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Expansionsbestrebungen und ihre Auswirkungen auf die weltweite Sicherheit

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Innerhalb weniger Jahre hat sich das Militär der Volksrepublik China zu einem bedeutenden Faktor in der indopazifischen Region und weit darüber hinaus entwickelt. Die alte Maxime Deng Xiaopings, wonach China „seine Stärke verbergen und seine Kraft nähren“ solle, ist ebenso außer Kraft gesetzt wie die unter Hu Jintao propagierten Ideen eines „friedlichen Aufstiegs“ im Rahmen einer „harmonischen Weltordnung“. Anstelle dieser Leitlinien setzt Chinas Staats- und Parteiführung seit der Machtübernahme Xi Jinpings 2012 auf die Demonstration militärischer Stärke, massive Aufrüstung, eine aggressive „Wolfskrieger“-Diplomatie sowie offene Drohgebärden gegen Nachbarstaaten. Neu ist ebenfalls, dass nicht nur die unmittelbare Peripherie Chinas – insbesondere Taiwan sowie die Anrainer des Südchinesischen Meeres – davon betroffen ist, sondern zunehmend auch westliche Staaten, sei es durch politischen und ökonomischen Druck, sei es durch gemeinsame Manöver mit der russischen Marine in Heimatgewässern der NATO.

Heute ist die Volksbefreiungsarmee (VBA) weltweit präsent, und dies nicht nur im Rahmen von Blauhelmeinsätzen der Vereinten Nationen oder Anti-Piraterie-Einsätzen am Horn von Afrika, sondern auch in Militärübungen mit Russland, etwa im Mittelmeer, im Indischen Ozean oder in der Ostsee. China tritt als Exporteur immer komplexerer Rüstungsgüter in Ländern Afrikas und Südostasiens auf, die der Seidenstraßeninitiative (Belt and Road Initiative, BRI) beigetreten sind, und verstärkt seine militärtechnische und militärstrategische Zusammenarbeit mit Russland, Pakistan und dem Iran.

Chinas umstrittener Ausbau von Riffen im Südchinesischen Meer zu künstlichen Inseln sowie die strikte Ablehnung eines Den Haager Schiedsspruches aus dem Jahr 2016, der die Unrechtmäßigkeit der chinesischen Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer nach dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen festgestellt hatte, befeuern die Sorge internationaler Beobachter, China könne in Zukunft trotz aller Bekenntnisse zum Multilateralismus militärisch auf das Recht des Stärkeren setzen. Dies stellt insbesondere mit Blick auf Taiwan ein potenziell explosives Problem dar. Das Sicherheitsdilemma, das durch die Rolle der Vereinigten Staaten als De-facto-Schutzmacht Taiwans besteht, birgt das Risiko einer massiven, im Extremfall sogar nuklearen Eskalation, falls China versuchen sollte, den Status quo in der Straße von Taiwan einseitig zu verändern.

 

Marinerüstung und militärischer Aufstieg

 

Was bedeuten diese Entwicklungen für Europa und für die NATO? Drei Faktoren sind von besonderer Relevanz: eine maritime Machtverschiebung zugunsten Chinas durch das historisch nahezu beispiellose Ausmaß der chinesischen Marinerüstung, ein verändertes, deutlich aggressiveres Verhalten Chinas in der asiatisch-pazifischen Region mit zunehmend martialischer Rhetorik sowie die zunehmende Interessenkonvergenz und strategische Koordination zwischen China und Russland – vermehrt auch in Europa. Diese Trends bedürfen genauerer Beobachtung und Analyse und erfordern geeignete Reaktionen der transatlantischen Staatengemeinschaft.

Eine Studie des International Institute for Strategic Studies (IISS) ergab,1 dass China zwischen 2014 und 2018 seiner bereits beachtlich großen Seestreitmacht Marineschiffe im Umfang der Gesamttonnage der britischen Royal Navy beziehungsweise der gesamten japanischen Marineflotte hinzugefügt hat. Eine vorher nicht vorhandene Schiffsklasse von inzwischen über fünfzig Korvetten ist seit 2012 hinzugekommen, ebenso zahlreiche moderne Fregatten, Zerstörer und U-Boote, große amphibische Angriffsschiffe sowie bisher zwei Flugzeugträger. Auch die chinesische Küstenwache hat innerhalb von nur zehn Jahren etwa 100 neue Einheiten in Dienst gestellt, darunter mehrere Schiffe mit etwa 12.000 Tonnen Verdrängung und – für eine Küstenwache – untypisch schwerer Bewaffnung.

 

Offensive Machtprojektionsfähigkeiten

 

Die Auswertungen von Satellitenbildern chinesischer Werftanlagen zeigen deutlich, dass China noch mehr Schiffe gebaut hat, als öffentlich bekannt gegeben wurde; zudem arbeiten die Marinewerften an allen Tagen der Woche rund um die Uhr, was einem Produktionsrhythmus in Krisenzeiten entspricht, für Friedenszeiten jedoch ungewöhnlich ist.2 Es geht demnach nicht um eine normale Ersatzbeschaffung oder eine gewöhnliche Marinemodernisierung, sondern es handelt sich um ein mit Hochdruck betriebenes Programm zur schnellstmöglichen Fähigkeitserweiterung. Die zuletzt gebauten Einheiten sind nicht nur moderner, sondern auch deutlich größer und hochseefähiger als die älteren Schiffsklassen; dies deutet auf einen Einsatzzweck in entfernteren Regionen hin. So haben die sogenannten „Zerstörer“ des neuen Typs 055 de facto die Tonnage und Bewaffnung von Kreuzern. Neu hinzugekommen beziehungsweise noch im Aufbau sind offensive Machtprojektionsfähigkeiten durch inzwischen zwei in Dienst gestellte konventionell angetriebene Flugzeugträger sowie mindestens einen weiteren, der sich noch im Bau befindet. Ähnliche Modernisierungsbestrebungen finden sich beim Heer, bei der Luftwaffe und bei den Raketenstreitkräften.

Neben dem Aufbau klassischer Waffensysteme global operierender Streitkräfte forscht China an Zukunftstechnologien – unbemannten Systemen und militärischen Anwendungen von Künstlicher Intelligenz (KI) zum Beispiel im Bereich Schwarmtechnologie – und investiert massiv in den Ausbau neuer Weltraum- und Cyberfähigkeiten, die für eine vernetzte Kampfführung nötig sind.

Die zu Militärstützpunkten und Sensorplattformen ausgebauten künstlichen Inseln im Südchinesischen Meer markieren nur die Spitze des Eisbergs einer dort im Aufbau befindlichen vernetzten U-Boot-Jagd-Fähigkeit. Diese besteht unter anderem aus unterhalb der Wasseroberfläche operierenden unbemannten Systemen sowie auf dem Meeresgrund verlegten Hydrophonen (Unterwassermikrofonen) und Sonobojen, deren Daten zusammen mit denen von Schiffen, Fluggeräten und Drohnen im Seegebiet unter Zuhilfenahme von Supercomputern und KI-Algorithmen zentral und nahezu in Echtzeit ausgewertet werden, um für nahezu vollkommene Kontrolle über das Südchinesische Meer zu sorgen.3 Ziel der chinesischen Militärführung ist es offenbar, den Vereinigten Staaten und ihren Verbündeten ein Eingreifen in diesem Seegebiet im Spannungsfall zu verwehren.

Neue Bedrohungsszenarien ergeben sich auch durch Chinas Anwendung „hybrider“ Methoden, besonders im maritimen Bereich. Massenformationen sogenannter „Maritimer Milizen“ – als Fischer getarnter paramilitärischer Kräfte – rammen und bedrängen regelmäßig nicht nur Fischerboote anderer Staaten (sogar in deren ausschließlicher Wirtschaftszone), sondern auch ausländische Marineschiffe im Transit. Auch wurden von diesen „Fischerbooten“ aus Piloten der United States Navy und der Royal Australian Navy mithilfe von Lasern geblendet. Dabei ist bekannt, dass die Aktivitäten der Maritimen Milizen zentral koordiniert und staatlich gelenkt sind.

2012 erlangte China durch Täuschung de facto die Kontrolle über das nahe der philippinischen Küste gelegene und bis dahin von den Philippinen kontrollierte Riff Scarborough Shoal und hält es seither besetzt. Kurz darauf erfolgte 2013/14 die massive Landaufschüttung und anschließende Militarisierung der chinesisch kontrollierten Spratly- und Paracel-Riffe. Seit 2012 üben Chinas Maritime Milizen außerdem ununterbrochen hohen Druck auf die japanisch kontrollierten Senkaku-Inseln aus, und auch der militärische Druck Chinas auf Taiwan durch immer häufigere und immer engere Umrundungsflüge mit Kampfflugzeugen sowie Marinemanöver hat stark zugenommen.

 

Export von Überwachungstechnologien

 

Ziel dieser Maßnahmen ist die Schaffung einer De-facto-Einflusssphäre. In anderen Weltgegenden sind wiederum Versuche autoritärer Einflussnahme auf den öffentlichen Diskurs durch Vertreter des chinesischen Staates, etwa mittels direkter Drohungen gegen kritische Individuen oder ökonomischer Straf- und Boykottmaßnahmen, zu verzeichnen.4 Im Rahmen der Belt and Road Initiative exportiert China Überwachungstechnologien an andere autoritäre Staaten, die zur Verfolgung von Dissidenten verwendet werden. Chinesische Staatsunternehmen sowie deren teils als private Unternehmen getarnte Tochtergesellschaften zeigen ein auffallend hohes Interesse an Investitionen in Kritische Infrastrukturen – Häfen, Elektrizitätsnetze, 5G-Netzwerke, Smart-City-Projekte, Unterseekabel– besonders in europäischen NATO-Staaten, während chinesische Cyberangriffe auf europäische und amerikanische Firmen sowie andere Formen militärtechnischer Spionage massiv zugenommen haben.

Europa ist von der zunehmenden strategischen Koordination zwischen China und Russland direkt betroffen. Ähnlichkeiten im „hybriden“ Vorgehen Russlands (etwa in der Ukraine) und Chinas in seiner Nachbarschaft sind keineswegs zufällig; vielmehr finden wechselseitige Beeinflussungen und Lernprozesse statt. Beide Staaten teilen eine ähnliche antiwestliche Bedrohungswahrnehmung und die Sorge vor politischer Subversion ihres autoritären Staatswesens. Sie verfolgen deshalb das Ziel, westliche Bündnisse zu schwächen und mithilfe von Maßnahmen unterhalb der Schwelle eines offenen Konflikts die technologische und militärische Überlegenheit der USA und ihrer Verbündeten zu brechen. Denkbar ist in Zukunft eine Art Arbeitsteilung zwischen beiden Staaten, die zum Beispiel in einem Moment westlicher Führungsschwäche gleichzeitig an den entgegengesetzten Enden Eurasiens Krisen erzeugen könnten, die die bereits überdehnten Kräfte der USA und ihrer Verbündeten vor Kapazitätsprobleme stellen würden.

 

Strategische Zusammenarbeit China – Russland

 

Auch wenn das traditionelle Misstrauen zwischen China und Russland aufgrund negativer historischer Erfahrungen nicht vollständig abgebaut werden kann, entwickeln sich strategische Ebenen der Kooperation seit der Krim-Annexion von 2014 rasant weiter, etwa in der militärischen und militärtechnischen Zusammenarbeit, bei der Rohstoffförderung in der Arktis, beim Ausbau von Internetzensur, im Bereich 5G-Netz-Entwicklung (wo Huawei von Russland als vertrauenswürdiger Anbieter akzeptiert wurde) sowie bei Dual-Use-Technologien, etwa Weltraumsystemen, Satellitennavigation, Softwareentwicklung und unbemannten Systemen.

Russland und China öffnen ihre strategische Kooperation zunehmend für Drittländer, etwa den Iran. Ende 2019 erfolgte erstmals eine trilaterale russisch-chinesisch-iranische Marineübung im Indischen Ozean, und Mitte 2020 schloss China mit dem Iran ein auf mindestens 25 Jahre angelegtes umfangreiches strategisches Abkommen, das militärtechnische Unterstützung, Rohstofflieferungen, hohe Investitionen in kritische Infrastrukturen inklusive 5G-Netz sowie Hafennutzungsrechte vorsieht. Angesichts der angespannten Beziehungen des Westens zum Iran zeichnet sich durch diese Maßnahmen die Bildung einer antiwestlichen Front ab. Sowohl China als auch Russland verfügen als Ständige Mitglieder über Vetorechte im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und haben in den letzten Jahren ihr Abstimmungsverhalten zunehmend koordiniert. Dadurch und mit Unterstützung schwieriger Akteure wie Iran oder Nordkorea entsteht neues Konfliktpotenzial, das manchen Beobachter bereits an eine Neuauflage des Kalten Krieges unter anderen Vorzeichen denken lässt.

Im chinesischen Strategieklassiker Kriegskunst des Meisters Sun, dessen Denkschule das chinesische Militär entscheidend geprägt hat, heißt es im dritten Kapitel: „Der Inbegriff des Könnens ist, den Feind ohne Gefecht zu unterwerfen. Daher ist es im Krieg von entscheidender Bedeutung, die Strategie des Feindes anzugreifen. Das Zweitbeste ist, seine Bündnisse zu brechen.

Das Drittbeste ist, seine Truppen anzugreifen. Die schlechteste Strategie ist es, Städte [also Festungen] anzugreifen; greife sie nur an, wenn es keine andere Wahl gibt.“5 Vieles deutet darauf hin, dass China bestrebt ist, die Gesamtlage so zum eigenen Vorteil zu verändern, dass die strategischen Ziele – etwa die Eingliederung Taiwans – kampflos erreicht werden können. Allerdings ist die Anwendung von Gewalt von der Führung ausdrücklich nicht ausgeschlossen worden.

 

Konsequenzen für NATO und Europa

 

Die USA, ihre westlichen Partner in Europa und im indopazifischen Raum sowie die NATO und die Europäische Union täten gut daran, die aktuellen sicherheitspolitischen Bestrebungen Chinas daraufhin zu analysieren, welche Implikationen diese für die Zukunft des transatlantischen Bündnisses und der US-Bündnisse in Asien insgesamt sowie für die strategische Lage einzelner Staaten in Europa und Asien-Pazifik haben. Um die Wahrscheinlichkeit einer militärischen Eskalation in Asien zu verringern, sollte die NATO die Vereinigten Staaten beim Aufbau einer glaubwürdigen Abschreckung unterstützen. Die NATO könnte zum Beispiel ein systematisches Monitoring der asiatischen Krisenherde und der militärisch relevanten chinesischen Investitionen in kritische Infrastrukturen durchführen sowie in Richtung China ihre Bedenken und Einwände bezüglich inakzeptabler Vorgehensweisen kommunizieren. Außerdem könnte die NATO klarstellen, dass das transatlantische Bündnis die USA bei der Verteidigung der gemeinsamen vitalen Sicherheitsinteressen unterstützt, unabhängig davon, wo diese gefährdet sind. Ein wichtiger Beitrag Europas wäre darüber hinaus eine fairere Lastenteilung mit größerer militärischer Verantwortung der europäischen Staaten für die eigene Region, um die USA angesichts wachsender Aufgaben in Asien zu entlasten.

 

Sarah Kirchberger, geboren 1975 in Buchholz in der Nordheide, seit 2017 Leiterin der Abteilung für Strategische Entwicklung in Asien-Pazifik, Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (ISPK).

 

1 Nick Childs / Tom Waldwyn: „China’s naval shipbuilding: delivering on its ambition in a big way“, in: IISS Military Balance Blog, 01.05.2018, www.iiss.org/blogs/military-balance/2018/05/chinanaval-shipbuilding [letzter Zugriff: 29.09.2020].

2 Andrew Tate: „China Quietly Increasing Warship Numbers“, in: Jane’s Defence Weekly (elektronische Ausgabe), 21.09.2018; Vinayak Bhat: „High-speed production: Chinese navy built 83 ships in just eight years“, in: The Print, 20.09.2017, https://theprint.in/defence/chinese-navy-built-83-ships-8-years/10416/ [letzter Zugriff: 29.09.2020].

3 Sarah Kirchberger / Patrick O’Keeffe: „Chinas schleichende Annexion im Südchinesischen Meer – die strategischen Hintergründe“, in: SIRIUS 2019, Ausgabe 3(1), S. 3–20, www.degruyter.com/ view/journals/sirius/3/1/article-p3.xml [letzter Zugriff: 29.09.2020].

4 Fergus Hanson / Emilia Currey / Tracy Beattie: „The Chinese Communist Party’s Coercive Diplomacy“, in: Australian Strategic Policy Institute (ASPI) 2020, www.aspi.org.au/report/chinesecommunist-partys-coercive-diplomacy [letzter Zugriff: 29.09.2020].

5 Samuel B. Griffith: Die Kunst des Krieges, übersetzt von Eva Lepold, Taschen Verlag, Köln 2006, S. 115–117.

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