Asset-Herausgeber

Wie ein digitales Medienunternehmen um Talente kämpft

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Vier ernst blickende, distinguiert gekleidete Herren sitzen an einem langen, erhöht stehenden Konferenztisch und warten auf den nächsten Bewerber. Die Wartenden sind Vorstandsmitglieder des Axel Springer Verlages und werden von einem Personalberater und dessen Assistentin flankiert. Die Tür öffnet sich, und ein junger Mann, in Sweatshirt und Jeans, setzt sein lebhaftes Telefonat – kurz zu den Herren herüberwinkend – ungerührt fort. Es geht um Digitales, hört man, um „content is king“, „damage per second“ … und – er telefoniert einfach weiter. Die Herren werfen sich irritierte Blicke zu, sie wirken konsterniert. Die Mimik des Personalberaters verrät leichte Panik. Endlich setzt sich der Bewerber und macht eine Ansage: „Ich habe Euch ein Konzept mitgebracht, also volle Aufmerksamkeit, noch nicht reinschauen!“ Die allgemeine Irritation nimmt zu, die Assistentin des Personalberaters, die einen verstohlenen Blick in das mit Komikzeichnungen illustrierte Konzeptpapier wirft, wird scharf zurechtgewiesen: „Nicht reingucken, hab ich gesagt!“

Soweit die kurze Geschichte eines Bewegtbildspots, mit dem der Axel Springer Verlag junge Gründer einlud, sich als „Media Entrepreneurs“ (Medienunternehmer) zu bewerben. Der Spot überzeichnet Gegensätze auf humorvolle Art und spielt mit den Vorbehalten gegen die vermeintlich starre, von Hierarchie geprägte Kultur des Traditionsunternehmens. Der „verrückte Bewerber“ war 2001 ein vielbeachteter Baustein der neu ausgerichteten Arbeitgebermarke des Konzerns – er wurde viral verbreitet und im Netz nach kurzer Zeit mehr als 300.000 Mal aufgerufen.

Was steckte dahinter? Welchen Grund gab es, kreative Ideen, Energien und Ressourcen zu mobilisieren, um den Verlag im Bewerbermarkt, im „war for talents“, mit neuen Themenschwerpunkten und einem frischen Auftritt neu zu positionieren? Die Antwort ist eindeutig: Das Geschäftsmodell des als Zeitungs- und Zeitschriftenverlag groß gewordenen Unternehmens hatte sich tief greifend verändert.

Die strategischen Ziele von Internationalisierung und Digitalisierung wurden mit aller Konsequenz verfolgt; mehr als 200 Investments in digitale Geschäftsmodelle, Verkäufe von Teilen des Zeitungs- und Zeitschriftenportfolios und die Durchdringung sämtlicher Unternehmensbereiche mit digitaler Technologie haben seit 2006 dem Verlag eine andere Prägung gegeben.

 

„Verlängerung“ ins Internet

Dadurch erlangen andere Bewerberprofile zentrale Bedeutung für den Unternehmenserfolg; insbesondere werden laufend technische Profile und unternehmerisch handelnde „Treiber“ digitaler Geschäftsmodelle gesucht. In neuen Bewerbermärkten kämpft das Unternehmen heute mit starken Konkurrenten, wie multinationalen Technologiekonzernen, internationalen Beratungsgesellschaften und Startups, um die Besten. Vor diesem Hintergrund war die Neuformierung der Arbeitgebermarke die Voraussetzung, um neue Zielgruppen zu erreichen.

Das Unternehmen treibt heute die digitale Transformation konsequent voran – es hatte frühzeitig erkannt, dass das Internet und die digitalen Technologien die Medienmärkte fundamental erfassen und zugleich enorme Chancen eröffnen. Von den Verbreitungsformen journalistischer Inhalte, der Mitwirkung von Nutzern journalistischer Angebote über soziale Netzwerke bis hin zu den Formen und Erfolgsindikatoren der Vermarktung ist alles einem rasanten Wandel unterworfen.

Der Verlag hat die bekannten journalistischen Marken in das Internet „verlängert“ (zum Beispiel „bild.de“, „welt.de“), in neue journalistische Marken im In- und Ausland investiert (zum Beispiel „POLITICO“, „businessinsider“, „N24“) – ebenso wie in zahlreiche Geschäftsmodelle des erfolgsbasierten Marketings (zum Beispiel „Idealo“, „ZANOX“, „Ladenzeile.de“) und des Rubrikengeschäfts (zum Beispiel „Stepstone“, „Immowelt“ und „Immonet“, „la centrale“).

Die Rasanz dieser Transformation lässt sich an Umsatz, Werbeerlösen und EBITDA (= earnings before interest, taxes, depreciation and amortization. Betriebswirtschaftliche Kennzahl zur Bezifferung des Gewinns eines Unternehmens in einem bestimmten Zeitraum) ablesen: Betrug der digitale Anteil am Umsatz 2008 noch vierzehn Prozent, so lag er zu Beginn des Jahres 2015 schon bei 63 Prozent. Im selben Zeitraum stiegen die digitalen Werbeerlöse von 22 auf 81 Prozent. Vor allem stieg der digitale Anteil am Ergebnis von vier auf 73 Prozent im Jahre 2015.

Personell und unternehmenskulturell sind mit diesen Veränderungen enorme Herausforderungen verbunden. Wie gelingt es, die Begeisterung für digitale Technologien und Arbeitsmethoden auf alle Mitarbeiter zu übertragen? Wie kann eine unkomplizierte Zusammenarbeit von Experten über Bereichs- und Gesellschaftsgrenzen hinweg gewährleistet werden? Welche Kompetenzen müssen Führungskräfte und Mitarbeiter für die digitale Welt mitbringen? Wie können die Erwartungen an flexibles und mobiles Arbeiten optimal erfüllt werden? Und vor allem: Wie und wo findet der Verlag die Besten, und wie gelingt es, ihren Erwartungen an ein hervorragendes, inspirierendes Umfeld gerecht zu werden?

Hier soll vor allem die zuletzt gestellte Frage beantwortet und um eine weitere ergänzt werden: Welche Profile werden eigentlich gebraucht?

Zunächst: Der Verlag sucht auch in Zukunft leidenschaftliche Journalisten – mit digitalen, multimedialen Kenntnissen – und bildet sie in der Axel-Springer-Akademie aus. Darüber hinaus rekrutiert das Unternehmen Gründer, Programmierer, Software-Entwickler, Plattform-Manager, DATA-Experten, Suchmaschinenoptimierer, Onlinemarketing-Experten, Produktentwickler und Wirtschaftsinformatiker. Auch digitale Geschäftsfeldentwickler und M&A-Experten werden für eine erfolgreiche Unternehmensentwicklung eingestellt.

 

Bewerber als Kunden der Marke

Um im „war for talents“ zu bestehen, ist eine glaubwürdige Arbeitgebermarke Grundvoraussetzung. Dem „Verrückter-Bewerber“-Spot, der sich an die Zielgruppe der Gründer richtete, folgte eine breit angelegte Kampagne für den Auftritt nach außen und die Kommunikation in das Unternehmen hinein. Unser Slogan „Da geht noch mehr!“ verdeutlicht, dass der Wandel aktiv gestaltet werden soll und daher von den Mitarbeitern erwartet wird, dass sie über das gewöhnliche Maß hinaus Leidenschaft, Engagement und Kreativität einbringen. Insofern beschreibt dieser Slogan zugleich Anspruch und Erwartung und ist als allumfassende Aussage zu verstehen. In den zurückliegenden drei bis vier Jahren haben die meisten Unternehmen ihre Aufwendungen für das Arbeitgebermarketing mehr als verdreifacht. Doch das allein reicht nicht aus. Der Auftritt muss unverwechselbar sein, sowohl inhaltlich als auch gestalterisch. Es werden Menschen gesucht, die über ihre gewöhnlichen Jobprofile hinauswachsen. Dafür gewährt der Verlag Freiheiten, sodass sich Potenziale entfalten können. Zahlreiche kleinere und mittlere selbstständig operierende Einheiten eröffnen enorme Entwicklungschancen.

Mit Lockerheit und Ironie überdrehten wir die Jobtitel der digitalen Welt und spielten als journalistisches Haus mit der Sprache. Die Kampagnenmotive wurden auf Stellenanzeigen übertragen und sind auf die jeweilige Position genau abgestimmt. Eine frischere, präsentere und prägnantere Sprache hat das tradierte Deutsch der Personaler abgelöst.

 

Umfassende Rekrutierungsstrategie

Wie und wo sind die besten Talente zu finden? Die Antwort darauf liegt in der Definition und der Anwendung einer umfassenden Rekrutierungsstrategie, und die heißt, auf den Punkt gebracht: Das Unternehmen versteht die Bewerber als Kunden der Marke. Neue Rekrutierungskanäle und eine zielgruppenspezifische Ansprache eröffnen einen direkten Zugang zu potenziellen Kandidaten. Axel Springer hat ein Inhouse-Recruitingteam aufgestellt, das sich auf die Direktsuche spezialisiert hat, Talentpools aufbaut, das genauso Kontakte der Mitarbeiter nutzt wie es Kontakte zu potenziellen Kandidaten über längere Zeiträume aufbaut und pflegt, sich in sozialen Netzwerken engagiert und Fachkräfte und Mitarbeiter motiviert, sich aktiv an der Suche nach Talenten zu beteiligen. Heute gilt die Regel: von der reaktiven Rekrutierung zur proaktiven Vorgehensweise. Nur so gelingt es, den enormen Herausforderungen – große Konkurrenz um die Besten, demografischer Wandel und Fachkräftemangel in technischen Berufen – erfolgreich zu begegnen.

Heute erwarten Bewerber die Freiheit zur Entfaltung der eigenen Potenziale, mobiles und familienfreundliches Arbeiten, inspirierende Umfelder, schnelle Entscheidungsprozesse und offene Kommunikation. So ist gerade der Kampf um die Talentiertesten eine Anforderung an das gesamte Unternehmen. Aber es ist lohnend, sich dem konsequent zu stellen!

 

Alexander Schmid-Lossberg, geboren 1959 in Hamburg, Altstipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung, Leiter Geschäftsführungsbereich Personal Axel Springer SE.

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