„Greif nach den Sternen, aber mit beiden Füßen auf der Erde“, so hat Stefan W. Hell, Träger des Nobelpreisträgers für Chemie im Jahr 2014, sein Lebensmotto bezeichnet.1 Stefan W. Hell wurde in Rumänien geboren und kam als Heranwachsender nach Deutschland, er studierte und promovierte in Physik, unter anderem mithilfe eines Stipendiums der Konrad-Adenauer-Stiftung. Wer seinen wissenschaftlichen Weg kennt, der weiß, dass Stefan W. Hell an den Grundlagen für die Entwicklung der superauflösenden Fluoreszenzmikroskopie schon lange arbeitete und sich vom Mainstream der Wissenschaft in Deutschland nicht aufhalten ließ.
Sein Lebensmotto könnte über jeder Biografie stehen, die sich dem Ziel immer neuer Erkenntnis durch die Wissenschaft verschrieben hat. Eine vergleichbare Haltung erwartet die Konrad-Adenauer-Stiftung von ihren Stipendiatinnen und Stipendiaten in Studium und Promotion, wenn sie für die Auswahl der Bewerber die fachliche Leistungsfähigkeit als ein entscheidendes Kriterium anlegt. Doch auch ein vitales politisches Interesse und gesellschaftliches Engagement sind für eine politische Stiftung ebenso wichtige Auswahlkriterien, die helfen, das Bild der gesamten Persönlichkeit einzuschätzen. Da fragen nicht wenige: Wie geht das zusammen – wissenschaftliches Erkenntnisinteresse und politische Ziele? In Wissenschaftskreisen wird die Frage gestellt: Verbirgt sich hinter der Begabtenförderung einer politischen Stiftung nicht doch eine Kaderschmiede? Aus politischen Kreisen ist umgekehrt zu hören: Kümmert sich die Stiftung ausreichend um die politische Seite ihrer Stipendiaten?
Die Begabtenförderung der Konrad-Adenauer-Stiftung versteht sich jedoch weder als Kaderschmiede noch als reine Studien- und Wissenschaftsförderung, sie setzt vielmehr auf die produktive Spannung von individueller Förderung, die keinem politischen Zweck untergeordnet werden darf, und politischem Verantwortungsrahmen, der auch das Zurückstellen der individuellen Interessen in dem Sinne verlangen kann, wie es Konrad Adenauer formuliert hat: „Wir wollen Erziehung, aber nicht zu der Bereitwilligkeit, sich kontrollieren und führen zu lassen, sondern zu dem Willen und der Fähigkeit, sich als freier Mensch verantwortungsbewusst in das Ganze einzuordnen.“2
Doch wie steht es um die innere Verbindung zwischen dem Geist der Wissenschaft und den Anforderungen der Politik? Handelt es sich um zwei getrennte Welten? Oder kann die Verbindung beider Sphären für junge Menschen fruchtbar werden?
Forscherdrang und Gestaltungswille
Fast hundert Jahre ist es her, dass Max Weber kurz nach dem Ende des Ersten Weltkrieges zwei bemerkenswerte Vorträge hielt: „Wissenschaft als Beruf“ und „Politik als Beruf“. Den inneren Beruf zur Wissenschaft zeichnet nach Max Weber aus, dass der Wissenschaftler von Leidenschaft beseelt und zugleich von der richtigen „Eingebung“ abhängig ist. „Etwas wirklich ganz Vollkommenes“3 kann er heute nur in einem engen Spezialgebiet leisten. Der Erfolg der Wissenschaft führt, so Weber, jedoch zu ihrem Sinnproblem, denn „jede wissenschaftliche ‚Erfüllung‘ bedeutet neue ‚Fragen‘ und will ‚überboten‘ werden und veralten. […] Wir können nicht arbeiten, ohne zu hoffen, dass andere weiter kommen werden als wir. Prinzipiell geht dieser Fortschritt in das Unendliche.“4 Noch so viele praktisch anwendbare Erkenntnisse, noch so viel Methodenwissen entbinden nicht von der Einsicht, dass Wissenschaft selbst keine letzten Antworten geben – und im Übrigen auch keine konkrete Politik definieren – kann. Vielmehr kann sie lediglich „den Einzelnen nötigen, oder wenigstens ihm helfen, sich selbst Rechenschaft zu geben über den letzten Sinn seines eigenen Tuns“. Fragt man also nach der für den Beruf der Wissenschaft richtigen Haltung, so antwortet Max Weber: „schlichte intellektuelle Rechtschaffenheit“.
Auf die Frage, was den Politiker ausmacht, hat Max Weber eine Antwort gegeben, die berühmt wurde: „Die Politik bedeutet ein starkes, langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich.“5 Dabei ist mit Leidenschaft hier die „Hingabe an eine ‚Sache‘“ gemeint. „Denn mit der bloßen, als noch so echt empfundenen Leidenschaft ist es freilich nicht getan. Sie macht nicht zum Politiker, wenn sie nicht, als Dienst an einer ‚Sache‘, auch die Verantwortlichkeit gegenüber eben dieser Sache zum entscheidenden Leitstern des Handelns macht. Und dazu bedarf es […] des Augenmaßes, der Fähigkeit, die Realitäten mit innerer Sammlung und Ruhe auf sich wirken zu lassen: also der Distanz zu den Dingen und Menschen.“ Der Politiker muss seinen Grundsätzen treu bleiben und dennoch die möglichen Folgen seines Handelns vor jeder Entscheidung bedenken, er muss sich an der Gesinnungswie an der Verantwortungsethik orientieren.
Die Charakterisierungen des Politikers und des Wissenschaftlers durch Max Weber machen Unterschiede und Gemeinsamkeiten deutlich: Während der Wissenschaftler die schöpferische Überwindung seiner eigenen Erkenntnisse im Geist der unaufhörlich weiter fragenden Wissenschaft bejahen muss, bezieht sich der Politiker auf konkrete Ziele, die er mit Ausdauer und Macht erreichen will. Beide verbindet aber eine Haltung der Leidenschaft und der Sachlichkeit. Der Politiker darf nicht der Grundversuchung, eigenes Machtstreben mit der Sache zu verwechseln, erliegen. Der Wissenschaftler darf nicht die Darstellung der Sache seiner Gesinnung unterordnen. Beide müssen von ihrer Aufgabe ganz und gar getrieben sein und sich in den Dienst der Sache stellen.
Zwei Sphären, eine Verantwortung
Was also passiert, wenn junge Menschen gefördert werden, die nach wissenschaftlicher Erkenntnis streben und Gesellschaft gestalten wollen?
Ihnen wird erstens verdeutlicht, dass Wissenschaft und Politik zwei Sphären sind und ihre jeweils eigene Logik besitzen. Auch wenn es heute Gott sei Dank keine Wissenschaft mehr gibt, die sich wie im Marxismus-Leninismus mit einem politischen Programm verbindet, muss dies festgehalten werden. Zweitens aber bedürfen beide Sphären einander: Politik braucht Wissenschaft, da die komplexen gesellschaftlichen und ethischen Entscheidungen ohne wissenschaftliche Expertise nicht zu fällen wären. Wissenschaft braucht aber auch Politik für die richtigen Rahmenbedingungen in der Bildungs-, Forschungs- und Wirtschaftspolitik, ohne die wissenschaftliche Erkenntnisse wirkungslos blieben. Sie kämen weder zur Anwendung, noch könnte man sie an den Nachwuchs weitergeben. Drittens muss Politik Ergebnisse der Wissenschaft immer wieder auf ihre Übertragbarkeit auf die Gesellschaft und auf ihre Konsequenzen hin prüfen. Und viertens muss die Wissenschaft, müssen insbesondere die Sozialwissenschaften, die Politik unterstützen, sich auch strukturell weiterzuentwickeln. Wissenschaft und Politik als getrennte Sphären stehen also in einem produktiven Spannungsverhältnis, das nicht nur Systeme, sondern auch den Einzelnen weiterbringen kann. Konkret führen die handelnden Menschen die Logik beider Sphären zusammen, denn auch jeder Wissenschaftler, jeder Fachexperte ist Staatsbürger und verantwortlich für sein Tun. Deshalb ist zwar die Politik nicht sein Beruf, aber er muss für seinen Bereich Verantwortung übernehmen; das bedeutet zugleich, die Rahmenbedingungen mit in den Blick zu nehmen und damit politische Gestaltung zu seinem eigenen Anliegen zu machen.
Grundsätze und ihre Folgen
In der heutigen Generation der Studierenden ist es nötiger denn je, das politische Bewusstsein zu festigen. Nach den Ergebnissen des 12. Studierendensurveys6 ist das allgemeine politische Interesse bei den Studierenden von 46 Prozent 2001 auf 32 Prozent 2013 zurückgegangen. Waren 1993 noch zwei Drittel der Studierenden als entschiedene oder gefestigte Demokraten zu bezeichnen, so gilt dies heute nur noch für die Hälfte. Entsprechend ist die Gruppe der labilen oder distanzierten Demokraten von 31 auf 46 Prozent gestiegen. Während Gewaltverzicht und Demonstrationsrecht als demokratische Prinzipien immerhin noch über achtzig Prozent Zustimmung finden, stimmen nur noch fünfzig Prozent dem Prinzip der pluralistischen Interessenvertretung zu, und weniger als fünfzig Prozent billigen der Opposition eine kritische Kontrollfunktion zu. Entsprechend mager fällt die politische Mitwirkung an den Hochschulen aus: Immerhin vierzehn Prozent engagieren sich für die Fachschaftsarbeit, an politischen Studierendenvereinigungen nehmen nur knapp fünf Prozent teil. Diese Entwicklung ist besorgniserregend, und vielfältige Fragen ließen sich hier anschließen, nicht zuletzt die nach der politischen Bildung in der Schule.
Zweifellos können diese Zahlen – insbesondere nach einem Blick in die Geschichte – niemanden kalt lassen: Es war 1933 die Professorenschaft selbst, die die Gleichschaltung der Universitäten noch vor den spezifischen Anweisungen der Nationalsozialisten vollzogen hat. Die junge Bundesrepublik zog daraus die Konsequenz, die Elitenförderung durch die Begabtenförderwerke auf dem Boden des Grundgesetzes an die gesellschaftlichen Großgruppen – Kirchen, Parteien, Tarifpartner – anzuschließen. Ziel war und ist es, junge Menschen, die besondere Leistungen in ihren Studienfächern hervorbringen, auch in ihrer weltanschaulichen, politischen oder religiösen Überzeugung in einem demokratischen Rahmen zu stärken und sie zur Übernahme von Verantwortung zu befähigen, damit an der Spitze der Wissenschaft, aber auch von Unternehmen, Parteien oder kulturellen Einrichtungen Menschen stehen, die Verantwortung für das Ganze wahrnehmen. Von daher erschließt sich auch das Kriterium des gesellschaftlichen, politischen, sozialen oder religiösen Engagements, das für die Konrad-Adenauer-Stiftung eine unabdingbare Voraussetzung für die Aufnahme von Bewerberinnen und Bewerbern darstellt. Denn die Haltung, auf andere zu achten, Ausgleich herzustellen, Zusammenhalt zu festigen, wird nur dem gelingen, der diese Haltung auch jenseits eigener Interessen eingeübt hat. Es ist unwahrscheinlich, dass jemand erst im Alter wahrnimmt, welche Menschen in der eigenen Umgebung hilfsbedürftig sind und welche Anliegen aktive Unterstützung benötigen. Die Frage, ob sich ein junger Mensch tatkräftig für andere einsetzt, ist so gesehen kein Anhängsel, sondern ein Kennzeichen der Persönlichkeit.
„Grundsätze sind dazu da, dass sie Folgen haben.“ So lautet ein Satz von Erwin Teufel, dem ehemaligen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg. In der Begabtenförderung der Konrad-Adenauer-Stiftung wollen wir Grundsätze vermitteln, die Prinzipien von Personalität, Solidarität und Subsidiarität etwa, ein geschichtliches Bewusstsein für unsere Demokratie, Europa und die internationalen Zusammenhänge ebenso wie für die Soziale Marktwirtschaft und das christliche Menschenbild. Aber diese Grundsätze müssen an den aktuellen Herausforderungen, sei es angesichts der Flüchtlinge und Migranten, sei es angesichts des globalen Wettbewerbs, der Digitalisierung oder des demografischen Wandels neu buchstabiert, auf ihre Gültigkeit und auf notwendige Kompromisse hin abgeklopft werden, damit Positionen sowohl mit Leidenschaft als auch mit Sachlichkeit vertreten und umgesetzt werden können. Deshalb ist es wichtig, dass die Stipendiaten ihre personalen Kompetenzen so weiter entwickeln können, dass sie ihre Positionen wirksam vertreten können. Deshalb ist es aber auch wichtig, dass demokratische Grundregeln schon während der Förderung eingeübt werden, indem die Stipendiaten ihre Sprecher und diese den Stipendiatenbeirat wählen, der die Anliegen aller gegenüber der Stiftung vertritt. Und es ist schließlich wichtig, dass die jungen Menschen ihre Themen mit Politikern diskutieren und damit ihre Positionen einbringen.
Interesse und Erkenntnis
In diesem Jahr feiert die Konrad-Adenauer-Stiftung fünfzig Jahre Begabtenförderung. Der Blick zurück lässt vielfältige Biografien, große Leistungen und außergewöhnliches Engagement sichtbar werden. Der Blick zurück provoziert aber zugleich den Blick in die Zukunft: Was werden die Jahrgänge der nächsten fünfzig Jahre entdecken, reformieren, an Grundlagen legen? Gerade diese Frage ist es, die antreibt, nach dem zu suchen, was heute gebraucht wird, um für morgen gerüstet zu sein: Welche Fragen stehen auf der Agenda, die nachhaltig gelöst werden müssen? Welche Wertvorstellungen und geistigen Grundlagen müssen befestigt und weiterentwickelt werden? Welche Haltung, welche Fertigkeiten werden benötigt, um künftig bestehen zu können zum Wohl des Landes, der Menschen, des Gemeinwohls, des Friedens?
Damit diese Fragen richtig gestellt, vor allem aber zukunftstauglich beantwortet werden, muss sich Begabtenförderung als „Biografieförderung“ (Annette Schavan) aufstellen. Deshalb begleiten wir unsere Stipendiaten auf ihrem persönlichen Weg, in ihren beruflichen Ambitionen, ihren politischen Anliegen und ihrem gesellschaftlichen Engagement. Deshalb ist es aber auch notwendig, dass wir – Stipendiaten und Stiftung – das Seminarprogramm gemeinsam verantworten und Rechenschaft darüber geben, welche Fragestellungen Relevanz haben. Und es ist drittens wichtig, dass wir auf der Basis eines gemeinsamen Selbstverständnisses Verbindlichkeit leben.
Der Weg in die Zukunft ist offen, sicher ist aber: Wir werden weiterhin größten Wert auf die Verbindung von Leistung und Verantwortung, von vitalem politischen Interesse und wissenschaftlicher Erkenntnis legen, auf die Persönlichkeit, die sich zu entwickeln beginnt. Max Weber hat davor gewarnt, dass die entzauberte arbeitsteilige Gesellschaft „Fachmenschen ohne Geist“ und „Genussmenschen ohne Herz“7 hervorbringt. Unsere Demokratie braucht aber „Fachmenschen mit Herz“.
Susanna Schmidt, geboren 1963 in Bamberg, seit 2014 Leiterin der Hauptabteilung Begabtenförderung und Kultur der Konrad-Adenauer-Stiftung.
[1] Vgl. das Buch: 50 Jahre – 50 Köpfe. Hrsg. von der Konrad-Adenauer-Stiftung, Bonn 2015.
[2] In Köln auf einer Veranstaltung der CDU der britischen Besatzungszone am 24.03.1946, Druck: Schriftenreihe der CDU des Rheinlandes, H. 8, Köln o. J., S. 6.
[3] Max Weber: „Wissenschaft als Beruf“, in: Max Weber: Schriften 1894–1922. Ausgewählt von Dirk Kaesler, Stuttgart 2002, S. 481.
[4] Ebenda, S. 487, die folgenden Zitate S. 505 und 511.
[5] Max Weber: „Politik als Beruf“, in: ebenda, S. 555, das folgende Zitat S. 537.
[6] Vgl. Michael Ramm, Frank Multrus, Tino Bargel, Monika Schmidt: Studiensituation und studentische Orientierungen. 12. Studierendensurvey an Universitäten und Fachhochschulen. Hrsg. vom Bundesministerium für Bildung und Forschung 2014.
[7] Max Weber: „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“, in: Max Weber: Religion und Gesellschaft. Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Frankfurt am Main 2010, S. 179.