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Kinder in der Rentendebatte

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Die Rente ist eine zeitraumbezogene Herausforderung, die regelmäßig mit zeitpunktbezogenen Argumenten diskutiert wird. Kein Wunder also, dass die Belange von Kindern dabei selten eine Rolle spielen. Dabei herrscht in Wissenschaft und Politik seit über vierzig Jahren Klarheit über die demografischen Lasten einer alternden Gesellschaft für ein umlagefinanziertes Rentensystem. Ein Systemwechsel oder eine demografische Nachhaltigkeit wurde in all den Jahren nicht erreicht.

In Deutschland haben Rentnerinnen und Rentner durch ein teilweise langes Erwerbsleben einen Anspruch auf eine ordentliche Rente, die nicht nur Preissteigerungen abfedert, sondern auch lebensstandardsichernd ist. Die aktuell Erwerbstätigen müssen ebenfalls auf eine auskömmliche Rente vertrauen. Aufgrund ihrer gesammelten Rentenansprüche ist es aus volkswirtschaftlicher Sicht inzwischen zu spät für einen Systemwechsel. Denn die junge Generation muss die Rentenansprüche der heutigen Rentner und Beitragszahler garantieren.

Damit bleibt keinerlei Spielraum, parallel ein anderes Rentensystem aufzubauen. Die Jahre, in denen das Verhältnis von Beitragszahlern zu Rentenbeziehern noch günstiger war, sind ungenutzt verstrichen.

Die gesetzliche Rente wird von abhängig Beschäftigten finanziert und zahlt Rentnerinnen und Rentnern ihre wohlverdiente Alterssicherung aus. Eine sinkende Zahl von Erwerbspersonen muss die Renten bei einer zudem steigenden Lebenserwartung finanzieren. Hinzu kommt, dass die besonders geburtenstarken Jahrgänge, die sogenannten Babyboomer, die „Seite wechseln“: In den nächsten fünfzehn Jahren werden 17.937.000 Menschen in Deutschland das Rentenalter erreichen. Im gleichen Zeitraum werden aber nur 11.541.000 junge Menschen alt genug sein (Destatis 2022: 15. koordinierte Vorausberechnung für Deutschland, https://service.destatis.de/bevoelkerungspyramide/), um dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen (Erwerbsfähigkeit). Rund sechs Millionen Gehälter zur Finanzierung der Rente fallen unter dem Strich somit weg. Bei der Rentenpolitik geht es also „ans Eingemachte“.

Zuletzt war das in den frühen 2000er-Jahren ebenso der Fall. Damals geriet die Rentenkasse in einem schwachen wirtschaftlichen Umfeld unter Druck. Die pünktliche Auszahlung der Renten konnte nicht sichergestellt werden. Um den Handlungsdruck zu mindern, wurde 2004 deshalb die gesetzlich vorgeschriebene Rücklage in der Rentenkasse stufenweise von einer Monatsausgabe auf 0,8, dann auf 0,5 und später auf sogar 0,2 Monatsausgaben abgesenkt. Im gleichen Jahr wurde der Auszahlungstermin für Neurenten kurzerhand an das Monatsende gelegt. Damit spart die Rente – ökonomisch gesprochen – eine Monatsausgabe. Weil auch diese Maßnahme damals nicht ausreichte, um die Löcher zu stopfen, wurden Arbeitgeber verpflichtet, die Zahlungen der Beiträge vor Ende des Monats abzuführen; die sogenannte Vorfälligkeit wurde eingeführt. Das erspart der Rente bis heute eine komplette Monatslast. Denn im Jahr 2006 hat die Wirtschaft damit dreizehn statt zwölf Beiträge an die Rentenversicherungen abgeführt, da im Januar 2006 für die Arbeitgeber Beiträge doppelt – sowohl zur Monatsmitte als auch am Monatsende – fällig waren. Dieser Kredit der Wirtschaft hat die klammen Sozialkassen vor der Pleite bewahrt. In der angespannten Situation musste der Bund seine Rentenzuschüsse bereits mehrfach vorziehen und 2005 sogar einen Überbrückungskredit zur Liquiditätssicherung gewähren.

 

Keine Strategie für eine generationengerechte Rente

 

Erst nach diesen Notmaßnahmen wurden mit der Riester-Rente, der Stärkung der betrieblichen Altersvorsorge und später der schrittweisen Einführung der „Rente mit 67“ erste strukturelle Reformschritte eingeleitet. Diesen Pfad hat die Rentenpolitik längst wieder verlassen und ins Gegenteil verkehrt: In den konjunkturell guten Jahren wurden die Überschüsse der Rentenkasse für neue Ansprüche genutzt. So wurde mit der Grundrente ein Zuschlag für etwa 1,3 Millionen Personen eingeführt, die „Rente mit 63“ oder mehrere Schritte bei der sogenannten Mütterrente vollzogen sowie die Erwerbsminderungsrenten deutlich verbessert. Für diese Maßnahmen gibt es sicher gute Gründe. Unbestritten bleibt jedoch, dass diese Maßnahmen auf die ältere Generation und die rentennahen Jahrgänge abzielten.

Die Frage der Generationengerechtigkeit ist für den politischen Diskurs offensichtlich zu abstrakt. Strukturelle Veränderungen erfolgen nur unter großem Druck. 2018 bis 2020 hat sich die Rentenkommission der (damals schwarz-roten) Bundesregierung mit den langfristigen Herausforderungen der Alterssicherung befasst. Dabei sind viele Aspekte und Ansätze diskutiert und aufbereitet worden. Die konkreten Antworten, wie es nach 2025 mit der Rente weitergehen soll, blieb sie allerdings schuldig. Sie hat dafür die Einsetzung eines Alterssicherungsbeirats empfohlen.

Darüber hinaus sind sich die alte und die neue Bundesregierung darin einig, dass sich in den kommenden Jahren weder an den Rentenbeiträgen noch an der Rentenhöhe etwas ändern soll. Die Rentenkommission hatte vorgeschlagen, dass der Rentenbeitrag bis 2024 nicht über zwanzig Prozent steigen soll und das sogenannten Rentenniveau nicht sinken darf, sondern auf dem aktuellen Stand von 48 Prozent bleiben soll. Darauf hat sich auch die Ampelregierung verständigt; allerdings hat sie keine langfristige Strategie für eine generationengerechte Rente vorgelegt. Im Koalitionsvertrag wird lediglich vorgeschlagen: „Es wird keine Rentenkürzungen und keine Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters geben. Um diese Zusage generationengerecht abzusichern, werden wir zur langfristigen Stabilisierung von Rentenniveau und Rentenbeitragssatz in eine teilweise Kapitaldeckung der gesetzlichen Rentenversicherung einsteigen.“

 

Rentenreform ist unausweichlich

 

Die Idee der Ampel ist, dass der dafür vorgesehene Zehn-Milliarden-Fonds weltweit angelegt wird und aus den Zinsen sowie Renditen später einmal zusätzliche Mittel für die Rentenzahlungen zur Verfügung stehen werden. Einmalig zehn Milliarden Euro wurden dafür im Bundeshaushalt 2023 veranschlagt. Das Problem ist, dass dieser Bundeshaushalt in nicht unerheblichem Maße durch neue Schulden finanziert wird. Die Zinslasten und die Rückzahlungen der Schulden überlassen wir somit ebenfalls den nachkommenden Generationen. Denn die Schulden von heute werden die Steuern von morgen sein. Dass neue Schulden einen entscheidenden Beitrag zur generationengerechten Lastenteilung tragen sollen, erscheint nicht nur widersprüchlich, es ist ein Widerspruch. Zudem wird das vorgelegte Finanzvolumen den künftigen Lasten nicht im Entferntesten gerecht.

Über welche Dimensionen sprechen wir? Das ifo Institut für Wirtschaftsforschung hat die Lasten ermittelt: Ab 2025 werden für die von der Ampelkoalition getroffenen Festlegungen, ungeachtet der schon heute fälligen gut 100 Milliarden Euro Rentenzuschuss aus dem Bundeshaushalt jährlich, weitere elf Milliarden notwendig sein. Diese Zusatzlasten wachsen in den nachfolgenden Jahren sukzessive auf. 2035 werden es bereits achtzig Milliarden Euro mehr und 2060 180 Milliarden Euro mehr sein, prognostizierten die Wirtschaftswissenschaftler Axel Börsch-Supan und Johannes Rausch bereits 2018 (ifo-Schnelldienst: „Die Kosten der doppelten Haltelinie“, Mai 2018). Es wird also kein Weg daran vorbeiführen, die Rente zu reformieren und die Lasten gerechter zu verteilen.

Die Optionen der Rentenpolitik sind überschaubar. Vereinfacht gesprochen gibt es vier Stellschrauben: Lebensarbeitszeit, Rentenbeitrag, Rentenhöhe und Steuerzuschuss. Bisher schließt die Politik aus, dass der Rentenbeitrag, die Höhe der Renten oder die Lebensarbeitszeit verändert werden. Die zusätzlichen Steuerlasten werden unsere heutigen Kinder allerdings kaum stemmen können. Denn auch wirtschaftliches Wachstum wird mit weniger Erwerbstätigen in einer alternden Gesellschaft immer schwieriger zu erreichen sein. Außerdem werden die demografischen Lasten viele weitere Lebensbereiche negativ treffen, insbesondere die gesetzliche Krankenversicherung. Es wird deshalb darum gehen, einen generationengerechten Ausgleich zwischen den Stellschrauben Rentenhöhe, Rentenbeiträge, Steuerzuschuss und Lebensarbeitszeit zu finden. Die „Rente mit 70“ ist durch die Kraft des Faktischen eigentlich längst entschieden. Nicht ob wir länger werden arbeiten müssen, ist die Frage, sondern welche Generation wie lange wird arbeiten müssen. Je länger diese schwierigen Entscheidungen aufgeschoben werden, desto härter trifft es die Kinder.

Die sogenannte junge Rentenkommission hat 2020 konkrete Vorschläge unterbreitet. Dazu gehörten der moderate Anstieg des Renteneintrittsalters, die bessere Ausgestaltung der zusätzlichen Altersvorsorge und die Digitalisierung des Rentensystems. Perspektivisch soll die steigende Lebenserwartung mit dem Renteneintrittsalter gekoppelt werden. Die zusätzliche Altersvorsorge, die Arbeitnehmer privat oder mit dem Arbeitgeber ansparen, muss einfacher und attraktiver werden, und die Digitalisierung muss in der Rentenverwaltung gestärkt werden, damit die Strukturen schlanker und die Leistungen transparenter werden.

Früher gab es das geflügelte Wort: „Die Kinder sollen es einmal besser haben.“ Für die Nachkriegsgenerationen hat sich dieser Satz weitgehend bewahrheitet. Nun ist unser Wirtschafts- und Gesellschaftssystem an einen Punkt gelangt, an dem wir den „kleinen Schultern“ mehr aufbürden, als frühere Generationen zu tragen hatten. Damit die Rente „kinderfreundlicher“, also nachhaltiger wird, muss die Politik teils unbequeme Wahrheiten aussprechen und adressieren.

 

Thomas Köster, geboren 1982 in Paderborn, promovierter Volkswirt, war in unterschiedlichen Positionen in der ökonomischen Politikberatung tätig, seit 2020 zuständig für Kommunikation und Vertrieb für Verfassungsorgane bei der SVA System Vertrieb Alexander GmbH.