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Zukunftswerkstatt

Wo setzen Deutsche und Franzosen die Grenze zwischen Freiheit und Sicherheit?

von Paul Tresp, Prof. Dr. Martin Reuber

Deutsch-französische Zukunftswerkstatt vom 22.04.2021

Am Abend dieser Ausgabe der deutsch-französischen Zukunftswerkstatt wurde die Corona-Notfallbremse in Deutschland beschlossen und in Frankreich wird bereits seit längerem über das neue Polizeigesetz gestritten. Wir wollen in der aktuellsten Ausgabe der Zukunftswerkstatt dem Verhältnis von Freiheit und Sicherheit in unseren Ländern auf den Grund gehen.

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Wie die aktuellen Maßnahmen Deutschlands und Frankreichs zu bewerten sind, welches Verständnis Deutsche und Franzosen von Freiheit und Sicherheit haben, beantworteten uns an diesem Abend unsere drei Experten: Neben Prof. Dr. Udo di Fabio, ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht, der heute an der Universität Bonn lehrt, schaltete sich aus Lille Marc Trévidic, Präsident der Cour d'Assises des Departements Yvelines am Appellationsgericht Versailles dazu. Er war in der Vergangenheit bereits als Anti-Terror-Ermittlungsrichter tätig. Aus Paris war Michaela Wiegel, politische Korrespondentin der F.A.Z. in Frankreich, live zugeschaltet, um ihre Eindrücke aus der Hauptstadt unseres Nachbarn zu schilderten.

Auf die Eingangsfrage von Andreas Noll, Journalist beim Deutschlandfunk, ob die Corona-Notbremse verfassungsgemäß sei, antwortete Prof. di Fabio, mit einem grundsätzlichen „Ja“, ergänzte aber, dass er es für überflüssig halte und die Eignung der Maßnahmen erst noch geprüft werden müssten. Dagegen herrschen in Frankreich schon seit längerer Zeit massive Einschränkungen zur Eindämmung der Corona Pandemie. Die freiheitsliebenden Franzosen, so Marc Trévidic, aber könnten diese Maßnahmen verkraften. Die Franzosen interessierten sich nicht dafür, ob die Maßnahmen verfassungswidrig, sondern ob sie effektiv seien und alle Franzosen konsequent gleichbehandelt würden. Dem schloss sich auch Michaela Wiegel an und ergänzte, die Franzosen nähmen bereitwilliger als die Deutschen Einschränkungen in Kauf, da diese u.a. durch die Terroranschläge der letzten Jahre und den damit verbundenen Ausnahmezuständen bereits ein aufgeweichtes Verhältnis zur Verfassung hätten. Trotzdem sei im Augenblick ein gewisser ziviler Ungehorsam gegenüber den aktuellen französischen Corona-Maßnahmen zu erkennen, weil zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht erkennbar sei, dass die Maßnahmen ihre Wirkung entfalteten. Zwar akzeptiere ein Großteil der Franzosen die staatlichen Maßnahmen, die Bereitschaft aber, diese auch einzuhalten, nehme indes ab. Michaela Wiegel sprach von einer Art stillem zivilen Ungehorsam.

Die Frage der Denkfabrik knüpfte auch an diesem Punkt an: Wie kommt es, dass sich Franzosen eher über politische Maßnahmen und Einschränkungen beschweren, während die Deutschen diese akzeptieren?
Laut Marc Trévidic sei dies darauf zurückzuführen, dass unter den Franzosen die Vorstellung vorherrsche, man sei der Einzige, der sich kollektiv anstrenge. Neben der Erwartung einer Entscheidung des Präsidenten, sei die französische Bevölkerung zudem daran gewohnt einen starken Entscheidungsträger an der Spitze ihres Landes stehen zu haben. Udo di Fabio merkte hier jedoch an, dass auch die Deutschen in Krisenzeiten eine starke Kanzlerin an der Spitze ihres Landes schätzten und sich dementsprechend in diesem Punkt gar nicht viel von den Franzosen unterschieden. Die Krise führe dazu, dass die Bevölkerung nach einem starken und wirksamen Staat verlange. Dies führe längerfristig zu einem Zentralisierungsschub. Es sei aber abzuwarten, ob ein starker Bundesstaat auch tatsächlich wirksamer sei, als die flexible föderale Lösung.

In der anschließenden Zuschauerumfrage zeigte sich, dass nur eine knappe Mehrheit der 150 Zuschauerinnen und Zuschauer Grundrechtseinschränkungen aus Gründen des Klimaschutzes ablehnten. Udo di Fabio kommentierte dieses Umfrageergebnis mit dem Hinweis, dass Einschränkungen nur im Fall konkreter Gefahren verfassungsfest seien. Der Klimanotstand bleibe zu unspezifisch und die Maßnahmen könnten zeitlich nicht begrenzt werden, so dass er eine sinngemäße Übertragung pandemiebedingter Einschränkungen auf Maßnahmen gegen den Klimawandel für unzulässig hielt.

Ein weiterer Punkt in der aktuellen Debatte um Freiheit und Sicherheit stellte das kürzlich beschlossene „Globale Sicherheitsgesetz“ der französischen Regierung dar. Dieses stieß in der Bevölkerung auf vehemente Kritik, weil es ein Verbot des Filmens von Polizeibeamten beinhaltet.
Auch unsere Zuschauer waren sich an diesem Abend nicht einig, ob das französische Verbot des Filmens von Polizeibeamten eine unzulässige Einschränkung der persönlichen Freiheit darstellen würde. Die eine Hälfte der Zuschauer stimmte dem zu, während die andere Hälfte der Zuschauer durch das Gesetz keine Einschränkung der persönlichen Freiheit sah.
Michaela Wiegel sieht hier ein strukturelles Problem: In Frankreich fehle das Vertrauen zu den Polizeibeamten. Dies werde in Deutschland beispielsweise durch frühe Schulbesuche oder Verkehrserziehung in der Grundschule aufgebaut. Die französische Bevölkerung habe außerdem ein anderes Autoritätsverhältnis und ähnliche Versuche nach deutschen Vorbild würden in Frankreich eher belächelt als angenommen. Das Problem sei, dass ein pauschales Verbot von Aufnahmen von Polizeibeamten auch untersagt Missstände zu dokumentieren. Dem schloss sich auch Marc Trévidic an, der anmerkte, dass das neue französische Polizeigesetz ursprünglich einmal für eine bessere Kontrolle der Polizei sorgen sollte. Mittlerweile habe es sich aber zu einem Gesetz zum Schutze der Polizei gewandelt, wodurch der Zweck des Gesetzes in sein Gegenteil verkehrt werde: Statt Kontrolle der Polizei, Schutz der Polizei. Er resümiert, dass Frankreich vor der enormen Herausforderung stehe, die Beziehung zwischen der Bevölkerung und der Polizei zu verbessern und strukturelle Probleme zu beseitigen.

Abschließend hielt der ehemalige Verfassungsrichter Di Fabio fest, dass die Welt zwar insgesamt sicherer geworden sei, sich aber auch stärker fragmentiert habe, so dass sich an den politischen und gesellschaftlichen Rändern subkutan Hasspotenzial aufbaue, da die Menschen sich von Politik und Justiz allein gelassen fühlten. In einem Rechtsstaat sei es daher wichtig, beide, sowohl die Bevölkerung als auch die Polizei ernst zu nehmen und zu schützen.

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