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Perspektiven ökologischer Land­wirtschaft in Deutschland und weltweit

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Bio-Lebensmittel liegen im Trend. Die steigende Nachfrage stellt frühere Selbstverständlichkeiten der Branche infrage.

„Wunderbrot“ ist zurzeit der Renner. Hafer- und Hirseflocken, Kürbiskerne, Leinsaat, Sesam, Chia- und Flohsamen stecken drin, es ist glutenfrei, eiweißreich – und selbstredend stammen alle Zutaten aus biologischem Anbau. Ein überdurchschnittlich ernährungsbewusster norwegischer Pastor, zugleich der offizielle Sportseelsorger seiner Landeskirche, hat das Rezept entwickelt, die Verheißung wundertätiger Wirkung im Namen kommt also nicht von ungefähr. In Deutschland verkauft Jan-Peter Bauck seit gut zwei Jahren die Mischung zum Selbstbacken, die 600-Gramm-Packung für 3,99 Euro das Stück. Und die Nachfrage übertrifft, wie Bauck berichtet, bisher alle Erwartungen.

Als sein Onkel vor rund 45 Jahren in der Lüneburger Heide aus dem Bauernhof der Familie das Unternehmen Bauckhof Naturkost gründete, machte ihn das zu einem der Pioniere der Bio-Branche in Deutschland. Heute ist der Bauckhof ein mittelständischer Betrieb, spezialisiert auf das Mahlen, Mischen und Abpacken von biologisch angebautem Getreidekorn und den Vertrieb der daraus hergestellten Produkte. 190 Mitarbeiter beschäftigt das Unternehmen, der Umsatz lag zuletzt bei 53 Millionen Euro, rund doppelt so viel wie vor fünf Jahren. Eine stürmische Entwicklung, nicht nur wegen des „Wunderbrots“. „Die vergangenen Jahre waren ein Geschenk für uns“, sagt Jan-Peter Bauck dazu.

Von der neuen deutschen Bio-Begeisterung haben viele profitiert. Der Markt für Bio-Lebensmittel ist zuletzt jährlich um fünf bis zehn Prozent gewachsen. Rund elf Milliarden Euro haben die deutschen Verbraucher im vergangenen Jahr für Bio-Produkte ausgegeben. Die Zahl der Biolandwirte, die beim Anbau auf künstliche Pflanzenschutzmittel und herkömmlichen Mineraldünger verzichten, außerdem ihren Rindern, Schweinen und Hühnern mehr Auslauf und mehr Platz im Stall gewähren, nimmt in vergleichbarem Tempo zu.

 

Bescheidene Marktanteile

 

Während sich Verbraucher vom Einkauf und Verzehr von Bio-Lebensmitteln positive Folgen für ihr eigenes Wohlbefinden und das Leben der Nutztiere, für die Artenvielfalt und den Klimaschutz erhoffen, machen den Landwirten nicht zuletzt betriebswirtschaftliche Argumente die Umstellung auf die Regeln des Ökolandbaus attraktiv. Vor allem kleinere Höfe haben derzeit in Deutschland deutlich bessere Verdienstaussichten, wenn sie Bio-Getreide oder Bio-Milch verkaufen, und das auch wegen der staatlichen Förderung. Anderthalb Millionen Hektar Weide- und Ackerland werden inzwischen von Bio-Bauern bewirtschaftet; das entspricht der Fläche von Schleswig-Holstein. Wenn nicht alle Zeichen trügen, wird sich die Entwicklung fortsetzen. Die Bundesregierung und einige Landesregierungen haben sich ausdrücklich vorgenommen, die Bio-Quote in den kommenden Jahren deutlich zu steigern.

Bio liegt im Trend. Das gilt für Politik und Gesellschaft bisher sogar noch mehr als für Landwirtschaft und Lebensmittelhandel. Verglichen mit dem Zustrom zu den Fridays for Future-Demonstrationen für mehr Klimaschutz und den jüngsten Wahlergebnissen der Grünen, nehmen sich die Bio-Marktanteile geradezu bescheiden aus. Nicht einmal zehn Prozent der landwirtschaftlichen Fläche in Deutschland werden ökologisch bewirtschaftet, und nur knapp sechs Prozent des gesamten Lebensmittelumsatzes entfallen auf Bio-Produkte. Auch im Vergleich mit anderen Ländern steht Deutschland nicht an der Spitze. In Dänemark haben Bio-Lebensmittel einen mehr als doppelt so hohen Marktanteil wie hierzulande: Die Dänen geben im Durchschnitt auch mehr als doppelt so viel für Bio-Produkte aus wie die Deutschen.

Da ist also noch Luft nach oben. Mit einiger Gewissheit wird das zu erwartende künftige Wachstum der Bio-Branche allerdings anderen nutzen, als man auf den ersten Blick vermuten möchte. Massentauglich wird Bio-Ware nämlich erst dadurch, dass Discounter wie Aldi und Lidl sie im großen Stil in ihr Sortiment aufgenommen haben. Sie brauchen andere Lieferanten als der traditionelle Bioladen, der sich auf kleine Familienbetriebe in der Region verlassen kann. Beispielhaft dafür, in welcher Größenordnung Bio-Landwirtschaft in Zukunft öfter betrieben werden dürfte, ist das Hofgut Eichigt im sächsischen Vogtland mit rund 1.500 Milchkühen. Solche Dimensionen mögen manchem Bio-Beseelten unheimlich vorkommen. Sie sind jedoch Voraussetzung dafür, dass Bio-Lebensmittel günstiger und breiter verfügbar werden als bisher.

 

Gentechnik und trotzdem Bio?

 

Sind das gute oder schlechte Nachrichten für alteingesessene Bio-Anbieter wie den Bauckhof aus der Lüneburger Heide, die für ihre Ware eher höhere Preise verlangen? Geschäftsführer Jan-Peter Bauck ist optimistisch. Der Bio-Markt werde sich zunehmend ausdifferenzieren, prophezeit er. Produkte mit dem vergleichsweise leicht zu erreichenden Bio-Siegel der Europäischen Union würden zum Einsteigerangebot, anspruchsvollere Kunden griffen dagegen zum sogenannten „Verbandsbio“, dem die strengeren Anforderungen von Erzeugerverbänden wie Bioland und Demeter zugrunde liegen.

Progressive Bio-Frontleute wie der Schweizer Agrarwissenschaftler Urs Niggli, Direktor des Schweizer Forschungsinstituts für ökologischen Landbau, sehen in diesem Szenario sogar die Gelegenheit, den ökologischen Landbau so zu verändern, dass die Weltbevölkerung eines Tages zum großen Teil von Bio-Lebensmitteln satt werden könnte. Dieses Ziel liegt, dem aktuellen Rückenwind für die Bio-Branche in Deutschland und Europa zum Trotz, noch in weiter Ferne. Weltweit werden nur 1,4 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche nach Bio-Kriterien bestellt. Der überwiegende Teil davon ist Weideland. Für die Ernährung von künftig zehn Milliarden Menschen auf der Welt ist jedoch das Ackerland entscheidend, auf dem Weizen, Reis, Mais, Maniok und Soja angebaut werden. Von all diesen Feldfrüchten ernten Bio-Landwirte je Hektar deutlich weniger als ihre Kollegen, die konventionelle Anbaumethoden nutzen. Beim Weizen ist der Unterschied besonders groß: Hier kommen Bio-Landwirte in Deutschland nur auf rund vierzig Prozent des konventionellen Ertrags je Hektar. Anders gesagt: Sie benötigen gut doppelt so viel Fläche für die gleiche Erntemenge.

Das ist ein Ergebnis, das zum steigenden Nahrungsmittelbedarf der stetig wachsenden Weltbevölkerung schlecht passt. Urs Niggli plädiert deshalb für die Öffnung des Bio-Standards – zumindest auf der niedrigsten Eingangsstufe – für neuartige Züchtungsmethoden, wie etwa die sogenannte Genschere CRISPR/Cas. Mithilfe dieser molekularbiologischen Methode, die Nutzpflanzen auf eine effizientere und flexiblere Art verändern kann, ließen sich Pflanzen züchten, die Hitze und Dürre besser aushalten und die gegen bestimmte Schädlinge von sich aus resistent sind. Das würde höhere Erträge mit weniger Dünger und ohne Einsatz künstlicher Pflanzenschutzmittel bedeuten. Außerdem müssten die Landwirte seltener mit dem Traktor über ihre Felder fahren, was Diesel spart und gut fürs Klima ist.

Bislang sind die Bio-Verbände nicht bereit, für diese Vorteile ihre grundsätzliche Ablehnung jeder Art von Gentechnik abzumildern. Doch je größer die Bio-Fläche und die Nachfrage nach Bio-Lebensmitteln werden, desto drängender stellt sich die Frage, ob diese Kompromisslosigkeit noch verantwortungsvoll ist.

 

Sebastian Balzter, geboren 1978 in Fulda, Wirtschaftsredakteur der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“.

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