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Warum Moral allein keine Lösung ist und Nachhaltigkeit zur Leerformel zu werden droht

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Die öffentliche Diskussion über ökologische Bedingungen des gesellschaftlichen Lebens hat in den letzten Jahren einen enormen Bedeutungszuwachs erfahren. Die Gesellschaft fühlt sich von Effekten betroffen, die sie selbst in ihrer Umwelt ausgelöst hat. Gemeint sind damit der Rückgang der biologischen Vielfalt, klimatische Veränderungen, die Evolution resistenter Krankheitserreger, Nebenfolgen der Implementierung von Hochtechnologien, die globale Umweltverschmutzung und so weiter. Angesichts mannigfaltiger ökologischer Problemlagen setzt sich die Gesellschaft selbst heftiger Kritik aus und überfordert sich nicht minder mit Interventionsansprüchen.

Ein Begriff, der in den letzten Jahren den ökologischen Diskurs massiv beeinflusst, wenn nicht sogar dominiert hat, ist der der „Nachhaltigkeit“. Einfach ist der Begriff, weil er eine nachhaltige alltagsweltliche Wirkung erzielt hat und an ihn affektiv und kognitiv angeschlossen werden kann. Es wird „nachhaltig“ gebaut, gekauft, gegessen, geforscht und vieles mehr. Komplex ist er, weil er als regulative und normative Idee in alle Lebensbereiche der Gesellschaft vorgedrungen ist und Transformationsprozesse einleiten möchte. Man kann also sagen: Nachhaltigkeitsorientierung lenkt den Fokus auf umweltpolitische Programme, und der Begriff Nachhaltigkeit, als gesellschaftlich induzierte Problemstellung, impliziert konkrete Problemlösungsstrategien unter Komplexitätsbedingungen.

Waren es in einfach strukturierten Gesellschaften Riten, Mythen, Tabuisierungen, die komplexe ökologische Selbstregulierungen in Gang setzten, wird in einer funktional differenzierten Gesellschaft selektiv darüber entschieden, ob, wie und inwieweit „Natur“ Eingang in die Gesellschaft findet. Was als ökologisches Phänomen Resonanz erlangt, ist nicht von objektiven Tatsachen abhängig, sondern davon, wie die Gesellschaft Problemlagen identifiziert beziehungsweise wie und ob sie ökologische Probleme innergesellschaftlich überhaupt bearbeiten kann.

 

Beschränkte Resonanzfähigkeit

 

Der nur vermittelte Zugang zur „Ökologie“ lässt gesamtgesellschaftliche Lösungen unwahrscheinlich werden, denn die Problemdefinition und erst recht Problemlösungen werden je durch die Perspektive unterschiedlicher Funktionssysteme für Wirtschaft, Politik, Recht, Wissenschaft, Erziehung, Religion et cetera – basierend auf der je eigenen Systemlogik – gebrochen. Die Konstruktion einer „natürlichen“ Umwelt ist ein vielstimmiges künstliches Produkt. Diese Vielstimmigkeit macht es aus strukturellen Gründen unmöglich, dass die Gesellschaft als Ganzes darauf reagieren kann. Die Resonanzfähigkeit bleibt auf operative und funktionsspezifische Lösungsstrategien beschränkt. Selektiv wird darüber entschieden, was als Problem erkannt, als riskant, gefährlich oder als nicht nachhaltig zu gelten hat. So mag es für das Wirtschaftssystem sinnvoll erscheinen, nachhaltig zu produzieren, da so Anschlüsse über Preise generiert werden können, oder die Politik entscheidet darüber, ob und inwieweit in „nachhaltige“ Projekte investiert werden kann. Die Ambivalenz zeigt sich in den paradoxen Effekten, die Problemlösungsstrategien unter polykontexturalen Bedingungen zeitigen. So produzieren Entscheidungen, die sich auf rationales Wissen stützen, Gefährdungen, die nicht mit der ursprünglichen Intention und Systemlogik gelöst werden können. Veränderungen in einem System können gleichzeitig Transformationsprozesse in anderen Systemen auslösen. Wie und ob ein System auf Störungen reagiert, entscheidet ausschließlich das irritierte System selbst. Wenn zum Beispiel das Recht zur Verschärfung von Umweltauflagen verpflichtet, kann das wirtschaftliche Konsequenzen haben, die nicht zu dem im Verhältnis stehen, was das Rechtssystem ursprünglich zu ändern beabsichtigte. Ebenso vermögen Nanotechnologien Wechselwirkungen auszulösen, die sich zum Zeitpunkt der Implementierung und Anwendung einer Wahrnehmung entziehen. Indem Bestimmtes betont wird, jedoch das meiste unbestimmt bleibt, wirken Entscheidungen auf Strukturen und invisibilisieren gleichzeitig Adaptionsmöglichkeiten. Redundanzverzicht, der in der Nichtsubstituierbarkeit der Funktionssysteme liegt und gerade deshalb mit einer enormen Leistungssteigerung einhergeht, führt gleichzeitig dazu, dass notwendiges Wissen im Bedarfsfall möglicherweise nicht zur Verfügung steht. So wirken Restriktionen immer auch auf die Wissensproduktion ein. Es ist eine offene Frage, inwieweit Steuerungsmechanismen die Form von Kreativität produzieren und/oder einschränken, die benötigt würde. Insbesondere im Zusammenhang mit neuen Technologien herrschen kontemporäre Fiktionen vor, was die Entstehung und die Verbreitung von Innovationen anbelangt. So fürchtet man sich gegenwärtig mehr vor der Nahrungsmittelchemie als vor der eigenen ungesunden Ernährung.

 

Normative Postulate und Konsumverhalten

 

Aufgrund des strukturellen Selbstbeschreibungsdefizits der Gesellschaft, sich tatsächlich als Einheit beschreiben zu können, wird der ökologische Diskurs mit Moral aufgeladen. Das Steuerungsdefizit wird durch die Hoffnung auf eine „bessere“ Angepasstheit an „die natürliche Umwelt“ verdeckt sowie durch klare moralische Markierungen, was als „gut“ und was als „schlecht“ zu gelten hat. „Saubere“ Technologien sind besser als „schmutzige“, „Kleinräumigkeit“ ist besser als „groß“, „grüne“ Produkte sind besser als „konventionelle“. Diese normativen Postulate der Nachhaltigkeit werden vorzugsweise an einem nachhaltigen Konsumverhalten festgemacht, das den latenten Glauben eines steigenden „ökologischen Bewusstseins“ jedes Einzelnen mitführt. Individuelles Verhalten und individuelle Entscheidungen eignen sich am besten für die Adressierung moralischer Ansprüche. Empirisch zeigt sich, dass das individuelle Konsumverhalten stark variiert; man kauft Bioprodukte und gleichzeitig Gemüse, das Tausende Kilometer transportiert wurde. Die Lösung des Problems wird im Maßhalten und in der Reduzierung des Verbrauchs gesehen. So wird dem Konsumenten – zwangsläufig – eine besondere moralische Verantwortung zugeschrieben.

Individuen zeichnen sich gemeinhin durch ein äußerst ambivalentes Konsumverhalten aus. Effizienzgewinne werden oftmals durch Veränderungen der Kaufgewohnheiten kompensiert. So führt ein geringer Stromverbrauch als Reboundeffekt, also als Bumerangeffekt, sehr häufig zu Veränderungen des Konsumverhaltens, die sich in der Steigerung des Konsums widerspiegeln, zu sehen beispielsweise in einem sparsamen Treibstoffverbrauch, der durch vermehrtes Fahrverhalten kompensiert und konterkariert wird. Die Forderung nach einem nachhaltigen Leben kann somit nur als Appell verstanden werden, etwas zu tun, was man im Idealfall von sich aus tun würde. So stößt individuelles Handeln in einer modernen Gesellschaft angesichts komplexer Wirkungszusammenhänge zwangsläufig an Grenzen. Subjektive Lösungsmöglichkeiten können sehr begrenzt sein und ebenso kontraproduktiv als Handlungsfolgen wirken.

 

Nachhaltigkeit als Trend

 

Der Rekurs auf Nachhaltigkeit als Trend der Gegenwart zeigt sich auch in Marketing- oder Greenwashing-Strategien, die darauf abzielen, eine nachhaltige Produktionsweise zu suggerieren, ohne dass es hierfür hinreichende Grundlagen gibt. Wir haben es in der Ökologieforschung mit einem sehr weit getriebenen wissenschaftlichen Auflöse- und Rekombinationsvermögen zu tun. Physik, Chemie, Biologie und so weiter formulieren die Welt mit Techniken, Werkzeugen und Instrumenten und eröffnen schier unbegrenzte Variationsmöglichkeiten. Das zeigt sich zurzeit deutlich in der Lebensmittelindustrie mit ihren „hybriden“ Formen der Produktion wie Gewebezüchtungen, gentechnisch veränderten Lebensmittel et cetera – einer Vernetzung von Ökologie, technischen Fortschritten, politischen Entscheidungen sowie Implementierungen, die in verschiedenen Funktionssystemen Irritationen auszulösen vermögen und gleichzeitig die natürliche Umwelt auf eine unprognostizierbare Weise transformieren. Dies auf die Verantwortung des Einzelnen übertragen zu wollen, wäre nicht nur grob fahrlässig, sondern verhinderte ebenso systemisches Lernen. Denn es handelt sich um systemische Effekte, die sich der Wahrnehmung des Einzelnen vollkommen entziehen und intendierte Handlungsfolgen individuellen Umwelthandelns transformieren – oder sogar ins Gegenteil verkehren können.

Das Erziehungssystem nimmt im Nachhaltigkeitsdiskurs einen besonderen und wichtigen Stellenwert ein. Wir handeln in einer vorstrukturierten Welt, in der es Handlungsmuster, Normen, Routinen, Typisierungen und Erwartbarkeiten gibt. Gerade bei Kindern kann zurzeit beobachtet werden, wie diese Regelmäßigkeiten im Hinblick auf ökologische Problemlagen infrage gestellt werden. Dennoch und trotz aller Irritation sind es in einer hochgradig ausdifferenzierten Gesellschaft meist die sozial erwartbaren Möglichkeiten, die das Handeln anleiten. Verhaltensdispositionen erweisen sich als stabiler, als man es sich eingestehen möchte. Hier gälte es anzusetzen. Täglich liest man die Verwunderung darüber, dass sich das nachhaltige Umweltbewusstsein, das, was ein Mensch in seiner psychischen Verfasstheit als ökologisch schützenswert erachtet, sich nicht im praktischen Umweltverhalten niederschlägt. Das meiste, was geschieht, geschieht relativ reflexionsfrei. Hier sind innovative, neugierige, lernbereite und kluge Reflexionen notwendig.

Über Nachhaltigkeit zu sprechen, kann nur und ausschließlich unter Einbezug von Praktiken, Technologien und Konventionen erfolgen und sollte sich von der bloß normativen Orientierung eines nachhaltigen Konsums durch aufgeklärte Konsumenten lösen, was nur heißt: diese in ihren praktischen Routinen ernst zu nehmen. Nur so lässt sich die Idee der Nachhaltigkeit auch in den Strukturen einer modernen Gesellschaft etablieren. Einfache Lösungsstrategien in einer komplexen Gesellschaft verhindern Anpassungsleistungen. Benötigt wird ein modernes Monitoring, das Komplexität in den Blick bekommt, um Beharrungstendenzen gesellschaftlicher Verhältnisse in den Blick zu nehmen und damit Innovationsideen überhaupt zu ermöglichen. Stagnation und Verzicht wirken genauso destruktiv wie maßloses Wachstum. Utopien, die Gesellschaft steuern zu können, sind genauso ineffizient wie Konzepte, die lediglich auf Partizipation und Verantwortungszuschreibung des Einzelnen abzielen.

 

Denkmuster und Blockaden

 

Es geht heute mehr denn je um ökologische, wissenschaftliche und politische Kreativität. Denkmuster, und sei es in bester ökologischer Absicht, blockieren das Nachdenken und invisibilisieren Möglichkeiten. Nicht Einschränkungen, sondern Ermöglichungsstrategien schärfen den Blick für intelligente Lösungen (Smart-Grids, intelligente Stromnetze, Unverpackt-Läden et cetera) für ökologische Herausforderungen. Das heißt, dass Produktionsprozesse vollkommen neu gedacht werden sollten, um den Blick zu öffnen für Möglichkeitsformen und sich stetig aktualisierende Anpassungsstrategien – was bedeutet, das Erreichte ständig zu hinterfragen, eben einem modernen Monitoring zu unterziehen, etwa bedarfsgerechte Planung der Nahrungsmittelherstellung. So verändern moderne Kommunikationstechnologien aktuell grundlegend alle Lebensbereiche, und diese Veränderungen sollten Möglichkeiten eröffnen und nicht durch tradierte Lösungsstrategien ausgehöhlt werden.

 

Magdalena Göbl, Umweltsoziologin, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Lehrstuhl für Allgemeine Soziologie und Gesellschaftstheorie, Ludwig-Maximilians-Universität München.

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