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Fridays for Future und die Wirtschaft sollten mehr miteinander sprechen

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Dass wir in der Klimapolitik einen Wandel benötigen, ist nicht neu. Das große weltweite Erwachen erfolgte im Jahr 1972 durch die vom Club of Rome in Auftrag gegebene global angelegte Studie mit dem Titel The Limits to Growth. Die Kernaussage der Studie: Wenn wir weiter so wie in den 1970erJahren wirtschaften, werden die Grenzen des Wachstums irgendwann im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts erreicht sein. Ein Zusammenbruch des industriellen und landwirtschaftlichen Wachstums muss aufgrund der Erschöpfung natürlicher Ressourcen erwartet werden (Meadows et al., 1972). Auch wenn heute rückblickend festgestellt werden kann, dass die Prognosen der Studie zu pessimistisch waren, lässt sich an der Begrenztheit natürlicher Ressourcen und der Tatsache des fortschreitenden Klimawandels nicht rütteln. 2019 war das zweitwärmste Jahr – nach 2016 –, und es reiht sich damit ein in das heißeste Jahrzehnt seit Beginn der Wetteraufzeichnungen (Umweltbundesamt [UBA], 2020; NOAA National Centers for Environmental Information, 2020).

Bereits 1972 wurde auf einer Konferenz der Vereinten Nationen (UN) das UN-Umweltprogramm gegründet, das sich seither für den globalen Umweltschutz einsetzt. Infolge dessen wurde 1987 die Agenda für eine nachhaltige Entwicklung verabschiedet, und 1992 wurden auf der ersten UN-Klimakonferenz in Rio de Janeiro Ziele für eine globale Umwelt- und Klimapolitik festgelegt. Parallel entwickelte sich aus dem Triple-Bottom-Line-Ansatz ein Verständnis nachhaltigen Wirtschaftens, das Nachhaltigkeit mit den drei Dimensionen „Ökonomie“, „Ökologie“ und „Soziales“ beschreibt. Gemäß diesem Verständnis veröffentlichte die Europäische Union (EU) 2001 mit ihrer ersten Corporate Social Responsibility (CSR) eine Definition zur unternehmerischen Gesellschaftsverantwortung, die den freiwilligen Beitrag der Wirtschaft zu einer nachhaltigen Entwicklung formuliert. Sie stellte damit die Bedeutung ökologischer, ökonomischer und sozialer Belange für Unternehmen heraus (EU, 2001). Auch die deutsche Bundesregierung hat sich für ihre Politik Klimaschutzziele gesetzt und arbeitet an der Erreichung der 2016 durch die Vereinten Nationen auf den Weg gebrachten nachhaltigen Entwicklungsziele Sustainable Development Goals (SDGs).

 

Schwierige Gemengelage

 

Unabhängig davon kämpft die Aktivistin Greta Thunberg für ein Umdenken in der Klimapolitik. 2018 begann die damals fünfzehnjährige Schülerin, mit ihrem medienwirksamen Schulstreik für die vollständige Umsetzung des Pariser Klimaabkommens zu demonstrieren, und startete damit eine weltweite Bewegung. Aus Gretas Protest hat sich die globale Bewegung Fridays for Future entwickelt. Tausende Schülerinnen und Schüler streikten regelmäßig freitags und machten weltweit auf die drängenden ökologischen Herausforderungen unserer Zeit aufmerksam. Damit haben Schülerinnen und Schüler einen wertvollen Beitrag geleistet, die Klimaproblematik weltweit ins breite öffentliche Bewusstsein gebracht und sich öffentlichkeitswirksam für die Anerkennung der Erkenntnisse des Weltklimarates eingesetzt.

Die Fridays for Future-Bewegung hat den politischen Handlungsdruck erhöht. Gleichzeitig zeigen sich bei der Debatte um Umweltbelange Tendenzen, das zunehmende Wirtschaftswachstum unseres marktwirtschaftlichen sozioökonomischen Systems für den Klimawandel verantwortlich zu machen. Dies äußert sich unter anderem in Protesten von Zweigen von Fridays for Future und durch Aktionen der Umweltaktivistinnen und -aktivisten der Gruppe Extinction Rebellion. Gezielt ins Visier der Umweltaktivisten waren Thinktanks und Verbände der deutschen Industrie geraten (Die Welt, 2020). Angesichts dieser Spannungen ist ein verstärkter Dialog zwischen Umweltaktivistinnen und -aktivisten sowie Akteuren der freien Wirtschaft dringend angeraten. Umwelt und Wirtschaft als Nullsummenspiel zu betrachten und gegeneinander auszuspielen, ist nicht zielführend. Stattdessen haben verschiedene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine multidimensionale Beziehung zwischen Wirtschaft und Umwelt identifiziert und eine ganzheitliche Perspektive auf den Klimawandel gefordert, die die Interdependenz von ökologischen, politischen, sozialen und wirtschaftlichen Fragen anerkennt, um globale Nachhaltigkeit zu erreichen (Carter, 2018, 26). Unternehmen spielen eine zentrale Rolle bei der Umsetzung der für den Umweltschutz notwendigen Innovationen (Hüther/Mack, 2019).

Die Unternehmen sehen sich mit einer schwierigen Gemengelage konfrontiert. Sie werden zunehmend politisch und gesellschaftlich in die Pflicht genommen, grüne Innovationen voranzutreiben und Lösungen zu präsentieren. Den jungen Menschen von Fridays for Future kann es dabei nicht schnell genug gehen. Und auch die Verbraucher äußern den Wunsch nach nachhaltigeren Alternativen. Verschiedene Umfragen belegen, dass die Sorge um die Umwelt in der Bevölkerung beachtlich ist. Eine Allensbacher Studie von 2019 zeigt, dass 61 Prozent der Befragten tiefe Besorgnis über den Klimawandel äußern (Köcher/Allensbach-Umfrage, 2019). Man sollte meinen, dass dies eine gute Ausgangslage für Unternehmen zum Vertrieb nachhaltiger Produkte und Dienstleistungen darstellt. Denn je stärker die Verbraucher das Engagement der Unternehmen honorieren, umso schneller kann eine grüne Transformation der Wirtschaft gelingen. Würden alle Stakeholder von heute auf morgen ihre Entscheidungen an Nachhaltigkeitskriterien ausrichten, so würde man die Wirtschaft in die Lage versetzen, auf die veränderten Wünsche in Form nachhaltiger Produkte und Dienstleistungen zu reagieren.

 

Die „Mind-Behavior-Gap“

 

In Teilen gelingt dies auch, denkt man beispielsweise an Fair-Trade-, Bio- oder regionale Produkte. Die Krux ist aber, dass sich diese Sorge der Menschen nicht immer in ihrem Handeln widerspiegelt. Eine vom Bundesumweltministerium (BMU) und vom Umweltbundesamt (UBA) in Auftrag gegebene Studie, die die Bevölkerung alle zwei Jahre nach ihrer Wahrnehmung des Zustands der Umwelt und ihrem eigenen Umweltverhalten befragt, belegt einen Unterschied von 36 Prozent zwischen einer „grünen“ Denkweise und dem tatsächlichen Handeln (UBA/BMU, 2019). Stott, Nottingham und Letherby zeigen, dass Menschen dazu neigen, ihr umweltfreundliches Verhalten zu überschätzen (Stott et al., 2020). Erhebliche Abweichungen wurden zwischen der nachhaltigkeitsbewussten Kaufeinstellung und dem tatsächlichen Kaufverhalten der Verbraucher beobachtet (Eyerund, 2015; Kollmuss/Agyeman, 2002; Terlau/Hirsch, 2015). In der Verhaltensökonomik wird dieses Phänomen als Mind-Behavior-Gap – als Kluft zwischen dem, was wir wissen und beabsichtigen, und dem, was wir wirklich tun – beschrieben.

Die Verhaltensökonomik integriert psychologische Einsichten menschlichen Verhaltens in die Wirtschaftstheorie und untersucht unter anderem, wie man die Mind-Behavior-Gap zwischen grünem Gewissen und tatsächlichem Verhalten überwinden kann. Ziel ist es, herauszufinden, wie verhaltensökonomische Erkenntnisse genutzt werden können, um umweltfreundliche Praktiken mit Anreizen zu unterstützen (Enste et al., 2021). Denn all unsere Kaufentscheidungen werden durch kognitive Vorurteile beeinflusst. Schätzungsweise vierzig Prozent unserer täglichen Entscheidungen basieren auf Gewohnheiten. Ohne eine Änderung dieser Gewohnheiten stehen die Unternehmen vor einem Dilemma aus Kundenforderungen, die sich nicht mit deren Kaufverhalten decken.

 

Verhaltensökonomische Lösungsansätze

 

Zugegeben: Globale Herausforderungen benötigen globale Antworten, diese wiederum benötigen Zeit. Dass es jungen Leuten zu lange dauert und das bisher Erreichte angesichts des stetig steigenden Handlungsdrucks mitunter wenig ambitioniert erscheint, ist nachvollziehbar. Hilfreich ist es jedoch nicht, Ökologie und Wirtschaft gegeneinander auszuspielen. Wir brauchen für die ökologische Wende eine nachhaltige Transformation in der Wirtschaft. Die Ausführungen zur Mind-Behavior-Gap veranschaulichen, dass wir es den Unternehmen dabei nicht leicht machen, wenn wir einerseits Forderungen stellen und andererseits nicht bereit sind, die Mehrkosten für nachhaltige Produkte zu tragen. Dennoch gibt es in der Wirtschaft bereits viele positive Beispiele und Vorreiter, die intensiv an grünen Innovationen arbeiten und den Weg aufzeigen.

Insgesamt sollten wir in einen konstruktiven Dialog einsteigen und die Wechselwirkungen komplexer Zusammenhänge gemeinsam analysieren und verstehen. Wir sollten die kritische Kraft und das Engagement der jungen Generation mit der Leistungsfähigkeit der Wirtschaft zusammenbringen, gemeinsam Ideen entwickeln und Lösungen forcieren. Es geht um die Frage, wie wir die Wirtschaft nachhaltig ausbauen, wie Unternehmen nachhaltige Innovationen fördern und wie wir die Verbraucher motivieren können, Unternehmen durch den Kauf grüner Produkte zu unterstützen. Denn eines ist klar: Unternehmen sind der Schlüssel für grüne Innovationen. Diese Innovationen sind nur so stark wie die Nachfrage nach ihnen.

Immerhin geben 42 Prozent der Deutschen an, eine radikale Veränderung ihrer individuellen Gewohnheiten sei der beste Weg zur Bekämpfung des Klimawandels. 28 Prozent setzen auf technologische Innovationen, sechzehn Prozent auf staatliche Regulierung, und vierzehn Prozent vertrauen auf Investitionen in nachhaltige Projekte (European Investment Bank / EIB Climate Survey, 2021). Um Menschen bei der Umsetzung ihrer nachhaltigen Intentionen im Kaufverhalten zu unterstützen, sind verhaltensökonomische Erkenntnisse hilfreich. Beispielsweise können durch sogenannte Nudges Anreize gesetzt werden, um das Kaufverhalten in eine gewünschte Richtung zu lenken. Es geht um kleine Änderungen von Gewohnheiten, die ohne große Anstrengung etwas bewirken. Wer CO2 sparen möchte, sollte prüfen, wo die individuelle Klimaschädigung am größten ist, und dort ansetzen, wo es am wenigsten wehtut und am meisten hilft. Dazu empfiehlt es sich, mittels eines CO2-Rechners, den beispielsweise das Umweltbundesamt online zur Verfügung stellt, seinen ökologischen Fußabdruck zu ermitteln. Klimaschädlich ist dabei vor allem das Fliegen. Auf Kurzflüge möchten aber nur 28 Prozent der Deutschen zwischen zwanzig und 29 Jahren verzichten, während die ältere Generation über 65 Jahre ein Verbot zu 46 Prozent befürwortet (EIB, 2021). Ein weiterer Grund für einen vorurteilsfreien Diskurs nicht nur zwischen Vertreterinnen und Vertretern von Klimaaktivisten, Wirtschaft und Wissenschaft, sondern auch zwischen den Generationen.

 

Julia Wildner, geboren 1986 in München, Senior Researcher (Verhaltensökonomik und Wirtschaftsethik), Institut der deutschen Wirtschaft Köln Akademie.

 

Literatur

Carter, Neil: The politics of the environment. Ideas, activism, policy, Cambridge 2018.

Die Welt: Extinction Rebellion-Demo vor Haus der Deutschen Wirtschaft, 16.06.2020, www.welt. de/regionales/berlin/article209654319/Extinction-Rebellion-Demo-vor-Haus-der-DeutschenWirtschaft.html [letzter Zugriff: 12.03.2021].

European Investment Bank: EIB Climate Survey, Teil 3 von 3, www.eib.org/en/surveys/climatesurvey/3rd-climate-survey/best-ways-to-fight-climate-change [letzter Zugriff: 10.03.2021].

Enste, Dominik / Wildner, Julia / Nafzinger, Lucia: Going green with behavioral economics: How to combine business and ethics, IW-Report, Nr. 1, Köln, 01.01.2021, www.iwkoeln.de/studien/ iw-reports/beitrag/dominik-h-enste-julia-wildner-how-to-combine-business-and-ethics.html [letzter Zugriff: 12.03.2021].

Eyerund, Theresa: „Umweltfreundlicher Produkte: Mind the Gap“, IW-Report, Köln, 31.12.2015, www.iwkoeln.de/studien/iw-reports/beitrag/theresa-eyerund-umweltfreundliche-produkte259841.html [letzter Zugriff: 12.03.2021].

Hüther, Michael / Mack, Daniel: „Wir brauchen Unternehmer, und wir brauchen Kapital“, in: Die Welt, 19.08.2019.

Köcher, Renate: „Klimaschutz polarisiert. Stehen beim Thema Erderwärmung Junge gegen Alte? Oder verläuft der Graben zwischen den Anhängern der Parteien?“, Allensbach-Umfrage, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 217, 18.09.2019, S. 8.

Kollmuss, Anja / Agyeman, Julian: „Mind the Gap: Why do people act environmentally and what are the barriers to pro-environmental behavior?“, in: Environmental Education Research, 8. Jg., Nr. 3, 2002, S. 239–260.

Meadows, Donella H. / Meadows, Dennis L. / Randers, Jørgen / Behrens, William W.: The Limits to Growth. A Report for the Club of Rome’s project on the Predicament of Mankind, New York 1972.

NOAA National Centers for Environmental Information: Global Climate Report – Annual 2020, Global Climate Report – Annual 2020 | State of the Climate | National Centers for Environmental Information (NCEI) (noaa.gov) [letzter Zugriff 13.10.2020].

Stott, Henry / Nottingham, Ed / Letherby, Abigail: „Green new deals: Social boasting and the true value of ethical branding“, in: Alain Samson (Hrsg.): The Behavioral Economics Guide, www.behavioraleconomics.com, 2020, S. 57–68.

Terlau, Wiltrud / Hirsch, Darya: „Sustainable Consumption and the Attitude-Behaviour-Gap Phenomenon – Causes and Measurements towards a Sustainable Development“, in: Journal on food system dynamics, Vol. 6, Nr. 3, 2015, S. 159–174.

Umweltbundesamt/Bundesumweltministerium: Umweltbewusstsein und Umweltverhalten, 19.02.2020, www.umweltbundesamt.de/daten/private-haushalte-konsum/umweltbewusstsein-umweltverhalten#das-umweltbewusstsein-in-deutschland [letzter Zugriff: 12.03.2021].

Umweltbundesamt: Weltweite Temperaturen und Extremwetterereignisse seit 2010, www.umweltbundesamt.de/themen/klima-energie/klimawandel/weltweite-temperaturen-extremwetterereignisse-seit#Chronik, 21.08.2020 [letzter Zugriff 12.03.2021].

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