Veranstaltungsberichte
Das deutsche Recht nimmt in Asien eine besondere Stellung ein. Es wurde von vielen Staaten rezipiert, es dient als Grundlage und Vorbild zahlreicher Rechtsordnungen. Daher studieren asiatische Juristen vorzugsweise an deutsche Universitäten. Am vergangenen Wochenende kamen rund vierzig deutschsprachige Rechtswissenschaftler aus Ost- und Südostasien sowie aus Deutschland zusammen, um drei Tage lang über Privatautonomie zu diskutieren.
Privatautonomie ist die Befugnis des Einzelnen, seine Rechtsverhältnisse im Rahmen der Rechtsordnung selber zu gestalten. Dieses Prinzip ist fundamentale Grundlage vieler Rechtssysteme. Die Idealsituation, dass sich zwei gleichberechtigte Parteien gegenüberstehen, ist nur selten gegeben. In der Regel dominiert eine Seite und es besteht die Gefahr der Fremdbestimmung und Vorteilsnahme. Diese Problematik erstreckt sich auf zahlreiche Bereiche, wie beispielsweise das Arbeitsrecht, den Verbraucherschutz, die Wirtschaftsordnung oder den Datenschutz.
Die Konrad-Adenauer-Stiftung Peking unterstützte die vom Chinesisch-Deutschen Institut für Rechtswissenschaften an der China-Universität für Politik und Recht organisierte Konferenz „Privatautonomie – Aufgaben und Grenzen“. Bereits zum zweiten Mal trafen sich – dieses Mal auf Initiative von Prof. Marco Haase und Prof. Xie Libin – die in Deutschland ausgebildeten Rechtswissenschaftler, um sich über grundlegende rechtliche Fragen wie die Aufgaben und Grenzen der Privatautonomie, auszutauschen.
Eingeleitet wurde die Tagung durch einen Vortrag von Prof. Shin Yu-Cheol (Südkorea) zur Entstehung und Entwicklung der Privatautonomie. Seinen Ursprung hatte die Idee der Autonomie im alten Griechenland. Auch im römischen Reich war Privatautonomie Teil der Staats- und Rechtsordnung. Nachdem die Selbstbestimmung der Menschen im Mittelalter durch den Glauben an die Abhängigkeit der Gnade Gottes nicht vorhanden war, entstand während der Renaissance mit der Anerkennung der Würde des Menschen eine Neuentdeckung der Privatautonomie. In der Naturrechtslehre wurden dem Menschen aufgrund seiner Vernunft, Selbstbestimmungsrechte zugesprochen. Nach der Lehre des Rechtsgelehrten Savigny ist die Privatautonomie fundamentales Prinzip der Rechtsordnung. Der freie, selbstverantwortliche Bürger ist heute noch Leitbild des deutschen Rechtssystems. Diese grundlegende Einführung in die Rechtsentwicklung machte Probleme bei der Rezeption deutlich: über Jahrhunderte entwickelte Rechtsideen, wie die Privatautonomie, in einem Kulturkreis zu übernehmen, der auf einer anderen Tradition basiert, birgt viele Herausforderungen. Gleich mehrere der asiatischen Professoren, die eine asiatische und deutsche rechtswissenschaftliche Ausbildung genossen hatten, kritisierten Übersetzungsfehler bei der Rezeption, weil es zum Teil keine entsprechenden Begriffe gäbe. Betont wurde, dass daher nicht nur die möglichst präzise Übersetzung, sondern auch die exakte Definition der Begrifflichkeiten bedeutend sei.
Nach dieser substanziellen Debatte über die Entwicklung der Privatautonomie stellte Prof. Uwe Blaurock (Deutschland) die individuelle Freiheit in der Wirtschaftsordnung vor. Staatliches Eingreifen sei zur Schaffung „allgemeiner Spielregeln“ und zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben notwendig, solle aber darauf beschränkt bleiben, eine soziale Marktwirtschaft zu ermöglichen. Es folgten Vorträge über Privatautonomie im japanischen, thailändischen, vietnamesischen und indonesischen Rechtssystem. Dr. Shen Jianfang (VR China) stellte den Tagungsteilnehmern das chinesische Arbeitsrecht vor und beschrieb die Grenzen der Privatautonomie. In Arbeitsverträgen habe der Arbeitnehmer zumeist eine schwächere Position als der Arbeitgeber und bedürfe daher gesetzlichen Schutzes durch Beschränkung der Privatautonomie, z.B. in den Bereichen Arbeitslohn, Arbeitszeit und Arbeitsbedingungen.
Neben privatrechtlichen Aspekten der Privatautonomie wurden auch verfassungsrechtliche Fragestellungen thematisiert. Prof. Go Koyama (Japan) hielt einen rechtsvergleichenden Vortrag über Privatautonomie in der japanischen und deutschen Verfassung. In Japan seien Interventionen in Vertragsinhalte – durch das Recht auf ein gesundes und kultiviertes Leben – deutlich häufiger gerechtfertigt, als es in Deutschland der Fall sei. Prof. Thomas Schmitz (Vietnam) stellte die grundrechtlichen Grenzen der Privatautonomie in Deutschland vor. Verfassungsrechtlich gehe es darum, die wirtschaftliche Handlungsfähigkeit des Bürgers zu sichern, damit er seine Privatautonomie auch in Zukunft ausüben könne. Die Gefahr liege nicht in der Freiheit selber, sondern in ihrer missbräuchlichen Ausnutzung.
Die in deutscher Sprache durchgeführte Tagung fand überaus positiv Resonanz. Den offenen, kritischen Austausch empfanden allen Teilnehmern als bereichernd und inspirierend. Die konzisen Vorträge wurden durch lebhafte Diskussion und kontroverse Debatten begleitet. Der große Erfolg der Tagung soll in folgenden Veranstaltungen und Publikationen fortgeführt werden.