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Veranstaltungsberichte

Integration als Projekt für alle – Öffentliche Konferenzen und Seminare in Santiago, Viña del Mar und Antofagasta

Mit Prof. Dr. Annette Treibel

Integration als ein Projekt für alle – für diejenigen, die in einem neuen Land Heimat suchen und für diejenigen, die bereits schon länger ansässig sind. Diese These vertritt Prof. Dr. Annette Treibel, deutsche Soziologin und Migrationsexpertin, Professorin an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe und Mitglied im Rat für Migration. Im Rahmen einer mehrtägigen Seminarreihe der KAS Chile reiste sie nach Santiago, Viña del Mar und Antofagasta, um in länderübergreifendem Austausch ihre Expertise über Migration im Allgemeinen und im speziellen über Deutschland als Einwanderungsland zu teilen. Vor Ort tauschte sie sich mit Studenten, Akademikern, Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes und Wissenschaftlern aus, und diskutierte nationale Gemeinsamkeiten und Unterschiede.

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Mittwoch, 20.03.2019

Auftakt bildete die Gesprächsrunde zum Thema “Migration: Zwischen der radikalen Rechten und den Herausforderungen der Integration“, zu der die KAS Chile gemeinsam mit dem Goethe-Institut und der Friedrich-Ebert-Stiftung im Kulturzentrum Gabriela Mistral im Rahmen der Ausstellung “Santiago – Ciudad Destino“ einlud. Während der erste Expertentisch über den wachsenden, rechten Populismus in Deutschland und Europa sowie Parallelen zum aufkommenden Rechtspopulismus in Lateinamerika diskutierte, widmete sich die zweite Expertenrunde unter anderem mit Prof. Dr. Treibel dem Thema Integration. Neben der Frage, wie Integration und Sprache zusammenhängen, thematisierten die anwesenden Experten u.a., welche Rolle regionale Besonderheiten spielen und welche Herausforderungen auch nach erfolgter Integration noch bestehen. Besucher und Experten ließen den Abend beim anschließenden Cocktail und angeregten Gesprächen ausklingen.


Donnerstag, 21 03.2019

Den Donnerstag läutete Prof. Dr. Treibel mit einer Präsentation ihres Buches „Integriert euch! Ein Plädoyer für ein selbstbewusstes Einwanderungsland“ ein. Dabei nahm sie im Rahmen der Inaugurationsveranstaltung des akademischen Jahres für Studenten der Sozialen Arbeit, Journalismus und Psychologie der Universidad Academia Humanismo Cristiano, Bezug auf den aktuellen Migrationsdiskurs in Deutschland sowie Europa. Die KAS Chile ermöglichte gemeinsam mit der Universidad Academica de Humanismo Cristiano Einblicke in eine Perspektive auf Deutschland als Einwanderungsland: Welche Bedeutung kommt dabei der deutschen Geschichte zu? Welche Unterschiede existieren im Umgang mit Migration in Ost- und Westdeutschland? Ist Deutschland überhaupt ein Einwanderungsland? Prof. Dr Treibel ging neben grundlegenden Fragen auch auf alltagsrelevante Punkte ein und erläuterte, dass ihrer Meinung nach „Deutsch sein“ kein starres Konstrukt darstelle, sondern vielmehr etwas, das auch erlangt werden könne. Sie reicherte ihre Ausführungen mit persönlichen Erfahrungen sowie anschaulichen Beispielen an. Interessierte im Publikum hatten danach die Gelegenheit, Fragen zu stellen und mit ihr in den Austausch zu treten.

Am Nachmittag bot ein Seminar für Verwaltungsmitarbeiter im öffentlichen Dienst die Gelegenheit, das Thema Integration zu vertiefen. Im Zentrum standen die Vorstellung des Gesellschaftsprojekts und praktische Hilfestellungen für einen Dialog auf Augenhöhe. Prof. Dr. Treibel lieferte dabei anschauliche Beispiele deutscher städtischer Integrationsprojekte. Eine Rolle spielte unter anderem auch die Dramatisierung von Integration in den öffentlichen Medien. Stagnation, Rückschritte und Erfolge folgten keiner linearen Logik, sondern bildeten gleichzeitig und im Wechsel Teile des Integrationsprozesses, so Prof. Dr. Treibel. Das Seminar thematisierte außerdem, dass Migranten häufig auch nach Jahren noch als „fremd“ betrachtet werden. Dies könne dazu führen, dass nachfolgende Generationen Rückhalt in der Kultur ihrer Vorfahren suchen. Der anschließende Kaffee lud zum Erfahrungsaustausch ein.

Freitag, 22.03.2019

Beim Runden Tisch mit Akademikern zum Thema „Rat für Migration“ berichtete Prof. Dr. Treibel über ihre Arbeit in besagtem Rat. Neben Aufbau und Inhalten ging Prof. Dr. Treibel dabei auch auf Herausforderungen und Konflikte ein: Welche Rolle soll dieser tragen? Wie kann er sich Gehör verschaffen? Prof. Dr. Treibel sieht die Funktion des Rates vor allem in der kritischen Politikbegleitung. Gemeinsam mit den Teilnehmern wurde diskutiert, inwiefern der Rat für Migration nach deutschem Beispiel Anregungen für eine chilenische Umsetzung bieten und welche Rolle die Wissenschaft dabei tragen kann.

Am Nachmittag boten die KAS Chile und der Servicio Jesuita a Migrantes ein thematisch an die Veranstaltungsreihe anknüpfendes Seminar: Prof. Dr. Treibel lieferte Mitarbeitern verschiedener Organisationen für Migration staatlicher oder kirchlicher Trägerschaft mit ihrer Präsentation, Blickwinkel auf das Thema Integration und Gesellschaft, untermauert mit Beispielen mit Bezug zu religiösen und kulturellen Fragen der Integration. Parallelen zogen die Seminarteilnehmer beispielsweise im anschließenden Diskus zwischen sozial benachteiligten Deutschen und Chilenen, die Migration mit einer grundsätzlichen Abwehrhaltung begegnen, weil sie sich vom Staat vernachlässigt oder vergessen fühlen.

Montag, 25.03.2019

Weiter ging es nach Viña del Mar, wo in der Universität Andrés Bello eine große Konferenz für alle Interessierten stattfand. Außer Prof. Treibel, die u.a. Teiles ihres Buches „Integriert euch-ein Plädoyer für ein selbstbewusstes Einwanderungsland“ vorstellte, präsentierten der Leiter der Ausländerbehörde Chiles und die Gouverneurin Valparaísos, neue Migrationspolitiken.

Prof. Treibels Buch „Integriert euch“ kam 2015 inmitten der politischen Flüchtlingskrise auf den Markt, mit dem Ziel die Forschung der letzten 40 Jahre verständlich zu übermitteln. Aus der beispielhaften Überlegung Integrationskurse für alle anzubieten, wurde Prof. Treibel die Forderung nach Integrationskursen für Deutsche vorgeworfen. Dabei erfolgt die These, Integration als gesamtgesellschaftliches Projekt anzusehen, aus der trivialen Erkenntnis, dass Integration nur funktioniert, wenn das Gegenüber diese auch anerkennt. Des Weiteren machte Prof. Treibel die Erfahrung, dass positive, konstruktive Erfahrungen Journalisten und Menschen kaum interessierten, obwohl es davon viele gebe.

Sehr politisch präsentierte der Leiter der Ausländerbehörde anschließend das neue Migrationsgesetz, welches Migrationsflüsse regulieren und effizienter gestalten soll. Die Gouverneurin der Region Valparaíso sprach von der Herausforderung, die die Migrantenströme mit sich bringen und den mangelnden Ressourcen, um den Menschen aus den teilweise prekären Verhältnissen heraus zu helfen. Die anschließenden Fragen und Kommentare aus dem Publikum sorgten für eine dynamische Diskussion.

Am selben Nachmittag fand außerdem ein Seminar für Verwaltungsmitarbeiter des öffentlichen Dienstes und NGOs in der Universität statt. Sowohl verschiedene Beamte aus der Stadtverwaltung, als auch Akademiker der Universitäten nahmen an dem Seminar teil, das wieder aus einem Vortrag von Prof. Treibel und einem regen Erfahrungsaustausch bestand. Im Anschluss gab es viele Fragen; so erzählte eine Professorin für Migrationsrecht, dass viele ihrer Studenten glaubten, dass 20% der Bevölkerung Chiles aus Migranten bestehen würde, eine Wahrnehmung, die der Realität, mit nur knapp 7%, nicht entspricht. Prof. Treibel äußerte daraufhin, dass der gesellschaftliche Wandel oftmals auf Migrationseinflüsse zurückgeführt wird, wobei der technologische Fortschritt und die Entwicklung des Internets und der Sozialen Medien zusammen mit dem Generationenwandel, wahrscheinlich vielmehr zur Veränderung der Gesellschaft beiträgt.

Mittwoch, 27. März 2019

In Antofagasta, der letzten Station der Veranstaltungsreihe, fand in Kooperation mit dem Servicio Jesuita a Migrantes (SJM) die letzte öffentliche Konferenz zu den Themen Migration und Integration statt. Redner waren außer Prof. Treibel, Dr. Marcelo Lufin, Professor für Raumordnung und Leiter des „Beobachtungszentrums für Migranten“, sowie Mónica Mayorga von der Gemeinschaft für Kolumbianer mit Wohnsitz in Antofagasta, sowie Conchita de la Corte, Leiterin des SJM in Antofagasta.

Anhand der langjährigen Erfahrungen der Professorin Treibel, ließen sich viele Vergleiche zur Situation in Chile ziehen. So gibt es Ähnlichkeiten bei der öffentlichen Wahrnehmung von Migration. Doch während die Ablehnung von Migranten heute in Chile eher rassistisch geprägt ist, ist sie es in Deutschland eher religiös. Anders als in Chile würden sich Machtverhältnisse in Deutschland bereits verändern, viele Migranten befinden sich in der Mittelschicht und ihren Einfluss geltend machen. Nach dem Einblick in die Situation Deutschlands, begann die Diskussionsrunde mit vielen Fragen seitens Prof. Treibels und des Publikums: Chile wird vermehrt Einwanderungsland für Venezolaner, Kolumbianer und Haitianer. Sind die europäischen Einwanderer von damals Außenseiter? Und wo stehen etwa die Haitianer? Sind sie Außenseiter oder noch weiter außen? Prof. Treibel war sehr gespannt und neugierig von den anderen Erfahrungen und Projekten aus Antofagasta zu hören. In Chile gebe es natürlich Außenseiter, die Diskriminierung und Rassismus ausgesetzt sind, so Mónica Mayorga. Auch die Nationalität spiele eine Rolle- nicht nur die Haut- oder Haarfarbe. Chile müsse sich auf mehr Migration einstellen, erklärte Dr. Lufin. Viele der Migranten hätten Schwierigkeiten ein Arbeitsvisum zu erhalten, und arbeiten daher vermehrt im Handel, in Restaurants, Hotels oder zum Beispiel als Taxifahrer.

Am Nachmittag konnte man die Diskussion fortsetzen, da viele Teilnehmer für das anschließende Seminar geblieben waren. Gemeinsam mit dem Servicio Jesuita a Migrantes (SJM), führte man das letzte Seminar für Verwaltungsmitarbeiter des öffentlichen Diensts zum Thema Migration durch. Nach der Präsentation von Prof. Treibel, erklärte Claudia León, vom SJM, die 4 Pfeiler auf dem Weg zu mehr Interkulturalität: Ehrenamt, Kontinuität, Soziale Netzwerke und Reflexion.

Bei den Fragen und Kommentaren stellte man fest, dass es ähnlich wie in Deutschland, an Kommunikation und Informationen mangelt, und dass es oft sehr lange dauere bis Anträge der Migranten bearbeitet würden. Dennoch war man motiviert effizienter zu arbeiten, mehr Gesprächsrunden zu organisieren und außerdem stärker mit der Akademie in Verbindung zu treten.

Die Veranstaltung bildete den Abschluss für eine Woche des interkulturellen Austauschs rund um das Thema Integration, der neben einigen deutsch-chilenischen Gemeinsamkeiten ebenfalls Unterschiede ans Licht brachte und somit Impulse für ein tieferes und gleichzeitig vielfältiges Verständnis des Themas auf beiden Seiten bewirkte.

Die KAS Chile bedankt sich bei allen Teilnehmern und Mitwirkenden und vor allem bei Prof. Dr. Treibel für diese spannende Seminarreihe, die zum gemeinsamen Nachdenken und einer Fortführung der Zusammenarbeit einlud.

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Conferencia Antofagasta
Seminario Antofagasta para funcionarios del servicio público e ONGs
Conferencia Viña del Mar (Annette Treibel, Alvaro Bellolio, María de la Paz)
Conferencia Viña del Mar (Rodrigo Cortes, Gerald Pugh, Annette Treibel, Annika Hermann)
Seminario Viña del Mar para funcionarios del servicio público e ONGs

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