Veranstaltungsberichte
Unter der Überschrift „Strategien für ein nachhaltiges Wachstum im südlichen
Europa – Beispiel Griechenland“ fand am 25. September der traditionelle
Jahresempfang des Europabüros der Konrad-Adenauer-Stiftung statt.
In seiner Begrüßungsrede erinnerte der Stiftungsvorsitzende und ehemalige Präsident des
Europäischen Parlamentes Dr. Hans-Gert Pöttering daran, dass Griechenland
nunmehr seit drei Jahren im Zentrum der europäischen Aufmerksamkeit steht. Die
Krise dort sei jedoch nur vordergründig eine wirtschaftliche – vielmehr handele es
sich um eine Vertrauenskrise. Vertrauen müsse neu aufgebaut werden, sowohl zu
den übrigen EU-Mitgliedstaaten, als auch zwischen den griechischen Bürgern und
der Regierung, die zu lange Misswirtschaft betrieben habe. Um Griechenland und die
übrigen von der Schuldenkrise betroffenen Staaten wieder wettbewerbsfähig zu
machen, müssten zudem schmerzliche, aber notwendige Sparmaßnahmen und
Strukturreformen durchgeführt werden. Dabei, so Pöttering, dürfe die Politik
jedoch nicht die ehrlichen, hart arbeitenden Menschen aus dem Blick verlieren. Die
anderen EU-Mitgliedstaaten müssten Griechenland helfen, den Weg der
Wettbewerbsfähigkeit wiederzufinden und eine neue wirtschaftliche Dynamik zu
entwickeln. Als Schlüssel für ein nachhaltiges Wachstum nannte Pöttering vor
allem die Ankurbelung des Tourismus sowie die Förderung des Mittelstandes. Hier habe Griechenland einen Vorteil: Mehr als 35 Prozent der griechischen Wertschöpfung entstehe in kleinen Firmen, europaweit seien es nur 22 Prozent.
Dr. Pöttering nahm jedoch nicht nur Griechenland, sondern auch die übrigen EULänder
in die Pflicht. Er halte es für ein falsches und fatales Signal, in der jetzigen
Situation den Lehrmeister spielen zu wollen. Schließlich seien es Deutschland und
Frankreich gewesen, welche 2003 die Stabilitätskriterien gebrochen und damit eine
unheilvolle Spirale in Gang gesetzt hätten. Trotz der in der Vergangenheit
begangenen Fehler solle und müsse Griechenland daher unbedingt in der
Währungsunion verbleiben. Der Stiftungsvorsitzende zeigte sich optimistisch, was
die Bewältigung der Krise angeht. Nach wie vor sei die EU ein Vorbild für andere
Länder und Regionen der Erde. Ein Blick in die Vergangenheit zeige außerdem, dass
Europa an seinen Herausforderungen stets gewachsen sei. Dr. Pöttering schloss mit
einem Zitat Adenauers, der einmal gesagt habe: „Wenn alle den Glauben verloren
haben, dann fängt die Arbeit erst richtig an.“
EU-Kommissar Antonio Tajani: Die Krise kann gemeistert werden
Positive Worte für Griechenland fand auch EU-Kommissar Antonio Tajani.
Griechenland zu retten bedeute die europäischen Grenzen zu retten, so der
Vizepräsident der Europäischen Kommission. Sein Besuch in Athen im Mai habe ihm
gezeigt, dass die Krise gemeistert werden könne. Hierzu bedürfe es allerdings
stärkerer Anstrengungen im Bereich der Forschung und Entwicklung – nicht nur in
Griechenland, sondern in der gesamten EU. Zu leichtfertig sei hier in der
Vergangenheit das Feld der internationalen Konkurrenz überlassen worden. Europa
habe nach wie vor viel Potential, nur müsse dieses auch ausgenutzt werden.
Tajani nannte zudem eine Reihe konkreter Maßnahmen, welche seiner Meinung
nach zur Ankurbelung von Wachstum und Beschäftigung in Griechenland ergriffen
werden sollten:
- Erstens müsse der Zugang kleiner und mittlerer Unternehmen zum Kapitalmarkt erleichtert werden. Hier könne der im März beschlossene, 500 Mrd. Euro schwere Garantiefonds der Europäischen Investitionsbank eine wichtige Rolle spielen.
- Zweitens, so Tajani weiter, gelte es Investitionen in neue Technologien zu erleichtern und dazu zu ermutigen. Europa verfüge über Vorteile, was die Qualität der hier hergestellten Produkte angehe; im Bereich der erneuerbaren Energien und „grünen Technologien“ sei man führend. In Bezug auf Griechenland versprach Tajani, Athen an der für November geplanten europäischen Innovationspartnerschaft für Rohstoffe zu beteiligen.
- Als dritte Maßnahme nannte Tajani die Verbesserung der Marktbedingungen für kleinere und mittlere Unternehmen, insbesondere in den Bereichen ECommerce, der Auftragsvergabe und des Schutzes des geistigen Eigentums.
- Viertens, so Tajani, müsse das Ausbildungs- und Schulsystem, und hier insbesondere die Zusammenarbeit zwischen Industrie und Erziehungswesen, verbessert werden. Als Vorbild nannte er das deutsche System mit seinem Prinzip der dualen Ausbildung.
- Schließlich dürfe die Reform der öffentlichen Verwaltung nicht vernachlässigt werden. Hier seien erste Fortschritte zu verzeichnen, zum Beispiel die Einsetzung einer Task Force, welche Griechenland bei der technischen Umsetzung der geplanten Verwaltungsreformen unterstützen solle. Athen müsse sich jedoch weiterhin um die Schaffung eines unternehmerfreundlichen Umfelds bemühen und zudem Maßnahmen zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung und Steuerflucht ergreifen.
Bereich des Dienstleistungssektors und hier vor allem der Tourismusindustrie. Nun
gelte es, brachliegende Reserven zu nutzen, neue Kundensegmente zu erschließen
und innovative Projekte zu entwickeln. Wenn dies geschehe, so Tajani, könne nicht
nur Griechenland, sondern die gesamte EU profitieren.
Evripidis: Griechenland hat Fortschritte gemacht
Im letzten Vortrag des Abends entwarf der griechische Innenminister Dr. Evripidis
Stylianidis ein Panorama der derzeitigen Situation in seinem Heimatland, nicht ohne
dabei auf die in den letzten Monaten gemachten Fortschritte einzugehen. Er
erinnerte an die besondere Ausgangssituation Griechenlands in Europa: Während
die übrigen europäischen Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg aufblühten, habe
sein Land einen verheerenden Bürgerkrieg und eine erdrückende Diktatur erleiden
müssen. Die lange Regierungszeit der Sozialisten in den 1980er und 1990er Jahren
habe zudem zum Aufbau eines schwerfälligen und jegliche private Initiative
unterdrückenden Verwaltungsapparates geführt, unter dem Griechenland noch
heute leide. Stylianidis wies aber auch auf Konstruktionsfehler innerhalb der EU
hin. So sei zwar eine Währungsunion geschaffen, der Aufbau der von den
europäischen Gründervätern anvisierten politischen Union jedoch vernachlässigt
worden.
Die Bilanz der ersten 100 Tage der Regierung Samaras kann sich laut Stylianidis
durchaus sehen lassen. Innerhalb kürzester Zeit seien Maßnahmen getroffen
worden, welche den Staat verschlankt, Verfahren vereinfacht und die
Marktwirtschaft gefördert hätten. Die vergangenen Monate hätten gezeigt, dass die
Griechen bereit seien, große Opfer zu bringen. Damit Griechenland vom schwarzen
Schaf der Eurozone zum Erfolgsbeispiel werden könne und um den Zusammenhalt
der Gesellschaft zu gewährleisten, bedürfe es allerdings auch „weicher“ Maßnahmen
zur Förderung der Liquidität und des Wachstums.
Sein Land, so der Innenminister, verfüge über zahlreiche natürliche Vorteile, um mit
den richtigen Entscheidungen die Dynamik der Entwicklungen umzukehren und
somit den internationalen Märkten ein starkes Signal zu schicken. So sei
Griechenland nicht nur ein einzigartiges globales Reiseziel, sondern verfüge auch
über eine gute Infrastruktur, welche – kombiniert mit der entsprechenden
institutionellen Umgebung und moderner Technologie – die nationale Wirtschaft
erheblich fördern könne. Aufgrund seiner Kultur und Geschichte könne Griechenland
außerdem zum Magnet für Studenten aus außereuropäischen Ländern werden;
zudem gelte es die rund acht Millionen im Ausland lebenden Griechen in die
Entwicklung des Landes miteinzubeziehen.
Abschließend appellierte Dr. Stylianidis an die Solidarität der übrigen EUMitgliedstaaten.
Infolge der Entwicklungen in der arabischen Welt sei Griechenland
mit enormen Flüchtlingsbewegungen konfrontiert. Angesichts der wirtschaftlichen
Situation könne sein Land die Last der illegalen Einwanderer nicht alleine tragen. Ein
Zusammenbruch Griechenlands jedoch wäre fatal für die Sicherheit, die Stabilität
und das Wachstum Europas insgesamt. Die Zukunft der EU hänge also nicht nur von
der kurzfristigen Lösung der Wirtschaftskrise ab, sondern müsse den globalen
Herausforderungen Rechnung tragen. Die Antwort könne daher nur lauten: Mehr
Europa und mehr Solidarität.
Gehrold: Griechenland kann Vorbild werden
Insgesamt war der Abend ein überzeugendes Plädoyer für die europäische
Integration, wie auch Dr. Stefan Gehrold, der Leiter des Europabüros, in seinem
Schlusswort anmerkte. Griechenland und damit auch die EU haben ohne Zweifel
noch einen langen und harten Weg vor sich – die richtige Weichenstellung
vorausgesetzt, kann Griechenland jedoch zum Vorbild für die anderen Länder
Südeuropas werden.