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Wie schlechte Nachrichten den Journalismus prägen

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Die aus dem anglo-amerikanischen Raum kommende Sichtweise des Journalismus hat sich längst in Deutschland  durchgesetzt: Schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten. „Schlechte“ Nachrichten erregen Leser, Hörer und Fernsehzuschauer. „Gute“ Nachrichten langweilen das Publikum, „schlechte“ Nachrichten lassen sich vermarkten. „Gute“ Nachrichten werden nicht zur Kenntnis genommen. Ein ICE, der pünktlich am Zielort eintrifft – na und? Ein ICE, der liegen bleibt – das ist eine Story. Eine Fähre, die mit ihren Passagieren wohlbehalten ihren Hafen erreicht – das ist normal. Der Untergang eines Schiffes – das ist ungewöhnlich. Vermeldenswert ist das Außergewöhnliche. Das, was selten geschieht. Mit Sarkasmus oder auch schwarzem Humor versehen, so bekamen wir es vor Jahr und Tag von Altvorderen des Nachrichtengewerbes zu hören, lautet die Zuspitzung von „Bad news are good news“ auf Deutsch übertragen auch so: „Tote beleben die Sendung.“ Nun sollte man darüber nicht in kulturpessimistische Stimmung geraten, nach dem Motto, so sei er nun einmal, der Journalismus, der die Welt immer nur schlechtredet und widerwärtig erscheinen lässt. Jene Teile des Publikums, die AfD- und Pegida-nah gern und besinnungslos dem professionellen Journalismus vorwerfen, „Fake News“ zu verbreiten, leben selbst am allermeisten von den „schlechten“ Nachrichten. Sie können gar nicht schlecht genug sein, um ihr Gift in die politische Debatte zu träufeln und Vorurteile zu schüren.

 

So wollen es die Leute

 

Es sollte aber nicht so getan werden, als wäre das breite, nicht von der Alternative für Deutschland (AfD) und Pegida-infizierte Publikum frei davon, ebenfalls nach dem Grundsatz „Schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten“ zu verfahren. Rückkehr also zu der Erfahrung mit der Eisenbahn: Wer würde schon beim Partygeplauder mit Freunden Eindruck schinden (wollen), sein Zug sei (nahezu) pünktlich angekommen? Vier Stunden Verspätung – das ist einer Erzählung wert. Und Politiker, die ordentlich ihre Pflicht tun, fleißig sind, dem Lande dienen und sich nichts zuschulden kommen lassen? Nächstes Thema, wäre die Reaktion der Umstehenden. Bloß keine Langeweile aufkommen lassen! So wollen es die Leute – die Erzähler und die Zuhörer. Liegt es im Menschen, am Zeitgeist oder an den Umständen? Oder gar am Land? Redet „der Deutsche“ lieber Schlechtes als Gutes?

Nehmen wir den Sommer vergangenen Jahres. Die Getreidebauern klagten über die Hitze. Obstbauer und Winzer freuten sich. Ergo: Der Getreidebauer stand im Mittelpunkt der Betrachtungen. Obstbauer und Winzer waren randständige Figuren und gar so etwas wie Kriegsgewinnler.

Gewiss ist alles differenziert zu sehen. Gewiss ist es auch schon deswegen so, weil es „den“ Journalisten ebenso wenig gibt wie „den“ Politiker oder gar „den“ Menschen. Wir sind alle Individuen. Doch gewiss ist es auch so, dass sich eine Stimmung breitgemacht hat, immer bloß das Schlechte zu sehen und – wenn schon – das Schlechte im Guten. Wenn schon der Zug pünktlich ist, dann war wenigstens die Klimaanlage falsch eingestellt. Oder auch: Sie hätte falsch eingestellt gewesen sein können. Dann hätten die Leute gefroren oder geschwitzt. Und wäre der Zugbegleiter höflich und zuvorkommend gewesen, dann hätte er sich bei den Reisenden lieb Kind machen wollen. Und hätte er einer Verspätung wegen Schokoladentäfelchen verteilt, hätte das später einmal zu einer Fahrpreiserhöhung führen können, ja führen müssen.

Oder wenn schon zu keiner Fahrpreiserhöhung, dann wenigstens dazu, dass das Zugpersonal schlecht bezahlt oder die Bahnhöfe nicht säuberlich gepflegt werden. Logisch – oder? Was denn auch sonst. Und wenn die Schokoladentäfelchen tatsächlich auf Kosten des Schokoladentäfelchenfabrikanten (vulgo: Sponsor) gehen, würde es heißen: Der hat die Bahn gekauft. Klarer Fall von Korruption also. Was denn auch sonst. Beziehungsweise auch: Bald steigen die Preise von Schokolade.

 

„Kein fröhlicher Furz“

 

Im (ganz) Kleinen ist es wie im (ganz) Großen – im Gerede am Stammtisch wie in Zeitungen und im Fernsehen und in den Reden in Parlamenten. „Alles hängt mit allem zusammen“, wird gern gesagt, und ein Körnchen Wahrheit steckt in dem Spruch auch. So gesehen ist das, was für das sogenannte Berliner Politikmilieu gilt, ein Spiegelbild der sogenannten Gesellschaft. Martin Luther wird das Zitat „Aus einem verzagten Arsch kommt kein fröhlicher Furz“ zugeschrieben. Und tatsächlich ist es ja so. Mundwinkel runter – so laufen die Leute herum. In Berlin und anderswo auch. Sorgenzerfurchte Gesichter. Ziemlich kritische Augenaufschläge. Skeptizismus, wohin das Auge schaut. Dass alles gut werde? Wer könnte denn so naiv sein? Und ein Naivling will keiner sein – „die“ Politiker nicht und „die“ Journalisten schon gar nicht. Lachen, fröhlich sein – verboten. Wenn aber immer nur Pessimismus verbreitet wird, verbreitet sich Überdruss: gegenüber Medien, Parteien und Parlamenten. Gar darüber hinaus?

Die Debatten über die Migration spiegelten das wider. Schon mit der Begrifflichkeit fing es an: Das Wort „Flüchtlingskrise“ bürgerte sich ein. „Krise“ – das ist rundum gefährlich, bedrohlich, angstbesetzt. Es betraf nicht einmal die Menschen, die auf der Flucht waren, weil sie es bei sich zu Hause nicht mehr aushielten. Wegen Krieg, Verfolgung oder auch Not. „Krise“ – das sollte Stimmungen von Inländern beschreiben und schürte überdies noch bei ihnen diffuse Ängste, selbst wenn sie gar nicht betroffen waren. Gestützt wurde das durch die Macht der Bilder: Filmaufnahmen von vielen Menschen auf der Flucht, die zu „Massen“ wurden, als ob sie Invasoren aus Afrika und Arabien seien. Nicht mehr das Schicksal der Flüchtlinge, das im Mittelmeer ertrinkende Kind etwa, geriet in den Mittelpunkt von Debatten in der Politik und in der Berichterstattung, sondern der Protest und die Wut derer, die in Sicherheit wohnen. Es war kennzeichnend, dass die fremdenfeindliche Wahrnehmung sich gerade dort verstärkte, wo es keine oder wenig „Fremde“ gab. Sicher, es gab krisenhafte Zuspitzungen. Dann etwa, wenn eine kleine Ortschaft buchstäblich über Nacht hundert Menschen aufzunehmen hatte. Das vorab zu organisieren, war in jenen Monaten nur selten möglich. Wie denn auch? Bürgermeister beschwerten sich oft auch zu Recht, dass sie „von oben“ – von Landesregierungen und der Bundesregierung – im Stich gelassen worden seien.

Die Herausforderungen wurden bewältigt. Die „Krise“ aber blieb. Angela Merkels optimistisches „Wir schaffen das“ war nach wenigen Wochen, Tagen schon, verdrängt worden. Es galt vielen plötzlich als Beleg dafür, die Bundeskanzlerin habe sich vom Volk entfernt und betreibe eine weltfremde Politik. Der Satz wurde zielgerichtet nicht mehr als Ausdruck menschlicher Humanität, sondern politischer Naivität wahrgenommen. Wieder galt der Grundsatz „Schlechte Nachrichten seien gute Nachrichten“ – und umgekehrt. Hilfsbereitschaft für Menschen in Not war nur ein paar Tage lang für „Nachrichten“ gut. Tauglicher waren andere Nachrichten: Etwa, weil Flüchtlinge in Turnhallen unterzubringen waren, falle der Sportunterricht oder eine Trainingseinheit des Vereins aus – wobei dies, auch das gehört zur Medienwirklichkeit, kaum eine Nachricht mehr wert war, als die Turnhallen wieder zum Sport genutzt werden konnten. Nach den Gesetzmäßigkeiten der Medien waren „am allerbesten“ Ereignisse, die in der „Kölner Silvesternacht“ kulminierten. Das war eine richtig schöne schlechte Nachricht.

 

Politische Polarisierung

 

Der Terminus „Kölner Silvesternacht“ erinnert – Zufall oder nicht – an weit in dunkler Vergangenheit liegende, also nur noch als Inbegriff des Grauens bekannte historische Ereignisse wie die „Bartholomäusnacht“, als im 16. Jahrhundert Tausende Hugenotten in Frankreich ermordet wurden. Nicht nur das Ereignis selbst, sondern auch das Wort „Kölner Silvesternacht“ schien denen recht zu geben, die mit dem Vorwurf operierten, die Flüchtlingspolitik sei Ausdruck der „Herrschaft des Unrechts“. Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer hat diese Sicht der Dinge popularisiert, was wiederum zeigt, dass nicht bloß „die Medien“ von schlechten Nachrichten „leben“, sondern Politiker ebenso. „Herrschaft des Unrechts“ ist schlagzeilenträchtig und schürt Stimmungen. Eine „gute“ Nachricht also, und, wie es sich erwiesen hat, auch ein wirkungsvolles Instrument in der politischen Auseinandersetzung. Und wie so oft gibt es ehemalige Verfassungsrichter, die in diesem Sinne die Politik Angela Merkels (und nicht nur diese) kritisierten.

In ihrem Buch Die Zauberlehrlinge haben die juristisch ausgebildeten Journalisten Stephan Detjen und Maximilian Steinbeis nachgezeichnet, wie dieser Begriff die politische Debatte verheert hat. „Herrschaft des Unrechts“ seitens der Bundeskanzlerin und der Bundesregierung, so wie in der Türkei unter dem Autokraten Erdoğan? Zu keinem Verfahren vor Gerichten oder vor dem Bundesverfassungsgericht ist es gekommen, das Klärung hätte schaffen können. Seehofer hatte es angekündigt, aber am Ende doch nicht gemacht. Die Giftspritze aber hatte ihre Wirkung getan. Angela Merkel drang als Person und mit ihrer Politik nicht mehr durch. Auf dem Feld der politischen Kommunikation hatte sie verloren. „Politiker und Journalisten stecken unter einer Decke“, lautet ein verqueres Urteil von Leuten, die an Verschwörungstheorien glauben. Sie denken dabei immer nur an „das System Merkel“. Stimmt selbst das nicht mehr?

Nicht nur wegen der Angelegenheiten der Flüchtlingspolitik, sondern auch wegen der gemeinsamen europäischen Währung („Euro-Krise“ wurde das bezeichnenderweise genannt) hat sich die Debattenkultur in Deutschland verändert. Eine politische Polarisierung hat sich breitgemacht, wie es sie lange nicht mehr gegeben hatte. Im Sinne der Unterscheidbarkeit und der Klärung von Positionen nutzt sie dem demokratischen Prozess der Willensbildung.

 

Müssen Niederlagen „krachend“ sein?

 

Doch ist das eine neue Erfahrung für eine Generation, die Reden von – beispielsweise – Franz Josef Strauß, Herbert Wehner, Joschka Fischer im Bundestag nicht erlebt hat, sondern vom konsensualen Stil Angela Merkels und ihrer Zeit im Kanzleramt geprägt worden ist. Längst vorbei und fast schon vergessen sind die Jahre, als sich bei Wahlen zum Bundestag und zu den Landtagen zwei Lager gegenüberstanden und bekämpften. „Lagerwahlkampf“ hieß das zu Zeiten Helmut Kohls. „Freiheit statt Sozialismus“ war ein Wahlkampfmotto der Unionsparteien zur Bundestagswahl 1976, als „Sozialismus“ mit Sowjetunion und DDR und den Unterdrückungssystemen dort gleichgesetzt wurde. Über die Ostverträge und über „Hessische Rahmenrichtlinien für Gesellschaftslehre“ (in der Bildungspolitik) wurde gestritten, als ob es um den Bestand von Demokratie und Freiheit in der Bundesrepublik gehe. Dermaßen in Vergessenheit geraten ist jene Zeit in den 1970er-Jahren, dass in Politik und Medien heutzutage Begriffe verwendet werden, die einer entpolitisierenden Verharmlosung ihrer Ursprünge gleichkommen. Gibt es in einer Partei – gleich welcher – Bestrebungen, eine Führung abzuwählen, ist von „Putsch“ die Rede. Gibt es in einer Partei – wiederum gleich welcher – eine Führung, die ihren Auftrag mit harter Hand durchsetzen will, gar von „Stalinismus“. So als ob die Benutzer dieser Termini gedankenlos nicht wüssten, was ein Putsch wirklich ist und welche Verbrechen sich Stalin hatte zuschulden kommen lassen.

Dass Niederlagen – im Sport, im Bundestag, auf einem Parteikongress – nunmehr stets als „krachende“ Niederlagen bezeichnet werden, mag eine Modeerscheinung sein. Auf beiden Seiten des Tisches, an dem sich „die“ Politiker und „die“ Medienleute gegenübersitzen, ist davon die Rede. Krachend klingt gruselig – und ist schön schlecht. Für den Anfang schön wäre es schon, wenn das Narrativ von einer nichtkrachenden Niederlage Eingang ins politische Vokabular fände.

 

Günter Bannas, geboren 1952 in Kassel, 1999 bis 2018 Leiter des politischen Ressorts im Hauptstadtbüro Berlin der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, Buchautor, 2018 mit dem Theodor-Wolff-Preis für sein Lebenswerk ausgezeichnet.

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