Wie werden Menschen vom Moslem zum Islamisten? Und was können wir als Gesellschaft tun, um Extremismus zu verhindern und demokratische Werte zu stärken? Darum ging es in Folge 29 unserer digitalen Veranstaltungsreihe #KASkonkret. Als Experte hatten wir den Berliner Psychologen Ahmed Mansour zu Gast. Er widmet seine Arbeit der Prävention von Radikalisierung – und ist dabei besonders glaubwürdig, weil er selbst eine islamistische Phase durchgemacht hat.
„Die Lehrer und die Schüler hatten Angst vor mir“
In seiner Jugend in Israel habe er „nicht so viele Freunde gehabt, konnte nicht gut Fußball spielen, war verunsichert und wurde gemobbt“, erzählte er im Livegespräch. Er habe damals das Gefühl gehabt, dass niemand ihn verstehe – nicht mal seine Eltern. Und dann traf er auf einen Imam.
„Er war immer da für mich und hat versucht, mir zu helfen. Er hat mich gefragt, wie es mir geht und eingeladen in seine Moschee.“ Der damals 13-Jährige nahm die Einladung an – allerdings nicht aus religiösen Gründen. „Sondern weil ich diesen Menschen mochte und er eine Verbindung zu mir geschaffen hat. Und weil ich gehofft habe, dass ich in der Moschee Menschen treffen, die mich nicht mobben.“
So begann seine „Karriere zum Islamisten“, in der er sogar versuchte, seine Eltern von einem strengeren Glauben zu überzeugen. „Die Lehrer und die Schüler hatten Angst vor mir“, sagte Mansour rückblickend.
Wenn man vor diesem Hintergrund an die jüngsten Attentate in Dresden, Paris, Nizza oder Wien denkt, stellt sich natürlich die Frage: Welche Gemeinsamkeiten gibt es zwischen Mansours Abwegen und der Vita von radikalen Islamisten, die Andersdenkende ermorden?
Er sei damals nicht gewaltbereit gewesen, betonte der Psychologe. „Mein Leben war mir zu wertvoll.“ Aber er habe Gewalt legitimiert und sich zusammen mit seinen neuen Freunden gefreut, wenn ein islamistischer Anschlag passiert war. „Weil ich geglaubt habe: Es ist richtig, so zu handeln.“ Insofern gebe es „natürlich Parallelen zu vielen Terroristen von heute. Wir haben die gleichen Bücher gelesen. Wir haben an den gleichen Gott geglaubt und wir haben auch die Motivation gehabt, im Namen unserer Religion eine Anspruchshaltung zu etablieren.“
„Warum sollten sich liberale Muslime organisieren?“
Ahmed Mansour konnte sich durch sein Psychologiestudium aus den Fängen der Islamisten befreien und praktiziert seinen Glauben heute so, wie es die meisten Muslime tun: modern, freiheitlich und demokratisch. Die deutsche Politik versucht ja schon seit Jahren, extremistische Tendenzen aus den Moscheen des Landes fernzuhalten. Dabei mache sie aber einen taktischen Fehler, kritsiert Mansour:
„Das Problem ist, dass unsere Politiker leider mit denjenigen sprechen, die ein gewisses problematisches Islamverständnis haben.“ Er meint große Verbände wie Ditib oder VIKZ. „Alle gemeinsam repräsentieren insgesamt nicht einmal 25 Prozent der Muslime in Deutschland!“
Warum gib es dann keinen starken liberalen Verbund, hinter dem sich die Mehrheit der rund fünf Millionen Muslime in Deutschland versammelt? Mansour reagierte mit einer Gegenfrage: „Die Religion ist bei diesen Leuten eine von ganz vielen Identitäten, die sie haben. Warum sollten sie sich organisieren? Warum sollten sie aus ihrer Religion eine politische Sache machen?“
„In der Schule entscheidet sich, wie wir mit Islamisten umgehen“
Abgesehen von der politischen Bühne sieht Christian Koecke, Referent für Politische Grundsatzfragen beim Politischen Bildungsforum NRW, noch einen anderen zentralen Ort, um Extremismus einzudämmen:
„In der Schule entscheidet sich, wie wir mit den Islamisten umgehen. Menschlich und gesellschaftlich. Hier ist der Ort, wo ihren unberechtigten Ansprüchen entgegengetreten werden kann. Und wo aber gleichzeitig berechtigte Partizipation hergestellt werden muss.“
Ahmed Mansour geht mit seinem Team häufiger an Schulen, um über Toleranz und Meinungsfreiheit zu diskutieren. Dabei bekommt er auch immer wieder Rückmeldungen von Lehrkräften, die stark verunsichert sind. Ein Beispiel einer Lehrerin schilderte er im Livegespräch, das auf Facebook und Youtube übertragen wurde:
„Sie hat im Geschichtsunterricht auch die Geschichte des Islam dargestellt. Für einen Schüler war das zu wenig am Koran orientiert. Der Vater hat sich daraufhin bei der Schule beschwert und gesagt: Ihr vermittelt meinem Sohn eine falsche Religion. Das will ich nicht und werde dagegen klagen. Er warf ihr vor, eine Islamhasserin und Rechtsradikale zu sein.“
Wenn man an dieser Situation etwas ändern wolle, müsse man die Lehrer mehr für solche Situationen sensibilisieren, sagt Mansour. „Dann müssen sie verstehen: Woher kommen solche Aussagen, sind sie patriarchalisch oder religiös gemeint?“ Genau solche Kontroversen sollten im Unterricht zum Thema gemacht werden, um die Debattenkultur zu stärken.
Vielen Dank an Ahmad Mansour für dieses reflektierte Gespräch und die vielen persönlichen Erfahrungen. In der kommenden Woche gibt es eine neue Folge von #KASkonkret, wie immer live am Dienstag um 18 Uhr. Zu Gast ist dann Tanja Gönner, die Chefin der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit – sie wird mit Susanna Zdrzalek über die Bekämpfung von Fluchtursachen sprechen. Bis dann, wir sehen uns!
Themen
Internationale Talente für den Mittelstand
Das „Win - win“ Migrationsabkommen zwischen Deutschland und Kenia: Wer profitiert tatsächlich
Mauretanien wird zur neuen Hauptroute für Migration nach Europa
Von Schutzsuchenden zu Fachkräften
„Besonders stark war der Beschäftigungszuwachs durch Arbeitskräfte aus Drittstaaten“