Veranstaltungsberichte
Es ist Donnerstagabend, wir sitzen in einem kleinen Restaurant in Budapest und während Laszlo Nagy vom Paneuropäischen Picknick in Sopron berichtet, ist es so still, dass man eine Stecknadeln fallen hören könnte. Wir sind auf einer politischen und kulturellen Spurensuche entlang der Donau. Im Tross: das 21-köpfige Team der Donau-Tour 2015, der sechsten Motorradtour der Konrad-Adenauer-Stiftung. Wir haben eine anspruchsvolle Strecke vor uns: vom Sammelpunkt Tuttlingen via Ulm und Passau nach Wien, Budapest und Prag. Wir spüren der habsburgischen Mitte des alten Europa nach und dem Weg zum Fall der Mauer vor 25 Jahren.
Die Sonne lacht, als uns am Samstagmorgen vor der St. Elisabethkirche am Stuttgarter Bismarckplatz Pfarrer Werner Laub seinen Segen mit auf den Weg gibt. Bevor er selbst auf seine Maschine steigt, um uns zu unserem ersten Zwischenziel in Pfullingen zu begleiten, wünscht er den aus der Region Stuttgart Startenden eine sichere Reise. Auch Michael Fey schwingt sich in seinen Leih-Transporter, der als Lastesel und technischer Notnagel dabei ist.
Kaum losgefahren: Bremse im Eimer
Mit Jonathan Kamzelak, dem FSJ-ler des Stuttgarter Büros der KAS auf meinem Sozius-Sitz, freue ich mich auf das Panorama des Restaurants in Pfullingen, als an der Ampel vor dem Stuttgarter Waldfriedhof mein Bremsgriff weich wird. Der Dampf von Bremsflüssigkeit steigt vom Krümmer auf, Hauptbremsschlauch geplatzt. Erster Einsatz der klappbaren Rampe, meine RT verschwindet im Transporter. Während die Teilnehmer Pfullingen und den Weg über die Schwäbische Alb genießen, versuchen Michael Fey und ich, das Motorrad wieder tour-fit zu machen. Vergebens. Das „Moped“ bleibt in der Werkstatt, ich degradiere mich vom "Road Captain" zum Hinterbänkler. Aus dem Transporter informiere ich Ingo Splettstößer, Veteran aller sechs Touren zu Politik auf zwei Rädern, dass er nun mit Sozius fahren muss. "Kein Problem, Stefan! Gerne." Solidarität unter Bikern.
Am Samstagnachmittag wecken wir Tuttlingen - die meisten Geschäfte haben schon geschlossen - mit dem Grollen unserer Motoren. Der Parksteifen vor dem Hotel ist frei und füllt sich immer mehr. Zu den Stuttgartern gesellen sich die Bikes der Teilnehmer aus anderen Regionen. Wilhelmshaven, Oldenburg, Lüneburg, Kirchheimbolanden, Berlin, Siegburg, Osterholz. Die Liste der Kennzeichen ist bunt. Auch die Modelle: Vom 207-PS "Joghurtbecher" bis zur 350-Kilo-Harley. Dazwischen viele runde Embleme in weiß-blau. Alle kommen gut an. Seminarstart: Vorstellungsrunde, Programm, Sicherheitsfragen, Fahren in der Gruppe, Ausgabe der Tour-T-Shirts - erstmals aus Fair Trade.
Nicht jede der insgesamt vier Gruppen wird von den Navis auf den idyllischen Weg vorbei am Kloster Beuron geleitet. In den kommenden Tagen folgen wir über mehr als 1000 Kilometer der Donau. Auch die BMW von Heike Kohl ist wieder dabei, deren Batterie in der Nacht den Geist aufgegeben hat. Starthilfe vom ADAC. Troubleshooting, die Zweite. In der Höhe des Knopfmacherfelsens könnte man noch über ein paar Steine hüpfen, um die Donau zu queren.
Donauschwaben für die einen…
Das Donauschwäbische Zentralmuseum ist das erste Mosaiksteinchen unserer Spurensuche. Aber: Das Los der Organisatoren. Im Museum erfahren die Teilnehmer alles über Donauschwaben, Migration und Integration entlang der Donau. Ich nicht. "Geben Sie mir doch mal den Wagenheber!", Dr. Gerhard Wahlers, Stellvertretender Generalsekretär der KAS liegt unter dem Tour-Transporter, der es mit zischelndem Vorderreifen gerade noch auf den Parkplatz geschafft hat. Eine Glasscherbe steckt vorne rechts. Wir pfriemeln das Ersatzrad hervor und machen mit Michael Fey den Wagen wieder flott.
Am Abend kommen wir müde aber froh in Passau an. Im Kopf bleiben die Bilder des Weges entlang der Donau. Wunderschöne Auen entlang einem noch kleinen Fluss. Blau und Grün. Idylle pur.
Mit einem Schnitzel begrüßt uns Österreich zum Mittagessen an der Donau. Für unsere muslimischen Mitfahrer gibt es Hühnchen. Nachdem wir den Stadtverkehr Wiens überwunden haben, erreichen alle gesund und munter das Seminarhotel Springer-Schlössl, das Tagungshaus der PolAk, dem Bildungsinstitut der ÖVP, Pendants von CDU und KAS in Österreich.
Mit den "Öffis", genauer der U4, erreichen wir unseren nächsten politischen Termin.
Matthias Friese, Kapitän zur See und Repräsentant der Bundesrepublik Deutschland, steht unter Strom. "Um 18 Uhr habe ich einen Termin in der Hofburg", sagt Friese, der erst eine Woche vorher den Termin mit uns bestätigen konnte. "Wir wollten den Termin eigentlich gar nicht machen, aber die KAS hat einfach nicht locker gelassen", lacht Friese, der auch die Arbeit unseres früheren Kollegen Karl-Heinz Kamp würdigt, Sicherheitsexperte, Initiator des Arbeitskreises Junger Außenpolitiker der KAS und einer der Denker in der Bundesakademie für Sicherheit (BAKS).
Diplomatie ohne formale Zwänge
Es ist spannend zu sehen, wie die OSZE arbeitet. Zu den größten Herausforderungen zählt natürlich der Konflikt in der Ukraine. Per Luftüberwachung durch Aufklärungs-Drohnen erarbeitet die Organisation nach Kräften objektive Lagebilder von Konflikten, entsendet Experten zur Analyse von Granateinschlägen, um Argumentationsgrundlagen für politische Verhandlungen zwischen Konfliktparteien zu erstellen. Und wieder steht die Donau, die Rolle Wiens als Zentrum der Ost und West verbindenden Donaumonarchie und als diplomatische Drehscheibe im Mittelpunkt. "Die Stärke der OSZE in Wien ist, dass sich hier offizielle Regierungsvertreter unabhängig von diplomatischen Formalitäten treffen." Bevor Friese zu seinem nächsten Termin eilt und uns Sören Heine, Mitarbeiter der deutschen OSZE-Delegation, der sich intensiv und erfolgreich um unseren Termin bemüht hat, wieder durch die Sicherheitsschleuse aus dem Gebäude herauslotst.
Christdemokratie als grenzüberschreitende Herausforderung
Mit Wiener Charme begrüßt uns am nächsten Morgen Dr. Christian Moser im lichtdurchfluteten Tagungsraum der PolAk. Wir haben den Raum durch die herrschaftliche Halle des Springer-Schlössl betreten. Aus den raumhohen Fenstern blicken wir in den nach Lindenblüten duftenden Park. Moser beeindruckt uns mit seiner profunden Analyse der österreichischen Politik und seinen Reflexionen zur Lage der Christdemokratie. Und wir erfahren etwas über die spezielle politische Kultur entlang der Donau: "Österreich ist ein katholisches Land. Wir machen viele Gesetze. Aber was wir dann damit machen, ist eine andere Sache", verkündet Moser mit verschmitztem Lächeln. Wir tauchen ein in die Aufgaben der Akademie, die Vielfalt ihrer Aufgaben. Und natürlich interessiert viele von uns Mosers Einschätzung zum Verhältnis christdemokratischer Werte und gesellschaftlicher Veränderungen. Ein ausgesprochen spannendes Gespräch. Vielleicht sollte ich Herrn Moser einmal zum weiteren Gedankenaustausch nach Stuttgart einladen…
Demo vor dem Vienna International Center
Nochmal Stadtverkehr in Wien? Nein, danke! Wir nehmen wieder die "Öffis" und gelangen pünktlich zum Vienna International Center (VIC). Unserer Führerin stellt sich als "Petra" vor und erklärt uns erst einmal den Bau des Wiener Sitzes einer ganzen Reihe von UN-Organisationen. Ich fühle mich in den Hallen und Fluren plötzlich wie auf einem internationalen Flughafen in den USA: Menschen aus allen Kontinenten der Erde, unterschiedliche Trachten, Sprachen, die ich noch nie gehört habe. Während uns Petra das Modell des VIC erklärt, bekomme ich nur einen Bruchteil mit: Kleine Anpassungen im Zeitplan mit dem Restaurant und Koordinierung mit dem Anschlusstermin. Rücksprache mit dem Stuttgarter Büro der KAS. Zum Glück präsentiert sich das VIC auch im Internet, sodass ich nachlesen kann, was die Teilnehmer erfahren. Petra entlässt uns vor den Toren des VIC und wir laufen geradewegs in die Arme einer Demonstration. "Crimes against Muslims in Myanmar" steht auf den meisten Schildern, die von der etwa 40-köpfigen Schar, die offensichtlich aus Myanmar stammt, hochgehalten wird. Keine Zeit! Erst Gasthaus. Dann Führung durch Wien.
Kalter Krieg in Wien
"Wien hat im Zweiten Weltkrieg auch eine Menge Bomben abgekriegt!", erklärt Frau Dr. Brigitte Timmermann, die uns vor dem Stephansdom eingesammelt hat. Manche Häuser, die mit imperialen Pomp daherkommen, wurden schlicht historisierend rekonstruiert. "Die Vier im Jeep nannte man die Patrouillen der Militärpolizei, in der je ein Angehöriger der vier Besatzungsmächte saß", erfahren wir von Frau Dr. Timmermann, die uns zu einer Spurensuche des Kalten Krieges mitnimmt. Schwarzmarkt, Korruption, Agenten und Doppelagenten in Wien. Der Film "Der Dritte Mann" und dessen Drehorte begleiten uns auf Schritt und Tritt. "Auf diesem Platz stand nie eine Litfaß-Säule. Die wurde nur für den Film hingestellt und verdeckte das Denkmal dahinter." In die Katakomben der Kanalisation steigen wir nicht hinab, am Ende nimmt uns Frau Dr. Timmermann aber doch mit unter die Erde. "Die Häuser hier sind bis zu vierfach unterkellert", erläutert sie. Und einst miteinander verbunden. "Das nutzten Gestapo und Schwarzmarkt gleichermaßen." Ich nehme mir vor, den Dritten Mann mit Orson Welles in einer der Hauptrollen mal wieder anzuschauen.
Im Keller eines Brauhauses lassen wir den Abend ausklingen. Nur einen Stock unter der Erde. Dafür ist es hier angenehm kühl.
Heißer Empfang in Budapest
Auf dem Weg nach Budapest – die Teilnehmer haben mal wieder entschieden, eine halbe Stunde früher aufzubrechen – sehen wir zunächst wenig von der Donau. Die Fahrt aus Wien heraus zieht sich wieder durch verstopfte Straßen. Zum Glück hat die Harley-Vertretung die richtigen Schrauben festgezogen. Ölverlust gestoppt. Wir müssen nicht testen, ob die klappbare Rampe tatsächlich das coole Ungetüm stemmen könnte. Auf der Autobahn versuchen wir dem Stau zu entkommen.
Dann taucht der Fluss wieder auf, verschwindet. Landschaft und Häuser verändern sich allmählich. Einstiger Ost-Charme blitzt zunehmend durch, als wir der Donau auf der slowakischen Seite folgen. In Esztergom wird es idyllisch. Die Donau: ein Traum. Die Grenze: nicht spürbar. Wer vor dem Fall den Eisernen Vorhang überschritten hat, kann nun eigentlich nur eines denken: Wie schön ist Europa!
Eine der Gruppen – ein Tross von 17 Motorrädern wäre auf der Landstraße weder überschaubar noch sinnvoll, wählt eine schöne, kurvenreiche Strecke nach Budapest aus. Die anderen nehmen bei der Hitze lieber den Fahrtwind der Autobahn. Doch in Budapest holt uns der Hochsommer alle ein. Mehrere Maschinen gehen spontan einfach aus. Ein Bremssystem bekommt ernste Probleme. Die Glut stresst alle. 36 Grad zeigt das Multifunktionsdisplay… Nur auf dem Soziussitz genieße ich den Blick auf das Parlamentsgebäude am anderen Donauufer. Und mit mancher Schramme mehr laufen wir einer nach dem anderen bei unserem Hotel ein – einen Steinwurf entfernt vom Budapester Büro der KAS. Wir nähern uns dem Höhepunkt der Tour.
Kompetenz vor Ort: Das KAS-Team in Budapest
Frank Spengler und sein Team erwarten uns am frühen Abend in der KAS. Die Zeitplanung ließ vorher eine kühlende Dusche zu. Nun erklärt uns der Landesbeauftragte die wichtigsten Landesinfos: Wirtschaftliche Entwicklung, politische Lage, Wahrnehmung der Regierung im In- und Ausland. Das Budapester Büro der KAS hat keine Mühe gescheut, für unseren Besuch ein erlesenes Programm zusammenzustellen. Auf uns warten Kurzbiographien der Gesprächspartner und Publikationen. Bevor wir in die Federn fallen, führt uns das Ehepaar Spengler auf den Burgfelsen und vor die Matthiaskirche. Wir blicken über die Brüstung der Festung auf die Donau. Unter uns funkeln Buda und Pest, die beiden von der Donau getrennten Stadtteile. Ein wunderbarer Anblick.
Arne Hübner zeigt uns am nächsten Morgen die Struktur des Burgfelsens. Er zeichnet die historisierenden Strömungen der modernen Architektur nach, erläutert Baulücken und Bausünden. Unter der Erde genießen wir die Nostalgie der ältesten U-Bahn des Kontinents und bewundern auf der Donau die Ästhetik der Brückenbau-Technik. In seiner Begeisterung für die Architektur ist Arne Hübner kaum zu bremsen, doch KAS-Projektkoordinator Bence Bauer hat es eilig. Er will pünktlich zu unserem nächsten Termin: Unser Treffen mit Prof. Dr. Mária Schmidt, Generaldirektorin des Museums "Haus des Terrors".
Haus des Terrors stimmt nachdenklich
Frau Prof. Schmidt begrüßt uns freundlich. Die KAS und sie sind vertraute Bekannte und Projektpartner. Ihre Leistung erkennen wir gleich beim Betreten des Hauses: Stimmen und Stimmungen, Töne und Bilder. An einer Wand im Innenhof des Hauses und hinter den Glaswänden des Aufzugs beobachten uns die Gesichter der Opfer des Geheimdienstterrors der nationalsozialistischen und der kommunistischen Diktatur. Von wegen Gulaschkommunismus: Über Jahrzehnte war das Budapester Regime unter der Vorherrschaft von Sowjetunion, NKWD und KGB ein Ort des Grauens für Andersdenkende. Eine junge Dame führt uns vorbei an Pfeilkreuzler-Uniformen, Schautafeln, Monitoren und Schaukästen. Die Komposition aller audiovisuellen Dokumente, der Bilder und der Exponate ist ein Muster für historische Aufklärung auch ohne die Präsenz von Zeitzeugen. "Das hier kennen Sie vielleicht noch nicht", sagt unsere Führerin und zeigt auf einen Schaukasten. Ich wende meinen entsetzten Blick von einer Zange zum Ausreißen von Fingernägeln hin zum anderen Kasten. "Das hier ist ein Glaskatheder, der den männlichen Opfern erst eingeführt und dann zerbrochen wurde." Mir wird schwindelig und schlecht bei dem Gedanken, der mich tagelang nicht loslassen wird.
"Zuerst Ungarn, dann Deutsche…"
Wie gut der menschliche Umgang im modernen Umgarn sein kann, zeigt unser Gespräch mit Otto Heinek, dem Vorsitzenden der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen. Heinek erinnert sich an die Verfolgung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg: "Wir Deutsche waren entsetzt. W ir haben uns immer zuerst als Ungarn und dann erst als Deutsche gefühlt!". Doch heute sei alles anders. Die Deutschen seien als Minderheit anerkannt. Es gebe gute Regelungen für deutsche Schulen und gegenseitigen Respekt. Heinek ist ernst, er spricht als politischer Counterpart einer Regierung. Doch seine Nachrichten nehmen wir durchweg als positiv auf.
Bence Bauer wird zum Ende des Mittagessens mit Heinek wieder unruhig. Der nächste Termin steht an. Es geht Schlag auf Schlag. Frank Spengler will uns keine Pause gönnen, denn in den wenigen Stunden will er unser Bild von Ungarn prägen – ein politischer Botschafter in beide Richtungen. Das hatte er übrigens schon bei der Einführung am Vorabend angedeutet: "Früher kam die KAS, um Wisseln zu vermitteln. Das ist heute anders: Wir sind hier, um voneinander zu lernen!"
Junger Charme und Klartext im Parlament
Frank Spengler, Bence Bauer und eine Dame vom Besucherdienst des Parlamentes schleusen uns durch das Portal des imposanten Parlamentsgebäudes, das wir zuvor schon aus der Ferne bewundert hatten. Gergely Gulyás, Vizepräsident der Ungarischen Nationalversammlung, empfängt uns in einem fürstlich dimensionierten Saal. Als er eintritt, begrüßt er jeden von uns mit Handschlag. Angriff ist die beste Verteidigung: "Wir haben Fehler in der Kommunikation gemacht", sagt Gergely Gulyás und geht damit sofort auf das Bild der Orban-Regierung auch in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit ein. "Einige Mängel haben wir sofort korrigiert", fügt der jugendlich frisch und zugleich sehr ernsthaft auftretende FIDESZ-Politiker in exquisitem Deutsch hinzu. Wir sprechen über Europas Perspektiven. Und Olcayto Dingersu, Stuttgarter mit türkischen Wurzeln, fragt direkt: "Wie stehen Sie zu einem Beitritt der Türkei zur EU?" Gulyás nicht weniger klar: "Ich bin dagegen, eine privilegierte Partnerschaft ist für mich der bessere Weg", sagt Gulyàs und verweist auch auf die Probleme, die er beim Eintritt von 80 Millionen Muslimen sehe. "Das war eine klare Antwort", sagt Dingersu, nachdem wir den blattgoldbeladenen Plenarsaal und die parlamentarischen Lobbys besichtigt haben. "Damit kann ich umgehen, bin aber natürlich anderer Meinung."
Erst mal testen, wie Moskau reagiert…
Bence Bauer gibt uns zwei Stunden frei, bevor wir zum nächsten Termin eilen. Das gemütlich enge Lokal, in dem wir uns mit László Nagy von der Stiftung Paneuropäisches Picknick 89 treffen, ist ein Kontrast zum riesigen Konferenzsaal, aus dessen Fenstern wir den einzig nennenswerten Regen der Tour betrachtet haben. Jetzt beschreibt Nágy (ausgesprochen ungefähr wie "Notsch"), was bei der Vorbereitung des Paneuropäischen Picknicks 1989, also einer der wichtigsten und symbolträchtigsten Etappen auf dem Weg zum Fall des Eisernen Vorhangs, auf Seiten der Demokratiebewegung geschah – und wie die Regierung handelte … und nicht-handelte. "Wir waren erstaunt, wie schnell und wie weit sich die Nachricht unseres Projekts verbreitete." Zugleich berichtet er, dass er die kommunistische Regierung Ungarns eigentlich als Gegner empfand. "Der Pressesprecher verkündete den Abbau der Selbstschussanlagen an der ungarischen Grenze. Der Beschluss der Regierung fiel aber erst über 10 Tage später!" Ungarns Regierung wollte also zunächst Gorbatschows Reaktion abwarten und hätte zur Not dem Pressesprecher ein Missverständnis in die Schuhe geschoben. Als Moskau stillhielt, konnte der Abbau beginnen. Ähnlich sei es beim Einsatz der Grenztruppen gewesen. Diese hätten sich zwar in Marsch gesetzt - aber von einem zu weit entfernten Standort, um rechtzeitig einzutreffen. Der alleingelassene Offizier vor Ort habe nur gesagt: "Das ist das Ende meiner Karriere!". "Eine byzantinische Lösung!", erklärt uns Nágy und wir lernen, welche Rolle Ungarn beim buchstäblichen "Aufweichen" der Mauer spielte. Dazu das Picknick in Sopron an der Grenze zwischen Österreich und Ungarn, das zunehmend – und zur Überraschung der Organisatoren – zu einem riesigen Medienereignis wurde und eine eigene Dynamik gewann. "Als der Zaun geöffnet wurde, war ich erst gar nicht da!", lacht Nágy. Und in unseren Köpfen tauchen die Bilder auf, was wir im Haus des Terrors gesehen haben, die des Falls der Mauer an der innerdeutschen Grenze. Die Nicht-Grenzen auf unseren Wegen beiderseits der Donau. Aus der Vielzahl der Eindrücke erwächst ein zusammenhängenderes Bild vom Ende der europäischen Teilung und zugleich denken wir mit Sorge an die "eingefrorenen Konflikte" in Staaten zwischen Russland und der EU.
Weg nach Prag mit Hindernissen
Ein buchstäblicher Husarenritt führt uns zu unserer letzten Etappe dieser Tour. Nicht mehr Donau. Aber dafür weiterhin auf den Spuren der politischen Erneuerung Europas: Prag. Wieder fahren wir vorbei an Bratislava. Sopron stand unterwegs auch auf den Schildern. Während meine Gruppe Opfer eines Staus wird – wir schaffen es nicht mehr rechtzeitig zum vereinbarten Zeitpunkt nach Prag – kommen drei Gruppen sogar zu früh in der deutschen Botschaft in Prag an. Zeit für unsere etwas zusammengeschmolzene "Delegation" nimmt sich der Leiter des Sozialreferats an der Botschaft, Norbert Axmann. Er schildert, wie die Botschaft von dem Ansturm der Botschaftsflüchtlinge völlig überrannt wurde. "Menschen lagerten nicht nur im Garten sondern überall auch auf den Gängen und Treppen in der Botschaft." Ludger Gruber, stellvertretender Leiter der politischen Bildung der KAS, hat jetzt die Leitung übernommen. Ich bedaure, nicht in der Botschaft sein zu können, die ich nur aus der Vogelperspektive, vom Blick hinunter aus der Prager Burg, kenne. Ich denke aber an die Erzählungen von Rudolf Seiters, mit dem ich vor Jahren – noch als „Oldenburger“ – eine Schule besucht hatte.
Subtile Diplomatie…
Wieviel sich in Europa seit 1989 getan hat, erfahren wir aus den Berichten des KAS-Teams, mit uns sind die Projektmanager Alena Resl und Milan Šimůnek, noch am Abend in Prag. Werner Böhler, Landesbeauftragter der KAS für die Tschechische Republik und die Slowakei, muss einen wichtigen Termin in Bratislava wahrnehmen. Gerade bei denen, die die KAS noch nicht kennen, bildet sich ein komplexeres Verständnis über die subtile Diplomatie politischer Stiftungen. Mit durchweg positiven Rückmeldungen schließen wir den Abend in Prag. Hinter uns liegen rund weit über 2000 Kilometer seit Stuttgart. Und wir haben wieder eine politische „Chautauqua“ absolviert, uns mit allen Sinnen gebildet und Europas Geschichte und Gegenwart buchstäblich „erfahren“.
Technische Bilanz: Ein Totalausfall, eine neue Batterie, einmal Ölwanne undicht, ein Platten des Begleitfahrzeuges, mehrere hitzebedingte Aussetzer, das Ende eines ABS-Druckmodulators, drei Umfaller. Menschliche Bilanz: Mentales und soziales Chiptuning in Reinkultur. Alle gesund daheim.
Und nächstes Jahr? Kollege Ludger Gruber aus dem Bonn-Büro der Stiftung wird uns durch „sein“ Bundesland führen. Ich bin gespannt….