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Aus der Opposition in die Regierung

Die Landtagswahlen von Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen

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In Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen ist es der CDU gelungen, stärkste Partei zu werden. Der Ausgang der Koalitionsverhandlungen unmittelbar nach der Wahl ist zwar noch offen, doch hat die CDU den Auftrag zur Regierungsbildung. Derzeit könnte es in Nordrhein-Westfalen zu einer Koalition von CDU und FDP kommen, die im Parlament eine Stimme Mehrheit hätte. Die SPD hat in Nordrhein-Westfalen bereits angekündigt, nicht für Sondierungsgespräche zur Verfügung zu stehen. In Schleswig-Holstein könnte es zu einer weiteren Koalition aus CDU, FDP und Grünen kommen. Dies wäre das zweite Mal, dass eine sogenannte Jamaika-Koalition gebildet würde. Die erste Jamaika-Koalition regierte von 2009 bis 2012 im Saarland.

Eine Koalition von CDU und FDP hätte den Charme, dass ein weiteres klassisches Zweierbündnis wieder entstehen würde, das es in den Ländern derzeit nicht gibt. Zudem würde ein „großer“ Regierungswechsel vollzogen, da keine der beiden Parteien zuvor an der Regierung beteiligt war. Würde sich in Schleswig-Holstein Jamaika bilden, wäre der Bundesrat um eine weitere Regierungsvariante reicher. Auch auf die Bundespolitik könnten sich die Erfahrungen aus den Ländern auswirken.

In beiden Ländern gab es zwar während der Legislaturperiode jeweils eine Phase, in der die CDU vor der SPD lag, doch hatte sich im Frühjahr nach der Nominierung des Kanzlerkandidaten der SPD, Martin Schulz, das Meinungsklima zugunsten der SPD zunächst gedreht. Bei der Landtagswahl im Saarland im März 2017 zeigte sich bereits, dass die landespolitische Reichweite des in Medien sogenannten „Schulz-Effektes“ (häufig auch „Schulz-Zug“) begrenzt ist.

 

Kurzfristiges Schulz-Hoch blieb ungenutzt

Mit der Bestätigung der Saarländischen Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer und den Zugewinnen der CDU bei gleichzeitigen Verlusten der SPD hat sich das Meinungsklima wieder geändert. Schulz, der eine Woche vor der Wahl im Saarland mit 100 Prozent zum Parteivorsitzenden der SPD gewählt wurde, konnte seine Partei nicht vor Verlusten bewahren. Dies liegt vor allem daran, dass sich bundespolitische Effekte wesentlich seltener und schwächer als häufig angenommen auf das landespolitische Meinungsklima auswirken. So war es auch bei den drei Landtagswahlen im Frühjahr 2017. Martin Schulz konnte damit das kurzfristige Hoch für die Wahlkämpfe nicht gewinnbringend nutzen. Nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen sagte Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, sie habe Schulz gebeten, keine bundespolitischen Themen in den Landtagswahlkampf einzubringen. Unklar ist, warum diese Strategie von der SPD gewählt und der Spitzenkandidat für die Bundestagswahl aus dem Rampenlicht entfernt wurde. Antworten darauf bleiben ebenso spekulativ wie Mutmaßungen über den Ausgang der Bundestagswahl.

 

Keine kleine Bundestagswahl

Die Formulierung, bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen handle es sich um eine „kleine Bundestagswahl“, ist zwar geläufig, jedoch nur berechtigt, wenn man die Zahl der Wahlberechtigten des Landes berücksichtigt. Die Dominanz der SPD in der Regierung von NRW in den vergangenen Jahrzehnten hat im Bund bekanntlich keinen Niederschlag gefunden. Damit ist Nordrhein-Westfalen kein Indikator für den Ausgang anderer Wahlen, selbst wenn es 2005 sowohl im Land als auch im Bund zu einem Regierungswechsel kam, allerdings mit unterschiedlichen Koalitionskonstellationen. Auch in Nordrhein-Westfalen sind bundespolitische Einflüsse vorhanden. Doch ist die Bedeutung nicht größer oder kleiner als in anderen Ländern. 36 Prozent der Wahlberechtigten sagen, die bundespolitische Situation sei für die Wahlentscheidung wichtiger. Nur sehr selten (zum Beispiel in Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt oder Hessen) steigt der Wert über vierzig Prozent an.

Auch eine zweite Legende über Nordrhein-Westfalen ist recht brüchig – nämlich, dass Nordrhein-Westfalen das Stammland der SPD sei. Seit 1966 war die SPD nur von 2005 bis 2010 nicht an der Landesregierung beteiligt. Damit hat die CDU die historische Dominanz der SPD ein zweites Mal in der jüngeren Geschichte gebrochen und kann den Ministerpräsidenten stellen. Wahlergebnisse von etwa 32 Prozent hatte die SPD bei den ersten Landtagswahlen 1947 und 1950. Bis 1962 war die CDU die stärkste Partei. 1966 entschied sich die FDP während der Legislaturperiode für einen Wechsel zur SPD.

In den 1970er-Jahren konnte die CDU nicht regieren, da sich die FDP für sozialliberale Koalitionen entschied. Danach gelang es der CDU erst 2005 mit Jürgen Rüttgers wieder, die Regierung in einer schwarz-gelben Koalition zu leiten. Vor allem die 1980erund 1990er-Jahre mit dem Ministerpräsidenten Johannes Rau (1978 bis 1998) festigten das Image vom „Stammland“ der SPD, welches bei genauerer Betrachtung historisch brüchig ist, vor allem, da das Bindestrich-Land sozialstrukturell und weltanschaulich heterogen zusammengesetzt war und ist.

Die Wahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen zeigen erneut, wie differenziert das Wahlverhalten ist. Mit dem Rückgang traditioneller Parteibindungen entscheiden sich die Wähler von Wahl zu Wahl neu – und dies auch jenseits vermeintlicher Lageraffinitäten. Dies gilt auch für Nichtwähler, die weder ein monolithischer Block sind noch eine Reservewählerschaft für eine bestimmte Partei oder ein politisches Lager bilden. Während im letzten Jahr vor allem die AfD Stimmen aus dem Nichtwählerlager mobilisieren konnte, gelang dies bei den Landtagswahlen 2017 vor allem der CDU.

 

Entscheidung auf den letzten Metern

Beide Wahlen wurden in den letzten Wochen vor dem Wahltermin entschieden, vielleicht auch auf den letzten Metern. Die Bedeutung des Wahlkampfes wird durch diese Aufholjagd sichtbar. Die Landesverbände setzten auf Angriffswahlkämpfe, die die Bilanz der Regierung thematisieren und die Probleme aufgreifen, die den Menschen besonders wichtig sind. Die Kommunikationslinie wurde bis zum Ende beibehalten, sodass die Argumentation verfangen konnte. Zudem wurden soziale und traditionelle Medien gemixt und damit auch eine zielgerichtete Ansprache von Wählern möglich.

Darüber hinaus setzte die CDU auf direkte Haustürkommunikation. „Das Erfolgsrezept heißt Tür-zu-Tür-Wahlkampf. Allein in der letzten Woche vor der Wahl besuchten die Wahlkämpfer in NRW über 30.000 Haushalte. Das gab vor allem in einigen hart umkämpften Wahlkreisen den Ausschlag und zeigt: Es kommt auf den persönlichen Kontakt zu den Bürgerinnen und Bürgern an“, ist in den Mails von Connect 17 zu lesen.

Damit ist eine recht traditionelle Kampagnenform, die auch im Saarland und in Schleswig-Holstein eingesetzt wurde, wieder zentraler Bestandteil der Kommunikationsstrategie. Aus vielen Studien ist die Wirkung bewiesen. Doch haben auch die SPD und Hannelore Kraft auf diese Strategie gesetzt. Bei Facebook und Twitter hatte Christian Lindner die größten Reichweiten. Auch wurde der Wahlwerbespot der FDP medial stark wahrgenommen und fand – über die reine TV-Ausstrahlung hinaus – auch im Netz viele Zuschauer.

Überraschend ist die Ähnlichkeit der Ausgangssituationen, welche die beiden Landtagswahlen entschieden haben. Die Amtsinhaber profitierten zunächst von ihrem Amtsbonus. Beiden Herausforderern ist es mit beharrlicher Kommunikation gelungen, diesen Amtsbonus so schrumpfen zu lassen, dass am Ende von einem „Bonus“ kaum noch gesprochen werden kann. Sowohl Armin Laschet als auch Daniel Günther lagen am Ende der Wahl etwa zehn Punkte hinter den amtierenden Ministerpräsidenten, die noch nicht einmal von der Hälfte der Wahlberechtigten erneut im Amt gewünscht wurden.

Die CDU verstand es, in beiden Ländern Themen zu setzen und Lösungskompetenzen zu vermitteln. Bei den Problemen, die jeweils in den Ländern als am wichtigsten erachtet wurden, lag die CDU vor der SPD. Die SPD konnte zwar im Politikfeld soziale Gerechtigkeit punkten, aber Fragen der sozialen Gerechtigkeit hatten die Wähler in beiden Ländern nicht mobilisiert. Wichtiger waren konkrete Probleme der Länder, von Infrastruktur und Verkehr über Bildung und Schule bis hin zur Kriminalität.

Dass es möglich war, mit einem thematischen Wahlkampf zu gewinnen, lag vor allem an der kritischen Bewertung der Leistungsbilanz der Regierungen. Mit einem sinngemäßen „Weiter so“ konnten die Landesregierungen nicht punkten, da ihre Arbeit in wesentlichen politischen Problemen kritisch bewertet wurde. Personalisierungsstrategien verloren so an Bedeutung. Vor dem Hintergrund der Unzufriedenheit mit der Arbeit der Regierungen und unter dem Eindruck, dass politische Probleme nicht gelöst werden, kam es zu einer starken Mobilisierung von Wählern.

Die gestiegene Wahlbeteiligung ist ein Indikator dafür. Die früheren Nichtwähler haben sich überwiegend für die Wahl der CDU entschieden. Sie gilt als die Partei, der am stärksten zugetraut wird, die künftigen Probleme zu lösen. So entschieden sich in Nordrhein-Westfalen von den circa 680.000 vormaligen Nichtwählern 430.000 für eine Stimmabgabe zugunsten der CDU. Doch zeigt sich bereits seit 2016 ein ungebrochener Trend zu steigenden Beteiligungsraten (Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Berlin, Saarland). Aber auch 2014 (Europa) und 2013 stiegen die Beteiligungsraten in Niedersachsen, Hessen und bei der Bundestagswahl an.

Die Wahlen haben aber auch im Abschneiden der anderen Parteien gezeigt, wie stark sich die jeweilige Wahrnehmung der Inhalte und Personen auf das Wahlverhalten auswirkt. Nur zur Erinnerung: Im Saarland scheiterten sowohl Grüne als auch FDP an der Fünf-Prozent-Hürde, die Linke bleibt trotz Verlusten zweistellig. Anders war die Situation in Schleswig-Holstein. Sowohl FDP als auch Grüne profitierten vor allem von der Popularität ihrer Kandidaten, wobei es sich im Fall von Wolfgang Kubicki um den Spitzenkandidaten handelte, im Fall von Robert Habeck um den Umweltminister, der nicht auf der Liste kandidierte, da er sich zum Zeitpunkt der Aufstellung noch um die Position des (männlichen) Bundesspitzenkandidaten der Grünen bewarb. Beiden gelang es, dass ihre Parteien respektable Wahlergebnisse erzielten. In Nordrhein-Westfalen war es Christian Lindner, der – als FDP-Bundesvorsitzender und gestärkt durch seine „unterhaltsame“ Oppositionsarbeit – von einem auf ihn maßgeschneiderten Wahlkampf profitierte und seiner Partei das beste Wahlergebnis in Nordrhein-Westfalen überhaupt bescherte. Die Grünen konnten im größten Bundesland weder inhaltlich noch personell überzeugen. Zudem wurde ihre Arbeit in der Regierung besonders schlecht bewertet.

Auf der Ebene der kleineren Parteien hat die AfD die Rolle der Piraten übernommen. Die Piraten, die in der kurzen Phase von 2011 bis 2012 in vier Landtage einzogen, konnten nicht erneut Wähler mobilisieren. Die ehemaligen Wähler der Piraten scheinen hingegen ideologisch unbeeindruckt zur nächsten Protestpartei, der AfD, zu wechseln. Zumindest konnte die AfD von den „sonstigen“ Parteien in beiden Ländern den stärksten Wählerzustrom verbuchen. Allein in Nordrhein-Westfalen erhielt die AfD 300.000 Stimmen aus dem Lager der „sonstigen“ Parteien. In geringerem Umfang mobilisierte die Partei ehemalige Nichtwähler (120.000). Die Wechselaktivität von früheren Wählern anderer Parteien fiel hingegen schwach aus. Von der SPD wechselten 60.000 vormalige Wähler, von der CDU 50.000 und von der FDP 30.000.

Die Ergebnisse verdeutlichen auch, dass die AfD ihren Zenit überschritten haben könnte. In allen Trendindikatoren ist ein langsamer, aber stetiger Rückgang in der Zustimmung zu der Partei sichtbar. Zweistellige Ergebnisse sind in weite Ferne gerückt.

Anmerkung

Wahlergebnis Schleswig-Holstein (Zweitstimmen) in Prozent: CDU 32,0; SPD 27,2; Grüne 12,9; FDP 11,5; AfD 5,9; SSW 3,3 (die Fünf-Prozent-Hürde gilt nicht für den SSW, sodass er mit drei Mandaten im Landtag vertreten ist).

Wahlergebnis Nordrhein-Westfalen (Zweitstimmen) in Prozent: CDU 33,0; SPD 31,2; FDP 12,6; AfD 7,4; Grüne 6,4. Die Linke ist mit 4,9 Prozent knapp an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert.

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Viola Neu, geboren 1964 in Ludwigshafen, Leiterin des Teams Empirische Sozialforschung der Konrad-Adenauer-Stiftung.

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