Länderberichte
Dabei klingen die Fortschrittsberichte in den letzten Jahren im Wesentlichen unverändert – politischer Wille zur Bekämpfung der Korruption sei vorhanden, es fehle aber an Resultaten. Anfang 2018 ist nun ein neues und umfassendes Gesetz zur „Korruptionsbekämpfung und Abschöpfung rechtswidrig erworbener Vermögenswerte“ in Kraft getreten.
Zunächst stellt dieses Gesetz Ausdruck des politischen Willens zur Problemlösung dar. In der Zivilgesellschaft ist dieser Schritt aber umstritten. Auch der Staatspräsident hatte sein Veto gegen das Gesetz eingelegt, worüber das Parlament sich jedoch hinweggesetzt hat. Es stellt sich die Frage, ob die Exekutive und die Judikative nun über ein effektives Instrument im Kampf gegen die Korruption verfügen?
Hintergrund
Die Verbesserung von Maßnahmen zur Bekämpfung von Korruption sowohl „auf höchster Ebene“, als auch von Korruption „im Allgemeinen“, stellt unverändert gleich zwei der sechs Vorgaben seitens der EU-Kommission gegenüber Bulgarien dar. Die jüngsten Berichte im Kooperations- und Kontrollverfahren von Januar und November 2017 sprechen insofern eine deutliche Sprache.
Wenn man sich das neue Gesetz näher ansieht, stellt sich heraus, dass es einem früheren Entwurf sehr ähnelt – dem sogenannten „Kuneva-Gesetz“, benannt nach der früheren Vizeministerpräsidentin aus dem Regierungsbündnis zwischen GERB und dem Reformblock. Frau Kuneva hatte schon 2016 einen Entwurf eingebracht, dessen zentrale, neue Institution die Funktionen und Befugnissen von vier Antikorruptionsinstitutionen hätte vereinen sollen. Der Entwurf scheiterte aber in der bulgarischen Nationalversammlung zweimal deutlich, wobei er zunächst keine Mehrheit der Parlamentarier fand und nach Überarbeitung im Fachausschuss gar nicht zur Abstimmung zugelassen wurde. Die Ablehnung des Kuneva-Entwurfes wurde als ein Zeichen fehlenden politischen Willens zur Korruptionsbekämpfung interpretiert. Die neue Regierung unter Ministerpräsident Bojko Borissow machte nach ihrem Wahlsieg 2017 die Verabschiedung eines neuen Gesetzes zu dieser Frage zu einer der Prioritäten der neuen Koalition.
Schwerpunkte des Gesetzes zur Korruptionsbekämpfung
Wie der Entwurf von 2016 sieht auch das nun verabschiedete Gesetz zunächst die Schaffung einer neuen, zentralen Institution vor: der „Kommission zur Korruptionsbekämpfung und Abschöpfung rechtswidrig erworbener Vermögenswerte“. Diese Kommission ersetzt die bisherigen Behörden, die sich als leistungsschwach im Kampf gegen die Korruption erwiesen haben. Die Kommission soll unabhängig sein und der Vorsitzende für ein Mandat von sechs Jahren vom Parlament gewählt werden.
Die Befugnisse der Kommission umfassen drei Hauptbereiche. Erstens widmet sie sich der Korruptionsprävention, bspw. durch Sammlung und Auswertung von Daten, Entwurf von Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung, Koordinierung der Umsetzung und dgl. mehr. Zweitens überprüft die Kommission die Einkommenserklärungen und Auskünfte über das Nichtvorliegen von Interessenskonflikten bei Beamten in hohen öffentlichen Ämtern. Drittens erhebt die Kommission schließlich selbst Klagen zur gerichtlichen Einziehung von illegal erworbenen Vermögenswerten.
Eine wichtige Neuerung des Gesetzes stellt die (erstmalig geregelte) Definition von „Korruption“ in der bulgarischen Gesetzgebung dar. Das Gesetz erweitert auch den Kreis der zur Einkommens- und Unbefangenheitserklärungen verpflichteten Beamten. Von Bedeutung ist ebenfalls die Regelung von Meldungen und Berichten an die Kommission. Anonyme Meldungen bleiben unberücksichtigt, die Kommission ist jedoch zum Schutz der Identität der Informanten verpflichtet.
Präsidentenveto und weitere Kritik
Das Gesetz fand nach heftigen Diskussionen im Parlament am 25. Oktober in erster und am 20. Dezember 2017 in zweiter Lesung eine Mehrheit der Stimmen der Regierungskoalition aus GERB und den Vereinigten Patrioten.
Noch vor der zweiten Abstimmung im Parlament hat der bulgarische Staatspräsident Rumen Radev sein Veto gegen das Gesetz angekündigt und am 29.12.2017 offiziell eingelegt. Aus Sicht des Präsidenten werde das Gesetz praktisch den Kampf gegen die Korruption fragmentieren. So argumentierte er, viele bisher zuständige Behörden, darunter das Inspektorat des Justizrates, die Agentur für Öffentliche Ausschreibung und weitere, würden künftig aus der Korruptionsbekämpfung ausgeschlossen.
Die Zusammenführung von Befugnissen einerseits zur Einziehung illegal erworbenen Vermögens und andererseits die Prüfung von Interessenkonflikten in einer Behörde seien sowohl sachlich und verfahrensmäßig unvereinbar. Ferner wird der Ausschluss gerichtlichen Rechtsschutzes gegen bestimmte Kommissionsentscheidungen kritisiert. Dies verstoße gegen das Rechtsstaatprinzip.
Nach Auffassung des Präsidenten seien nicht genug Maßnahmen und Voraussetzungen für die Unabhängigkeit der Kommissionsangehörigen gegeben. Auch seien die Rechte und die Sicherheit derjenigen, welche der Kommission Informationen zukommen lassen, nicht sichergestellt. Weiterer Kritikpunkt ist der Einsatz diverser Untersuchungsmaßnahmen der Polizei, vor allem der telefonischen Überwachung.
Aus den Reihen der Zivilgesellschaft wird außerdem vorgebracht, dass die Kommission potentiell politisch nicht unabhängig sei, da der Vorsitzende mit einfacher statt qualifizierter Parlamentsmehrheit gewählt werde. Auch wird eine praktische Verschlechterung der Arbeit der Korruptionsjäger durch die Neustrukturierung befürchtet. Selbst die EU-Kommission wies im Januar 2017 darauf hin, dass organisatorische Änderungen die bereits erzielten Fortschritte nicht gefährden dürfen.
Das präsidiale Veto wurde ohne große Schwierigkeiten vom Parlament verworfen: Die Nationalversammlung hat das Gesetz mit der (nach einem Veto des Präsidenten erforderlichen) Mehrheit von mehr als der Hälfte aller Abgeordneten am 12. Januar 2018 verabschiedet. Es wurde am 19. Januar amtlich veröffentlicht und trat am 22. Januar 2018 in Kraft. Eine spätere Überprüfung durch das Verfassungsgericht ist zwar noch denkbar, wurde aber bisher von keinem der berechtigten Organe beantragt.
Das Thema der Korruptionsbekämpfung bleibt dabei insgesamt stark politisiert. Die bulgarische Opposition und die Regierungsparteien werfen sich gegenseitig Versagen beim Kampf gegen die Korruption vor. Die Sozialisten und die Türkenpartei DPS stimmten am 26.01.2018 für ein von ihnen eingebrachtes Misstrauensvotum gegen die Regierung Borissow. Erwartungsgemäß wurde der Antrag aber mit einer Mehrheit von 131 Stimmen abgelehnt. Außer dem Korruptionsbekämpfungsgesetz ist Bulgarien momentan auch dabei, die vierte EU-Richtlinie zur Bekämpfung von Geldwäsche innerstaatlich umzusetzen.
Fazit
Das neue Korruptionsbekämpfungsgesetz war lange überfällig. Die politischen Signale fallen unterschiedlich aus. EU-Kommissions-präsident Juncker sagte unlängst in seiner Rede zum Beginn der bulgarischen Ratspräsidentschaft, dass er sich das Land bald in der Schengen-Zone wünsche. Außerdem sehe er in Bulgarien „wesentlichen Fortschritt in der Korruptionsbekämpfung“.
Doch der durchschnittliche bulgarische Bürger sieht noch keinen großen Erfolg im Kampf gegen die Korruption. Zwischen 2015 und 2017 hat die Staatsanwaltschaft nur 26 Anklagen in Korruptionsfällen gegen Richter und höhere Amtsträger erhoben. Dies ist ein auffälliger Widerspruch zur Situation im Nachbarland Rumänien, dessen Antikorruptionsstaatsanwaltschaft (DNA) im gleichen Zeitraum mehr als 3000 Anklagen erhoben hat, welche zu einer ebenfalls vierstelligen Zahl von Verurteilungen geführt haben, darunter zahlreiche Bürgermeister, Abgeordnete bis hin zu Regierungsmitgliedern. Selbst bei aller Vorsicht, mit der solche Statistiken immer zu lesen sind (andere Methodologie der Erfassung, Reichweite der Strafvorschriften etc.) sind die Unterschiede doch offensichtlich sehr groß.
Transparency International stuft Bulgarien im aktuellen Korruptionswahrnehmungsindex weltweit nur auf Platz 75 ein, Schlusslicht unter allen EU-Staaten. Die CVM-Berichte der EU-Kommission erwähnen trotz manches Fortschritts den Mangel an sichtbaren, praktischen Erfolgen.
Ob also das neue Gesetz ein großer Wurf ist oder nicht, wird erst in wenigen Jahren messbar sein. Das Gesetz schafft ein grundsätzlich geeignetes Instrumentarium einer neuen, mit weitreichenden Befugnissen ausgestatteten Behörde. Dies ist dennoch nur eine Teillösung. Denn neben der nun erfolgten Reform im institutionellen Bereich bedürfen auch andere Rechtsbereiche noch mehr Klarheit. So scheint eine klarere Regelung der Kriterien im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe ebenso erforderlich, bspw. um klarzustellen, welche Verhaltensweisen zulässig bzw. strafbar sind.
Die effektive Bekämpfung der in Bulgarien noch tief verwurzelten Korruption bedarf aber tiefgreifender, effektiver und entschlossener Maßnahmen. Und zwar Maßnahmen, die das Rechtsstaatsprinzip und die Grundrechte nicht verletzen. Die Umsetzung der gesetzlichen Neuerungen wird daher der entscheidende Faktor sein. Dies erwartet nicht nur die bulgarische Bevölkerung, sondern auch die EU.
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