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Der Iran und die Türkei

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„Der Iran und die Türkei sind wie ein eng tanzendes Paar, das den Atem des anderen im Nacken spürt, aber den giftigen Dolch im Gewand trägt.“ Diese bildhafte Beschreibung der bilateralen Beziehungen zwischen beiden Ländern – von einem türkischen Professor für Internationale Beziehungen vorgetragen – macht die zwei Seiten der Beziehungen deutlich: dynamische Bewegung auf der einen und unterschwellige Bedrohung auf der anderen.

Immerhin hat es seit 377 Jahren zwischen dem Iran und der Türkei keinen Krieg mehr gegeben, und die rund 500 Kilometer lange Grenze zwischen beiden Ländern blieb unverändert. Am 16. Mai 1639 hatte der Friedensvertrag von Qazr-e Shirin zwischen dem Osmanischen Reich und dem persischen Safawidenreich eine lange Epoche kriegerischer Auseinandersetzungen beendet. Der Vertrag sicherte den letztlich siegreichen Osmanen die Kontrolle über Mesopotamien zu, die sie erst nach dem Ersten Weltkrieg wieder verloren.

Auch nach der Gründung der Türkischen Republik im Jahr 1923 entwickelte sich das Verhältnis zum Iran eher positiv. Beide Länder beschritten bei der forcierten gesellschaftlichen Modernisierung ähnliche Wege. Doch während der Schah vor einer Latinisierung der arabisch-persischen Schrift zurückschreckte, ging Mustafa Kemal Pascha (Atatürk) bei seiner Schriftreform genau diesen Weg. Die kemalistischen Reformen kamen daher in viel stärkerem Maße einem Kulturbruch gleich, da weite Bevölkerungsschichten die osmanische Literatur nach der Durchsetzung der Schriftreform nicht mehr lesen konnten.

Infolge der Islamischen Revolution im Iran 1979 vertieften sich die Gegensätze zwischen beiden Staaten dann noch mehr. Während die Türkei sich als Mitglied der NATO und des Europarats weiterhin als prowestlich verstand, wandte sich die Islamische Republik radikal vom Westen ab. Die 444-tägige Besetzung der US-Botschaft in Teheran zementierte diesen Bruch nicht nur mit den Vereinigten Staaten bis heute. Das „Modell Türkei“ und das „Modell Iran“ waren für rund zwei Jahrzehnte entsprechende Typisierungen der weit auseinandergehenden gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Entwicklungen beider Länder.

Mit der zunehmenden Stärke der islamisch-politischen Bewegung in der Türkei unter Necmettin Erbakan und seiner 1991 erstmals ins türkische Parlament gewählten Refah Partisi („Wohlfahrtspartei“) erhielten die iranisch-türkischen Beziehungen eine spezifisch islamische Konnotation. Als Ministerpräsident reiste Erbakan 1996 nach Teheran und initiierte das

„D8“ genannte Bündnis von mehrheitlich islamischen Ländern – unter Einschluss des Iran –, das am 15. Juni 1997 aus der Taufe gehoben wurde.

 

Postmoderner Coup

Kurz darauf mussten Erbakan und seine Regierung infolge des sogenannten „postmodernen Coups“, eines Memorandums des Nationalen Sicherheitsrates vom 28. Februar 1997, zurücktreten. Ziel des Memorandums war, der als Abkehr von den kemalistischen Prinzipien empfundenen Politik Erbakans einen Riegel vorzuschieben. Der Hintergrund für das massive Eingreifen der Armee gegen die Politik Erbakans und seiner Refah-Partei hatte zumindest ansatzweise auch eine außenpolitische Konnotation und betraf insbesondere Verbindungen der türkischen Islamisten mit dem Iran.

Denn der islamistische Bürgermeister der Stadt Sincan – in der Nähe der Hauptstadt Ankara – hatte am 31. Januar 1997 den iranischen Botschafter anlässlich der geplanten Feiern zum anti-israelischen „Jerusalem-Tag“ eingeladen. Der Veranstaltungsort war mit Propagandamaterial der eng mit dem Iran verbündeten palästinensischen Hamas und der libanesischen Hisbollah ausgestattet. Die türkische Armee, die sich Israel eng verbunden fühlte, sah dies als offene Provokation an und entsandte Dutzende Panzer als Machtdemonstration gegen die Islamisten nach Sincan. Die Bilder der rollenden Panzer erschütterten nicht nur die Stadt Sincan, sondern die gesamte Türkei, insbesondere die türkische Regierung. Sicherlich waren die von der kemalistisch geprägten militärischen und politischen Elite als Provokation gegen den säkularen und pro-westlichen Staat empfundenen Ereignisse von Sincan nur eine kleine Episode, aber erstmals hatte die Verbindung der islamischen Bewegung in der Türkei zum Iran offensichtliche politische Konsequenzen. Ende Februar 1997 zogen beide Länder ihre Botschafter ab und manifestierten damit die tiefe Krise zwischen beiden Staaten.

 

Sonderweg in der Atompolitik – Gegner im Syrienkrieg

Auch der „zweite Frühling“ des politischen Islam in der Türkei nach dem überraschenden Wahlerfolg der AKP (Adalet ve Kalkınma Partisi, „Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung“) im August 2002 führte zu einer Annäherung an die Islamische Republik Iran. Die aus der abgewählten alten Elite stammenden innenpolitischen Gegner der AKP, die der Partei von Anfang an eine „geheime Agenda“ zur Abschaffung des kemalistisch-laizistischen Systems unterstellt hatten, fühlten sich in ihren Sorgen bestätigt. Der Besuch des Ministerpräsidenten Erdoğan im Juli 2004 im Iran weckte bei politischen Beobachtern Erinnerungen an das bereits von Erbakan angestrebte Sonderverhältnis. Die Ankündigung und in den folgenden Jahren auch Durchsetzung einer erheblichen Ausweitung der Wirtschaftsbeziehungen unter Erdoğan widersprach der im Westen gegen das iranische Atomprogramm gerichteten Sanktionspolitik. Der türkische Sonderweg in der Iranpolitik der AKP-Regierung wurde umso deutlicher, als Ankara am 17. Mai 2010 gemeinsam mit Brasilien und Iran die „Teheraner Atom-Erklärung“ bekanntgab, die zu einer Ausfuhr leicht angereicherten Urans im Tausch gegen angereicherten Brennstoff für einen iranischen Forschungsreaktor führen sollte. Der massive Widerstand der USA, die im UN-Sicherheitsrat für eine Verschärfung der anti-iranischen Sanktionen eintraten, verhinderte die Umsetzung dieses Abkommens.

Die beiden nichtarabischen Staaten Iran und Türkei wurden von den arabischen Umbrüchen genauso überrascht wie der Rest der Weltgemeinschaft. In beiden Ländern wurden diese Umbrüche eher begrüßt. Von Anfang an war der Tonfall jedoch unterschiedlich: Während im Iran vom religiösen Führer Chamenei „das islamische Erwachen“ in der arabischen Welt gefeiert wurde, setzte sich Ministerpräsident Erdoğan gegenüber den Muslimbrüdern in Ägypten, denen sich die AKP bis heute verbunden fühlt, für eine demokratische Transformation ein. Doch erst die aufflammende Gewalt in Syrien, die in den letzten fünf Jahren immer stärkere sektiererische Formen annahm und in einen sunnitisch-schiitischen Religionskrieg mündete, führte zu einer fast an einen Stellvertreterkrieg erinnernden Konfrontation zwischen beiden Ländern. Während der Iran sich an der Seite Russlands unbeirrt hinter das Assad-Regime stellt und schiitische Milizen in Syrien unterstützt, hat die Türkei den Sturz des Regimes auf ihre Agenda gesetzt und stattet die gegnerischen Milizen mit finanziellen und militärischen Mitteln aus.

Die Gefahr einer Eskalation ist zwar nicht gebannt, aber beide Länder haben kein Interesse an einer anhaltenden oder gar direkten Konfrontation. Signale der Annäherung sind immer wieder vernehmbar. So bot Ankara am 5. Januar 2016 seine Vermittlung im Streit zwischen Teheran und Riad an, als Saudi-Arabien den schiitischen Prediger Nimr Al-Nimr hingerichtet hatte und gegenseitige Drohungen eskalierten. Doch eine türkische Mediatoren-Rolle ist nur begrenzt vorstellbar, da sich die Türkei letztlich der von Saudi-Arabien geführten Allianz gegen den Terror in Syrien angeschlossen hat, die auch eine anti-iranische Hebelwirkung entfalten soll. Der Streit der arabisch-sunnitischen Staaten mit dem Iran und die Abwehr iranischer Einflussnahme in Staaten mit schiitischen Bevölkerungsgruppen ist für die Türkei regional- und machtpolitisch wohl mindestens eine Hausnummer zu groß. Ankara ist sehr damit beschäftigt, das bilaterale Verhältnis möglichst auszubalancieren, um es nicht völlig aus dem Takt geraten zu lassen. Die gefährliche Eskalation in den türkisch-russischen Beziehungen nach dem Abschuss des russischen Kampfjets stellt die türkische Selbstperzeption als Regionalmacht infrage und zeigt dem Land und seiner aktiven Außen- und Sicherheitspolitik deutlich rote Linien auf. Iran könnte leicht die aktuelle Verletzbarkeit der Türkei in der Syrienkrise ausnutzen. Das iranische Bündnis mit den syrischen Kurden, mit Assad und Russland, insbesondere aber auch die enge iranische Allianz mit dem schiitisch dominierten Irak – in der aktuellen Syrienkrise ist diese Front für die Türkei extrem herausfordernd. Vor allem, da Ankara den Krieg gegen die terroristische PKK (Partiya Karkerên Kurdistan, „Arbeiterpartei Kurdistans“) seit Monaten an der Heimatfront führt und trotz der regelmäßigen völkerrechtswidrigen Angriffe auf irakisches und syrisches Territorium keine nachhaltigen Erfolge im Anti-Terrorkampf erzielt. Auf die Kooperation mit dem Iran kann die Türkei bei diesem Kampf auf absehbare Zeit nicht mehr setzen, selbst wenn der Iran mit dem iranischen PKK-Ableger PJAK (Partiya Jiyana Azad a Kurdistanê, „Partei für ein Freies Leben in Kurdistan“) selbst ein kurdisches Problem hat.

Somit scheint das Gebot der Stunde „Schadensbegrenzung“ zu lauten, und es ist wenig Raum für große politische Entwürfe zur weiteren Ausgestaltung der bilateralen Beziehungen vorhanden. Nach dem Atomabkommen mit dem Iran will die türkische Wirtschaft aber nicht aufgrund außenpolitischer Divergenzen bei der Aufteilung des iranischen Marktes hintanstehen. Gerade bei dem Ausbau der wirtschaftlichen Beziehungen ist auf beiden Seiten von einem großen Pragmatismus auszugehen. Die Ausfuhren aus dem Iran in die Türkei sind heute fünfmal größer als die türkischen Exporte in den Iran. Diese Asymmetrie im Außenhandel ist durch den hohen Anteil von Energielieferungen aus dem Iran begründet, der weltweit die viertgrößten Ölreserven kontrolliert. Anders als im Irak, wo die türkische Regierung die Kurden im Ölgeschäft ausnutzt und gegen die Zentralregierung in Stellung bringt, wird sie im Iran nur durch politisches Wohlverhalten zum Zuge kommen.

 

Oliver Ernst, geboren 1967 in Duisburg, Politikwissenschaftler und Publizist, Länderreferent für Türkei, Iran, Israel und die Palästinensischen Gebiete im Team Naher Osten und Nordafrika, Hauptabteilung Europäische und Internationale Zusammenarbeit, Konrad-Adenauer-Stiftung.

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