Länderberichte
Als unbelastet erwiesen sich außer dem Patriarchen (der 1960 zum Metropoliten und
1971 zum Patriarchen gewählt worden war) nur die drei letzten in die Heilige Synode
gewählten Mitglieder. Diese Enthüllungen wurden vom hohen Klerus und den religiösen
Laien unterschiedlich aufgenommen. Die Hl. Synode reagierte auf die Enthüllungen mit
völligem Schweigen; einige der betroffenen Metropoliten gaben wenig überzeugende
Stellungnahmen ab. Laut einem soziologischen Umfrageinstitut hat der Skandal zu
einem Vertrauensverlust in der Öffentlichkeit um 17 Prozentpunkte (von 53 auf 36
Prozent) geführt; einem anderen Umfrageinstitut zufolge ist die Reaktion der
öffentlichen Meinung auf die Enthüllungen widersprüchlich, da nur 17 Prozent aller
Befragten sich als „empört“ über die veröffentlichten Daten bezeichneten. Bedeutend
höher ist der Prozentsatz der Missbilligung unter jenen 13 Prozent der Befragten, die
sich als „tief gläubig“ bezeichneten: 42 Prozent von ihnen fordern den Rücktritt der
überführten Metropoliten, weitere 26 Prozent forderten wenigstens ein „Bekunden von
Reue und Bitte um Entschuldigung“.
Die Enthüllungen brachten das lange verborgene Problem der kommunistischen
Vergangenheit der Kirche an die Oberfläche, das bis zu diesem Moment mehr von
Gerüchten und Vermutungen dominiert war als von schlüssigen Tatsachenaussagen.
Ganz allgemein gesagt, stellte sich durch die Enthüllungen die Frage nach den
Verbindungen zwischen dem Klerus und dem kommunistischen Staat, nach der
Unabhängigkeit der Hohen Geistlichkeit und der Neigung des obersten Klerus, sich
benutzen und instrumentalisieren zu lassen. Dies sind Fragen, die sich in
unverminderter Schärfe auch heute stellen, trotz der veränderten gesellschaftlichen
Rahmenbedingungen.
Die Debatte um die kommunistische Vergangenheit der Kirche hatte kaum begonnen,
da wurde sie auch schon wieder beendet, da es 1992 zu einer Kirchenspaltung kam.
Die Spaltung begann dadurch, dass ein Teil der Hohen Geistlichkeit die Legitimität der
Wahl Maxims zum Patriarchen im Jahre 1971 in Frage stellte. Dies führte zu einer
dramatischen Verschlechterung der Beziehungen zwischen einzelnen Mitgliedern der
Synode und zur Teilung der Synode in eine „kanonische“ Synode (mit Patriarch Maxim
an der Spitze) und eine „Alternativ-“ oder „Gegensynode“, an deren Spitze Pimen, der
Metropolit von Nevrokop stand (gewählt zum Gegenpatriarchen im Jahre 1996,
verstorben 1999). Metropolit Pimen erwies sich ebenfalls als Mitarbeiter der
Staatssicherheit, und zwar schon seit den 1950er Jahren (unter dem Decknamen
„Patriarch“), und auch die anderen Führer der Gegensynode waren Geistliche, die den
kommunistischen Machthabern nahe standen. Die Kirchenspaltung endete 2001 t dem
formellen Sieg der Kanonischen Synode unter Patriarch Maxim, errungen mit Hilfe des
Staates und mit der Unterstützung der anderen orthodoxen Kirchen. Doch die Spaltung
hinterließ tiefe Spuren in der Hohen Geistlichkeit und trug zur Verschlechterung des
Ansehens der Kirche in der Öffentlichkeit bei. In Kirchenkreisen dominierte das
Demonstrieren von Einheit anstelle von Aktivität.
Welches sind nun die Herausforderungen, vor denen die Bulgarische Orthodoxe Kirche
in der bulgarischen Transformationsgesellschaft steht? In welchem Umfang wird sie
diesem gerecht? Und welches sind die positiven und negativen Seiten im kirchlichen
Leben?
Öffentliche Sphäre und Bild in der Öffentlichkeit
Wie ist die öffentliche Sphäre beschaffen, in der die BOK in den Jahren des Übergangs
lebt? Wie ist ihr Bild in der Öffentlichkeit, und welche Erwartungen hat diese an sie?
Und in welchem Maße entspricht sie diesen Erwartungen?
Die öffentliche Sphäre im postkommunistischen Bulgarien kann als stark säkularisiert
bezeichnet werden. Dies ist das Ergebnis einer erfolgreichen Atheismus-Kampagne in
den Jahren des Kommunismus sowie der demographischen und sozialen Entwicklungen
in dieser Periode. Leitmotiv in der atheistischen Politik des kommunistischen Staates ist die Propagierung der Vorstellung, dass die Kirche eine überholte Institution sei, die ihre Verdienste um die „Bewahrung der bulgarischen Kultur“ habe und somit den Status eines „Kulturdenkmals“, eines Objekts für den Tourismus habe.
Ein zentrales Moment in dieser Politik bildeten in den 1970er und 1980er Jahren die
Kampagnen zur Durchsetzung der sogenannten Zivilrituale – Ziviltaufe, Zivilheirat und
zivile Beisetzung –, die die fest in der Tradition verankerten religiösen Rituale ersetzen sollten. Das Leben der Kirchengemeinden litt zudem unter der gewaltsamen
Modernisierung und Urbanisierung, die zu dramatischen sozialen Verschiebungen
führten. Infolge der Urbanisierung (des massenhaften Zuzugs in die Städte) wurden
große Teile der bulgarischen Gesellschaft aus ihren tradierten sozialen Gemeinschaften
herausgerissen. Diese Menschen wohnten in den gewaltigen Plattenbausiedlungen,
welche neu erstanden, allerdings ohne dazugehörige neue Kirchenbauten!
Im Unterschied zu einer Reihe westeuropäischer Länder, die einen natürlichen
Säkularisierungsprozess durchgemacht haben und nach wie vor durchmachen, wird es
in Bulgarien heute nicht für normal gehalten, wenn ein Mensch sich als Atheist
bezeichnet oder sich als nichtreligiös bezeichnet. Die Mehrheit der Bulgaren definiert
sich selbst als „christlich-orthodox“ (fast 80 Prozent der Bevölkerung laut Volkszählung von 2011); gleichzeitig aber hat die Mehrheit von ihnen nicht einmal flüchtige
Kenntnisse der zentralen christlichen Dogmatik, von den Besonderheiten der
Orthodoxie gar nicht erst zu reden. Laut einer soziologischen Befragung aus dem Jahr
2009 bekennen sich nur 35 Prozent aller Bulgaren zu „einem Gott“, weitere 49 Prozent
glauben an „eine höhere Macht oder einen höheren Geist“. An ein Leben nach dem
Tode glauben 25 Prozent (50 Prozent tun das nicht); an die Existenz der Hölle glauben
22 Prozent (gegen 52 Prozent, die nicht daran glauben). An das Paradies glauben 25
Prozent (49 Prozent glauben nicht daran). Auf der anderen Seite finden es 63 Prozent
aller Bulgaren unerlässlich, dass nach einer Geburt ein religiöses Ritual vollzogen wird,
68 Prozent bei Eheschließung, bei Tod 73 Prozent. Auf einer elementaren kulturellen
Ebene hält die große Mehrheit die orthodoxe Kirche für eine Ritualvollzugsanstalt, die
sie in wichtigen persönlichen und familiären Momenten konsultieren, eben bei Geburt,
Hochzeit und Tod.
Angesichts so verschiedenartiger und auch widersprüchlicher Wahrnehmungsweisen
steht die Kirche vor der Schwierigkeit, wie sie die divergenten Erwartungen unter einen
Hut bringen soll. Ein Teil der Gesellschaft erwartet von ihr, vor allem eine nationale
Institution zu sein (vorwiegend in nationalistisch gesinnten Kreisen); Medienvertreter
erwarten, dass sie den Akzent auf soziale Tätigkeit setzt. Der eine Teil der jüngeren
und aktiveren Kirchenmitglieder sieht die BOK als Teil der christlichen Weltkirche und in
diesem Kontext als Trägerin universaler Werte; andere Kirchenmitglieder, die man als
Zeloten (Eiferer) oder Neophyten (Neulinge, neu Getaufte) bezeichnet, sehen in der
BOK eine dezidiert konservative Institution, die Garant der „Reinheit“ der Orthodoxie
und Schutzwall gegen westliche Einflüsse sein soll. Bis vor Kurzem blieben diese
divergierenden Erwartungen undiskutiert, weil die Kirche sich den Fragen nicht stellte
und öffentliche Debatten und Dispute mied. Doch die Ereignisse Ende 2011 / Anfang
2012 haben gezeigt, dass die Zeit für eine solche Verhaltensstrategie abläuft. Ein
charakteristisches Beispiel war die öffentliche Haltung und Äußerungen der BOK zu den
Problemen der Reproduktionsmedizin und der Leihmutterschaft, die sie auf Anfrage des
Parlamentes erarbeiten musste, das mit den Debatten um ein Gesetzesprojekt zur
Leihmutterschaft begonnen hatte. Die Kirche machte in den Medien einen
widersprüchlichen und wenig professionellen Eindruck.
Welches sind die grundlegenden Entwicklungen in der BOK während der letzten
zwanzig Jahre in diesem Kontext? Welche positiven Tendenzen gibt es, und können
diese die sich vertiefenden negativen Prozesse aufwiegen, die vor allem mit der
„Feudalisierung“ im Leben der Bistümer verbunden sind?
Positive Entwicklungen
Die positiven Tendenzen nach dem Ende des Kommunismus sind vorwiegend Ergebnis
der Möglichkeiten zur Entwicklung eines autonomen kirchlichen Lebens.
1. Trennung der Kirche vom Staat
Im bulgarischen Kontext klingt die Bezeichnung „Trennung der Kirche vom Staat“
zweideutig, da sie als Fassade benutzt wurde, um die Repression während des
Kommunismus zu verbergen. Die Demokratisierung in den Jahren des Übergangs wie
auch die Einmischung des Staates in den Jahren der Kirchenspaltung führte zu einer
realen Trennung der Kirche vom Staat (sogar zu einer Entfremdung). Die BOK
widersteht erfolgreich der Versuchung, Träger nationaler oder gar nationalistischer
Ideen und Bestrebungen zu sein, wie es bestimmte Gruppen von ihr erwarten. Dazu trägt ein Sonderentscheid der Synode bei, der geistlichen Würdenträgern die
Mitwirkung in politischen Parteien verbietet.
Typisches Beispiel war die Initiative bei den Kommunalwahlen 2007, den beliebten
örtlichen Pfarrer Bojan Sarăev zum Bürgermeisterkandidaten für die Stadt Kărdzhali
aufzustellen, der für die Mehrheit eine Auffassung von Kirche hatte, die sie in der Rolle
der Trägerin solch enger nationaler Auffassungen sieht. Kărdzhali gilt als Wahlfestung
der „Bewegung für Rechte und Freiheiten“ (Partei der ethnischen Türken in Bulgarien),
in der es traditionell Spannungen zwischen Bulgaren und Türken gibt. Der Metropolit
von Plowdiw, Nikolaj, erklärte daraufhin, dass Bojan Sarăev, wenn er Bürgermeister
werden wolle, zuvor sein Kirchenamt als Pfarrer niederlegen müsse. Dieser gab seine
politischen Ambitionen auf.
Der Begriff der„Trennung von Kirche und Staat“ ist juristisch unklar. Die Gesetzgebung
bestimmt die Orthodoxie als traditionelles Glaubensbekenntnis in Bulgarien; der Staat
erweist der BOK und einigen anderen Glaubensvereinigungen finanzielle Hilfe. Die
staatliche Unterstützung, die sich auf etwa eine Million BGN jährlich beläuft (etwa
500.000 €), spielt allerdings keine entscheidende Rolle bei der Finanzierung der Kirche.
Die Kirche muss über diese Summe keine Rechenschaft ablegen. Erst Anfang 2012
infolge der Affäre um die Metropoliten beginnt eine öffentliche Debatte hinsichtlich der
Notwendigkeit, dass der Staat die Verwendung der Fördermittel kontrollieren müsse.
Besonders kontrovers ist in diesem Zusammenhang die Frage der Einführung des
Religionsunterrichtes in Grundschulen und weiterführenden Schulen. Im Moment gibt
es den Religionsunterricht in Grundschulen als Wahlfach; die Hl. Synode aber hat in
den vergangenen zwei Jahren einige Kampagnen mit dem Ziel durchgeführt,
Religionsunterricht zum Pflichtfach zu machen. Trotz des Drucks lehnte es der Staat
ab, den Argumenten der Kirche nachzugeben. Im Moment ist die Verwirklichung dieses
Ziels eher unwahrscheinlich.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Kirche fast keinerlei Berührungspunkte
mit dem Staat hat. Dies gibt der Kirche die Möglichkeit, ihr Leben vollkommen
autonom zu entfalten, öffnet aber zugleich äußeren Einflüssen auf hochgestellte
Kirchenmänner Tür und Tor. Die BOK ist bisher der Gefahr entgangen, sich zum Träger
nationaler oder nationalistischer Ideen instrumentalisieren zu lassen (im Unterschied zu
derjenigen in Serbien).
2. Wiedererstehen des kirchlichen Lebens
Dieser Prozess ist soziologisch schwer zu erfassen, ist aber sichtbar durch die erhöhten
Besucherzahlen der Kirchen durch Menschen im aktiven Alter, besonders in den großen
Städten. Das Wiedererstehen des kirchlichen Lebens ist Frucht der Bemühungen
bestimmter Pfarrer ebenso wie des Wiederauflebens des Interesses an der Orthodoxie
insgesamt. Dieser Prozess findet seinen Ausdruck auch im Auftauchen einer
öffentlichen Sphäre aus aktiven religiösen Laien, auch wenn diese bis jetzt von der
Hohen Geistlichkeit in keiner Weise anerkannt werden.
3. Erneuerung des Pastorenbestandes
In den letzten Jahren ist das Eintreten einer neuen Generation von Pfarrern in die
Kirche zu beobachten, die eine gänzlich neue Einstellung zum Kirchen- und Gemeindeleben demonstrieren. Beispiele für aktive und lebendige Gemeinden gibt es in
Sofia, Russe, Varna, Kasanlăk und anderswo. Fehlendes Medieninteresse gegenüber
diesen Entwicklungen steht einer Popularisierung dieser guten Beispiele im Wege. Auf
der anderen Seite ärgert die Popularität bestimmter Pfarrer manchmal ihre
Metropoliten und veranlasst sie, administrative Maßnahmen gegen sie einzuleiten.
Diese Priestergeneration arbeitet an der Restaurierung der Kirchenpyramide, an deren
Basis sich eben das Gemeindeleben befindet.
4. Auftauchen einer orthodoxen öffentlichen Meinung
Wenn er sich auch erst im Anfangsstadium befindet, wird dieser Prozess doch immer
mehr publik, immer sichtbarer. In den letzten Jahren sind einige Internetseiten
aufgetaucht, auf denen kirchliche Themen diskutiert werden. Ohne Bekanntheit in den
Schlüsselmedien zu gewinnen, wurden diese Websites zu einer festen Größe der
internen Diskussion in der BOK. Sie sind die einzige Form öffentlicher Kontrolle der
Tätigkeit der Metropoliten.
Negative Tendenzen
1. Krise des Zentralismus im Leben der Kirche
Administrativ geregelt wird das kirchliche Leben der BOK durch die neue Satzung des
Bulgarischen Patriarchats, die seit 2009 in Kraft ist. Dieses Statut reglementiert die
Bildung des zentralisierten Budgets des Bulgarischen Patriarchats auf der Grundlage
der Beiträge der einzelnen Bistümer und der direkt der Hl. Synode unterstellten Klöster
sowie der Verwaltung des Immobilienbesitzes. Die Budgets der Bistümer ihrerseits
formieren sich hauptsächlich aus dem Verkauf von Andachtskerzen, kostenpflichtig
bestellten Zeremonien und Ritualen (Taufen, Trauungen, Messen, Beerdigungen usw.)
sowie der Verwaltung ihres Immobilienbesitzes. Diese satzungsmäßigen Bestimmungen
werden aber notorisch nicht eingehalten, so dass bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt ein
integriertes Budget des Bulgarischen Patriarchats fehlt; zumindest ist von seiner
Existenz nichts bekannt. In Konsequenz daraus gibt es eine Teilung in reiche Bistümer
(Sofia, Plovdiv, Varna) und arme Bistümer (am schlimmsten ist die Lage in Vraza und
Vidin). Das Fehlen eines zentralen Budgets erschwert also die Vereinheitlichung des
Kirchenlebens, das somit auch weiterhin in höchstem Maße abhängig ist von den
persönlichen Qualitäten und Aktivitäten der einzelnen Metropoliten. Im Zusammenhang
mit dieser Krise des Zentralis mus steht auch die schwache Verwaltungskultur und
administrative Kapazität der Kirche auf der zentralen Ebene.
2. „Feudalisierung“ des Lebens in den Diözesen
Metropoliten der BOK sind auf Lebenszeit gewählt und im Amt. Diese Regel der
Satzung macht sie relativ unabhängig gegenüber äußeren Faktoren, vor allem
gegenüber dem Staat. Sie schafft aber keine ausreichend klaren Maßstäbe für die
Kontrolle der Arbeit der einzelnen Metropoliten, welche in diesem Sinn absolut ihre
Diözese „regieren“. Theoretisch müssen die Würdenträger von den anderen Mitgliedern
der Synode oder ihren Diözesanräten überwacht werden, doch in der Praxis geschieht
dies nicht.
Infolgedessen hängt die Verwaltung der Diözesen vollkommen von den administrativen
Qualitäten des Metropoliten ab. Einige Metropoliten versuchen, klare Regeln
durchzusetzen, anhand derer sie eine sichere Kontrolle über die Einnahmen und
Ausgaben in ihren Diözesen implementieren. Laut Medieninformationen trifft dies auf
den Metropoliten von Plovdiv, Nikolaj, zu, der ein strenges Abrechnungssystem für den
Verkauf von Andachtskerzen eingeführt hat.
Dieser Prozess der „Feudalisierung“ und fehlender Kontrolle über die Metropoliten ist
Grund für eine Reihe von Skandalen. Hier zu nennen ist die Verbindung bestimmter
Metropoliten mit Vertretern der örtlichen Geschäftswelt, von denen einige ein höchst
fragwürdiges Renommee haben. Die Skandale werden hauptsächlich hervorgerufen
durch teure Geschenke, die einige der Geistlichen von diesen Geschäftsleuten
annehmen (Automobile und Uhren in Varna und Plovdiv). Ähnlich liegt der Fall beim
Metropoliten von Stara Zagora, Galaktion, der an drei Geschäftsleute gegen eine
entsprechende finanzielle Hilfe den hohen Ehrentitel „Archont der Kirche“ verliehen hat.
Diese Praxis ist ungebrochen, trotz der offiziellen Stellungnahme der Hl. Synode, dass
ein solcher Titel in der Kirchenpraxis nicht existiert.
Einzige Kontrollinstanz für die Tätigkeit der Metropoliten sind die Medien und die
öffentliche Meinung. Weil diese häufig von einer weltlichen Position aus argumentieren,
zieht ihre Kritik manchmal auch richtiges Handeln der Synode und der Metropoliten in
Zweifel. Dies wiederum gibt den angegriffenen Metropoliten die Möglichkeit, von einem
Krieg zu sprechen, der gegen die Kirche geführt werde, was ihnen als Freibrief dient,
sich auch weiterhin nicht mit den anliegenden Problemen zu befassen.
3. Spannungen zwischen den Pfarrern und dem Hohen Klerus
Die fehlende Kontrolle der Tätigkeit der Metropoliten ist auch Nährboden für
administrative Willkür in ihrem Umgang mit den Priestern. In den letzten Jahren gab es
mehrere Fälle in den Diözesen Stara Zagora, Varna und Russe, in denen ein beliebter
örtlicher Pfarrer vom Metropoliten in eine andere Gemeinde versetzt wurde. Den
Betroffenen sowie aktiven Gemeindemitgliedern zufolge ist die Ursache, dass die
Popularität des Pfarrers die Autorität des Metropoliten bedrohte. Die Metropoliten
ihrerseits geben keinerlei Begründungen für ihre Entscheidungen, oder aber sie berufen
sich auf unbewiesene Anschuldigungen und Gerüchte gegen die Priester.
Spannungen ergeben sich durch die unterschiedliche Stellung der Pfarrer in den
einzelnen Diözesen. In nicht wenigen Bistümern bekommen die Pfarrer ihre Gehälter
nicht regelmäßig, sondern in Abhängigkeit von der Zahl der verkauften Andachtskerzen
in ihren Gemeinden. Unklar ist auch der arbeitsrechtliche Status der Priester, da für sie
in der Mehrzahl nicht die notwendigen Sozialversicherungen entrichtet werden, was für
sie nach Ausscheiden aus dem Dienst zum Problem wird.
4. Zerstörte Gemeindestruktur
Seinem Wesen nach ist dies das zentrale, aber auch das am schwersten zu lösende
Problem im bulgarischen Kirchenleben. Die Satzung der BOK sieht den Aufbau einer
Kirchenpyramide vor, die klaren demokratischen Regeln unterworfen ist und auf der die
Gemeindestruktur gründet. Diese Regeln werden aber nicht eingehalten; die
Metropoliten haben die Möglichkeit, entscheidenden Einfluss auf die Konstituierung der
einzelnen Kirchenorgane zu nehmen.
Laut Satzung stehen auf der untersten Ebene der Kirchenpyramide die
Gemeindevorstände, die von den Pfarrern und Gemeindemitgliedern gewählt werden.
Die Gemeindevorstände wiederum entsenden einen Diözesanrat, der sich aus Priestern
und Gemeindevertretern zusammensetzt und den Metropoliten wählt, wenn ein Posten
frei geworden ist. Die Diözesanräte entsenden auch Mitglieder der regulären
volkskirchlichen Konzile sowie die Mitglieder des Konzils, das den Patriarchen wählt.
Wenn auch kompliziert, so sichert diese Struktur den Kirchenmitgliedern zumindest
theoretisch Partizipation am Kirchengeschehen, Kontrolle über den Metropoliten und
relative Transparenz bei Entscheidungsprozessen auf der Ebene der Diözesen.
Auf dem Papier bestanden diese Statuten auch während der kommunistischen Periode;
sie fanden damals jedoch keine Anwendung. Stattdessen war es in kommunistischer
Zeit Praxis, dass die Metropoliten die Mitglieder der Diözesanräte ernannten und
entscheidenden Einfluss auf die Wahl der Gemeindevorstände hatten. So wurde die
Gemeindepyramide auf den Kopf gestellt und auf die Person des Metropoliten zentriert.
Diese Praxis wird auch in den Jahren nach dem Ende des Kommunismus fortgeführt.
Mögen sie auch regelmäßig durchgeführt werden, so sind die Wahlen für die Räte auf
allen Ebenen der Kirchenpyramide weitgehend Formsache, in Wahrheit aber kontrolliert
von den Metropoliten.
5. Ungenügende Zahl von Mönchen und Pfarrern
Ein substantielles und kaum lösbares Problem ist die geringe Zahl derjenigen, die
Interesse an einer Kirchenlaufbahn haben. Im Moment beträgt die Zahl der Mönche in
der BOK nicht einmal 100; sie sind aber der Personenkreis, aus dem die Mitglieder der
Hohen Geistlichkeit gewählt werden können. Damit ein Mönch für das Amt eines
Bischofs kandidieren kann, muss er ein akademisches Theologiestudium abgeschlossen
haben; dies engt den Kreis möglicher Kandidaten weiter ein. Die geringe Zahl der
Mönche ist ein altes Problem der BOK, das auch vor Beginn der kommunistischen Ära
bereits bestand. Der begrenzte Kandidatenkreis ist eine der Hauptursachen für die
Infiltration der Kirche durch die Staatssicherheit, denn die potentiellen Vertreter der
Hohen Geistlichkeit wurden von der Stasi bereits in ihrer Studienzeit überwacht und
zum Teil angeworben. Ähnlich liegt das Problem auch bei den Pfarrern, deren Zahl um
die tausend liegt. Die harten, schwierigen Lebensbedingungen und das ungelöste
Problem ihrer regelmäßigen Bezahlung und Sozialversicherung sind die Gründe dafür,
dass der Priesterberuf ein geringes öffentliches Prestige hat.
In den letzten Jahren vertieft sich die Krise bei der vorakademischen geistlichen
Ausbildung; als Trend ist eine Verringerung der Kandidaten für die beiden
Priesterseminare in Sofia und Plovdiv auszumachen. Gleichzeitig ist eine spürbare
Erhöhung der Aktivität an den beiden theologischen Fakultäten an den Universitäten
Sofia und Veliko Tărnovo zu bemerken, die sich immer reger in die Debatten um
kirchliche Fragen einschalten.
6. Negative weltanschauliche Tendenzen
Die wichtigsten Negativtendenzen stehen in Verbindung mit der Provinzialisierung und
internationalen Isolation der BOK. Dies steht in Widerspruch zur Tradition vor 1944, als
ein großer Teil der Hohen Geistlichkeit Bulgariens im Westen studierte und aktive
internationale Beziehungen unterhielt, was als unverzichtbarer Bestandteil ihrer
öffentlichen Funktion galt und das Bild als Klerikerelite mitbestimmte.
Die Ursachen für die internationale Isolation sind vielschichtig. Zum Teil sind sie ein
Resultat der vergleichsweise niedrigen theologischen Bildung eines großen Teils der
Geistlichkeit, deretwegen diese die Teilnahme an theologischen Diskussionen scheut.
Es gibt aber auch historische Gründe. Sowohl die theologische als auch die
internationale Tätigkeit der Kirche verschwanden unter dem Kommunismus völlig, da
die gesamte Aktivität in der ökumenischen Bewegung zur Zeit des Kalten Krieges von
ideologischen Motiven geleitet war. Die internationale Tätigkeit der BOK wurde von der
Staatssicherheit initiiert und gesteuert, und alle Metropoliten, die aktiven Anteil an
dieser Tätigkeit hatten, befanden sich Anfang der 1990er Jahre unter den Betreibern
der Kirchenspaltung und unter den Mitgliedern der sog. „Alternativen Synode“. All dies
zeichnete den Austritt der BOK aus der ökumenischen Bewegung, der 1998 erklärt
wurde, vor, wie auch ihre Enthaltung von der Teilnahme am Dialog zwischen den
orthodoxen Kirchen.
Weitere Ursache dieser Passivität ist auch das Fehlen einer klaren internationalen
Orientierung. Im öffentlichen Raum kursieren Gerüchte über das Vorhandensein zweier
„Lobbys“ in der Synode, von denen eine auf der Einhaltung der pro-russischen
Orientierung der BOK besteht (Metropolit Kiril von Varna, Gawriil von Lowetsch), die
andere (angeführt von Natanail Newrokopski) drängt auf eine aktive Entwicklung der
Beziehungen zu den griechischen Kirchen.
Die Bekanntmachung der Stasi-Akten der Hohen Geistlichkeit zeigt die
Geschichtsblindheit des hohen Klerus und das Fehlen eines Konsenses bezüglich der
Vergangenheit der Kirche in der kommunistischen Periode. Jahre währt die Diskussion,
die Märtyrer der Kirche während des Kommunismus in den Kanon der Heiligen
aufzunehmen; doch fehlt in der Hl. Synode die nötige Einmütigkeit, weswegen in dieser
Frage bisher keinerlei konkrete Schritte unternommen wurden. Dies betrifft das
historische Gedenken an die bulgarischen Metropoliten, die dem kommunistischen
Regime aktiv Widerstand geleistet haben. Der Metropolit von Newrokop, Boris, bezahlte
mit seinem Leben, er wurde 1948 ermordet.
Die bulgarische Kirche versucht auch nicht, die aktive Beteiligung der Bulgarischen
Orthodoxie an der Kampagne zur Rettung der bulgarischen Juden vor der Deportation
1940/41 ins öffentliche Gedächtnis zu rufen.
Perspektiven künftiger Entwicklung
Die Veränderungen in der Kirche vollziehen sich langsam, bedingt durch die
konservativen Strukturen. Das Problem der „Feudalisierung“ in der Kirche und die
Konzentration auf die Metropoliten ist das größte Problem. Ein negatives Szenario wäre
eine Vertiefung dieses Problems, einschließlich der Vereinigung einiger
Metropolitenlobbys für die bevorstehende Wahl des Patriarchen mit dem Ziel der
Erhaltung oder sogar Verschärfung des Status Quo, und eine mögliche Mitwirkung an
diesem negativen Prozess durch einflussreiche örtliche Geschäftsleute.
Das positive Szenario geht von einer Erhöhung der Sichtbarkeit der Zivilgesellschaft
und der kirchlichen öffentlichen Meinung aus, was zu einem Wiedererstehen des
Gemeindelebens und einer erfolgreichen Kontrolle der Metropoliten führt. Notwendig
sind eine Erhöhung des Bildungsniveaus der Pfarrer und künftiger Mönche, der Aufbau
internationaler Kontakte, das Aufarbeiten der kommunistischen Vergangenheit der
Kirche und die Partizipation aktiver und gebildeter Kirchenmitglieder an
Entscheidungsprozessen in der Kirche.
Im PDF (oben) finden Sie eine tabellarische Übersicht aller Mitarbeiter der Staatssicherheit.