Unterscheidung zwischen echt und falsch
Der Schritt zum KI-Influencer ist also denkbar klein. Nicht zuletzt setzen die weltweit zu den erfolgreichsten Influencern gehörenden Kim Kardashian und Kendal Jenner, die operativ bereits an die Grenzen der Selbstoptimierung gestoßen sein dürften, „digitale Zwillinge“ von sich auf ihren Social-Media-Profilen ein. Vorteile kann es also auch für die Influencer selbst geben, die bereits über Social Media eine erfolgreiche Personenmarke geschaffen haben: Sie können so gleichzeitig mehrere Werbekooperationen eingehen und die Einnahmen unabhängig von ihrer Arbeitszeit maximieren.
Werden also KI-Influencer die echten über kurz oder lang ersetzen? Welche Vorteile erhoffen sich werbetreibende Unternehmen von einer Kooperation, und wie werden die digitalen Influencer überhaupt von den Followern akzeptiert? Schließlich gelten Glaubwürdigkeit und Authentizität als die ausschlaggebenden Faktoren für den Erfolg des Influencer-Marketings. Mit der einfachen und schnellen Verfügbarkeit der generativen KI wird sich die Anzahl von simulierten Realitäten im Web erhöhen. Wie werden wir damit umgehen, dass die Unterscheidung zwischen echt und falsch immer fluider, immer schwieriger zu erkennen sein wird?
Der Einfluss der „digitalen Meinungsführer“
Das Influencer-Marketing, das heißt die bezahlte Kooperation mit Personen, die mit selbst erstellten Inhalten auf Social Media eine relevante Community aufgebaut haben und diese potenziell beeinflussen, ist zu einem festen Bestandteil des Marketingmixes geworden (Borchers / Enke 2021). Dabei ist die Branche durch eine starke Professionalisierung und einen zunehmenden Wettbewerbsdruck gekennzeichnet. Unternehmen, öffentliche Institutionen und Nichtregierungsorganisationen setzen auf das Potenzial, Zielgruppen zu erreichen, die klassische Kommunikationskanäle durch YouTube, Instagram und TikTok ersetzen (Duckwitz / Zabel 2024). Etwa 51 Prozent aller Internetnutzer in Deutschland folgen Influencern, in der Altersgruppe zwischen 16 und 29 Jahren sind es 81 Prozent (Bitcom 2022). Klassische Mediennutzungsmotive kommen dabei zum Tragen: Information, Unterhaltung, Inspiration und Eskapismus. In einer zunehmend kontingenten Welt sorgen Influencer für Orientierung. Sichtbar ist das vor allem an Kaufentscheidungen, die im Online-Marketing leicht gemessen werden können. Angenommen wird der Einfluss der „digitalen Meinungsführer“ auch auf die politische Meinungsbildung; der empirische Nachweis ist diesbezüglich jedoch ungleich schwerer (Duckwitz 2023).
Werbetreibenden Unternehmen bietet die Kooperation mit KI-Influencern gegenüber ihren menschlichen Pendants eine Reihe von Vorteilen: Einmal kreiert, können sie mit wenig Aufwand und ohne Reisekosten an beliebige Orte und Szenen versetzt sowie mit neuen Kollektionen und Produkten ausgestattet werden. Außerdem sind sie immer verfügbar und – zunehmend wichtig – fallen nicht durch nicht wertekonformes Verhalten auf; die brand safety ist also stets gewährleistet (Miao et al. 2022; Conti et al 2022). Der Erfolg der Influencer wird in der bisherigen Forschung vor allem an ihrer Glaubwürdigkeit festgemacht, die als wichtigster Faktor für die Beeinflussung gilt: Ihre Expertise, Vertrauenswürdigkeit und Attraktivität sowie ihre soziale Nähe und Authentizität spielen eine Rolle. Follower bauen zu den Influencern, die sie oft über einen langen Zeitraum in ihrem Alltag begleiten, eine sogenannte parasoziale Beziehung auf, die durch Interaktionen auf den Social-Media-Plattformen gestärkt wird (Hudders et al. 2020; Sundermann / Raabe 2019).
Dass Menschen zu virtuellen Charakteren eine soziale Beziehung aufbauen, wird bereits seit den 1950er-Jahren in der Medienforschung beschrieben (Horton / Wohl 1956) und ist im Bereich der Computerspiele ein bekanntes Phänomen. Erste empirische Forschungsergebnisse zu KI-Influencern belegen, dass auch hier parasoziale Beziehungen zu beobachten sind. Follower interessieren sich für die neuartige Person, ihr Auftreten sowie ihre Kommunikation und tauschen sich über ihre Verhaltensweisen aus (Sookaew / Saephoo 2021). Zwar ist die Glaubwürdigkeit der KI-Influencer geringer; ob die Kaufempfehlung wirkt, hängt allerdings mehr von der Produktkategorie ab: Kosmetik und Nahrungsmittel funktionieren weniger, Technik und Mode hingegen sehr gut (Stein et al. 2024; Franke et al. 2023). Die Neuartigkeit der KI kann darüber hinaus positive Effekte auf die wahrgenommene Innovationskraft der Marke haben, was sich Unternehmen wie Prada und BMW bereits zunutze gemacht haben. Noch ist das Phänomen so neu, dass man allein mit einer Kooperation zwischen KI-Influencern und Unternehmen schon Aufmerksamkeit erzeugen kann.
Authentizität und Performanzfehler
Der Reiz des Neuen sowie Neugier, gepaart mit dem allgemeinen KI-Hype, den ChatGPT ausgelöst hat, scheinen aktuell noch die hohen Followerzahlen zu erklären. Die beobachteten parasozialen Beziehungen sowie zahlreiche Mediennutzungsmotive, die die Profile der KI-Influencer erfüllen können, bergen aber durchaus das Potenzial für eine langfristige Etablierung. Dabei muss es nicht bei der Werbung für Produkte bleiben: Ein #blacklivesmatter in der Profilbeschreibung von Lil Miquela, eine Regenbogenflagge oder die Kommunikation sozialer Themen wird von Rezipienten positiv beurteilt, die KI-Influencer wirken dann sogar „menschlicher“ und sozial verantwortlicher als echte Influencer (Mrad et al. 2022).
Wie verhält es sich mit der Authentizität von KI-Influencern? Muss die KI möglichst menschenähnlich sein, um authentisch zu wirken, oder gelten andere Kriterien (Pentina et al. 2023)? Aus der Roboterforschung kennt man den Effekt, dass Menschen desto emotionaler auf Objekte reagieren, je menschlicher sie wirken. Das funktioniert allerdings nur bis zu einem bestimmten Grad: Ist die Ähnlichkeit zu groß, schlägt die Zustimmung in eine starke Ablehnung um, das uncanny valley (Mori 2012), ein „unheimliches Tal“, durch das eine Akzeptanzlücke entsteht.
Erste Befunde zu KI-Influencern scheinen diese Theorie zu bestätigen: Rezipienten beschreiben sehr realitätsnahe KI-Influencer als unheimlich; dieser Effekt schwächt sich allerdings ab, wenn die virtuelle Person ihre Unperfektion zeigt (Lou et al. 2022). Auch widersprüchliche Kommunikation, wie sie bei Lil Miquela zu beobachten ist, die mal die Augenfarbe, mal die Stimme wechselt oder sich mal sehr weiblich, mal sozial engagiert zeigt, schwächen das unangenehme Gefühl ab (Block / Lovegrove 2021). Allzu menschlich darf die KI nicht daherkommen; sie wirkt vielmehr dann authentisch, wenn sie sich so verhält, wie wir es (bislang) von einer KI erwarten, also durchaus mit kleinen Performanzfehlern.
„Fake Reality“ als neue Normalität?
Zwar sind uns virtuelle Charaktere und Avatare schon länger vertraut; neu ist, dass heute nahezu jeder mit wenig Aufwand und technischem Vorwissen KI-basierte Personas erstellen kann. Auf YouTube und TikTok finden sich unzählige Tutorials, wie mit verschiedenen Tools einfach und schnell eine virtuelle Figur geschaffen werden kann. Tipps, wie man damit Geld verdienen kann, werden gleich mitgeliefert. Als besonders erfolgversprechend gilt der Einsatz auf der Erotikplattform OnlyFans, bei der Influencer und Prominente gegen einen Geldbetrag freizügige Bilder und Videos mit ihren Followern teilen. Überhaupt stellt die Pornografie aktuell den größten Markt für KI-generierte Figuren dar. Betrachtet man erfolgreiche KI-Influencer wie etwa Aitana Lopez oder Milla Sofia, fällt auf: Sie sind überwiegend weiblich und repräsentieren ein stereotypisiertes Schönheitsideal in knapper Kleidung. Die Befürchtungen gehen indes eher in Richtung einer Armee von KI-Influencern, die das Social Web mit Desinformationskampagnen fluten. Um erfolgreich mit einem eigenen KI-Influencer durchzustarten, so sind sich Kommunikationsexperten einig, ist jedoch mehr Arbeit notwendig, als die Tutorials suggerieren: eine strategische Planung, der Aufbau einer Personenmarke, die sich im wettbewerbsintensiven Umfeld differenziert, sowie Content, der neu, unterhaltsam, informativ und vor allem relevant für die angepeilte Zielgruppe ist.
Werden also KI-Influencer über kurz oder lang echte Influencer ersetzen? Im Influencer-Marketing hat sich das universelle Phänomen, dass Menschen dem Rat anderer Menschen folgen, weil sie diese für glaubwürdig halten, professionalisiert. Es erscheint unwahrscheinlich, dass KI-Influencer diese wichtige soziale Funktion erfüllen können. Ein komplementärer Einsatz ist jedoch durchaus realistisch, solange die KI-Influencer es schaffen, ihr (simuliertes) kreatives Potenzial auszuschöpfen und Mehrwerte für Follower zu schaffen.
Die Differenzierung von echten Inhalten und KI-generierten Inhalten wird allerdings immer schwieriger. Bereits jetzt arbeiten etablierte Bild-, Video- und Textverarbeitungsprogramme mit KI. Aktuell gibt es für mit KI erstellte oder bearbeitete Inhalte noch keine gesetzliche Kennzeichnungspflicht, die EU-KI-Verordnung für die Kennzeichnung von Deep Fakes, also absichtsvoll manipulierten Inhalten echter Personen, tritt voraussichtlich 2026 in Kraft. Die bekannten KI-Influencer sind durchweg als solche gekennzeichnet, um sie vorsorglich – auch gegenüber sich oft ändernden Nutzungsbedingungen der Social-Media-Plattformen – abzusichern.
Werden wir uns also an eine „fake reality“ gewöhnen müssen? Bislang sind die Entwicklungen in diesem Bereich überschaubar, angesichts der rasanten technischen Dynamik aber ein vorstellbares Szenario. Allem zu misstrauen, ist jedoch keine Lösung, genauso wenig wie ein Technikdeterminismus, der im KI-Diskurs oftmals mitschwingt. Das kreative und partizipative Potenzial der KI-Tools gilt es zu nutzen und weiterzuentwickeln. Um es mit den Worten von Lil Miquela zu sagen: „I’ve really been taking in the beauty of aging.“
Amelie Duckwitz, geboren 1977 in Köln, Professorin für Medien- und Webwissenschaften mit den Forschungsschwerpunkten Social Media, Influencer-Kommunikation und „User Experience“ sowie Transformation von digitalen Öffentlichkeit(en), Technische Hochschule, Köln.
Literatur
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Block, Elena / Lovegrove, Rob: „Discordant storytelling, ‘honest fakery’, identity peddling: How uncanny CGI characters are jamming public relations and influencer practices”, in: Public Relations Inquiry, 10. Jg., Nr. 3/2021, S. 265–293, https://doi.org/10.1177/2046147X211026936 [letzter Zugriff: 12.08.2024].
Borchers, Nils S. / Enke, Nadja: „Managing strategic influencer communication. A systematic overview on emerging planning, organization, and controlling routines”, in: Public Relations Review, 47. Jg., Nr. 3/2021, Artikel 102041, https://doi.org/10.1016/j.pubrev.2021.102041 [letzter Zugriff: 12.08.2024].
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Sookkaew, Jirawat / Saephoo, Pipatpong: „‚Digital Influencer‘: Development and Coexistence with Digital Social Groups”, in: International Journal of Advanced Computer Science and Applications (IJACSA), 12. Jg. Nr. 12/2021, http://dx.doi.org/10.14569/IJACSA.2021.0121243 [letzter Zugriff: 12.08.2024].
Stein, Jan-Philipp / Linda Breves, Priska, / Anders, Nora: „Parasocial interactions with real and virtual influencers: The role of perceived similarity and human-likeness”, in: New Media & Society, 26. Jg., Nr. 6/2024, S. 3433–3453, https://doi.org/10.1177/14614448221102900 [letzter Zugriff: 12.08.2024].
Sundermann, Gerrit / Raabe, Thorsten: „Strategic Communication through Social Media Influencers: Current State of Research and Desiderata”, in: International Journal of Strategic Communication, 13. Jg., Nr. 4/2019, S. 278–300, https://doi.org/10.1080/1553118X.2019.1618306 [letzter Zugriff: 12.08.2024].