Wir „Experten“ glaubten, gerade noch mit einem erleichterten Seufzer an einer zweiten Präsidentschaft Donald Trumps vorbeizukommen; schließlich ließen alle Umfragen ein „Kopf-an-Kopf-Rennen“ erwarten. Zudem hatten die Gegenkandidatin, ehemalige Mitarbeiter Trumps und die meisten Medien dessen schillernden Charakter deutlich beschrieben. Jetzt bleiben Zweifel an gängigen Erklärungen und besorgte Fragen zur internationalen Rolle der USA und ihrer auch Deutschland betreffenden Wirtschaftspolitik.
Dass die Demoskopen erneut danebenlagen, dürfte daran liegen, dass Umfragemethoden, seien sie noch so verfeinert, nicht weiterhelfen, wenn viele Wähler sich genieren, ihre Wahlabsicht zu offenbaren. Auf die Frage, warum so viele Wähler einem solch skandalumwobenen Mann ein derartig herausragendes Amt zutrauen konnten, gab es 2016 wie 2020 unzureichende Antworten. 2016 war von Protest die Rede, der sich erledigen werde, sobald Trump die Bühne verlasse. Opportunistische Unterstützer wie Evangelikale, die Änderungen des Abtreibungsrechts erwarten, oder Libertäre, die sich Steuersenkungen wünschen, haben jedoch nichts mit Protest zu tun. Man übersah vor allem den „Gebrauchtwarenhändler“, der erfolgreich mit alten amerikanischen Ideen hantiert.
Dieses Mal schien die Floskel Bill Clintons „It’s the economy, stupid!“ zu helfen, obwohl sich entgegen den guten Wirtschaftsdaten, fast als Exempel für „alternative Fakten“, ein Glaube an die Permanenz der Inflation durchgesetzt hatte, der einen geradezu unamerikanischen Pessimismus nährte. Welche alten Ideen sind es also, die zusammen mit institutionellem und kulturellem Wandel polarisierend wirken – und wie vertragen sie sich mit sozialen und ökonomischen Entwicklungstendenzen?
Populismus und Isolationismus
Da wäre zunächst der Populismus, eine amerikanische Erfindung – und wo sonst, wenn nicht in der einstmals einzigen Demokratie, konnte bereits in den 1890er-Jahren ein derartiges Zerrbild der Demokratie entstehen? Die Populist Party erzielte beachtliche Wahlerfolge, bevor sie wegen des Mehrheitswahlrechts zunächst von der Demokratischen Partei und dann von der Republikanischen aufgesogen wurde. Ihre Omaha Platform von 1892 enthielt alle Stichworte späterer Populismen.
Darüber staunend, wie Donald Trump die Republikanische Partei in eine auf ihn eingeschworene Sekte verwandelte, übersieht man leicht, dass Isolationismus („no foreign entanglements“) die amerikanische Politik nicht nur in ihren Anfängen bestimmte, sondern so lange vorherrschte, bis die USA jeweils direkt angegriffen wurden. So führte Woodrow Wilson noch 1916 seinen zweiten Wahlkampf mit Parolen wie „He kept us out of war“ und „America First“, bevor das Deutsche Kaiserreich im Januar 1917 zu Wilsons erneutem Amtsantritt den uneingeschränkten U-Boot-Krieg erklärte. Später fand das America First Committee große Resonanz mit seiner Antikriegsagitation, bis es sich 1941 drei Tage nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbour selbst auflöste.
Die eifrigsten Verfechter des Protektionismus, der wirtschaftspolitischen Form des Isolationismus, waren damals und gelegentlich noch später die Republikaner. So beschlossen beide Kammern des Kongresses mit überwiegend republikanischen Stimmen am 28. Mai 1929 den Smoot-Hawley Tariff Act, ein Bundesgesetz zur Erhebung von US-Zöllen auf über 20.000 Produkte. Auch eine Warnung von mehr als tausend Ökonomen, damals noch eine Seltenheit, hinderte Präsident Herbert Hoover nicht daran, 1930 dieses Zollgesetz zu unterzeichnen, das mitten in der Weltwirtschaftskrise dazu beitrug, dass der Welthandel in den beiden folgenden Jahren um sechzig Prozent schrumpfte.
1952 versuchten Hoover und ein Sohn des früheren Präsidenten William Howard Taft, Dwight D. Eisenhower als Präsidentschaftskandidaten zu verhindern, indem sie seine Befürwortung der NATO kritisierten. Pat Buchanan nahm schließlich 1988 gegen die Nominierung von George Bush senior sowohl Trumps Zielrichtung (die Grand Old Party solle zur Arbeiterpartei werden) als auch seine America First-Rhetorik vorweg.
Kurzum, die Republikanische Partei, die wir zu kennen glaubten, die für Verfassungspatriotismus, Markt, Freihandel und eine regelbasierte internationale Ordnung steht, entsprach diesem Bild von 1941 bis 1989, in einem Zeitraum, als der großen Mehrheit der amerikanischen Wähler die Sinnhaftigkeit eines internationalen Engagements einleuchtete. Damals stellten beide großen Parteien Präsidenten, die als Studenten noch die Pflichtseminare über Western Civilization absolviert hatten.
Doch „the economy, stupid“?
Wie viele Wähler heute über Isolationismus und Protektionismus nachdenken, ist ungewiss, obwohl beide zu einem „gesunkenen Kulturgut“ geworden sind. Dominiert also doch die Einschätzung der Wirtschaftsentwicklung?
Bereits die Rede von Deindustrialisierung lässt daran zweifeln, da sie davon ablenkt, dass eher eine Form von Industrie durch eine andere ersetzt wurde. Während die Schwerindustrie so heißt, weil schweres Rohmaterial auf Wasserwegen und Schienen herbeigeschafft und das Endprodukt auf gleiche Weise abtransportiert wird, siedeln sich neuere, standortunabhängige Industrien in klimatisch angenehmeren Regionen an, zumal dann, wenn dort steuerliche Anreize geboten werden. Entsprechend ist der über ein Jahrhundert maßgebliche Gegensatz zwischen dem Süden und dem Norden der USA verschwunden. Stattdessen haben sich je nach Verbreitung der neuen Sparten und des Dienstleistungssektors andere Besonderheiten ergeben. So spielen Frauen in Bildungsbeteiligung und Berufstätigkeit, aber auch im Wahlverhalten eine zunehmend wichtigere Rolle, was umgekehrt auf die Schwierigkeiten gering qualifizierter Männer verweist, die zuvor am Fließband gut verdienten, wenn sie nur gesund und arbeitswillig waren.
Statt einer ausgreifenden Schilderung der Wirtschafts- und Sozialgeschichte lassen schon offizielle Angaben der Weltbank und des Congressional Budget Office erkennen, wie die USA im internationalen Vergleich abschneiden, während ein Blick auf den aktuellen Haushalt verbreitete Vorstellungen korrigiert und auf ein Problem verweist.
Chinas Wirtschaftsleistung war bis 2021 auf 75 Prozent der amerikanischen gewachsen, lag aber 2023 mit 65 Prozent wieder deutlich niedriger. Dagegen fiel das amerikanische Sozialprodukt dank des anhaltenden Wachstums (jeweils 2,8 beziehungsweise 2,9 Prozent seit 2021) um vierzig Prozent höher aus als das der gesamten Europäischen Union; das Pro-Kopf-Einkommen übertraf mit 80.160 Dollar das europäische um 23 Prozent. Der Stundenlohn der untersten Qualifikationsstufe beträgt im Durchschnitt 28 Dollar, und dass mehr Arbeitsplätze verschwanden als neue entstanden, hat sich seit der Finanzkrise von 2010 nicht wiederholt. So bleibt es bei vier Prozent Arbeitslosigkeit; die Inflation war zuletzt bis etwa zwei Prozent gesunken, steigt allerdings seit der Wahl wieder an.
Der Haushalt, der Dollar als Reservewährung und die Zukunftsaussichten
Das Budget des im Oktober 2024 begonnenen Haushaltsjahres umfasst Ausgaben von 6,9 Billionen US-Dollar (amerikanisch: Trillionen). Mehr als die Hälfte, nämlich 3,8 Billionen, ist für Sozialleistungen, vor allem Zuschüsse zur Rentenversicherung und medizinischen Versorgung (Medicaid und Medicare), gedacht. Nahezu je eine der weiteren drei Billionen entfällt auf das Militär (916 Milliarden) und den Schuldendienst (950 Milliarden). Wie will Elon Musk in seiner neuen Rolle also zwei Billionen streichen? Die Zinslast deutet jedenfalls auf die kaum noch beherrschbare Staatsverschuldung hin. Bei nur 5,2 Billionen erwarteten Einnahmen entsteht ein Defizit von 1,7 Billionen, wodurch die Schulden auf 35 Billionen wachsen, was 125 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entspricht. Weder die Demokraten mit Joe Biden als Überlebendem der New Deal-Zeit und ihres Glaubens an Staatsintervention noch die Republikaner, die nicht mehr auf die Chicago Boys, die einst einflussreichen marktorientierten Ökonomen, hören, zeigten sich besorgt. Trump scheint erst recht unbekümmert, da er wie sein Berater Peter Navarro – anders als dessen Zunft – von Zöllen Wunder erwartet.
Der Ausblick wird daher von zwei ganz verschiedenen Gesichtspunkten bestimmt, die beide an der Diskussion um den Dollar als internationale Reservewährung besonders deutlich zu erkennen sind. So entbehrt es nicht der Komik, dass Regime, die sonst durch antikapitalistische Rhetorik auffallen, wegen der amerikanischen Verschuldung besorgt sind und den USA eine solidere Finanzpolitik empfehlen. Sie bestätigen damit nicht nur, dass alle Versuche, dem Dollar eine international akzeptierte Alternative entgegenzusetzen, bislang gescheitert sind, sondern belegen unfreiwillig zweierlei: Die innenpolitische Kehrseite des starken Dollars besteht darin, dass er die Schuldenlast verharmlost, während er geopolitisch erfreulich auf eine der fortbestehenden Stärken der USA als eines verlässlich rechtsstaatlichen Landes verweist.
Grund zu einer zuversichtlichen Prognose bieten aber besonders die beiden maßgeblichen Kriterien zur Bestimmung wirtschaftlicher Stärke, nämlich Produktivität und Bevölkerungsentwicklung. So sind die USA in ihrer ökonomischen Dynamik (als Ergebnis von technischer Innovation, Mobilisierung von Kapital und unternehmerischer Freiheit) der chinesischen und erst recht der europäischen Konkurrenz deutlich voraus. Mit einer schwangeren Statue of Liberty auf dem Titelblatt erinnerte schließlich der Economist daran, dass die Demografie auf relativ zuverlässige Weise Verschiebungen von Machtverhältnissen ankündigt, da mindestens zwei der künftigen Generationen schon, geboren sind. Anders als etwa Indien, die Macht im Wartestand, wird China in den nächsten Jahrzehnten die Hälfte seiner heutigen Bevölkerung von etwa 1,4 Milliarden verlieren. Auch Japan und die Europäische Union werden schrumpfen, während den USA trotz versuchter Begrenzung des Zustroms stetiges Wachstum der Bevölkerung und vermutlich auch der Wirtschaftsleistung bevorsteht. So darf man wohl mit Mark Twain festhalten, dass die Nachrichten vom amerikanischen Niedergang übertrieben waren.
Polarisierungsspirale
Das Land leidet nicht an einer wirtschaftlichen Depression, sondern an einer anhaltenden politischen und kulturellen Krisenstimmung, die freilich manche Einschätzung der Aussichten beeinflusst. Nicht erst seit dem chaotischen Parteitag der Demokraten von 1968 haben Journalisten, Aktivisten und Politikwissenschaftler ein anderes Politikverständnis und vermeintlich demokratisierende Reformen des Politikbetriebs propagiert. Politik sollte nicht als bargaining oder transaction, sondern als Auseinandersetzung um kulturelle und soziale Konzepte verstanden werden – man sprach noch nicht von „Identitäten“. Die sprichwörtlich gewordenen Hinterzimmer, in denen Eliten Kompromisse aushandelten, sollten dank allgemeiner Teilhabe der Vergangenheit angehören. Daher wurde der Zugang zu den Vorwahlen so erleichtert, dass man sich etwa statt eines langen Abends in einer Turnhalle auch per Briefwahl und nur ad hoc an einer Wahl beteiligen konnte. Entsprechend sind die Parteien, jedenfalls in den vielen nicht umkämpften Wahlkreisen, dem Aktivismus ihrer radikalen Flügel ausgeliefert, weil der Hinweis auf unentschlossene Wähler nicht mehr disziplinierend wirkt. Hinzu kommt, dass dank des Mehrheitswahlrechts 37 der 50 Einzelstaaten als gesichert einfarbig gelten, weshalb das frühere Nebeneinander eines Wettbewerbs um vergleichbare Leistungen – abgesehen von der Beschränkung nationaler Wahlkämpfe auf die anderen Staaten – einer antagonistischen Abgrenzung durch unvereinbare Abtreibungsregeln oder Schulcurricula et cetera gewichen ist. Das politische System leidet an einer Polarisierungsspirale, und Abhilfe verspricht nur die zaghaft anlaufende Korrektur des Mehrheitswahlrechts, wie sie in Nebraska und Maine bereits als anteilige Bestimmung der Wahlmänner eingeführt wurde.
Doch nun …
Einstweilen jedoch stehen mindestens zwei Jahre eines „transaktionalen“ Präsidenten an, der ungeniert öffentlich vorführt, was die früheren Kritiker in den „Hinterzimmern“ vermutet hatten. Alle „Deals“ beziehen sich ohne Unterscheid zwischen dem Amt und der Familie nur auf ihn selbst, weshalb er nicht nur Verwandten, sondern auch einem wandelnden Interessenkonflikt wie Elon Musk öffentliche Funktionen übertragen kann. Auch die Benennung von Ministerkandidaten scheint weniger nach der Bedeutung der Ressorts als nach dem Ausmaß früherer Majestätsbeleidigungen zu erfolgen. So werden der Justiz wegen vermeintlicher Verfolgung Trumps oder dem Militär wegen gelegentlicher Belehrungen durch Generäle besonders ungeeignete, aber loyale Kandidaten zugedacht.
Außenpolitisch ist bemerkenswert, dass der immer noch einflussreiche republikanische Senator Mitch McConnell am 16. Dezember 2024 in der Zeitschrift Foreign Affairs vor dem erneuten Isolationismus in Teilen seiner Partei warnte. Amerika werde nicht dadurch „great again“, dass es seinen Führungsanspruch aufgebe. Unabhängig davon könnte Trumps Egozentrik zum Beispiel der Ukraine insofern helfen, als er auch gegenüber Putin nicht als „Loser“ erscheinen möchte – denn kaum etwas verachtet er mehr. Andererseits wird von dem fehlenden Verständnis für Institutionen und vereinbarte Formen der Zusammenarbeit nicht nur die NATO betroffen sein. Die Entwertung von Bündnissen wird auch weitere Staaten dazu verleiten, ihre Sicherheit in atomarer Bewaffnung zu suchen.
Wie massiv die deutsche Industrie von den angedrohten Zöllen betroffen sein wird und wie sich dabei der Unterschied zu den gegen China gerichteten auswirkt, bleibt vorerst ebenso unklar wie mögliche Gegeneffekte, etwa eine Stärkung des US-Dollars, die wiederum Importe verbilligen würde. Vorhersehbar ist dagegen, dass die Zölle und die angekündigten Deportationen von Millionen Menschen – abgesehen von den horrenden Kosten einer solchen Aktion – zu höherer Inflation und entsprechenden Zinsen führen werden, weshalb Trump erneut versuchen wird, die Unabhängigkeit der Notenbank zu beseitigen. Sollte man also mit Blick auf die midterm elections in zwei Jahren doch daran glauben, dass die Wähler auf ihre Wahrnehmung von Inflation reagieren?
Michael Zöller, geboren 1946 in Würzburg, emeritierter Professor für Politische Soziologie und Leiter der Amerika-Forschungsstelle, Universität Bayreuth, Gastprofessor an zahlreichen Universitäten der USA.