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Zum 80. Geburtstag des Schriftstellers Reiner Kunze

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„Wer sich nicht in Gefahr begibt, der kommt drin um.“ So der Refrain eines „Selbstportraits“ von Wolf Biermann für seinen Freund Reiner Kunze aus dem Jahr 1976, ehe das Schicksal über beide hereinbricht. Besser lässt sich das Leben Reiner Kunzes, der am 16. August 2013 seinen 80. Geburtstag gefeiert hat, nicht porträtieren. 1933, im ersten Jahr der Hitler-Diktatur, als Sohn eines Bergarbeiters und einer Heimarbeiterin in Oelsnitz im Erzgebirge als „Proletarier“, wenn man so will, geboren, nach dem Zweiten Weltkrieg Untertan in Ulbrichts und Honeckers Unrechtsstaat, bis er 1977 aus der DDR-Staatsbürgerschaft entlassen wird und in die Bundesrepublik übersiedelt, zählt Reiner Kunze heute zu den in West wie Ost allgemein anerkannten herausragenden Dichterpersönlichkeiten. Weil er sich immer wieder in Gefahr begeben hat, ist er nicht in ihr umgekommen. Denn: „Dichter dulden keine Diktatoren neben sich!“

Viele Berufenere haben zu Recht den Dichter, den Schriftsteller und Poeten gewürdigt. Vierzig Freunde und Weggefährten haben ihn zu seinem Geburtstag mit einem Lesebuch (herausgegeben von Matthias Buth und Günter Kunert, Weilerswist 2013) beschenkt. Für mich ist er mit seinem Lebenswerk und seinem Lebensweg ein Bürger unserer Republik geworden, der uns zum Vorbild dienen kann, auf den wir stolz sein dürfen, auf den wir hören sollten. Weil er 28 Jahre in der DDR gelebt hat und dadurch ungleich größere Herausforderungen zu bestehen hatte als wir Westdeutschen, weil er zum Wegbereiter unserer Wiedervereinigung wurde, weil er jetzt in der Bundesrepublik zu Hause ist, geradlinig und kompromisslos. „Den Kunze mag ich, weil er so mutig ist“, sagt Peter Huchel.

Während seines Studiums der Philosophie und Journalistik an der Karl-Marx-Universität in Leipzig und seiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Assistent und Lehrbeauftragter begegnete er Ernst Bloch und Hans Mayer. Selbst aus politischen Gründen von der Universität vertrieben, zur Arbeit als Hilfsschlosser gezwungen, kommt es zum Bruch mit dem DDR-Regime, als im August 1968 der „Prager Frühling“ von den Truppen des Warschauer Paktes auch mithilfe der DDR-Volksarmee niedergewalzt wird. Reiner Kunze, der mit sechzehn Jahren Mitglied der SED geworden war, tritt aus der Partei aus, lückenlose Überwachung ist die Folge. In Deckname Lyrik hat er 1990 Auszüge aus zwölf Bänden Stasi-Verfolgung zusammengestellt. Das Erscheinen von Die wunderbaren Jahre – 1976 – führt zum Ausschluss aus dem DDR-Schriftstellerverband und damit praktisch zum Berufsverbot als Schriftsteller.

Er lebt von 1962 bis zu seiner Ausweisung im thüringischen Greiz. Seine aus Tschechien stammende Frau arbeitet dort als Kieferorthopädin. Die liebenswerte kleine Residenzstadt wird ihm zum Lebensmittelpunkt. Und dennoch kann sie den „Hunger nach der Welt“ nicht stillen.

„Ausgesperrt aus büchern
Ausgesperrt aus zeitungen
Ausgesperrt aus sälen“


1995 wird er Ehrenbürger von Greiz.

Seit 1977 lebt er in Obernzell bei Passau. Er wollte einsam, aber nicht isoliert leben: „Ich bin angekommen – auch dies ist mein Land.“

Als ihm im gleichen Jahr der Georg-Büchner-Preis verliehen wird, hält Heinrich Böll die Laudatio. Und dieser fragt, nachdem er beklagt hat, wie viele Autoren die DDR verlassen haben: „Wen – außer uns – interessiert das schon, was die Deutschen da miteinander anstellen?“ „Es gibt viele Deutsche, die wie Engländer aussehen möchten …, Franzosen gibt’s wohl, die wie Engländer aussehen möchten, Engländer, die vielleicht wie Spanier aussehen möchten … Ich fürchte, es gibt kaum einen Ausländer, der wie ein Deutscher aussehen möchte.“ Dass Heinrich Böll sich fundamental irren sollte – 35 Jahre später gilt Deutschland als das beliebteste Land in der Welt – ist nicht zuletzt das Verdienst von Reiner Kunze.

Wie er es in seiner Dankrede selbst gesagt hat: „Um den Begriff der staatsbürgerlichen Verantwortung anzustrengen: Sie besteht für den Schriftsteller darin, auf der Unvernunft zu bestehen, Schriftsteller zu sein und als Staatsbürger die Folgen zu tragen.“

Aus der Fülle seiner bedeutenden Gedicht- und Prosabände ragt ohne Frage sein Buch über das Leben in der DDR mit dem sarkastischen Titel Die wunderbaren Jahre heraus, 1976 von einem Redakteur des Hessischen Rundfunks bei Eisenach über die Grenze geschmuggelt, bei S. Fischer in Frankfurt am Main verlegt. Im Westen wurde es zum Bestseller (Auflage: 250.000 Exemplare) und bald auch verfilmt. In der DDR konnte man schon für das Weiterreichen des Buches ins Gefängnis kommen.

Reiner Kunze ist ein Dichter, „der entscheidend diesen Epochenwandel mit Bekennermut und Zivilcourage gedanklich vorbereitet hat“ (Wulf Kirsten).

„Heimat haben und welt
Und nie mehr der lüge
den ring küssen müssen“
 

Er störte. Das damals in der Bundesrepublik herrschende Meinungsklima war auf Wandel durch Annäherung mit der DDR gestimmt, auf Konfrontation zu den USA. Anders als Christa Wolf musste er sich nicht erst als Verfolgter des Regimes und als Regimekritiker ausweisen.

Inzwischen hat er nachgeholt, was ihm Jahrzehnte verwehrt war. Er hat die Welt bereist, Europa, die USA, Lateinamerika; als Gast Helmut Kohls auch Israel. „Als Bürger der Bundesrepublik bin ich ein freier Mann. Und allen Einschüchterungsversuchen werden wir hier mit Sicherheit noch weitaus eher widerstehen, als wir das in der DDR schon getan haben“ (Gespräch mit Lothar Schmidt-Mühlisch, September 1986). „Die Jahre hier in der Bundesrepublik sind die glücklichsten in unserem Leben“ (Reiner Kunze).

Dass Reiner Kunze noch viele glückliche Jahre beschieden sein mögen und dass wir ihm noch oft begegnen und sein Wort hören dürfen, wünschen zu seinem 80. Geburtstag Herausgeber und Schriftleitung der Politischen Meinung.


Bernhard Vogel, geboren 1932 in Göttingen, Ministerpräsident a. D., Ehrenvorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung, Herausgeber dieser Zeitschrift.

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