Asset-Herausgeber

Endzeitstimmung und Aufbruch in der Wirtschaft

Asset-Herausgeber

Bitte klicken Sie hier, um die Inhalte anzuzeigen.
Oder passen Sie Ihre Cookie-Einstellungen unter Datenschutz an.

Normalerweise ist in Deutschland die Stimmung schlechter als die Lage. Die Leute machen sich gern Sorgen, und meist zu viel davon. Dieses Mal ist es umgekehrt: Die Stimmung ist mies, aber immer noch nicht verzweifelt genug. Bei Wirtschaftspolitikern, Arbeitgebern, Gewerkschaften herrscht Alarm. Doch gleichzeitig hat sich eine bedrückende Müdigkeit breitgemacht. Die Ampelkoalition kämpft nicht, sie scheitert. Sie schaut zu, wie die Wirtschaftsdaten von Monat zu Monat schlechter werden, und hofft auf eine Wende, die sich doch bitte bald einstellen möge. Von selbst. So viel Endzeit wie heute war selten, so wenig Aufbruch war nie.

Diese Wirtschaftskrise ist anders als ihre Vorgängerinnen. Bisher war es so: Brach die Konjunktur ein, konnten die Beschäftigten erst einmal gelassen bleiben. Die deutschlandtypischen Bremsen „Kündigungsschutz“ und „Vorruhestand“ federten die Krise ab. Irgendwann jedoch reagierte auch der Arbeitsmarkt mit Wucht. Dann wusste jeder: Jetzt ist es ernst, jetzt muss es Reformen geben, damit der Laden wieder ans Laufen kommt.

Dieses Mal nicht. Die Unternehmen bauen in großem Stil Personal ab, in den Industrieunternehmen wird viel zu wenig investiert. Doch auf dem Arbeitsmarkt geht es immer noch halbwegs stabil weiter, ältere Arbeitnehmer freuen sich über neue Angebote für den Vorruhestand, die Jüngeren träumen von Work-Life-Balance und Vier-Tage-Woche, wenn die Arbeit knapper wird. Wer nicht direkt betroffen ist, muss sich nicht mit dem Gedanken befassen, demnächst weniger Reallohn in der Tasche zu haben oder bei einem neuen Betrieb zu schlechteren Konditionen anfangen zu müssen.

Die Krise wird verdrängt, und doch ist sie da. Während die Nachbarländer die Ukrainekrise weitgehend verdaut haben und wieder ordentlich wachsen, fällt Deutschland zurück. Das zweite Jahr in Folge wird in wirtschaftlicher Stagnation enden.

 

Strukturkrise wird durch Demografie verstärkt

Natürlich waren die Herausforderungen hier besonders groß: Hauptenergieträger war bis 2022 Erdgas, das kam zum größten Teil aus Russland. Der größte Markt war China, die Globalisierung ermöglichte es vor allem deutschen Industrieunternehmen, weltweit Preisvorteile zu realisieren. Die USA waren Verbündete und Partner. Das alles ist jetzt fundamental gefährdet: Auf russisches Gas verzichtet die Wirtschaft bereits weitgehend, spätestens bis zum Jahr 2045 sollen fossile Energieträger ganz verschwinden. Mit den USA droht Streit um Zölle und Handelsschranken. Die Abhängigkeit von China wird nicht erst seit dem russischen Überfall auf die Ukraine als Risiko wahrgenommen. Die andauernde Konjunkturschwäche und der Isolationismus des Landes allein reichen, um in Deutschland das Wachstum erheblich zu dämpfen. Sollte China Taiwan angreifen, werden sich die Schwierigkeiten potenzieren. Nicht nur würde China als Handelspartner wegen eines unumgänglichen Boykotts weitgehend ausfallen – auch die Chip-Lieferungen aus Taiwan wären gefährdet, auf die nicht nur die deutsche Autoindustrie angewiesen ist. Dennoch: Die Abhängigkeit von China reduziert sich nicht, sie wächst noch.

Friendshoring heißt das nur scheinbar harmlos klingende Rezept dagegen: Man verringert die Abhängigkeit, indem man strategisch wichtige Produkte wieder selbst produziert oder zumindest in Europa. Man kauft bei befreundeten Staaten. Abgesehen davon, dass bis heute niemand erklären kann, wie das in einem marktwirtschaftlichen Land funktionieren soll, ist dieses Konzept ziemlich teuer – und wird die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Produkte weiter reduzieren. Keine gute Idee, wenn man ohnehin schon tief in der Krise steckt.

Zur Bewältigung der Krise braucht man neben erfolgreichen Unternehmen zügige politische Weichenstellungen. Denn Deutschlands Strukturkrise wird durch die Demografie verschärft. Nicht nur, weil Rente und Pflege den Haushalt möglicherweise schon bald so belasten, dass kein Raum mehr für andere Schwerpunkte bleibt. Theoretisch wissen zwar alle schon lange, was es heißt, in einer Gesellschaft zu leben und zu arbeiten, die immer älter wird: Es gibt weniger Innovationen, weniger Wachstumspotenzial, weniger Risikofreude. Das bedeutet reduzierte Aussichten für die Volkswirtschaft. Sie büßt ihre Agilität, ihre Mobilität, ihr Produktivitätswachstum und ihre Gestaltungskraft ein. Das erleben jetzt alle. In der Praxis.

 

Der Traum grüner Pioniertechniken

Die Digitalisierung könnte helfen, das Werkbank-Dilemma zu lösen. Doch das passiert in Europa zu zurückhaltend, Deutschland ist noch vorsichtiger. Nicht nur die technische Infrastruktur ist unzureichend, auch die Rechtsetzung bremst – Datenschutzgrundverordnung und andere europäische Regularien sind für den Einzelnen sinnvoll und supersympathisch. Doch als Richtlinie für das digitale Wirtschaften und Arbeiten der Zukunft taugen sie nicht. Sie wollen einen Markt beschränken, den es noch nicht gibt. Andere Länder regulieren das Spielfeld erst einmal nicht. Sie entwickeln sich dynamischer als der europäische Wirtschaftsraum, sie ziehen Kapital und Investitionen an.

Das Potenzial Europas, mit den eigenen Standards weltweite Grenzen zu setzen, sinkt mit der Desintegration der Weltwirtschaft. Damit aber wird der Kontinent künftig kaum in der Lage sein, genügend Kapital zu mobilisieren, ausreichende Finanzierungen und überzeugende Durchschlagskraft bei digitalen Entwicklungen und Anwendungen zu garantieren. Deutschland, wie China besonders stark vom Schrumpfen seiner Erwerbsbevölkerung betroffen, wird am wenigsten von der technischen Lösung dieser Probleme profitieren können.

Damit aber nicht genug. Deutschland hat sich vorgenommen, bis zum Jahr 2045 keine fossilen Rohstoffe mehr zu verbrennen. Die Umstellung der Energieversorgung, der Produktionsanlagen, die Investitionen in Forschung und Entwicklung sind teuer – für ein Land, das kein oder kaum Wirtschaftswachstum hat, das immer größere Anteile seiner Leistungskraft in den Konsum der Älteren stecken muss, wahrscheinlich zu teuer. Der Traum, mit grünen Pioniertechniken an den atemberaubenden Erfolg der deutschen Wirtschaft nach der Finanzkrise der Jahre 2008 und 2009 anknüpfen zu können, wird unter diesen Voraussetzungen ein Traum bleiben. Wenn die USA wieder aus dem Klimaabkommen von Paris aussteigen, wächst der Abstand.

 

Momentum, Programm und Person

Alles auf Abbruch also? So muss es nicht sein. Dreimal in der Nachkriegsgeschichte hat Deutschland bewiesen, dass es sich vom Krankenlager erheben und wieder erfolgreich werden kann. 1948 gab der Wirtschaftsdirektor der Bizone mit der Währungsreform die meisten Preise frei. Es dauerte noch zwei Jahre, bis das Wirtschaftswunder startete. Doch ohne diese Reform wäre die wirtschaftliche Entwicklung Westdeutschlands mit ziemlicher Sicherheit wesentlich schwächer ausgefallen. 1982, nach dem Koalitionswechsel der FDP zur CDU unter Helmut Kohl, war das Reformpapier von Otto Graf Lambsdorff der Wegweiser aus der Krise. Auch seinerzeit dauerte es Jahre, die Reformideen wurden nur unvollständig und ohne große Leidenschaft umgesetzt. Doch für das Comeback der westdeutschen Wirtschaft reichte der Impuls. Von 2002 an konnten Unternehmen Kapitalbeteiligungen steuerfrei veräußern. Zusammen mit der Agenda 2010 aus dem Jahr 2003 knackte ausgerechnet die rot-grüne Regierungskoalition unter Gerhard Schröder (SPD) die Blockade der deutschen Wirtschaft. Das war die dritte Auferstehung.

Jedes Mal gab es ein Momentum: Die Krise war so tief, dass eine politische Wende unausweichlich wurde. Die Blockade war so unerträglich, dass jede Reform wie ein Befreiungsschlag wirkte.

Jedes Mal gab es eine Idee: Die Reformvorhaben waren von unterschiedlicher Qualität; allerdings kam es auf den Inhalt vielleicht auch gar nicht so sehr an. Das Signal war wichtiger. Die Freigabe der Preise 1948 war ein echter Coup, der unzweifelhaft segensreich wirkte. Das Lambsdorff-Papier entfaltete vor allem psychologische Wirkung: Endlich gab es wenigstens eine Vorstellung davon, wie man aus Inflation, Massenarbeitslosigkeit und überhohem Staatsdefizit herauskam. Die Agenda 2010 profitierte schließlich davon, dass die wirtschaftlichen Herausforderungen der deutschen Einheit nach der Jahrtausendwende bewältigt schienen, dass die Wechselkurse deutlich nachgaben, dass eine neue Phase der Globalisierung einsetzte. Deutschland profitierte besonders, weil sich die „Deutschland AG“ auflöste und weil im liberalisierten Arbeitsmarkt zum ersten Mal seit Jahrzehnten auch die strukturelle Arbeitslosigkeit abgebaut wurde.

Jedes Mal gab es eine glaubwürdige Person, die für die Reform stand und ihr politisches Schicksal an sie knüpfte. Momentum, Programm und Person. Anders geht Aufbruch nicht.

 

Ursula Weidenfeld, geboren 1962 in Mechernich, war unter anderem Berlin-Korrespondentin der „Wirtschaftswoche“ sowie Ressortleiterin Wirtschaft und stellvertretende Chefredakteurin des Berliner „Tagesspiegels“, freie Journalistin, Kolumnistin und Kommentatorin für Verlage, Fernseh- und Hörfunksender.

comment-portlet