Populismus ist eine Fremdbezeichnung. Kaum jemand, der in Medien oder Wissenschaft „Populist“ genannt wird, würde sich selbst so nennen. Der Begriff, der sich aus dem lateinischen Wort populus („das Volk“) ableitet, ist negativ besetzt. Das hat zum Teil historische Gründe, vor allem in Deutschland. Es hat auch damit zu tun, dass es in modernen, sozial immer stärker differenzierten und mobilen Gesellschaften immer schwieriger wird, sich das Volk als homogene Einheit vorzustellen und es als solche anzusprechen. Ein weiterer Grund für die negative Konnotation des Wortes liegt im voreiligen Gebrauch in politischen Debatten. Wird eine Forderung erhoben, die dem Gegenüber nicht passt, heißt es schnell, sie sei populistisch.
Die Politikwissenschaft hat eine Reihe von Indikatoren aufgestellt, anhand derer „echter“ Populismus erkannt und gängigen Kategorien wie „links“ und „rechts“ zugeordnet werden kann. Das schafft nicht nur Ordnung, sondern zeigt auch das demokratiegefährdende Potenzial des Populismus. Darin liegt vermutlich auch der wichtigste Grund dafür, dass sich niemand selbst als Populist bezeichnen würde.
Die Problemsucher
Gemeinsam ist beiden Varianten des Populismus, dem linken wie dem rechten, dass er Politik emotionalisiert und skandalisiert. Während seriöse demokratische Politiker bestrebt sind, ein reales Problem zu lösen oder zumindest an dessen Lösung zu arbeiten, schaffen sich Populisten ihre Handlungsvoraussetzungen in der Regel selbst, indem sie Probleme aufbauschen, Ängste schüren oder Bedrohungsszenarien erfinden. So skandalisieren Linkspopulisten Reichtum oder Armut, warnen immer wieder vor sozialem Abstieg und erzeugen Zukunftsängste. Die Mitte sei verunsichert, das soziale Aufstiegsversprechen der Sozialen Marktwirtschaft würde nicht mehr gelten, unseren Kindern werde es nicht mehr besser gehen als uns, das sind häufig anzutreffende Formulierungen, die meist eingeleitet werden mit Sätzen wie „Es kann nicht sein, dass…“. Auch die Parolen der Rechtspopulisten basieren auf Übertreibung oder auf Annahmen, die dem Publikum als reale Bedrohung verkauft werden. Ein Lehrbuchbeispiel dafür lieferte der AfD-Fraktionsvorsitzende im Thüringer Landtag, Björn Höcke, bei einer Rede Mitte Mai 2016 auf dem Erfurter Domplatz. Er leitete sie mit den Worten ein, dass er in Sorge sei, dass vielleicht nicht morgen, vielleicht auch nicht übermorgen, aber vielleicht in einer nicht allzu fernen Zukunft der Halbmond auf dem Erfurter Dom zu sehen sein könnte. Der Konjunktiv als eine Art Leitmotiv ist eine Gemeinsamkeit politischer Mobilisierung. Populisten sind Problemsucher, keine Problemlöser.
Ein weiteres gemeinsames Merkmal des linken wie des rechten Populismus besteht darin, dass dem Publikum Schuldige für die vermeintlichen Missstände präsentiert werden. Für die einen sind es der globale Kapitalismus und dessen Ideologie, der Neo-Liberalismus. Für die anderen sind es Einwanderer, Asylsuchende oder Flüchtlinge aus anderen Kulturkreisen. Sie würden die kulturelle, religiöse und nationale Identität der Einheimischen bedrohen und ihnen materielle und soziale Leistungen streitig machen. Einen gemeinsamen Gegner finden linke und rechte Populisten in denen „da oben“, also in Eliten der Politik, Wirtschaft und Verwaltung, zum Teil auch in Wissenschaft und Medien, die sich von den Sorgen und Nöten der „kleinen Leute“ vollständig entkoppelt hätten und nur noch an sich selbst interessiert seien. Gemeinsam ist linken wie rechten Populisten, dass sie auf komplizierte Fragestellungen der Gegenwart einfache „Antworten“ geben. Forderungen wie „Grenzen dicht machen“, „kriminelle Ausländer raus“ oder „Spardiktat beenden“ kommen zwar dort gut an, wo sie gehört werden sollen, sind aber dem Schwierigkeitsgrad der zugrunde liegenden Probleme nicht annähernd angemessen.
Empörungshändler und Alleinvertreter
Populisten erheben den Anspruch, nur sie allein würden die Interessen des Volkes vertreten.1 Linker wie rechter Populismus überhöht das „einfache Volk“ als moralisch gut, aber von außen bedroht und von oben betrogen. Populismus ist anti-elitär, solange es gegen die aktuellen Eliten geht, die sie in ihrer Funktion ablösen wollen. Das allein ist schon widersprüchlich, aber mindestens ebenso sehr fällt auf, dass es selten soziale Gemeinsamkeiten zwischen populistischen Politikern und ihren Zielgruppen gibt. Pablo Iglesias und Oskar Lafontaine auf der einen, Christoph Blocher, Geert Wilders oder Beatrix von Storch auf der anderen Seite haben mit ihren Anhängern so viel gemein wie das Steinhuder Meer mit der Nordsee. Populisten sind politische Unternehmer, die mit latenten Befürchtungen und geschürter Empörung handeln wie andere mit Gebrauchtwagen.
Diese Diskrepanz ist augenfällig, aber an sich noch keine Gefährdung der Demokratie. Gefährlich sind hingegen zum einen die Sprache der Populisten und zum anderen ihr Anspruch, allein die Interessen des Volkes zu vertreten. Das macht Populisten anti-pluralistisch und somit anti-demokratisch. Wer anderer Meinung ist als sie, ist automatisch gegen das Volk. Und wer gegen das Volk ist, ist schnell ein Volksverräter oder Volksfeind. Gerade die Repräsentanten einer pluralistischen Gesellschaft, vor allem die etablierten demokratischen Parteien und die Medien, geraten so ins Visier der Populisten und werden – weit jenseits der Gepflogenheiten eines demokratischen Meinungsstreites – verunglimpft. Populisten spalten und hetzen, besonders die auf der rechten Seite.
Inkludierer und Exkludierer
Linker und rechter Populismus unterscheiden sich nicht in erster Linie durch die Schärfe ihrer Sprache. Was beide trennt, sind die Prinzipien der „Inklusion“ beziehungsweise „Exklusion“.2 Linksgerichteter Populismus ist inklusiv. Er will sozial Benachteiligte durch immense Umverteilung in die Gesellschaft integrieren und sie unmittelbar an politischen und ökonomischen Entscheidungsprozessen beteiligen. Rechtspopulismus hingegen ist exklusiv. Er trennt zwischen „uns“, den rechtschaffenen, einheimischen kleinen Leuten, und „den anderen“, wobei mit „den anderen“ zum einen die „etablierten Eliten“ im eigenen Land und auf Ebene der Europäischen Union (EU), zum anderen Einwanderer, Flüchtlinge und Asylsuchende, vornehmlich aus islamischen Ländern, und auch immer wieder Juden gemeint sind. Da diese Spielart des Populismus die eigene nationale Identität (über)betont und vorgibt, sie vor angeblichen Bedrohungen von außen oder von oben zu verteidigen, wird sie rechts- oder nationalpopulistisch genannt. „Österreich zuerst“, ein Wahlkampfslogan der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), ist hierfür ein treffendes Beispiel. Abgrenzung nach „oben“ und nach „außen“ funktioniert auch auf außen- und europapolitischer Ebene, und das wiederum sowohl bei linken als auch rechten Populisten.
So stellt die EU für rechts- und nationalpopulistische Parteien einen unzulässigen Eingriff in nationale Selbstbestimmung und damit eine Bedrohung der nationalen Identität dar. Rechtspopulisten beschwören eine „Überfremdung“ ihrer Länder durch zu laxe Grenzkontroll-, Asyl- und Einwanderungsregeln in der EU und fordern hier die volle nationale Kontrolle von der EU zurück. Zudem schüren sie die Angst vor Wohlstandsverlusten – etwa durch weitere Finanzhilfen für Griechenland. Sie wollen die Union entweder auflösen oder fordern den Austritt ihres Landes aus der EU, zumindest aber aus der Eurozone.
Linkspopulisten beklagen in erster Linie das „Brüsseler Spardiktat“ und angeblich einseitige Belastungen bei den Bemühungen zur Eindämmung der Staatsschuldenkrise. Die von der EU und ihren Institutionen auferlegte „Austerität“ ist für sie zur Chiffre für alle Probleme geworden, unter denen die hochverschuldeten Länder Südeuropas leiden. Sie fordern die sofortige Beendigung der Austeritätspolitik, Schuldenschnitte für die am höchsten verschuldeten Länder in der EU, die Vergemeinschaftung von Staatsschulden, die „soziale Kontrolle“ des Bankensystems sowie höhere Einkommens- und Gewinnbesteuerungen und die Abschaffung des „Diktats“ ausgeglichener Haushalte.3
Der linke Populismus befindet sich in Deutschland gegenwärtig eher auf dem Rückzug, während der rechtsnationale Populismus Zulauf hat – interessanterweise mit teils derselben Anhängerschaft. An die Stelle der sozialen Mobilisierung scheint die kulturell-nationale Mobilisierung zu treten, die auch in Wählermilieus linker Parteien verfängt. In Österreich und in Frankreich sind die FPÖ beziehungsweise der Front National die stärksten „Arbeiterparteien“ ihrer Länder geworden.4
Die Wutmacher
Für manche Beobachter galt der Aufschwung von Populisten im positiven Sinne als eine Art Warnsignal für sich anbahnende Missstände oder wachsende Unzufriedenheit in Teilen der Bevölkerung.5 Diese Sichtweise lässt sich so nicht mehr halten. Zwar bewegen sich die meisten Populisten im Rahmen der Demokratie und nutzen alle sich darin bietenden Freiräume für ihre Zwecke aus. Aber speziell Rechtspopulisten vergiften das gesellschaftliche Klima durch pauschale Verunglimpfungen und Hetze gegen Flüchtlinge und Asylsuchende, gegen Moslems und Juden, gegen Vertreter der etablierten Parteien und der Medien und gegen Homosexuelle. In Verbindung mit ihrem grundsätzlich anti-pluralistischen Anspruch und ihren Verschwörungstheorien schüren sie Wut und Hass. Das macht zurzeit vor allem Rechtspopulisten gefährlich für die Demokratie, zu deren Funktionsbedingungen nicht nur Pluralismus, sondern auch die Fähigkeit gehört, Probleme im Ausgleich divergierender Interessen zu lösen.
Für den viel besprochenen, in der Praxis aber schwierigen „Umgang“ mit Populismus empfiehlt sich mehr denn je, Politik zu machen, die einem Großteil der Bevölkerung und dem eigenen Land nützt und die Perspektiven bietet, die mit programmatischen Grundsätzen begründet werden können. Denn die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Populismus steht immer in der Gefahr, ihm noch größere Aufmerksamkeit zu verschaffen und so mittelbar seine Intentionen zu befördern. Wenn man eine solche Debatte jedoch anstrebt, dann sollte man deutlich machen, wie wenig Substanz, wie wenig Perspektive und wie viele Risiken in den Ansichten der Populisten stecken. Würden die Forderungen populistischer Protestparteien jemals Realität, dann gäbe es für viele, die heute mit der Weltsicht von Populisten sympathisieren, ein böses Erwachen.
Karsten Grabow, geboren 1967 in Rostock, Koordinator Politikanalysen und Parteienforschung, Hauptabteilung Politik und Beratung der Konrad-Adenauer-Stiftung.
1 Vgl. Jan-Werner Müller: „Was heißt: Populismus an der Macht?“, in: Zeitschrift „Osteuropa“, 66. Jg., Nr. 1–2, Berlin 2016, S. 5–17, hier S. 6.
2 Karin Priester: „Wesensmerkmale des Populismus“, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Nr. 5–6, Bonn 2012, S. 3–9, hier S. 3; Hans-Georg Betz: „Exclusionary Populism in Austria, Italy and Switzerland“, in: International Journal, 53. Jg., Nr. 3, London 2001, S. 393–420.
3 Vgl. Karsten Grabow und Torsten Oppelland: „Ich will die EU zerstören“. EU-Gegner im 8. Europäischen Parlament. Eine Jahresbilanz, Konrad-Adenauer-Stiftung, Berlin / Sankt Augustin 2015.
4 Vgl. Magali Balent: „The French National Front from Jean-Marie to Marine Le Pen: Between Change and Continuity“ und Reinhard Heinisch: „Austrian Right-wing Populism: A Surprising Comeback under a New Leader“, beide in: Karsten Grabow und Florian Hartleb (Hrsg.): Exposing the Demagogues. Right-wing and National Populism in Europe, Centre for European Studies, Brüssel 2013, S. 161–186 und S. 47–79.
5 Siehe dazu u. a. Frank Decker: Der neue Rechtspopulismus, Leske und Budrich, Opladen 2004, S. 271–272.