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Ralph Brinkhaus, Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, über parteipolitische Perspektiven des Jahres 2019

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2018 war ein schwieriges Jahr für die CDU, das sie jedoch mit Impulsen der Erneuerung abgeschlossen hat: mit Ihrer Wahl zum Fraktionsvorsitzenden, dem Dreikampf um den Bundesvorsitz beispielsweise. Wie blicken Sie aus parteipolitischer Sicht auf das Jahr 2019?

Ralph Brinkhaus: Zunächst ein Blick zurück: 2018 gab es einen schwierigen Anfang mit den Regierungsgesprächen, eine enorm schwierige Jahresmitte mit dem Konflikt zwischen CDU und CSU. Aber danach hat es sich für die CDU gut gefügt, auch im Verhältnis zur CSU. Ich war viel in Bayern unterwegs, zum Beispiel bei der Klausurtagung der CSU-Landtagsfraktion in Kloster Banz. Annegret Kramp-Karrenbauer war unter anderem bei der CSU-Landesgruppe im Bundestag auf deren Klausurtagung in Kloster Seeon.

Weil wir eine sehr schwierige Strecke hinter uns gelassen haben, wird es jetzt positiv weitergehen. Ich bin optimistisch, dass wir ein besseres Europawahlergebnis erzielen werden, als das noch vor einigen Wochen für möglich gehalten wurde. Für den Wahlkampf gibt es eine gute Mischung, weil wir uns einerseits personell neu ausgerichtet haben, uns andererseits aber auch auf die Erfahrung bewährter Persönlichkeiten, vor allem die der Bundeskanzlerin, stützen. Wir haben mit Manfred Weber auch einen exzellenten Spitzenkandidaten.

Bei den Landtagswahlen in den neuen Ländern müssen wir ganz besonders hart kämpfen. Aber auch dort sind wir personell gut aufgestellt und müssen einfach eine überzeugende Politik machen. Dabei rate ich dazu – und das gilt nicht nur für die Landtagswahlen, sondern auch für die Europawahl –, den Blick nicht auf andere Parteien zu richten, sondern unser „eigenes Ding“ zu machen.

Die Bundespartei hat einen von den meisten als fair und spannend erlebten Wettbewerb um den Vorsitz ausgetragen. Der neue Generalsekretär räumt aber ein, dass es nach der knappen Entscheidung „sehr, sehr viele Enttäuschte“ gibt – unter den Delegierten wie auch an der Basis. War die Enttäuschung nur eine momentane oder muss man an ihrer Überwindung arbeiten?

Ralph Brinkhaus: Wer verliert, ist natürlich enttäuscht. Wäre man es nicht, hätte man nicht mit genügend Herzblut gekämpft. Insofern ist das eine normale Reaktion. Insgesamt erlebe ich aber eine große Zufriedenheit darüber, dass es eine Auswahl gab und wie diese intensive Debatte geführt worden ist. Diese Erfahrung überträgt sich in die Partei hinein, weil jetzt alle wissen, dass es nicht nur einen personellen Neuaufbruch gibt.

Die Partei wird sich auch bei den Verfahren neu aufstellen – also mehr Partizipation und mehr Öffnung hin zu den Mitgliedern.

Risse sehen Sie nicht – etwa zwischen liberal und konservativ?

Ralph Brinkhaus: Nein, Risse sehe ich nicht, im Gegenteil. Mit den beiden unterlegenen Kandidaten Friedrich Merz und Jens Spahn sind Themen auf die Agenda gekommen, die jetzt gemeinsam diskutiert werden.

In der Partei sprechen wir beispielsweise mehr über Wirtschaft, über Sicherheit, vielleicht auch mehr über Werte. Wir ziehen auch Bilanz, wo wir in der Migrations- und Ausländerpolitik stehen.

Sie haben bereits in Ihrer Parteitagsrede eine Rückkehr zur Sacharbeit in Partei und Fraktion angemahnt. Trotzdem spricht man viel über Personen und Ämter, über mögliche Ministerposten, über den Zugriff zur Kanzlerinnennachfolge. Hatten Sie es vorausgeahnt?

Ralph Brinkhaus: Mich hat betrübt, dass sich die Debatte lange auf einzelne Personen fokussiert hat. Unsere Partei besteht nicht nur aus Annegret Kramp-Karrenbauer und Friedrich Merz. Für alle Politikbereiche und auf allen Ebenen haben wir gute Leute. Insofern war es ein bisschen frustrierend, dass lange immer nur über zwei Personen geredet wurde.

Ich würde mich freuen, wenn wir an den Punkt kommen würden, wo wir sagen: Der Star ist die Partei. Genauso, wie ich sage: Der Star ist die Fraktion.

Die Bundespartei, die CDU/CSU-Fraktion, die CSU-Landesgruppe – sie alle haben angekündigt, ihr eigenes Profil zu schärfen. Wird das Regieren dadurch nicht noch schwieriger, als es in der Regierungskoalition eines föderalen Staates ohnehin schon ist?

Ralph Brinkhaus: Das ist eine sehr gute Frage, weil sie mir die Gelegenheit gibt, auf etwas Grundsätzliches hinzuweisen: Man sollte ein eigenes Profil haben und den Wählerinnen und Wählern auch immer wieder verdeutlichen, was man tun würde, wenn man allein an der Regierung wäre. Auf der anderen Seite ist es aber so, dass die Zeiten absoluter Mehrheiten im Bund seit 1961 vorbei sind und man zum Regieren Koalitionspartner braucht. Mit diesem muss man Kompromisse eingehen. Aber niemand muss dafür seine Seele verkaufen und seine Positionen aufgeben.

Momentan gefällt mir überhaupt nicht, dass der politische Kompromiss, der aus einer klaren Positionierung heraus geschlossen wird, so gering geschätzt wird.

Das Herausstellen von Profilen ist also kein Gegensatz zum effektiven Regieren?

Ralph Brinkhaus: Überhaupt nicht.

Der Streit zwischen CDU und CSU hat Sie, wie Sie sagen, „extrem angefasst“. Wie beschreiben Sie heute Ihre Gefühlslage mit Blick auf die Union als Ganze? Und was können Sie als Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu diesem Zusammenhalt beitragen?

Ralph Brinkhaus: Ich bin nicht allein Vorsitzender der CDU-Bundestagsabgeordneten, sondern der Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU. Das versuche ich zu leben. Es geht darum, diese Gemeinschaft immer wieder herauszustellen, denn sie hat uns in siebzig Jahren Bundesrepublik stark gemacht. Ich bin der tiefen Überzeugung – und deswegen hat mich das so „angefasst“ –, dass wir getrennt nie wieder die gleichen Gestaltungsmöglichkeiten haben würden und nie wieder eine so gute Politik machen könnten, wie wir es gemeinsam geschafft haben.

Es ist essenziell, dass CDU und CSU zusammenstehen. Nicht nur Seeon war ein guter Anfang, ich verstehe mich beispielsweise gut mit Alexander Dobrindt und Markus Söder. Übrigens ist es fachlich unter den Kollegen von CDU und CSU auch im letzten Jahr gut gelaufen.

Zu Jahresbeginn waren die Zeitungen voller Szenarien, wie es mit der Großen Koalition weitergeht. Die Fortführung bis ans Ende der Legislaturperiode galt nicht als die wahrscheinlichste Option. Warum sind Sie sicher, dass es anders kommt?

Ralph Brinkhaus: Zunächst einmal wollen wir über die volle Länge – bis 2021 – gute Politik machen. Zwar hatten wir bei der Bundestagswahl 2017 kein zufriedenstellendes Ergebnis, aber wir wurden die größte Fraktion und haben den Auftrag bekommen, eine Regierung für vier Jahre zu führen. Und diesen Auftrag müssen wir erfüllen. Deswegen muss es unser und der Plan der SPD sein, diese vier Jahre nicht nur durchzuhalten, sondern sie im Interesse der Bürgerinnen und Bürger auch gut zu gestalten. Schließlich ist überhaupt nichts davon zu halten, die Menschen so lange neu wählen zu lassen, bis es den Politikern passt.

Über alle bevorstehenden schwierigen Wahlen und Halbzeitevaluierungen hinweg?

Ralph Brinkhaus: Die Sacharbeit ist in der Koalition gut angelaufen. Wir haben etwa bis Dezember enorm viel geliefert, und das wollen wir weiterhin tun. Wir wollen das Leben der Menschen Stück für Stück besser machen. Insofern sollte man uns auch an unserer Sacharbeit messen.

Die Koalition und die Union haben sich 2018 viel mit sich selbst beschäftigt. Entsprechend richten Sie den Blick wieder auf den politischen Gegner und raten zum „Gegenpressing“. Was und vor allem wen meinen Sie damit?

Ralph Brinkhaus: Gegenpressing bedeutet im Fußball, den Ball möglichst schnell zurückzugewinnen, wenn er in den Reihen der Gegner ist. Es geht darum, selbst das Spiel zu machen. Das heißt, wir wollen die Initiative in der Hand haben und die Themen setzen.

… und das wären beispielsweise?

Ralph Brinkhaus: Im Mittelpunkt steht, das Leben der Menschen in der Mitte der Gesellschaft zu verbessern, uns mehr auf die Themen der Mitte zu fokussieren, als das in der Vergangenheit der Fall war: Wohnen, Pflege, Mobilität, aber insbesondere auch die Innere Sicherheit. Es geht nicht allein um Einbruch in mein Haus, sondern auch um das Knacken von Accounts. Insofern wird Cybersicherheit ein Schwerpunkt sein. Die Menschen wollen wissen, wie das Land morgen aussieht. Im Bereich Innovation und Technologie müssen wir sehr viel Gas geben.

Ich hatte Sie so verstanden, dass es beim Gegenpressing auch um eine Antwort auf die populistische Debattenführung geht.

Ralph Brinkhaus: Ja, das betrifft selbstverständlich auch das Thema Zusammenhalt der Gesellschaft. Und dabei stellt sich die Frage: Fördert die Art und Weise, wie momentan der politische Diskurs erfolgt, eine konsensuale Gesellschaft? Ich würde sagen, dass wir eine gegenläufige Entwicklung haben. Bei allem Streit um die Sache muss man auch immer respektvoll und achtsam mit dem politischen Gegner umgehen, weil es um einen Streit der Argumente geht und nicht darum, dass man sich für moralisch besser hält als den anderen.

In einem Aufsatz schreiben Sie: „Das Vertrauen in die Politik ist erschüttert. Bürger fühlen sich nicht mehr respektiert.“ Manche wollen „nichts mehr von einem Politiker hören“. Ist das nicht eine Analyse, die eine Volkspartei in ihrem Selbstbewusstsein aufrütteln müsste?

Ralph Brinkhaus: Diese Erkenntnis hat dazu geführt, dass wir einiges umstellen, und dementsprechend sind wir optimistisch, dass das künftig in die andere Richtung läuft.

Was heißt es, „das Land aus der Mitte heraus zu denken“?

Ralph Brinkhaus: Ich formuliere es mal so: Der Charakter einer Gesellschaft zeigt sich daran, wie gut sie mit Randgruppen und Minderheiten umgeht. Trotzdem müssen wir die Mitte der Gesellschaft wieder mehr in den Fokus rücken. Das sind die Leute, die morgens früh aufstehen, ihre Kinder zur Schule bringen, arbeiten gehen und gegebenenfalls abends ein Ehrenamt ausfüllen. Diese Menschen haben im politischen Diskurs zuletzt relativ wenig stattgefunden.

Im Wahlkreis werde ich beispielsweise gefragt: Wie geht es in der Diesel-Frage weiter? Was ist mit der Pflege- und der Gesundheitsversorgung? Frühkindliche Bildung, Kita-Plätze bis zur Qualität der Grundschulen, G8und G9-Abitur, berufliche Ausbildung – auch das sind die Themen, die die Menschen bewegen. Wir müssen die politische Flughöhe von 10.000 Metern verlassen, in der wir große Grundsatzdebatten führen über Dinge, die die Menschen vielleicht nicht ganz so interessieren.

Sie trauen sich viel zu, die Mitte in einer „granularen Gesellschaft“ finden zu wollen …

Ralph Brinkhaus: Wichtig ist, dass wir der Versuchung widerstehen, die Menschen selbst in granulare Schubladen zu stecken. Das wäre ein Fehler. Ich schaue dabei auch auf die eigene Partei, in der etwa gesagt wurde, wir müssten jetzt eine urbane Großstadtpartei werden.

In Würzburg bei einer Veranstaltung habe ich kürzlich gesagt: Die Unionsfamilie ist zuständig für die Menschen, die im Zentrum von Würzburg leben – die vielleicht andere Interessen haben als die Menschen, die im Steigerwald leben. Aber beide brauchen eine politische Heimat. Und die Volksparteien sind für beide da. Ich kann doch nicht sagen, es interessiert mich nicht, wer im Steigerwald lebt, und wer dort Diesel fährt, der hat Pech gehabt. Ich bin natürlich auch für die Fahrradfahrer in Würzburg zuständig, aber nicht allein. Sich auf Partikularinteressen zu konzentrieren, das können andere Parteien machen, aber nicht wir.

Unter dem Hashtag #Brinkhausunterwegs sind Sie aktuell auf einer „Zuhörtour“: Welche Themen nehmen Sie daraus konkret mit nach Berlin?

Ralph Brinkhaus: Ich war gleich zu Beginn des Jahres in der Lausitz. Dort haben die Menschen mir über ihre ganz konkreten Sorgen vor Ort berichtet. Was passiert mit unseren Arbeitsplätzen? Was passiert mit unserer Region? Da ist mein Standpunkt: Die Menschen im Braunkohletagebau, in den Kraftwerken oder bei den Zulieferern – die gehören auch zur Mitte der Gesellschaft. Und deswegen bleiben Umweltpolitik und das Erreichen der Klimaziele wichtig.

Aber auf der anderen Seite müssen wir auch immer sehen, was das für eine Region und die Menschen dort bedeutet. Wie kann ich sie auf den Weg zum Ziel mit an Bord nehmen, anstatt sie zu verlieren?

Was sagen Ihnen die Menschen zu Europa?

Ralph Brinkhaus: Die erste Reaktion ist meist, dass sie ansprechen, was alles in Brüssel schiefläuft. Im Verlauf der Diskussion stellt sich heraus, dass viele Leute durchaus ein Verständnis dafür haben, dass es sich um ein wichtiges politisches Projekt handelt und dass ihre Arbeitsplätze sehr stark vom europäischen Binnenmarkt abhängig sind. Die Menschen wissen auch zu gut, dass Deutschland in einem harten internationalen Wettbewerb steht, der zunehmend von China dominiert wird – einem Land mit einer Bevölkerung von 1,3 Milliarden und momentan sehr, sehr viel Geldreserven. Wenn man ihnen dann noch bewusst macht, dass es hingegen nur achtzig Millionen Deutsche gibt, dann sagen viele: Nein, auch deshalb brauchen wir ein gemeinsames Europa. Wir haben den Fehler gemacht, Europa auf Geldfragen zu reduzieren. Das hat sich bei den Menschen eingebrannt. Unsere Herausforderung bis zum Mai wird sein, den Menschen wieder zu vermitteln, dass Europa weit mehr ist als die Summe von vielen Rettungspaketen – und zwar in erster Linie ein Friedensprojekt. Europa garantiert unsere Sicherheit – übrigens auch im Inneren. Gegen viele Formen der Organisierten Kriminalität muss man europaweit vorgehen.

Europa wird 2019 den Schwerpunkt der Debatten in der Bundestagsfraktion bilden. Mit welchem Ziel?

Ralph Brinkhaus: Wir wollen mitmachen in Europa, weil wir den Auftrag haben, die Interessen des deutschen Volkes zu vertreten. In den letzten Jahren haben wir das besonders in Finanzfragen sehr ernst genommen, auch unterstützt durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Aber es gibt Luft nach oben, und das heißt: Nach Artikel 23 Grundgesetz können wir der Bundesregierung Handlungsmaximen für Verhandlungen in Brüssel mit auf den Weg geben; wir können eine Subsidiaritätsrüge aussprechen und haben auch die Möglichkeit einer umfassenderen Kontrolle, ob und wie bestimmte Dinge umgesetzt werden. Wir wollen bei der europäischen Legislative nicht erst dann dabei sein, wenn ein europäischer Rechtsakt abgeschlossen ist. Das heißt: Als Deutscher Bundestag werden wir uns künftig in der Frühphase der Entwicklung von Richtlinien und Verordnungen einbringen. Und zwar nicht als Bremser, sondern einfach gemäß unserem Auftrag, dass wir unser deutsches Interesse vertreten.

Gegenüber den finanzpolitischen Avancen Emmanuel Macrons gelten Sie als skeptisch …

Ralph Brinkhaus: Insofern sehr skeptisch, als wir in den europäischen Finanzen immer eine Gratwanderung haben: zwischen Solidarität, die in einer Gemeinschaft notwendig ist, einerseits. Andererseits darf Solidarität keine Einbahnstraße werden. Wir hatten jedoch den Eindruck: Die eine Seite gibt etwas, die andere bekommt etwas, hat aber keine Bereitschaft zur Beachtung bestimmter Konditionierungen. Wenn wir Europa auf einen reinen Umverteilungsmechanismus reduzieren, wird er Europa mittelfristig kaputtmachen, weil die Geberländer irgendwann keine Lust mehr haben, zu geben, und die Nehmerländer immer noch sagen, es ist nicht genug.

Ralph BrInkhaus, geboren 1968 in Rheda-Wiedenbrück, seit 2009 Mitglied des Deutschen Bundestages, seit September 2018 Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

Das Gespräch führte Bernd Löhmann am 8. Januar 2019.

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