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Länderberichte

Bulgarien, Schengen

von Norbert Beckmann-Dierkes, Borislaw Wankow

Geringe Chancen auf baldigen Beitritt

Bulgarien bemüht sich seit seinem EU-Beitritt am 1. Januar 2007 bis heute erfolglos um einen Beitritt zum Schengen-Raum. Auf der kommenden Ratssitzung der EU am 8. Dezember in Brüssel könnte es eine Entscheidung dazu geben.

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Der 1985 geschaffene Schengener-Raum umfasst 26 europäische Staaten, von denen 22 der Europäischen Union angehören, die offiziell Passkontrollen an ihren gegenseitigen Grenzen abgeschafft haben. Die Personenfreizügigkeit ermöglicht es jedem Bürger der Schengen-Zone, ohne besondere Formalitäten zu reisen, zu arbeiten und zu leben.

Um dem Schengen-Raum beizutreten, müssen die Länder bestimmte Auflagen erfüllen:

  • Im Auftrag anderer Mitgliedsländer die Außengrenzen des Gebiets kontrollieren sowie einheitliche Schengen-Visa ausstellen zu können;
  • Die Kompetenz besitzen, nach der Abschaffung der Grenzkontrollen zwischen den Mitgliedsstaaten für ein höheres Maß an Sicherheit kompetent mit den Strafverfolgungsbehörden anderer Mitgliedsstaaten zusammenzuarbeiten;
  • Für die Anwendung des „Schengen-Besitzstands“ oder der Regeln für die Kontrolle von Land-, See- und Luftgrenzen, die Ausstellung von Visa für einen kurzfristigen Aufenthalt, die polizeiliche Zusammenarbeit sowie den Schutz personenbezogener Daten gerüstet sein;
  • Bereit sein, dem Schengener-Informationssystem (SIS) beizutreten und es zu nutzen.

Bewerberländer werden vor dem Beitritt zum Schengen-Raum und danach in regelmäßigen Abständen einer „Schengen-Evaluierung“ unterzogen, um die korrekte Anwendung der Rechtsvorschriften sicherzustellen. Die Aufnahme eines neuen Mitglieds des Schengen-Raumes erfordert die einstimmige Entscheidung des Europäischen Rates.

Der Schengen-Raum deckt die meisten EU-Länder ab mit Ausnahme Irlands und mehrerer Länder, die zur Zone beitreten wollen - Rumänien, Bulgarien, Kroatien und Zypern. Obwohl nicht Mitglied der EU, gehören Länder wie Norwegen, Island, die Schweiz und Liechtenstein ebenfalls zur Schengen-Zone. Bei Zypern ist die EU-Kommission der Meinung, dass es die Auflagen noch nicht erfülle, bei Kroatien gebe es keine Hindernisse. Anders bei Bulgarien und Rumänien.

Bulgarien ist EU-Außengrenze, da die Nicht-EU-Länder Türkei, Nordmazedonien und Serbien seine Nachbarn sind. Sein südlicher Nachbar Griechenland ist Teil des Schengen-Raumes, Rumänien, an das Bulgarien im Norden grenzt, gehört Schengen nicht an. Obwohl EU-Außengrenze, ist Bulgarien bisher durch die Flüchtlingswelle vergleichsweise schwächer betroffen als andere Länder. Die Flüchtlinge sind bisher in erster Linie über Griechenland und Italien nach Europa unter Umgehung Bulgariens gekommen. Die bulgarische Regierung hat 2017 für 200 Mio. Lewa (100 Mio. Euro) an der türkischen Grenze einen 234 km langen Zaun errichten lassen, um die EU-Außengrenze besser kontrollieren zu können.

Bulgarien bemüht sich seit Jahren nachdrücklich um die Aufnahme in den Schengen-Raum. Die bulgarischen Regierungen haben seit 2011 immer wieder versichert, dass das Land die Auflagen für einen Beitritt erfülle. Im Dezember 2018 hat sich das EU-Parlament für den Beitritt der vier Schengen-Kandidaten ausgesprochen und seitdem dies weitere drei Mal bekräftigt: 2020, 2021 und zuletzt wieder mit breiter Mehrheit am 18. Oktober 2022. Die tschechische EU-Ratspräsidentschaft hat angedeutet, bis Ende 2022 Gespräche zu diesem Thema führen zu wollen.

Anfangs gaben sich insbesondere Deutschland, Frankreich, Finnland und die Niederlande skeptisch bezüglich eines bulgarischen und rumänischen Schengen-Beitritts. Inzwischen sind ihre Bedenken ausgeräumt, lediglich die Niederlande beharrt auf ihrer Position. Das niederländische Parlament hat am 20. Oktober 2022 eine Resolution angenommen, die die Niederlande dazu aufruft, gegen die Aufnahme Bulgariens und Rumäniens in Schengen zu stimmen. Die Begründung lautet, dass die Probleme in Zusammenhang mit der Korruption und organisierten Kriminalität „ernsthafte Probleme für das Funktionieren der Grenzkontrollen des jeweiligen Landes bewirken können und ein Risiko für die Sicherheit der Niederlande und des gesamten Schengener-Raumes darstellen.“ Die niederländische Regierung müsse weitere Evaluierungen dieser Länder vornehmen.

Bulgarien und Rumänien unterliegen auch nach der Aufnahme in die EU 2007 einem sogenannten Kontroll- und Verifizierungsmechanismus (CVM), der ihre Fortschritte bei der Justizreform, der Bekämpfung von Korruption und im Falle Bulgariens auch der organisierten Kriminalität belegen soll, der formell noch immer besteht. Die EU-Kommission erstellt aber seit 2019 keine sogenannten Fortschrittsberichte mehr über Bulgarien, es wird im Rahmen des jährlichen Berichtes über die Rechtsstaatlichkeit evaluiert. Die EU-Kommission hat mehrmals erklärt, dass der Schengen-Beitritt keinen Bezug zum CVM hat, die Niederlande stellen aber eine solche Verbindung her.

Bulgarien und Rumänien hoffen indes auf ein Umdenken in den Niederlanden. „Die Niederlande ist jetzt allein. Alle EU-Länder stehen hinter Bulgarien, diese Unterstützung ist wichtig und sie wird zu einem Ergebnis führen“, sagte der bulgarische Staatspräsident Rumen Radew nach der letzten Sitzung des Europäischen Rates am 21. Oktober, einen Tag nach der Verabschiedung der Resolution durch das niederländische Parlament.

Der bulgarische Innenminister Iwan Demerdschiew meinte, dass die Tür zu Schengen für Bulgarien weit offenstehe. Die amtierende, vom Präsidenten eingesetzte Übergangsregierung habe viele Mittel für einen besseren Schutz der Landgrenze zur Türkei bewilligt. 30 Inspekteure der EU-Kommission hätten Bulgarien „hervorragende Arbeit“ bescheinigt.

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz sagte im August 2022, dass Bulgarien, Rumänien und Kroatien alle Auflagen für eine Schengen-Vollmitgliedschaft erfüllten.

Der Vizepräsident der EU-Kommission Margaritas Schinas sagte am 8. November 2022 bei Debatten im EU-Parlament, es sei an der Zeit, dass Schengen nicht nur um Kroatien, sondern auch um Rumänien und Bulgarien erweitert würde. Sofia und Bukarest hätten von sich aus eine Evaluierung gefordert und diese glänzend bestanden. Je länger die Entscheidung aufgeschoben werde, desto mehr könnten sich die Bürger vom europäischen Projekt entfernen.

Das bulgarische Parlament hat am 17. November eine Erklärung über die bulgarische Schengen-Mitgliedschaft angenommen. Darin heißt es, dass Bulgarien schon 2011 für den Beitritt zu Schengen bereit war, dieser aber aus verschiedenen Gründen über 10 Jahre aufgeschoben werde. Bulgarien sei bereit, Anfang 2023 Schengen beizutreten.

Neuerdings hat sich der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer für den Beitritt Kroatiens zum Schengen-Raum, jedoch gegen die Aufnahme Bulgariens und Rumäniens ausgesprochen. Nach seinen Worten zeige eine neue Migrationsroute von der Türkei über Bulgarien, Rumänien und Ungarn bis nach Österreich, die von 40 Prozent der Flüchtlinge genutzt werde, dass etwas nicht in Ordnung sei.

Der bulgarische Justizminister Krum Sarkow hat am 29. November gesagt, dass Bulgarien große Chancen habe, auf dem EU-Gipfel am 8. Dezember in Schengen aufgenommen zu werden:

„Wir haben eine letzte Hürde zu nehmen – die Position der Niederlande. Ich glaube, dass die Niederlande die richtige Position einnehmen werden, weil es keine praktischen Argumente gibt, die dagegen sprechen. Wir sind offen und ehrlich vorgegangen, habe alles auf den Tisch gelegt und gezeigt, was getan wurde. Alle Zwischenfälle an der bulgarisch-türkischen Grenze, einschließlich tragischer Fälle in letzter Zeit sollten ein Signal an unsere europäischen Partner, einschließlich die Niederlande sein, dass Bulgarien Opfer für ihre Sicherheit bringt und dass der Beitritt zu Schengen die Sicherheit verbessert und nicht umgekehrt. Wenn die Grenzen zu Griechenland und Rumänien passierbarer werden, können wir zusätzliche Anstrengungen bündeln und die Sicherheit der bulgarischen Grenze verstärken. Es kann nicht sein, dass unser Land alle unsere Verpflichtungen erfüllt, aber unsere Bürger können die daraus resultierenden Rechte nicht genießen.“

Die Bulgaren sind mehrheitlich europafreundlich eingestellt und eine Aufnahme in den Schengen-Raum würde die Integration des Landes in die europäischen Strukturen stärken und damit die proeuropäischen Einstellungen im Land weiter festigen. Die Zugehörigkeit zum Schengen-Raum brächte Bulgarien schnelle praktische Vorteile, so würde der Wegfall der Kontrollen an der bulgarisch-griechischen Grenze z.B. eine enorme Zeitersparnis für bulgarische Autotouristen in Richtung Griechenland bringen, wo in den Sommermonaten lange Warteschlangen entstehen.

Neben Schengen ist Bulgarien auch um eine Aufnahme in die Euro-Zone bestrebt. Seit 2020 ist das Land im ERM-II-Mechanismus, der auch „Warteraum“ der Eurozone genannt wird, mit der Perspektive 2024 den Euro zu übernehmen.

Vor dem Europäischen Rat wird am 6. Dezember in der albanischen Hauptstadt Tirana ein EU-Westbalkangipfel stattfinden. Bulgarien und Rumänien setzen darauf, noch bestehende Widerstände gegen ihre Schengen-Mitgliedschaft dort überwinden zu können.

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Norbert Beckmann-Dierkes

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Leiter der Auslandsbüros Bulgarien

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