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Die schwierige Suche nach Zielbildern für unsere Landwirtschaft

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Grüne Kreuze auf den Feldern, Traktorenkonvois, Attacken in den sozialen Netzwerken: Landesweit machen Bauern ihrem Ärger Luft. Sie haben den Eindruck, dass der Rechtsrahmen für ihre Betriebe immer stärker von einer urban geprägten Bevölkerung bestimmt wird, die zum einen nicht sachkundig ist und zum anderen von den negativen Folgen der beschlossenen Maßnahmen nicht betroffen sein wird. Deshalb fordert die Bewegung „Land schafft Verbindung“ in ihrer Resolution vom 3. Dezember 2019: „Das Leben auf dem Land muss von jenen bestimmt werden, die sich dort ökonomisch, sozial und kulturell einsetzen.“

Eine Erwiderung von Umwelt- und Tierschutzverbänden steht noch aus, doch ist zu erwarten, dass die kritischen Organisationen diese Forderung der Landwirte nicht akzeptieren werden. Aus ihrer Sicht war es der allzu große Einfluss der Agrarlobby, der in den letzten Jahrzehnten die Agrarpolitik und damit auch die Landwirtschaft in eine falsche Richtung geführt hat.

Also beide Seiten zurück in die Schützengräben? Nicht zwangsläufig. Ermutigend ist, dass allseits Bereitschaft zum Dialog mit der „Gegenseite“ signalisiert wird. So heißt es in der Resolution von „Land schafft Verbindung“: „Wir wollen Menschen zusammenbringen und die Debatte um die Zukunft des ländlichen Raums fördern und beflügeln.“ Der Deutsche LandFrauenverband (dlv) geht in seinem Positionspapier vom 2. Dezember 2019 einen Schritt weiter: Der dlv ist „überzeugt, dass es dringend einer gemeinsamen Vision […] sowie konkreter Zielbilder für eine gesellschaftlich akzeptierte Landwirtschaft der Zukunft bedarf“. Um das zu erreichen, fordert der dlv einen breit angelegten, dauerhaften Dialogprozess. Mittelfristiges Ziel ist der „Abschluss eines Gesellschaftsvertrages, der konkrete gemeinsame, langfristige Zielbilder über die zukünftige Ausrichtung der deutschen Landwirtschaft festschreibt. Dieser muss die Grundlage für eine kohärente Weiterentwicklung der deutschen Agrarpolitik liefern.“

 

Zielbilder statt Ziele

 

Ein Gesellschaftsvertrag mit konkreten Zielbildern? Dieser Vorschlag soll im Folgenden näher durchdacht werden. Zunächst: Warum „Zielbilder“ und nicht „Ziele“? Weil sich Menschen unter einem Offenstall mit Einstreu, einer Solaranlage auf dem Acker oder einem Wasserrückhaltebecken in der Agrarlandschaft etwas vorstellen können. Landwirte können einschätzen, ob solche Zielbilder auch bei schlechtem Wetter oder im Seuchenfall funktionieren. Wissenschaftler können analysieren, welche Emissionen entstehen oder wie rentabel die Anlagen sind. Und die Bevölkerung kann bewerten, ob die Bilder (sowie die von der Wissenschaft mitgelieferten Zahlen) ihren Vorstellungen entsprechen und wie viel sie dafür zu zahlen bereit ist.

Demgegenüber sind „Ziele“ wie zum Beispiel mehr Tierschutz, weniger Emissionen oder höhere Wettbewerbsfähigkeit zunächst nur abstrakte Begriffe, die seit Jahrzehnten in den Politiker-Statements zu hören sind und sich abgenutzt haben. Man kann solche Ziele zwar mit Indikatoren messbar machen, doch wird die Kritik an der Landwirtschaft auch bei verbesserten Indikatorwerten fortbestehen, wenn die Bilder der Produktionssysteme nicht den Wünschen der Bevölkerung entsprechen. Eine gesellschaftlich akzeptierte Landwirtschaft muss beides liefern: gute Zahlen und gute Bilder.

Für die Landwirte sind verlässlich vereinbarte Zielbilder wichtig geworden, weil sie ihre Produktionssysteme langfristig planen müssen. Nehmen wir als Beispiel einen Junglandwirt, der einen neuen Schweinestall bauen möchte: Gegenwärtig hat er (gefühlt) eine fünfzigprozentige Chance auf eine Fehlinvestition. Baut er einen Warmstall mit Vollspaltenboden, so ist das zwar am kostengünstigsten, doch muss er damit rechnen, dass ihm in einigen Jahren aufgrund von Tierwohl-Defiziten die Betriebserlaubnis entzogen wird oder der Handel ihm die Tiere nicht mehr abnimmt. Entscheidet er sich für den Offenstall mit Einstreu, so ist das zwar besonders tiergerecht, aber vielleicht wird ihm in einigen Jahren wegen hoher Emissionen die Betriebserlaubnis entzogen oder die Mehrkosten dieses Produktionssystems werden dauerhaft nicht gedeckt, weil Importe die Schweinepreise niedrig halten.

 

Optionen für die Finanzierung

 

An diesem Beispiel wird deutlich, dass es nicht genügt, nur Zielbilder zu fixieren. Ebenso wichtig ist es, ein überzeugendes Finanzierungskonzept zu beschließen, mit dem die Zielbilder erreicht werden können. Unsere Landwirtschaft steht im internationalen Wettbewerb, und hier orientieren sich die Preise – abgesehen von Marktnischen – in der Regel an der jeweils kostengünstigsten Produktionstechnik. Wenn nun die Zielbilder, die für den deutschen Agrarsektor vereinbart werden, von diesem Kostenminimierungspfad abweichen, dann können Landwirte solche Zielbilder nur Realität werden lassen, wenn sie einen finanziellen Ausgleich zur Abdeckung der erhöhten Produktionskosten erhalten.

Für diese Finanzierung gibt es zwei Optionen. Die erste Option besteht darin, (a) die Zielbilder EU-weit zu vereinbaren, (b) die gesetzlich vorgeschriebenen Standards für die Landwirtschaft EU-weit anzupassen und (c) handelspolitisch einen Außenschutz durchzusetzen. Die EU-Preise pendeln sich dann oberhalb des Weltmarktpreises ein, sodass es letztlich die Verbraucher sind, die die Mehrkosten des höheren Tier- und Umweltschutzes zahlen. Die Umsetzungschancen dieser Option sind allerdings gering. Zum einen dürfte es schwierig werden, die EU-interne Meinungsbildung auf ein hohes Tier- und Umweltschutzniveau auszurichten. Zum anderen orientiert sich die Handelspolitik noch immer an der Freihandelsdoktrin. Ob die künftige EU-Klimaschutzpolitik, die auf eine CO2-Bepreisung emissionsintensiver Billigimporte angewiesen sein wird, hieran etwas ändern kann, bleibt abzuwarten.

Die zweite Option hat – zumindest kurz- und mittelfristig – größere Erfolgsaussichten. In diesem Fall bleiben die Agrarpreise auf dem niedrigen internationalen Niveau, und die Landwirte werden mithilfe von Umwelt- und Tierwohlprämien sowie Investitionsförderung in die Lage versetzt, ihre Produktionssysteme an die gesellschaftlichen Erwartungen anzupassen. Bei dieser Option tragen letztlich die Steuerzahler die Mehrkosten.

Gibt es nicht auch noch eine dritte Option, bei der Lebensmittelhandel und Verbraucher freiwillig höhere Preise für Produkte zahlen, die unter erhöhten Umwelt- und Tierschutzstandards erzeugt wurden? Ja und nein. Ja, die Wirtschaft kann bei engagierten Verbrauchern eine erhöhte Zahlungsbereitschaft mobilisieren und tut das bereits, beispielsweise im Marktsegment des Ökologischen Landbaus. Aber nein, diese Option ist nicht geeignet, um den gesamten Agrarsektor auf ein erhöhtes Tier- und Umweltschutzniveau zu bringen, da sie immer nur für einen gewissen Teil des Marktes funktioniert.

 

Eine „echte Strategie“ für Deutschland

 

Bleiben wir also bei Finanzierungsoption zwei und fragen uns, wie Deutschland nun zu konkreten Zielbildern kommen kann. Hierzu enthielt der Reformvorschlag für die Gemeinsame Agrarpolitik, den die bis 2019 amtierende EU-Kommission gemacht hat, einen interessanten Kerngedanken: Jeder Mitgliedstaat soll einen nationalen Strategieplan entwickeln und dann den Einsatz der Finanzmittel, die ihm in der Gemeinsamen Agrarpolitik zur Verfügung stehen, konsequent darauf ausrichten.

Ob die neue EU-Kommission diesen Vorschlag weiterverfolgen wird, lässt sich noch nicht absehen. Falls ja, würde die größte Herausforderung für Deutschland darin bestehen, eine „Strategie im eigentlichen Sinne“ zu konzipieren. Das käme einer grundlegenden Wende in der deutschen Agrarpolitik gleich, denn bisher haben agrarpolitische Strategiepapiere eher den Charakter von „Rechtfertigungspapieren“, in denen wortreich begründet wird, weshalb der Einsatz von Steuermitteln weiterhin gerechtfertigt erscheint. Was in der Regel fehlt, sind konkrete Ziele beziehungsweise Zielbilder, konkrete Meilensteine auf der Zeitachse und ein Instrumenten-Mix, mit dem diese Meilensteine auch tatsächlich erreicht werden.

Sofern sich die Politik künftig tatsächlich in diesem Sinne aufstellen möchte, sind folgende Schritte notwendig. Erstens muss sichergestellt werden, dass die EU-Agrarpolitik (a) ausreichende Freiräume für eine ergebnisoffene nationale Strategie gewährt und dass sie (b) den Mitgliedstaaten weiterhin ermöglicht, zur Erreichung ambitionierter Ziele zusätzliche Mittel aus ihren nationalen Haushalten einzusetzen. Zweitens müssen sich Bund und Länder dazu durchringen, die „echte Strategie“ gemeinsam zu entwickeln. Die bisherige Arbeitsteilung, bei der manche Elemente der Agrarpolitik vom Bund geregelt werden und andere von jedem Bundesland individuell, ist zu hinterfragen. Drittens muss auf Bundesebene die Dauer-Rivalität zwischen dem Agrar- und dem Umweltministerium überwunden werden. Solange beide Häuser unterschiedliche Vorstellungen zur künftigen Ausrichtung der Landwirtschaft veröffentlichen, werden Landwirte misstrauisch bleiben. Politik und Wirtschaft müssen sich, viertens, gemeinsam mit wichtigen Gruppen der Zivilgesellschaft auf langfristige Zielbilder verständigen, und die Politik muss dafür sorgen, dass Landwirte Vertrauensschutz genießen, wenn sie sich mit ihren Investitionen auf diesen Kurs einlassen.

 

Fortschritte beim Tierwohl

 

Die Idee, mithilfe einer „echten Strategie“ eine ganze Wirtschaftsbranche auf ein anderes Gleis zu setzen, ist für die landwirtschaftliche Tierhaltung bisher am weitesten gediehen. Der Veränderungsdruck ist hier besonders groß. Die Bevölkerung misst dem Tierwohl eine besonders hohe Bedeutung bei, und viele der besonders kostengünstigen Produktionssysteme werden als nicht zukunftsfähig erachtet. Diese Kritik wird nicht nur von Tierschutzorganisationen und Journalisten geäußert, sondern auch von zahlreichen Wissenschaftlern und Tierärzten, vom Lebensmittelhandel und von kritischen Agrarverbänden. Sie schlägt sich zunehmend auch in Gerichtsurteilen nieder.

Der massive Druck hat dazu geführt, dass sich die Wirtschaft entlang der Lebensmittelkette in der Initiative Tierwohl zusammengeschlossen hat. Der Lebensmittelhandel zahlt einen Betrag von 130 Millionen Euro pro Jahr in einen Topf, aus dem Tausende von Landwirten eine Tierwohlprämie erhalten, wenn sie ihren Nutztieren zum Beispiel mehr Platz gewähren oder Spielmaterial anbieten. Während die Initiative Tierwohl vor allem auf Breitenwirkung abzielt (unter Beibehaltung der bestehenden Haltungssysteme), werden in Labelprogrammen (Tierschutzlabel, Neuland, Ökologischer Landbau) ambitioniertere Zielbilder umgesetzt, die andere Stallkonzepte erfordern. Diese Labelprogramme sind allerdings bisher auf kleine Marktsegmente beschränkt geblieben. Als dritter Ansatz ist die EU-Agrarpolitik zu nennen: Einige Bundesländer bieten in einem kleinen Segment der ländlichen Entwicklungspolitik Tierwohlprämien an, um Landwirten zu ermöglichen, ihre Tierhaltung besser auf die gesellschaftlichen Erwartungen auszurichten.

Alle drei Konzepte funktionieren im Prinzip ähnlich, haben aber jeweils eigene Regeln, Zielbilder und Auditierungen. Besonders problematisch: Auch zusammengenommen erreichen die bisherigen Initiativen nicht annähernd die Finanzkraft, die erforderlich wäre, um die Tierwohl-Defizite der deutschen Nutztierhaltung zu beseitigen. Hierfür ist nach Schätzung des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) ein Betrag von drei bis fünf Milliarden Euro pro Jahr erforderlich.

Vor diesem Hintergrund wird aktuell im Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung unter Leitung des früheren Landwirtschaftsministers Jochen Borchert an einem Plan gearbeitet, mit dem die Branche schrittweise auf ein deutlich höheres Tierwohlniveau gebracht werden soll. Das wird nur gelingen, wenn eine Finanzierung aus nationalen Steuer- oder Umlagemitteln etabliert wird, die im Einklang mit den Bestimmungen der EU-Agrarpolitik und des EU-Beihilferechts steht.

Bei der Konkretisierung der Zielbilder knüpft das Kompetenznetzwerk an Vorarbeiten an, die für die Einführung einer dreistufigen Haltungskennzeichnung gemacht wurden. Es gilt, für alle Tierarten zu konkretisieren, welche Tierwohlstandards in den verschiedenen Tierwohlstufen gelten sollen. Eine Kriterienliste ist allerdings noch kein Zielbild. Im nächsten Schritt müssen deshalb auf zahlreichen landwirtschaftlichen Pilotbetrieben „Erprobungsställe“ errichtet werden, um unter Praxisbedingungen (mit wissenschaftlicher Begleitung) verschiedene Varianten zur Realisierung der neuen Standards testen zu können. Diesen „orchestrierten“ Suchprozess nach den bestmöglichen Zielbildern möglichst schnell und schlank zu organisieren, ist eine große Herausforderung. Er erfordert zuallererst eine klares politisches Bekenntnis, darüber hinaus aber eine Anpassung von Förder-, Bau- und Umweltrecht sowie eine starke Führungsinstanz.

 

Globalisierung beim Pflanzenbau

 

Der vom dlv angeregte Gesellschaftsvertrag könnte sein Ziel nur erreichen, wenn er sich nicht allein auf die Tierhaltung beschränkt, sondern ebenfalls die gesellschaftliche Kritik an der „Außenwirtschaft“ aufgreift und auch hierfür eine Transformationsstrategie entwickelt.

Eine Verständigung auf gesellschaftlich akzeptierte Zielbilder ist hier weitaus schwieriger. Die Standortbedingungen unterscheiden sich von Region zu Region, Landwirte bauen eine Vielzahl von Früchten an, und sie müssen weiterhin flexibel auf unterschiedliche Wetterbedingungen und Pflanzenzustände reagieren können. Diese notwendige Flexibilität durch immer mehr Detailvorschriften einzuschränken, die dann von den Behörden zu überwachen und zu sanktionieren sind, kann zu einer „Überbürokratisierung“ führen, die den Staat überfordert und die Innovationskraft der Landwirte vor allem auf die Frage ausrichtet, wie man die (als unsinnig empfundenen) Vorschriften möglichst unerkannt umgehen kann.

Das Alternativkonzept zur Entwicklung des Pflanzenbaus besteht deshalb darin, die erwünschte Richtungsänderung durch eine Globalsteuerung vorzunehmen. Wenn die Gesellschaft aus Klimaschutz- und Biodiversitätsgründen möchte, dass der Einsatz von Stickstoff- und Pflanzenschutzmitteln reduziert wird, dann besteht die adäquate Politikmaßnahme darin, diese Produktionsmittel zu verteuern (gegebenenfalls gestaffelt nach Risikoklassen). Das lässt sich prinzipiell mithilfe von Steuern erreichen, was allerdings starken politischen Gegenwind erzeugen würde: Die Steuern müssen hoch dosiert werden, um eine deutliche Veränderung des Pflanzenbaus herbeizuführen, und diese hohe Dosis erzeugt bei Landwirten und Grundbesitzern starke Einkommensverluste, sodass schwierige Debatten bezüglich einer Einkommenskompensation entstehen.

Um dieser Problematik zu entgehen, könnte der Staat – im Rahmen des CO2-Emissionshandels oder in einem gesonderten System – für jeden Hektar handelbare „Verschmutzungsrechte“ ausgeben (Stickstoffüberschuss, Pflanzenschutzmitteleinsatz) und die Gesamtmenge dieser Rechte jedes Jahr um einen gewissen Prozentsatz reduzieren. Landwirte, die mit weniger Stickstoffüberschuss beziehungsweise Pflanzenschutzmitteln zurechtkommen, können die nicht benötigten Zertifikate über den „Emissionshandel“ an Berufskollegen verkaufen. Der Vorteil solcher Regelungen besteht darin, dass der politisch festgelegte Reduktionspfad auch tatsächlich erreicht wird, mit den geringstmöglichen volkswirtschaftlichen Kosten. Alle Landwirte erhalten einen wirtschaftlichen Anreiz, sich zu beteiligen, können aber flexibel disponieren. Die Regelung kann allerdings nur funktionieren, wenn der Staat ein lückenloses, flächendeckendes Nährstoff- und Pflanzenschutzmittelkataster etabliert.

 

Gestaltung der Agrarlandschaft

 

Ein erneuter Perspektivwechsel ist erforderlich, wenn wir abschließend zur Umgestaltung der Agrarlandschaften kommen. Hier geht es nicht darum, ob Rüben oder Weizen angebaut werden und wie viel hierbei gedüngt oder gespritzt wird. Vielmehr geht es um Umgestaltungen mit langfristiger Wirkung, zum Beispiel um Aufforstung, Agroforstsysteme, Biotopverbundsysteme, Blühstreifen, Wasserrückhaltebecken, Bewässerungsanlagen, Wiedervernässung von Moorböden, Photovoltaikanlagen, Windräder, Plastikfolien, Feld-, Fahrrad-, Wander- und Reitwege, Acker- und Gewässerrandstreifen und Gebäude im Außenbereich. All das kann große Beiträge für Wertschöpfung, Klimaschutz, Biodiversität, Landschaftsästhetik und Erholungswert haben. Nur: Jedes Dorf verfügt über lediglich eine einzige Agrarlandschaft, und wenn diese durch „die große Politik“ auf ein primäres Ziel ausgerichtet wird (zum Beispiel Klimaschutz oder Wertschöpfung), können alle anderen Ziele gravierend zu kurz kommen.

Daher ist auf Ebene von Dörfern, Gemarkungen oder Samtgemeinden zu überlegen, wie die Agrarlandschaft so weiterentwickelt werden kann, dass größtmögliche Synergien entstehen. Eine neu gepflanzte Hecke an der richtigen Stelle und in der richtigen Pflanzenkomposition kann nicht nur zum Klimaschutz beitragen, sondern auch zum Erosionsschutz, zum Insektenschutz und zu weiteren Zielen. Ein vernachlässigter Feldweg kann eine unterlassene Gelegenheit sein, um Schulkinder sicher mit dem Fahrrad ins nächste Dorf zu geleiten. Gute Zielbilder auf dieser kleinräumigen Ebene zu entwickeln, sollte die Königsdisziplin einer Politik für Landwirtschaft und ländliche Räume sein. Es liegt auf der Hand, dass solche Zielbilder nur vor Ort ausgestaltet werden können und nicht in Brüssel oder Berlin. Die große Politik müsste aber Prozeduren entwickeln, mit denen die Akteure vor Ort (Grundeigentümer, Landwirte, ländliche Bevölkerung) in die Lage versetzt werden, gemeinsam „auf Augenhöhe“ Zielbilder für ihre Region zu entwerfen und die Durchführung dieser Zukunftsinvestitionen zu finanzieren.

 

Fazit und Ausblick

 

Ein Gesellschaftsvertrag mit konkreten Zielbildern – dieses Konzept hat das Potenzial, die Dauer-Kontroverse zwischen Kritikern und Landwirtschaft zu überwinden. Die Analyse für die drei Baustellen Tierhaltung, Pflanzenbau und Agrarlandschaft hat aber gezeigt, dass jede dieser drei Baustellen eine eigene Art der Zielbildentwicklung erfordert. Das Konzept „one size fits all“ funktioniert für die Landwirtschaft nicht.

Wenn die Gesellschaft Zielbilder ansteuern möchte, die deutlich von den kostenminimalen Produktionssystemen der Weltagrarwirtschaft abweichen, so wird dies nur mit öffentlicher Finanzierung umsetzbar sein. Es liegt nahe, die Finanzmittel der Gemeinsamen Agrarpolitik vorrangig für die Transformation des Pflanzenbaus und der Agrarlandschaften zu nutzen, während für die Transformation der Tierhaltung eine Ergänzungsfinanzierung auf nationaler Ebene zu etablieren ist.

Wenn man sich die Kritik an der Entwicklung der modernen Landwirtschaft vor Augen führt, so gibt es jenseits von Tierhaltung, Pflanzenbau und Agrarlandschaft zwei weitere Bereiche, die mit dem Ziel einer gesellschaftlich akzeptierten Landwirtschaft „bearbeitet“ werden müssten. Der erste Bereich betrifft das Thema „Vielfalt und Macht“ auf lokaler Ebene: Muss der Staat eingreifen, wenn die Zahl der Betriebe immer weiter zurückgeht und irgendwann in vielen Gemeinden nur noch ein einziges Agrarunternehmen dominiert? Zweitens geht es um dasselbe Thema auf Weltniveau: Wie kann die Politik verhindern, dass bei Saatgut, Pflanzenschutz oder Tiergenetik globale Monopole entstehen und irgendwann die künftige Entwicklung der Landwirtschaft von wenigen Großkonzernen bestimmt wird? Auch zu diesen Fragen ließen sich „echte Strategien“ entwickeln, sofern die Politik dies wirklich wünscht.

 

Folkhard Isermeyer, geboren 1958 in Braunschweig, Agrarökonom, seit 2009 Präsident des Thünen-Instituts, Braunschweig.

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