Asset-Herausgeber

von Ferdinand Alexander Gehringer

Über Astropolitik und den Kampf um den Weltraum

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Das Zeitalter der Astropolitik hat begonnen. Immer mehr Staaten bauen eigene Weltraumprogramme auf und investieren in Trägerraketen und Satelliten. Die Lage im All droht unübersichtlich zu werden. Anders als die Geopolitik, die sich mit dem Zusammenhang zwischen Geografie und politischen Vorgängen beschäftigt, erstreckt sich die Astropolitik auf den Weltraum. Strategisch vorteilhafte Satellitenpositionen im All, Zugänge zu Umlaufbahnen, Rohstoffe auf anderen Himmelskörpern oder gar Planeten, auf denen humanoides Leben möglich ist, wecken Begehrlichkeiten. Dabei steigert der Drang zur Erweiterung staatlicher Operationsbereiche das Konfliktrisiko und gefährdet die Sicherheit im Weltraum, denn dieser ist längst zur militarisierten Zone geworden.

Vor vier Jahren haben die USA das US Space Command, ein Kombattantenkommando des US-Verteidigungsministeriums, wieder eingesetzt und definierten den Weltraum als Domäne der Kriegsführung sowie als entscheidend für moderne Konfliktszenarien. Je moderner die Kriegsführung und je digitalisierter das künftige Gefechtsfeld, desto größer wird die Bedeutung von Satelliten, nicht nur für die Aufklärung und die Kommunikation der Streitkräfte, sondern vor allem für die Navigation sowie Zielerfassung von Waffensystemen. In ihrer Defense Space Strategy von Juni 2020 formulierten die USA das Ziel, die militärische Vormachtstellung im Weltraum vor allem gegenüber den Konkurrenten China und Russland zu behaupten.1

Washington entwickelt seither unter anderem Laserwaffensysteme, bei denen ein elektrischer Hochenergielaser zur Blendung von Satelliten eingesetzt wird. Perspektivisch sollen diese Laser auch an Satelliten im All angebracht werden können, um damit Angriffe auf Satellitensysteme abzuwehren. Auch durch elektronische Angriffe wie Jamming, das Stören von Satellitensignalen durch Antennen mit guter Richtwirkung, und Spoofing, bei dem durch starke Funksender Signale von Satelliten überschrieben und damit falsche Positionen angegeben werden können, lassen sich gegnerische Satelliten funktionsunfähig machen.

Da sowohl Russland als auch China im Bereich der ballistischen Raketen und Hyperschallraketen den USA voraus sind, investieren die Vereinigten Staaten derzeit verstärkt in Frühwarnsatelliten. Die Sensoren an den Satelliten können die Infrarotstrahlung erkennen, die beim Start von ballistischen Raketen oder Hyperschallraketen entsteht. Die schnelle Detektion der Raketen ermöglicht es, Maßnahmen zur Luftverteidigung früher einzuleiten.

 

Putins Aufrüstung im All

Die 1992 gegründeten Kosmicheskie voyska Rossii („Russische Weltraumstreitkräfte“) wurden 2015 in die russischen Luft- und Weltraumkräfte eingegliedert. Neben der Erfassung von Bedrohungen für eigene Satellitensysteme sollen sie Angriffe ballistischer Raketen verhindern, militärische und zivile Satelliten kontrollieren und betreiben sowie Raumfahrzeuge bauen.

Russland rüstet enorm auf und hat 2018 mit dem System Pereswet ein Laserwaffensystem etabliert, das feindliche Beobachtungssatelliten daran hindern kann, die Bewegungen mobiler atomarer Interkontinentalraketeneinheiten der Russischen Föderation zu erfassen. Wenn die Beobachtung und Kontrolle von Bewegungen der atomaren Sprengköpfe gestört werden, kann dies die Logik der nuklearen Abschreckung aushebeln und die Zweitschlagfähigkeit gefährden.

Gleichermaßen setzt Russland auf Aufklärungssatelliten, die sich fremden Satelliten nähern können, um deren Datenübertragung und Kommunikation zu erfassen. Als eine Machtdemonstration schoss Russland 2020 – nur vierzig Kilometer von der Raumkapsel der Internationalen Raumstation ISS entfernt – einen eigenen veralteten Satelliten mithilfe des Antisatellitenwaffensystems (Anti Satellite Activities, ASAT) Nudol ab. Die Nudol ist eine Rakete, die von einer mobilen Startrampe, etwa von einer Lkw-Ladefläche, Satelliten abschießen kann. In der Entwicklung befindet sich das System Kalina, das Satelliten minutenlang verfolgen, blenden und mit einem optischen Sensor beschädigen soll.

 

Chinas Weltmachtkonzept

2007 holte China einen nicht aktiven Wettersatelliten mit einer ballistischen Mittelstreckenrakete vom Himmel. Die Volksrepublik militarisierte ihre Weltraumaktivitäten früh und unterstellte Raketenstützpunkte sowie Kosmodrome der Strategischen Unterstützungstruppe der Volksbefreiungsarmee, die für Raumfahrt, Cyberkrieg und elektronische Kampfführung zuständig ist. Neben der fortschrittlichen Raketentechnik sind die Cyberfähigkeiten Chinas in diesem Zusammenhang nicht zu unterschätzen. Denn auch durch Cyberangriffe auf Satelliten können Datenübertragungen gestört und Kontrollfunktionen ausgeschaltet werden.

Das Bestreben Chinas beschränkt sich nicht nur darauf, militärisch mit den USA und Russland mithalten zu wollen. Die Raumfahrt ist integraler Bestandteil des Weltmachtkonzepts. 2022 veröffentlichte Peking einen Ausblick auf das Weltraumprogramm der Volksrepublik. Darin wurde neben der Stärkung der Weltraumindustrie und der Fortentwicklung bemannter Raumfahrzeuge auch die bemannte Mondlandung zum erklärten Ziel. Chinas Erfolge dabei sind beachtlich, da das Land den Rückstand zu Russland und den USA in kurzer Zeit verkleinern konnte. 2019 landete die unbemannte Raumsonde Chang’e 4 – als erster künstlicher Flugkörper überhaupt – auf der Rückseite des Mondes. Aufbauend darauf plant Peking, bis 2030 eine Basis auf dem Mond zu errichten. Hierfür baut es seine Zugänge zum All aus. Zwar verfügt China bereits über fünf Weltraumbahnhöfe, plant jedoch, mit der Hong Kong Aerospace Technology Group weitere Weltraumstartplätze in Dschibuti zu errichten.

Russland verfügt bisher über sechs Weltraumbahnhöfe. Das Kosmodrom Wostotschny in der Amur-Region ist eines der modernsten der Welt. Die USA haben acht Weltraumbahnhöfe in den Vereinigten Staaten und einen auf den Marshallinseln.

Mit der Tiangong verfügt China als einzige Nation über eine eigene Raumstation; sie soll noch bis 2037 betrieben werden. Die Raumstation ISS hingegen wird in einer Kooperation von den USA, Russland, Japan, Kanada und europäischen Staaten betrieben;2 sie wird spätestens 2030 außer Dienst gestellt, zumal die russische Weltraumorganisation Roskosmos nach dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine im Februar 2022 ihren frühzeitigen Ausstieg aus dem gemeinsamen ISS-Projekt bis 2028 angekündigt hatte.3 Russland plant mit der ROSS derzeit eine eigene Raumstation. Sie soll bis 2028 fertiggestellt werden. Die drei Weltraummächte verfügen allesamt mit GPS4, GLONASS5 und Beidou6 über ihre eigenen Satellitennavigationssysteme.

Russland und China haben eine Partnerschaft für einige Weltraumbereiche aufgebaut. Beide arbeiten daran, die Kompatibilität von GLONASS und Beidou herzustellen. Außerdem geben sie Technologien weiter und teilen Informationen über Raketentriebwerke, Raumgleiter und Navigation. Auch die USA und China arbeiteten bis 2011 zusammen und tauschten Informationen und Erkenntnisse aus. Als bekannt wurde, dass chinesische Hacker unter anderem Zugang zu den Systemen des Weißen Hauses und des Pentagons erlangt hatten, beendeten die USA die Zusammenarbeit.

 

Europa hinkt hinterher

Die Staaten in Europa haben die Bedeutung der Sicherheit im Weltraum bisher nicht ausreichend erkannt; technologisch laufen sie den Entwicklungen hinterher. Zwar hat die Europäische Union mit Galileo ebenfalls ein eigenes Satellitennavigationssystem und plant mit dem Satellitennetzwerk IRIS2 bis 2027 auch den Aufbau eines schnellen und sicheren Kommunikationsdienstes, doch bleibt es mehr als fraglich, ob diese Satelliten überhaupt ihren Weg ins All finden werden.

Die Europäische Union hat in Französisch-Guayana und mit dem Startplatz Esrange in Schweden zwei Weltraumbahnhöfe. Zudem sind in Europa in Norwegen und Schottland weitere im Bau oder in der Planung. Das derzeit größte Problem ist, dass die Europäische Union über keine eigenen Trägerraketen zur Satellitenbeförderung verfügt. Nach dem Beginn des Kriegs in der Ukraine hat die Europäische Weltraumorganisation ESA7 die Zusammenarbeit mit der Roskosmos beendet. Infolgedessen hat Russland seine Sojus-Trägerraketen vom Weltraumbahnhof Französisch-Guayana abgezogen. Noch 2021 wurden von dreizehn Raketenstarts unter europäischer Flagge sieben mit der russischen Sojus und nur jeweils drei mit den europäischen Ariane 5- und Vega-Trägerraketen durchgeführt. Die Ariane 5 ist ein Auslaufmodell und wird nicht weiter produziert. Auch die kleinere Vega-Rakete kann nur noch eingeschränkt genutzt werden, weil sie ein Triebwerk aus der Ukraine verwendet, das derzeit nicht mehr geliefert werden kann. Die Startbereitschaft des Nachfolgemodells der Ariane 5, die Ariane 6, verzögert sich noch mindestens bis 2024, sodass nach dem letzten Start einer Ariane 5Rakete im Juli 2023 keine eigenen Trägerraketen mehr vorhanden sind.

Erst jüngst verkündete die Bundesregierung, dass Deutschland keinen eigenen souveränen Zugang zum All und keine Startplätze für die Verbringung von Satelliten errichten wird. Auch der Aufbau eines Europäischen Weltraumkommandos ist nicht realistisch. So verfügen Frankreich, Italien und Deutschland über eigene Weltraumkommandos in ihren Streitkräften.

Alle drei besitzen jedoch keine Antisatellitensysteme zum Schutz und zur Verteidigung eigener Satelliten. Einzig Frankreich hat als größte Weltraumnation in der Europäischen Union in seiner Strategie 2020 Überlegungen zur Sicherheit im Weltraum angestellt. So sollen Nanosatelliten in Schwärmen größere Satelliten vor Angriffen und Störungen als eine Art „Bodyguard-Satelliten“ schützen. Zudem baut Paris derzeitig Laserwaffen zum Schutz seiner Systeme.

 

Vorprogrammierte Konflikte

Staaten wie Indien, Südkorea und Japan spielen im Wettbewerb der Mächte (noch) keine Rolle. Auch wenn Indien eigene Antisatellitenwaffen besitzt und mit der Sonde Chandrayaan-3 als viertes Land – nach den USA, Russland und China – auf dem Mond landete, so verfügt es weder über ein eigenes Weltraumkommando noch über ein eigenes Satellitennavigationssystem. In dieser Hinsicht ist Indien von anderen Staaten abhängig. Südkorea und Japan verfügen über eine hochentwickelte Weltraumtechnik und -forschung, sie sind jedoch militärisch nicht gut aufgestellt.

2008 wurde die Asia-Pacific Space Cooperation Organization (APSCO) mit Sitz in Peking gegründet und ist damit neben der ESA das zweite Weltraumbündnis. China, Bangladesch, der Iran, die Mongolei, Pakistan, Peru, Thailand und die Türkei haben sich ihm angeschlossen. Militärisch spielt die Organisation zwar keine Rolle, doch versucht China über die Kooperation, zum einen den japanischen Einfluss in der Region zurückzudrängen und zum anderen sein Navigationssystem Beidou in diesen Ländern zu etablieren, um so die Ausbreitung des US-amerikanischen GPS einzudämmen.

Die untere Erdumlaufbahn wird in Anbetracht der Entwicklungen auf lange Sicht mit Satellitensystemen und Weltraumschrott überfüllt sein. Konflikte durch Kollisionen von Satelliten oder Trümmerteilen sind somit vorprogrammiert. Zu Beginn dieses Jahres befanden sich circa 6.700 Satelliten im All,8 von denen etwa 4.500 den USA, circa 600 China sowie circa 170 Russland gehörten.9 Durch die verstärkten Investitionen auch privater Unternehmen in die Raumfahrt sollen bis 2030 in etwa 1.700 Satelliten pro Jahr ins All befördert werden.

Für die Nutzung des nicht-irdischen Raumes sind Regeln notwendig, um der Astropolitik der Mächte einen Rahmen zu geben und Konflikte zu verhindern. Der Weltraumvertrag aus dem Jahr 1967 ist veraltet und zu unbestimmt. Als Produkt des Kalten Krieges umfasst er weder eine Regelung für konventionelle Waffen noch für die Nutzung des Mondes und enthält zudem keine Durchsetzungsmechanismen. 2014 drängten Russland und China darauf, weltraumgestützte ASAT-Waffen (sogenannte ko-orbitale ASAT) zu verbieten, allerdings landgestützte Systeme zu erlauben. Die USA lehnten ab. Sie forderten hingegen ein generelles Verbot bodengestützter ASAT-Waffen (sogenannter Direktaufstiegs-ASAT) und erklärten 2022 einseitig den Verzicht auf Versuche mit diesen vom Boden aufsteigenden ASAT. Seither sind keine nennenswerten Entwicklungen zu verzeichnen. Die USA versuchen, über die Artemis Accords10 ihre eigenen Interessen im All – vor allem im Hinblick auf den Mars und den Mond – durchzusetzen. Russland und China haben dieses Abkommen nicht unterzeichnet.

Die Weltraumblöcke haben sich bereits formiert, und der Rüstungswettlauf ist in vollem Gange, doch sind Transparenz und klare Regeln für die gemeinsame Nutzung des Weltraumes unerlässlich. Während auf der Erde Verbindungs- und Seewege oder Gebirge von Bedeutung sind, sind im All Umlaufbahnen und Stützpunkte entscheidend. Wer die untere Erdumlaufbahn kontrolliert, kann ein Vordringen anderer Staaten in die weiteren Bahnen verhindern und seine Macht im All sichern. Bislang gleicht der Schauplatz dem Wilden Westen von früher: Beim Kampf um die All-Macht ist wenig verboten und fast alles erlaubt. Die Erschließung neuer Räume im All kann auch ein Anknüpfungspunkt für Kooperationen sein, ist der Raum doch viel zu groß für nur eine All-Macht.
 

Ferdinand Alexander Gehringer, geboren 1991 in Mannheim, Referent Innere- und Cybersicherheit, Hauptabteilung Analyse und Beratung, Konrad-Adenauer-Stiftung.

 

1 US-Verteidigungsministerium: Defense Space Strategy, Juni 2020, https://media.defense. gov/2020/Jun/17/2002317391/-1/-1/1/2020_DEFENSE_SPACE_STRATEGY_SUMMARY.PDF [letzter Zugriff: 19.09.2023].
2 In Europa sind die Länder Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Italien, die Niederlande, Norwegen, Schweden, die Schweiz, Spanien und das Vereinigte Königreich beteiligt. 1998 wurde dazu ein entsprechendes Abkommen für den Bau der Raumstation unterschrieben.
3 „Russland bleibt bis 2028 auf der ISS“, in: Spektrum.de, 22.02.2023, www.spektrum.de/news/russland-bleibt-bis-2028-auf-der-iss/2112279 [letzter Zugriff: 19.09.2023].
4 Das Global Positioning System (GPS) wurde vom US-Verteidigungsministerium entwickelt und wird von der Raumfahrtabteilung der US-Streitkräfte betrieben.
5 Das Global Navigation Satellite System (GLONASS) wird vom Russischen Verteidigungsministerium betrieben und finanziert.
6 Das chinesische Satellitennavigationssystem wird von der Nationalen Raumfahrtbehörde Chinas betrieben.
7 Die European Space Agency (ESA) ist keine Behörde der Europäischen Union, wird allerdings zu 25 Prozent aus ihrem Budget finanziert. Sie umfasst 22 Mitglieder, von denen neben der Schweiz, Großbritannien und Kanada alle weiteren Staaten Mitgliedsländer der Europäischen Union sind.
8 Schätzungsweise zehn Prozent dieser Satelliten werden militärisch genutzt.
9 Statista: Anzahl der Satelliten im All verteilt nach Ländern, Stand 1. Juni 2023, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/36582/umfrage/anzahl-der-satelliten-im-all-verteilt-nach-laendern/#:~:text=Anzahl%20der%20Satelliten%20im%20Weltraum%20nach%20L%C3%A4ndern%20%20im%20Jahr%202023&text=Mehr%20als%206.700%20Satelliten%20kreisten,China%20mit%20%20fast%20600%20Satelliten [letzter Zugriff: 19.09.2023].

10 Das Artemis-Programm Das Artemis-Programm („Artemis Accords“) ist eine multilaterale Initiative der USA mit mittlerweile dreißig Partnerländern, darunter Australien, Kanada, Japan, Luxemburg, Italien, Großbritannien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Südkorea, Neuseeland, Brasilien, Polen, Mexiko, Bahrain, Frankreich, Israel, Kolumbien, Rumänien, Saudi-Arabien, Singapur, die Ukraine, Argentinien, Ecuador, Indien, Nigeria, Ruanda, Spanien und Tschechien. Mitte September 2023 ist Deutschland ebenfalls beigetreten, im November 2023 folgten die Niederlande und Island.
 

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