Länderberichte
Insgesamt 21 Formationen - 14 Parteien und 7 Koalitionen - kämpften um die 240 Sitze in der Volksversammlung, dem bulgarischen Parlament, die nach reinem Verhältniswahlrecht vergeben werden. Die Partei „Wir setzen den Wandel fort“ (PP) und das „Demokratische Bulgarien“ (DB), die bei der Wahl vom 2. Oktober 2022 noch getrennt angetreten waren, bildeten diesmal eine Vorwahlkoalition PP-DB. Die DB ist ihrerseits eine Koalition, bestehend aus der Partei „Ja, Bulgarien“, der EVP-Partei „Demokraten für ein starkes Bulgarien“ (DSB) und der Grünen Partei, hinzu kommt die Bauernpartei, so dass PP-DB ein Fünferbündnis darstellt.
Die Vorwahlumfragen haben sich mehr oder weniger bewahrheitet. Bei ausgezählten 99,6% der Stimmen gewinnt die EVP-Partei „Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens“ (GERB) 26,5% der Stimmen bzw. 69 Sitze und wird stärkste Kraft, gefolgt von PP-DB mit 24,6% und 64 Sitzen. Den dritten Platz belegt die nationalistische Partei „Wasraschdane“ (Wiedergeburt) mit 14,2% und 37 Sitzen, an vierter Stelle mit 13,6% und 35 Sitzen liegt die Bewegung für Rechte und Freiheiten (DPS), die vor allem die türkische Minderheit vertritt. Die Bulgarische Sozialistische Partei (BSP) kommt auf 9% und 24 Sitze. Die Partei „Es gibt so ein Volk“ (ITN) des Entertainers Slawi Trifonow überwindet mit 4,2% knapp die Hürde für den Einzug ins Parlament und erhält 11 Sitze. Umfragen hatten sie unter der 4%-Sperrklausel gesehen. Nicht mehr im Parlament vertreten ist die Partei „Bulgarischer Aufstieg“ (BW) mit 3,1%. Die neugegründete Partei „Die Linke“, ein Sammelbecken für Formationen und Personen, die sich zu verschiedenen Zeiten von der BSP abgespalten haben, bleibt mit 2,2% außerhalb des Parlaments.
Über die Wahlbeteiligung gibt es noch keine offiziellen Angaben, Wahlbeobachter gehen von ca. 40% aus. Das würde bedeuten, dass wie in den vergangenen zwei Jahren praktisch nur die Stammwähler der Parteien zu den Urnen gegangen sind.
Die Parteien haben diesmal mit Ausnahme DPS auf die traditionellen Pressekonferenzen in der Wahlnacht verzichtet und warten offenbar das amtliche Endergebnis ab.
Partei | Wahlergebnis 2. April 2023 | Wahlergebnis 2. Oktober 2022 | Gewinne /Verluste |
GERB/SDS (Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens, Union demokratischer Kräfte) | 26,5% | 25,3% | +1,2% |
PP-DB (Wir setzen den Wandel fort) – DB (Demokratisches Bulgarien) | 24,6% | - | +24,6% |
Wasraschdane (Wiedergeburt) | 14,2% | 10,2% | +4,0% |
DPS (Bewegung für Rechte und Freiheiten) | 13,6% | 13,8% | -0,2% |
BSP (Bulgarische Sozialistische Partei) | 9,0% | 9,3% | -0,3% |
ITN (Es gibt so ein Volk) | 4,2% | 3,8% | +0,4% |
BW (Bulgarischer Aufstieg) | 3,1% | 4,6% | -1,5% |
Die Linke | 2,2% | - | +2,2% |
Die dominierenden Themen im Wahlkampf waren die hohe Inflation und die Einkommensentwicklung, die Korruption und ihre Bekämpfung sowie weniger prominent, aber auch bedeutsam der Krieg in der Ukraine und die bulgarische Haltung dazu. Hingegen spielten die Beziehungen zwischen Bulgarien und Nordmazedonien, die wegen des ursprünglichen bulgarischen Einspruchs bei der Aufnahme von EU-Beitrittsgesprächen mit Nordmazedonien gespannt sind, keine Rolle.
Für Unruhe sorgten im Vorfeld der Wahlen falsche Bombendrohungen gegen zahlreiche Schulen im ganzen Land, die möglicherweise zur Verunsicherung der Wähler beitragen sollten und nach Aussagen des Innenministeriums russischen Ursprungs sein könnten.
Analyse und Ausblick
GERB gewinnt nach ersten Analysen überzeugend in den meisten Wahlkreisen landesweit, braucht aber mit 69 Sitzen weitere Partner zur Mehrheit von 121 Sitzen. Die Koalition PP-DB dominiert in der Hauptstadt Sofia, der zweitgrößten Stadt Plowdiw und der Großstadt Russe. Die nationalistische Wasraschdane vermag ihren Stimmenanteil erheblich zu steigern. Die DPS mit ihrer traditionell sehr loyalen Wählerschaft vermag ihr Ergebnis zu halten. Sie profitiert zudem vom Auslandsvotum der in der Türkei lebenden bulgarischen Türken. Die umstrittene Wiedereinführung der Wahlzettel aus Papier parallel zu den Wahlautomaten hat der Sozialistischen Partei nicht die erhofften Zugewinne gebracht. Die Sozialisten waren gegen das maschinelle Votum wohl in erster Linie, weil sie glaubten, dass ihre insgesamt ältere Wählerschaft dadurch verschreckt würde.
Die Regierungsbildung dürfte sich angesichts der Mehrheitsverhältnisse auch nach diesen Wahlen schwierig gestalten. Es gibt bereits Spekulationen über eine breite Koalition aus GERB und PP-DB, eine Expertenregierung, ein Minderheitskabinett oder eine Koalition aus mehreren Parteien, doch würden diese Varianten nach Ansicht von Beobachtern zahlreiche Kompromisse erfordern und die möglichen Regierungen wären vermutlich instabil.