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Länderberichte

Energiepolitik und Energiewirtschaft in Bulgarien

von Dr. Marco Arndt, Dr. Iwan Iwanov

Zustand und Perspektiven

Bulgarien hat in den letzten Monaten eine Stromüberproduktion, weil das Land über mehr als 12 000 Megawatt (MW) an Stromerzeugungskapazitäten verfügt, der Verbrauch aber bei 3000 bis 4000 MW liegt. Die Ursachen für dieses Ungleichgewicht sind folgende:

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- Große Stromerzeugungskapazitäten aus der Zeit des Sozialismus, als die Industrie mit besonders energieaufwendigen und ineffizienten sowjetischen Technologien arbeitete;

- ein beträchtlicher Rückgang des Stromverbrauchs wegen der Schrumpfung der Industrieproduktion infolge der Wirtschaftskrise;

- Einführung von Energiesparmaßnahmen im Alltag, die den Stromverbrauch der Haushalte gesenkt haben;

- ein erheblicher Rückgang der Stromexporte wegen des infolge der Krise rückläufigen Verbrauchs in den Nachbarstaaten Griechenland und Mazedonien. Die Ausfuhr in die Türkei ist minimal, weil das türkische Stromnetz nicht den hohen technischen Anforderungen des europäischen Netzes entspricht;

- der bulgarische Strom ist wegen der administrativ eingeführten, hohen Gebühr für „Stromleitung“ auf dem regionalen Markt in Südosteuropa nicht wettbewerbsfähig.

1.2 Nationale Elektrizitätsgesellschaft (NEK)

Sie ist praktisch insolvent. Die Gründe dafür sind folgende:

- Es sind über 2 Mrd. Lewa für die Projekte „AKW Belene“ und das Wasserkraftwerk „Zankov kamak“ ausgegeben worden. In beiden Fällen grassieren gravierende Korruption und unkontrollierte Ausgaben von öffentlichen Mitteln, was in den Berichten der Agentur für staatliche Finanzinspektion (ADFI) belegt wird;

- die NEK hat zusätzliche Verbindlichkeiten in Höhe von 400 Mio. Lewa aus einem bei der Paribas aufgenommenen Kredit;

- anstatt Strom direkt zu exportieren, haben die Leiter der NEK Strom unter Marktpreis an Stromhandelsfirmen, die mit den ehemaligen Geheimdiensten und Politikern der BSP (EFT, Risk Engineering, Alpha Finance Group u.a.) verbunden sind, verkauft. Das hat im Zeitraum 2004–2007 zu Verlusten in Höhe von 91 Mio. Lewa geführt.

1.3 Die Wärmekraftwerke, Elektrizitätsgesellschaften und die staatlichen „Bergwerke Maritza Ost“

Die Bergwerke sind der größte Produzent von Lignitkohle in Südosteuropa und der einzige Lieferant für diesen Rohstoff für die Wärmekraftwerke im Maritzabecken. Der Preis der Lignitkohle macht 70 % des Preises des in dieser Region produzierten Stroms aus. Sie sind aus folgenden Gründen in einer schwierigen finanziellen Situation: Die Bergwerke sind der größte Produzent von Lignitkohle in Südosteuropa und der einzige Lieferant für diesen Rohstoff für die Wärmekraftwerke im Maritzabecken. Der Preis der Lignitkohle macht 70% des Preises des in dieser Region produzierten Stroms aus.

- Die Wärmekraftwerke sind laut Reglement der EU verpflichtet, ab 1.1.2013 30 % der Kohlendioxidemissionen bei der Stromerzeugung zu kaufen;

- die Elektrizitätsgesellschaften akkumulieren Verluste, weil sie die Energie aus erneuerbaren Quellen zu hohen Preisen kaufen, sie aber auf dem regulierten Markt billiger weiterverkaufen;

- „Bergwerke Maritza Ost“ brauchen dringend Mittel für ein umfangreiches Investitionsprogramm, das die Arbeitsproduktivität steigert und ihre Produktion wettbewerbsfähig macht.

1.4 Notwendige Maßnahmen zur Sanierung der Stromwirtschaft

Bulgarien braucht in den kommenden 15 Jahren nicht den Bau weiterer Stromerzeugungskapazitäten, sagen Berichte der EU-Kommission und der Weltbank. Der Bau eines neuen Kernkraftwerks in Belene ist unnötig. Mehr noch: Es wird empfohlen, die ältesten installierten Kapazitäten wegen ihrer niedrigen Produktivität völlig abzuschalten. Das sind vor allem Wärmekraftwerke, die in der Zeit des kommunistischen Regimes gebaut wurden. Ihre Nutzung ist nicht gerechtfertigt, weil der produzierte Strom einen hohen Preis wegen der hohen Kosten und niedrigen Effizienz hat. Andererseits entsprechen sie wegen des hohen Kohlendioxidausstoßes nicht den europäischen Umweltschutzauflagen. Das sind vor allem die Wärmekraftwerke Brikel, Bobov dol, Russe-Ost und Varna. Die EU-Kommission hat einen Zeitplan zu ihrer Abschaltung ausgearbeitet, wenn sie nicht modernisiert werden sollten, was bis heute nicht erfolgt ist. Zugunsten dieser Empfehlung wird angeführt, dass Bulgariens Nachbarstaaten Kapazitäten aufbauen, die billiger als Bulgarien Strom produzieren und den Markt in der Region dominieren werden.

2021 wird der Stromverbrauch selbst bei einem angenommen Wirtschaftswachstum um 21 % gegenüber heute unter dem Wert von 2005 liegen. Das besagt ein offizieller Bericht des Ministeriums für Wirtschaft, Energiewirtschaft und Tourismus, wobei als Gründe die Steigerung der Energieeffizienz und die negativen demographischen Prozesse im Land angeführt werden;

- Bulgarien hat ein großes Potential zur Steigerung der Energieeffizienz in Industrie, Verkehr und den Haushalten. Derzeit befindet sich das Land an letzter Stelle bei den Energieeinsparungen in der EU. Die Situation wird sich in den kommenden Jahren wegen der großen EU-Finanzhilfen in Höhe von 840 Mio. Euro zur Wohnungssanierung ändern. Zugleich bestimmt eine EU-Richtlinie, dass ab 2018 jedes neue öffentliche Gebäude (Schulen, Krankenhäuser, Kindergärten, Verwaltung) und ab 2020 jedes neue private Gebäude energieunabhängig sein muss, d. h. den Energiebedarf aus erneuerbaren Quellen decken, vor allem aus Sonnen- und Windkraft;

- die Abtrennung der EESO (Elektroenergiesystemoperator), d. h. des Stromleitungsnetzes von der Nationalen Elektrizitätsgesellschaft (NEK), wird einen freien Zugang aller Anbieter zum Leitungsnetz gewährleisten, was vor allem industriellen Verbrauchern erlauben wird, einen alternativen Anbieter zu suchen. Gegen Bulgarien läuft ein Strafverfahren der EU-Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof wegen Nichterfüllung der Anforderungen des Dritten Liberalisierungspaktes in der Energiewirtschaft, nach dem der Nationale systemische Operator (EESO) von der Nationalen Elektrizitätsgesellschaft abgetrennt werden muss. Die Änderungen im Energiegesetz, die die Abtrennung festlegen, sind bereits angenommen, doch die Zusatzvorschriften, die vier Anordnungen umfassen, sind noch nicht ausgearbeitet;

- die Abtrennung der EESO, d. h. des Stromleitungsnetzes von der Nationalen Elektrizitätsgesellschaft (NEK), wird die Schaffung einer Strombörse in Bulgarien ermöglichen. Jeder Stromproduzent wird mit den anderen Erzeugern im marktwirtschaftlichen Wettbewerb stehen. Das wird jede Gesellschaft anspornen, ihre Produktionskosten zu optimieren;

- nach der Schaffung der Strombörse werden alle Industriebetriebe aus dem regulierten Markt genommen werden müssen und werden den gelieferten Strom hinsichtlich Preise und Mengen ausschließlich nach Marktprinzipien vereinbaren. Der Staatliche Ausschuss für Energie- und Wasserregulierung (DKEWR) wird regulierte Preise einzig für Haushalte, Familien und Kleinunternehmen festsetzen als Schutzmaßnahme gegen plötzliche Änderungen auf dem Strommarkt. Das ist die gängige Praxis in fast allen europäischen Ländern, die regulierten Preise werden lediglich die Haushalte sowie die Familien- und Kleinunternehmen umfassen, die mit 220V-Spannung arbeiten.

2. Lieferung und Distribution von Erdgas

Bulgarien ist zusammen mit Mazedonien, Bosnien-Herzegowina, Tschechien und Polen eines der Länder in Europa mit den höchsten Lieferpreisen von Erdgas. Grund dafür ist die Monopolstellung des einzigen Zulieferers Gasprom. Bulgarien verbraucht rund 3 Mrd. Kubikmeter Erdgas, von denen 85 % von Gasprom kommen, 15 % stammen aus eigenen Quellen. Die hohen Preise resultieren aus dem im November 2006 unterzeichneten Zusatzabkommen N 11 zwischen Gasprom und Bulgargas (in der Zeit von BSP-Minister Rumen Owtscharov), mit dem das vorherige, für Bulgarien günstige Abkommen von 1997, das erst 2011 auslaufen sollte, aufgehoben wurde.

Der hohe Gaspreis ist bestimmend für die geringe Nutzung von Gas; Bulgarien liegt diesbezüglich an letzter Stelle in der EU.

Mögliche Maßnahmen zur Lösung dieses Problems sind folgende:

- Beschleunigung der Erkundungen der Erdgasvorkommen auf dem Landesterritorium und der Tiefsee des Schwarzen Meeres, insbesondere der Felder Khan Asparuch, Teres und Silistar. Nach bisherigen Erkenntnissen könnte Bulgarien aus diesen Vorkommen seinen Erdgas- und Erdölbedarf auf Jahrzehnte hinaus decken;

- Beginn der konventionellen Erkundungen eventueller Vorkommen von Schiefergas. In Bulgarien wurde eine erbitterte, von Gasprom finanzierte Kampagne gegen die Erkundung und Gewinnung von Schiefergas durch die Methode des hydraulischen Aufbrechens (Hydrofracking) durchgeführt. Aus diesem Grund darf keine Gewinnung von Schiefergas geplant werden; es muß aber eine Erkundung der Vorkommen mit der klassischen Methode zur Erkundung von Erdöl und Erdgas – vertikale Bohrungen – durchgeführt werden. Die Arbeiten dauern 5 bis 7 Jahre. Die EU-Kommission hat die Verpflichtung übernommen, ein Paket von Richtlinien und Regelungen zur Erkundung und Gewinnung von Schiefergas zu erarbeiten, die den Schutz der Umwelt – Boden, Luft und Wasser – garantieren. Momentan werden neue, alternative und ungefährliche Gewinnungsmethoden, die das Hydrofracking ersetzen sollen, entwickelt. Bei prognostizierten Vorkommen von 80 Mrd. Kubikmetern könnte Bulgarien auch hier den Bedarf des Landes für mehr als 25 Jahre decken, was seine Energieunabhängigkeit garantieren würde;

- beschleunigter Ausbau der Gasverbindungen zu den Nachbarländern. Von größter Bedeutung ist der Aufbau der Verbindung zur Transanatolischen Erdgasleitung (TANR), was Bulgarien erlauben würde, Erdgas aus dem Kaspischen Meer (Schach Deniz 2-Feld) zu erhalten. Im übrigen ist das für die Umsetzung des Projektes „Nabucco-Ost“ nötig. Weil die Aktionäre von Schach Deniz 2 die Entscheidung getroffen haben, ab 28. Juli 2013 mit Gas einzig die Transadriatische Leitung (TAR) über Griechenland nach Italien zu beliefern, wird das den Bau von Nabucco-West verzögern. In dieser Situation wird der beschleunigte Bau der Anbindung an Griechenland (Komotina-Dimitrovgrad) eine Schlüsselbedeutung erhalten, wofür auch europäische Finanzierung bereitgestellt wurde. In beiden Fällen ist das Ziel die Diversifizierung der Erdgaslieferungen sowohl was die Strecken aber auch und vor allem die Lieferanten betrifft;

- Abtrennung des Erdgasleitungsnetzes (Bulgartransgas) vom öffentlichen Erdgaszulieferer (Bulgargas). Hier ist, analog zum Stromnetz, ebenfalls ein Verfahren der EU-Kommission beim Europäischen Gericht anhängig. Diese Abtrennung ist eine notwendige Vorbedingung zur Liberalisierung der Lieferungen und des Erdgastransports, besonders nach der Diversifizierung der externen Lieferungen;

- freie Absprache der Unternehmer der Erdgasmengen unter den Bedingungen der Entmonopolisierung des Erdgastransportsystems. Die Erfüllung dieser Auflage wird einen realen Erdgasmarkt schaffen und seinen Preis senken.

3. Lieferung und Handel mit flüssigen Treibstoffen

1999 wurde die bulgarische Raffinerie Neftochim-Burgas durch Privatisierung Eigentum der russischen Gesellschaft Lukoil bzw. ihrer Tochterfirma Lukoil Bulgaria. Die Probleme im Sektor sind vor allem zweierlei:

- Laut dem Gesetz über die Verbrauchssteuern und Steuerlager müssen alle flüssigen Treibstoffe vor ihrem Vertrieb im Handel ein Steuerlager durchlaufen und dürfen es nur nach der Entrichtung der entsprechenden Verbrauchssteuer verlassen. Dank bestimmter Verwaltungsverfahren beherrscht Lukoil 70 % der Steuerlager für Benzin und über 80 % der Diesellager. Infolgedessen hat die Firma eine beherrschende Stellung im Handel mit flüssigen Treibstoffen und nutzt diese, indem sie unabhängig von den Weltmarktpreisen ein hohes Preisniveau diktiert;

- vor mehr als zwei Jahren ist die Frist abgelaufen, innerhalb welcher Händler und Zulieferer flüssiger Treibstoffe verpflichtet waren, Messgeräte zu installieren, die die ein- und ausgehenden Treibstoffmengen feststellen. Die Geräte hätten in Echtzeit mit dem Informationssystem der Zollagentur verbunden werden müssen. Sämtliche Wirtschaftssubjekte und Tankstellen erfüllten diese Auflage. Einzig Lukoil hat bis heute nicht alle erforderlichen Messgeräte installiert. Das gab dem Verdacht Nahrung, dass wegen fehlender Kontrolle nicht angemeldete Mengen Rohöl in die Raffinerie eingeführt und ebenso illegal flüssige Treibstoffe ohne die Entrichtung einer Verbrauchssteuer ausgeführt werden.

Die Gesellschaft Lukoil hat öffentlich ihren Missmut darüber zum Ausdruck gebracht, dass die Erkundungen nach Erdöl und Erdgas in den Teres- und Khan-Asparuch-Feldern im Schwarzen Meer den westlichen Gesellschaften Total und Statoil und nicht Lukoil übertragen wurden. Offenkundig wird die künftige Erdöl- und Erdgasgewinnung im Schwarzen Meer die beherrschende Stellung der russischen Gesellschaft auf dem bulgarischen Markt gefährden.

4. Energieeffizienz in Industrie, Verkehr und Haushalt

Bulgarien liegt hinsichtlich der Energieeffizienz an letzter Stelle innerhalb der EU. Dafür gibt es drei wesentliche Gründe:

- die Nutzung von Maschinen und Technologien sowjetischer Herkunft mit großem Energieverbrauch;.

- die nach wie vor verbreitete Nutzung von Leuchtkörpern, Elektroheizgeräten und Geräten mit niedriger Energieeffizienz im Haushalt;

- ein technologisch veralteter Verkehrspark.

Die Lösungen zur verbesserten Energieeinsparung bestehen in der vollständigen Abschöpfung der europäischen Fonds in Höhe von etwa 900 Mio. Euro zur beschleunigten Sanierung von Wohnungen, was die Energieeffizienz der Haushalte spürbar steigern wird.

Erhebliche Reserven gibt es bei der Verringerung der technologischen Stromverluste bei den Industriebetrieben, besonders bei den Stromerzeugern. Die Verluste bei den Stromleitungsnetzen in Bulgarien liegen bei etwa 14 %, was erheblich mehr ist als die Verluste bei der Stromübertragung in Deutschland, die bei nur 5 bis 7 % liegen. Die Erneuerung der Stromnetze wird die Energieeinsparungen auf nationaler Ebene beträchtlich verbessern und Bulgarien an das durchschnittliche europäische Niveau der Energieeffizienz heranführen.

5. Nutzung der Energie aus erneuerbaren Quellen

Die hauptsächlichen Vorteile der Nutzung von erneuerbaren Energiequellen sind folgende:

- eine größere Energieunabhängigkeit auf der Grundlage der unerschöpflichen lokalen Ressourcen;

- Verringerung der Klimabelastung und der Umweltverschmutzung;

- Schaffung neuer Arbeitsplätze dank Investitionen in Technologien für erneuerbare Energie.

Bulgarien hat aufgrund seiner geographischen Lage ein großes Potential für Energie aus Sonne, Wind, Biomasse und Wasserkraft. Das Potential an Windenergie wird auf 3400 MW geschätzt, das der Biomasse auf rund 3200 MW, groß ist auch das Potential an Sonnenenergie. Das Potential der Energie aus erneuerbaren Quellen liegt bei über 20 % des Gesamtstromverbrauchs. Leider betrug der Anteil der aus erneuerbaren Quellen produzierten Energie im Jahre 2004 lediglich bei knapp 3 %.

Um große Investitionen auf diesem Gebiet zu ermöglichen un d die Auflage zu erfüllen, nach welcher der Anteil der Energie aus erneuerbaren Quellen bis 2020 nicht weniger als 16 % des Gesamtverbrauchs betragen soll, wurde im Gesetz über die Energie aus erneuerbaren Quellen und die begeleitenden Rechtsvorschriften bestimmt, dass solche Energie über einen längeren Zeitraum (15–24 Jahre) zu hohen Vorzugspreisen abgenommen werden muss. Das Ziel wurde erreicht: Wegen der attraktiven Bedingungen wurden sehr große Investitionen getätigt, der Sektor entwickelte sich sehr schnell. Bereits 2012 erreichte die Stromproduktion aus erneuerbaren Quellen die für 2016 vorgesehenen Kennziffern: 660 MW aus Sonnen- und Windparks. Das führte zu einem Ungleichgewicht im Energiemix des Landes und zu erheblichen Strompreissteigerungen mit sozialen Folgen (Proteste im Februar 2013). Aus diesem Grunde ist die Einführung neuer Kapazitäten aus erneuerbaren Quellen praktisch bis 2015 eingefroren, bei den bereits in Betrieb genommenen Kapazitäten wird nach Möglichkeiten zur Eindämmung ihres Einflusses auf den Strompreis gesucht. Es ist die Schaffung eines Fonds vorgesehen, in den Mittel aus dem Ankauf von Kohlendioxidquoten einfließen, um über ihn die hohen Vorzugspreise der Energie aus erneuerbaren Quellen zu bezahlen.

6. Geopolitische Aspekte der bulgarischen Energiewirtschaft

Im Verlauf von Jahrzehnten war Bulgarien stark von Energierohstoffen abhängig, die von einem einzigen Land – Russland – geliefert wurden. Das Land hängt zu 100 % von russischer Atomtechnologie ab (AKW Kosloduj, 2 aktive Blöcke) und russischem Kernbrennstoff (von TWEL Russland), ist zu 100 % abhängig von russischem Erdöl für die Raffinerie Lukoil in Burgas, zu 85 % von Erdgas, geliefert durch Gasprom, und von Kokskohle aus der Ukraine und Russland. Das Streben nach Verringerung dieser Abhängigkeit stößt auf hartnäckigen Widerstand durch die BSP (Sozialisten) und die mit dieser Partei verbundene Energielobby. Jede von der BSP geführte Regierung ist bestrebt, diese Abhängigkeit zu steigern. Im Januar 2008 unterzeichnete die Regierung von Sergej Stanischev ein Paket von Abkommen zur Umsetzung von drei Megaprojekten: das Atomkraftwerk Belene, die Erdölleitung „Burgas-Alexandroupolis“ und die (russische) Erdgasleitung „South Stream“. Die schwere Finanz- und Wirtschaftskrise und der Regierungswechsel 2009 änderten die Entwicklung der drei Projekte:

- AKW Belene.

Die Prüfung des Projekts durch den weltweit angesehenen Bewerter von Kernenergieprojekten HSBC zeigte, dass die Kosten für das Kraftwerk nicht weniger als 21 Mrd. Lewa betragen werden und der Preis des produzierten Stroms mit 150 Lewa/MWh drei Mal höher als der vom Kernkraftwerk Kosloduj produzierte Strom sein würde. HSBC gab keine Garantien, dass es in Bulgarien einen Markt für diese Elektroenergie geben wird. Laut Vertrag hätte HSBC 1 % vom Wert des Projekts bekommen, falls es gelungen wäre, einen Investor für das Projekt zu finden, d. h. 200 Mio. Lewa anstatt der ausgezahlten 4 Mio. für die Prüfung. Dass HSBC keinen Investor finden konnte, zeigt, wie unwirtschaftlich Belene wäre.

Das Belene-Projekt ist darüber hinaus auch hinsichtlich der Nachfrage unnötig für Bulgarien. Wie oben erwähnt, gibt es im Land bereits 12 000 MW an installierter Stromkapazität, der Verbrauch liegt aber bei nicht mehr als 3000 bis 4000 MW. Es wäre daher wirtschaftlich unsinnig, weitere 2000 MW an den Markt zu bringen. Darüber hinaus müsste der Bau in einer stark erdbebengefährdeten Zone der Belene-Bruchlinie, die mit der seismischen Vranca-Linie in Rumänien verbunden ist, realisiert werden.

Das Projekt wurde am 29. März 2012 per Regierungsbeschluß (GERB) eingestellt. Nach der Durchführung einer Volksbefragung im Januar 2013, die am Quorum scheiterte, sprach sich das Parlament mit einem Beschluss ebenfalls für die Einstellung des Projekts aus. Bis jetzt sind für Belene 1,8 Mrd. Lewa in gravierender Verletzung des Gesetzes über die öffentlichen Aufträge ausgegeben worden, weil es zwischen beiden Seiten keinen Vertrag über Engineering, Lieferungen und den Bau gibt. Das zeigen die Berichte der Agentur für staatliche Finanzinspektion. Die neue Regierung von Plamen Orescharski ließ zunächst erkennen, dass sie die Möglichkeiten für einen Neustart des Projekts in Betracht zieht, doch bald danach erklärte der Minister für Wirtschaft und Energiewirtschaft, dass „das Projekt weder einen Investor, noch Bulgarien Geld hat“.

- Erdölleitung „Burgas-Alexandrou-polis“.

Das Projekt ist wirtschaftlich unrentabel für Bulgarien, weil einzig die Durchleitung von Erdöl vorgesehen ist, jedoch keine Lieferungen für den bulgarischen Bedarf. Die Durchleitungsgebühren sind nicht mehr als 35 Mio. Dollar jährlich bei vollständiger Auslastung der Leitung. Die russische Rosneft weigert sich aber, Garantien für die erforderlichen Ölmengen zu übernehmen. Das Projekt ist sehr gefährlich, weil ein eventuelles Ölleck in der Bucht von Burgas Umweltschäden an der südlichen Schwarzmeerküste (Tourismus!) in Höhe von bis zu 1 Mrd. Lewa verursachen würde. Außerdem ist die Trassenführung durch die unberührten Wälder des Strandsha-Gebirges, die in Natura 2000 aufgenommen sind, vorgesehen. Es wurden drei regionale Referenden in den Gemeinden Burgas, Sosospol und Pomorie durchgeführt. Über 90 % der Wähler waren gegen den Bau. Aus den besagten Gründen hat auf Vorschlag der Regierung Borissov das Parlament im März 2013 das Abkommen für den Bau der Leitung aufgekündigt.

- Erdgasleitung „South Stream“.

Laut Projekt soll das russische Erdgas über das Schwarze Meer, Bulgarien, Serbien, Kroatien und Ungarn bis nach Österreich geleitet werden. Ziel Russlands ist es, Erdgas unter Umgehung der Ukraine nach Europa zu liefern, weil es dort gravierende Probleme mit den Durchleitungsgebühren gibt. Die Leitung hat nicht den Status eines europäischen Projektes, wie sie die EU-Kommission Nabucco zuerkannt hat, weil fundamentale Prinzipien der europäischen Gesetzgebung verletzt sind:

- der Zulieferer Gasprom ist zugleich Eigentümer der Pipeleine;

- Gasprom hat den Anspruch, die gesamte Kapazität der Leitung nur für sein eigenes Erdgas zu nutzen.

Die europäischen Prinzipien der Gleichstellung und des Wettbewerbs bei den Lieferanten werden somit verletzt. Der Preis der Erdgasleitung auf bulgarischem Territorium wird 3,08 Mrd. Euro ohne MwSt. betragen, wobei 70 % Fremdkapital sind und 30 % von der Projektgesellschaft „South Stream - Bulgarien“, an der Bulgartransgas mit 50 % beteiligt ist, bereitgestellt werden. Das bedeutet für die bulgarische Seite einen Aufwand von 1,1 Mrd. Lewa oder 562 Mio. € ohne MwSt. Wegen des Fehlens solcher Mittel wird nach einer Lösung gesucht, bei der ein Kredit bei der Gasprombank aufgenommen wird, der mit den Durchleitungsgebühren im Verlauf von 15 Jahren getilgt wird. Erst dann wird Bulgarien mit eigenen Einnahmen aus South Stream rechnen dürfen. Wenn aber der Bau der Erdgaspipeline Nabucco-West beginnen sollte, würde South Stream aufgrund der analogen Trassenführung sinnlos (oder eben Nabucco). Offen bleibt die Frage, ob Gasprom die erforderlichen finanziellen Ressourcen in Höhe von 24–30 Mrd. Euro mobilisieren kann, wobei am teuersten und kompliziertesten die Streckenführung durch das Schwarze Meer sein wird.

7. Fazit

Abschließend lässt sich festhalten, dass die Entwicklung der Energiewirtschaft in Bulgarien im kommenden Jahrzehnt folgende Prioritäten setzen muß:

1.Steigerung der Energieeffizienz

2.Nutzung lokaler Energiequellen: Erdgas, Erdöl und Lignitkohle

3.Nutzung regenerativer Energiequellen

4.Diversifizierung bei den Lieferungen aus dem Ausland

5.Liberalisierung des Energiemarktes

Autor: Dr. Iwan N. Iwanov

Dr. Iwan Iwanov, geb. 1945 in Plovdiv, Elektroingenieur, Dozent an der Technischen Universität Sofia, Abgeordneter im Parlament von 1997 bis 2013, Vorsitzender des Initiativkomitees „Nein zum Belene-Betrug“ zur Teilnahme am nationalen Referendum über dieses Projekt, Mitglied der Führung der Partei „Demokraten für ein starkes Bulgarien (DSB) und Vorsitzender der DSB Sofia

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Thorsten Geißler

Thorsten Geißler

Leiter des Auslandsbüros Bulgarien

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