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Länderberichte

Gesteigerte Nervosität im politischen Sofia vor dem EU-Bericht

von Ralf Jaksch
Fast schon mit Händen greifbar ist die Spannung, die Nervosität, die sich über das politische Sofia in Erwartung über den für Mitte Mai angekündigten EU-Fortschrittsbericht gelegt hat. Kaum ein Tag vergeht, ohne dass in der bulgarischen Presse nicht über den Bericht der EU spekuliert wird, kaum eine Nachrichtensendung im bulgarischen Fernsehen, die diesem Thema nicht breitesten Raum gewährt. Unübersehbar ist dabei, dass in den letzten Wochen die Nervosität besonders in der Regierung spürbar gestiegen ist. Nicht ohne Grund: Immer deutlicher wird, dass in Brüssel die Frage zunehmend dringlicher gestellt wird, ob Bulgarien wirklich die erforderlichen Beitrittskriterien erfüllt.

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Diese bange Frage hat eine neue Bedeutung erhalten, nachdem nun auch der für Erweiterungsfragen zuständige EU-Kommissar Olli Rehn in einer Sitzung mit Parlamentariern nach Berichten bulgarischer Medien sein tief sitzendes Mißfallen über die ausbleibenden Fortschritte in Bulgarien ausgedrückt haben soll. Im Zentrum der Kritik stehe dabei der Zustand der Justiz, den Rehn, so bulgarische Medien, als „nicht befriedigend“ bezeichnet haben soll. Dabei solle Rehn sogar den Aufschub der Aufnahme Bulgariens um ein Jahr nicht mehr ausgeschlossen haben. Davor schon wurde in der bulgarischen Öffentlichkeit Szenarien entworfen, welche Folgen es für das Land hätte, wenn für die Bereiche Justiz und Inneres eine sogenannte Schutzklausel eingesetzt würde.

Tatsächlich erweist sich der gesamte Komplex Justiz und Innere Sicherheit als die Achillesferse im Prozess des bulgarischen Beitrittsprozesses. Schon seit Jahren wurde aus Brüssel angemahnt, dass Bulgarien nun endlich auf diesem Gebiete wirksame Anstrengungen unternehmen müsse – ohne sichtbaren Erfolg. Im Gegenteil: Nicht selten wurde bisher in Sofia versucht, dieses Thema kleinzureden. Jüngstes Beispiel hierfür waren zwei Reports, die für die EU-Kommission erstellt wurden und die den Zustand der Justiz und der Polizei untersuchten. Beide Gutachter kamen, unabhängig voneinander, zu äußerst ernüchternden Ergebnissen. Sowohl die Justiz als auch die Polizei befänden sich in einem besorgniserregenden Zustand. So empfahl die Gutachterin die Einsetzung der Schutzklausel für den Bereich der Justiz. Eindringlich warnte sie vor den Folgen der Verfassungsänderung; diese, so die eine Gutachterin, seien dazu angetan, die ohnehin schon äußerst schwierige Situation zu verschlimmern. Diese Verfassungsänderungen seien dazu angetan, die Gewaltenteilung zu gefährden und den Einfluß der Exekutive über die Judikative in einer Weise zu vergrößern, dass die Unabhängigkeit der Gerichte gefährdet sei. Insgesamt sei das Justizwesen Bulgariens in einem Zustand, der kaum europareif sein dürfte. Auch der zweite Report, der sich mit dem Zustand der bulgarischen Polizei und dem Stand der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität befasste, kam zu keinem besseren Ergebnis.

Jedoch war die Reaktion der Regierung bezeichnend. Umgehend wurden die in den Gutachten geäußerten schwerwiegenden Bedenken vom Tisch gewischt. Vertreter der Regierung äußerten sich öffentlich dahingehend, dass die Gutachterin für den Justizbereich nicht kompetent sei. Mit unverhohlenem Trotz wurden trotz aller Bedenken die Verfassungsänderungen mit einer Drei-Viertel-Mehrheit in Dritter und letzter Fassung verabschiedet.

Dies ist der letzte Schlußpunkt einer Entwicklung, die in Brüssel mit ständig steigendem Mißfallen beobachtet wird. Schon seit Jahren wird auf die Defizite in der bulgarischen Justiz und die gravierenden Mängel im Kampf gegen die organisierte Kriminalität hingewiesen. Ohne Erfolg. Die Reaktionen waren meist die gleichen: vage Versprechen der Besserung, Beschwichtigungen, Verschleppungen. Dass dabei Brüssel nur allzu oft den nötigen Nachdruck vermissen ließ und im Herbst 2003 völlig unbegreiflicherweise das Kapitel Justiz in Bulgarien abgeschlossen und als erledigt betrachtet hat, sei hier nur am Rande erwähnt.

Jedoch ist nun auch in Brüssel die Erkenntnis gereift, dass die Dinge in Bulgarien offenkundig nicht ganz so rosig sind, wie man allzu lange geglaubt hatte.

Erschwerend kam auch noch hinzu, dass von nicht Wenigen, der früheren Bundesregierung eingeschlossen, beständig das Signal an die Regierung Bulgariens ausgesendet wurde, dass der Beitritt Bulgariens politisch schon beschlossen sei, was aber zur Folge hatte, dass die Reformanstrengungen nachließen.

So ist der Zustand am Vorabend der Entscheidung über den Beitritt des Landes zur EU in jeder Hinsicht ernüchternd. Kein Mensch kann ernsthaft behaupten, dass in den hochsensiblen Bereichen von Justiz und Innerer Sicherheit die Beitrittskriterien erfüllt worden wären. Keineswegs ist die Justiz Bulgariens in der Lage, ihren Aufgaben nachzukommen. Und beim Kampf gegen die organisierte Kriminalität kann von Erfolgen absolut keine Rede sein. Von den unzähligen Auftragsmorden konnte bisher nicht ein einziger Fall aufgeklärt werden. Beides habe, so die letzten Gutachten im Auftrag der EU, zur Folge, dass den Strafverfolgungsbehörden von der Bevölkerung kein Vertrauen entgegengebracht werde.

Das ist jetzt erneut sichtbar geworden im jüngsten Fall eines Attentatsversuchs, der sich in Sofia ereignete. In der Nacht zum Donnerstag war vor einer Wohnungstür in einem Wohnblock in der Hauptstadt eine Bombe detoniert. Wie durch ein Wunder wurde niemand verletzt. Schnell war man sich einig, dass sich der Anschlag gegen den in diesem Haus wohnenden Enthüllungsjournalisten Wassil Ivanov richtete. Am nächsten Tag riefen Intellektuelle zum Protest in Sofia unter dem Motto „In Europa – ohne Mafia“ auf und die „Bulgarische Medienkoalition“, ein Verband von Journalisten, Intelektuellen und NGO-s, sah darin den Versuch, die Wortfreiheit einzuschränken.

Dies alles weiß natürlich auch die Regierung in Sofia, und die Nervosität steigt spürbar. Das zeigt sich schon daran, dass die ohnehin schon kaum entwickelte Kabinettsdisziplin weiter nachließ. So streiten sich Justiz- und Innenminister in der Öffentlichkeit, wer die Hauptschuld trage, sollte es zur Einsetzung der Schutzklausel für die Bereiche Justiz und Innere Sicherheit kommen. Gesteigert wird diese Nervosität auch durch den Umstand, dass sich die völlig heterogene Koalition aus Sozialisten, Zarenbewegung und der Partei der türkischen Minderheit nur eine einzige Begründung für das Zustandekommen dieser Koalition gegeben hatte: nämlich den Beitrittsprozess erfolgreich zum Abschluß zu bringen. Gerät aber dieses Ziel in Gefahr, wäre die ohnehin nicht allzu robuste Statik dieser Koalition noch weiter destabilisiert.

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Thorsten Geißler

Thorsten Geißler

Leiter des Auslandsbüros Bulgarien

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