbien und Venezuela bedeuten eine Chance für eine intensivere Kooperation im Bereich der Sicherheitspolitik. Die Einrichtung eines institutionalisierten Dialogs zwischen Südamerika und der Europäischen Union wäre ein wichtiger Schritt zur Vereinbarung konkreter politischer Kooperationsformen, die den Notwendigkeiten der Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik zwischen beiden Regionen gerecht werden.