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Muslimische Normalität in Deutschland braucht Anerkennung, Institutionen und Regeln

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Die Idee eines deutschen Islam ist nicht besonders populär – bei Muslimen nicht, weil sie hinter dem Begriff Verfremdung und Einmischung vermuten. Bei vielen anderen auch nicht, weil sie den Islam als nicht zu Deutschland gehörend betrachten. Zumindest innerhalb des demokratischen Spektrums ist allerdings unumstritten, dass Muslime und damit der Islam dauerhaft in unserem Land präsent sind.

 

Bei der Debatte über die Zugehörigkeit des Islam zu Deutschland geht es deshalb nicht um die Anerkennung dieser Präsenz, sondern vielmehr um die Anerkennung von Normalität. Bemerkenswerterweise ist die Frage nach der Normalität des Islam in Deutschland nicht so alt wie die Präsenz von Muslimen in Deutschland. Muslime werden (als Muslime) erst seit knapp zwei Jahrzehnten von Teilen der Gesellschaft außerhalb des gängigen Normalitätsparadigmas platziert. Bis in die 1990er-Jahre galt der Islam als eine Minderheitenreligion unter vielen. Man sprach von „Gastarbeitern“ oder „Ausländern“.

 

Dabei waren die Muslime von damals nicht demokratischer, aufgeklärter, säkularer oder „normaler“ als heute – wohl eher im Gegenteil. Dass sie zunehmend als Muslime wahrgenommen – und problematisiert – worden sind, lag nicht nur am Aufschwung islamistischer Politik im Nahen Osten und am weltweiten Terror im Namen des Islam. Auch die zunehmende Sichtbarwerdung muslimischen Alltags in Deutschland und das Auftreten von Muslimen als deutsche Staatsbürger bewirkte Irritationen, in manchen Fällen Unbehagen, teils sogar Ablehnung und Hass. Kein Wunder also, wenn Befragungen von deutschen Muslimen ergeben, dass die am häufigsten formulierten Wünsche die Anerkennung schlichter Normalität des Islam in Deutschland und der Verzicht auf religiöse, ethnische oder politische Kulturalisierung sind. Aber wie kann diese Anerkennung gelingen? Das Nachdenken über einen deutschen Islam kann hier Impulse und Ansätze bieten.

 

„Ein Islam ohne Vereinnahmungen“

 

Folgt man den gängigen Diskursen der Integrationsforschung zum Islam, ist vor allem die nichtmuslimische Mehrheitsgesellschaft gefordert. Im Vordergrund stehen der Nachweis und die Überwindung von Fehlwahrnehmungen, Fremdzuschreibungen und Abwertungen. Doch diese Perspektive greift zu kurz. Viele Vorbehalte und Fragen in Bezug auf den praktizierten Islam sind weder sozial konstruiert noch ungerechtfertigt. Sie beruhen auch nicht immer auf Vorurteilen, Unkenntnis oder Rassismus. Politische Vereinnahmungen und gesteuerte Radikalisierungstendenzen sind in vielen islamischen Ländern seit Jahrzehnten zu beobachten. Sie haben dafür gesorgt, dass sich Religion und Politik unheilvoll vermischten und progressive Debatten unterbunden wurden. Da muslimisches Leben in Deutschland in vielen muslimisch-migrantischen Milieus immer noch herkunftsorientiert gelebt und organisiert wird, sind diese Vermischungen und Einflussnahmen auch in Deutschland präsent und wirksam. Dies zeigt sich in der vorwiegend ethnisch-politischen Prägung muslimischer Organisationen, aber auch in einer zunehmenden personellen und organisatorischen Präsenz politischer Radikalität im Namen des Islam.

 

Wer die Anerkennung muslimischer Normalität in Deutschland auf den Kampf gegen antimuslimische Vorurteile und Stereotypen reduziert, macht es sich deshalb zu einfach. Damit muslimisches Leben als Bestandteil von Kultur und Gesellschaft breite Akzeptanz finden kann, muss der hier praktizierte Islam zugleich von der Prägung und Beeinflussung politischer Akteure und autoritärer Systeme und Staaten gelöst, müssen religiös gerechtfertigte Rechtsbrüche geahndet und die Radikalisierung sowie Indoktrination unterbunden werden. Ein so verstandener deutscher Islam wäre damit das Gegenteil von dem, was seine Kritiker darunter verstehen. Er wäre ein Islam, der sich politischer und kultureller Vereinnahmungen zunehmend entledigt hätte, dessen Repräsentanten und Institutionen im beiderseitigen Interesse mit Staat und Behörden kooperieren und der den in Deutschland lebenden Muslimen spirituell und institutionell eine Heimat bietet.

 

Chancen des Religionsrechts

 

Eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Staat, Gesellschaft und Muslimen bedarf einer grundsätzlichen Klärung des Verhältnisses von Staat und muslimischen Religionsgemeinschaften in Deutschland. Muslimische Stimmen fordern immer wieder eine „staatliche Anerkennung des Islam“. Dieser Ruf geht an der Realität vorbei. Denn der säkulare Rechtsstaat in Deutschland erkennt keine Religionen an. Im Gegensatz zu den in muslimischen Ländern fast durchweg praktizierten Vereinnahmungen und Verstaatlichungen religiösen Lebens zielt das deutsche Religionsverfassungsrecht auf der Grundlage religiöser Neutralität darauf ab, Kooperationsbeziehungen zwischen dem Staat und (allen) Religionsgemeinschaften zu etablieren. Politisch und juristisch notwendig ist in Bezug auf den Islam deshalb nicht die „Anerkennung“. Stattdessen geht es darum, innerhalb des bestehenden religionsverfassungsrechtlichen Rahmenwerkes ein einheitlich geregeltes Kooperationsverhältnis zwischen den islamischen Glaubensgemeinschaften und dem Staat zu definieren.

 

Mit der Einrichtung der Deutschen Islam Konferenz im Jahre 2006 sollte dies erreicht werden – bislang ohne durchschlagenden Erfolg. Widerstreitende Vertretungsansprüche, unterschiedliche Erwartungen und fehlender Wille haben die Etablierung eines bundesweit einheitlichen Modells zur Organisation von Kooperationsbeziehungen zwischen Staat und Muslimen verhindert. Die Schuld an dieser unbefriedigenden Situation schieben sich staatliche Stellen und muslimische Verbände gegenseitig zu. Das deutsche Religionsrecht privilegiere die Kirchen und passe nicht zum Islam, ist vonseiten der muslimischen Verbände zu hören. Das mag im Hinblick auf die Verbände in ihrer derzeitigen Form und Ausrichtung stimmen. Ob es auch im Hinblick auf den Islam stimmt, ist zu bezweifeln. Tatsächlich kann das deutsche Religionsrecht dem Islam in Deutschland vielfältige Möglichkeiten der religiösen Entfaltung bieten, die ihm in den allermeisten islamischen Ländern vorenthalten bleiben.

 

Auch Muslime in Deutschland sehen dies zunehmend so. Erste Stimmen fordern eine Debatte über eine positive deutsch-muslimische Identität und eine Abkehr von den bisherigen ethnisch-politisch geprägten Verbandsstrukturen. Selbst innerhalb der Verbände werden eine Distanzierung von ausländischen Akteuren und Interessen sowie eine stärkere Inlandsorientierung gefordert. Bislang ist offen, ob diese Entwicklungen zu inhaltlichen Neuausrichtungen der islamischen Organisationen und einer Verbesserung ihrer Artikulations- und Partizipationsfähigkeit in der deutschen Zivilgesellschaft führen. Falls ja, könnten tatsächlich jene Religionsgemeinschaften im Entstehen begriffen sein, die das deutsche Recht fordert. Gerade weil sich diese Wandlungsprozesse aber erst andeuten und ihr Ausgang offen ist, sind auf Dauer angelegte Kooperationen zwischen Staat und muslimischen Verbänden zurzeit nicht sinnvoll. Chancen und Notwendigkeiten einer Regelung des Verhältnisses bieten sich anderswo.

 

Die Praxis in Deutschland hat gezeigt, dass Problemlösungen im Verhältnis zwischen Staat, Gesellschaft und Muslimen am besten funktionieren, wenn sie auf flexiblen Modellen, klaren Verantwortlichkeiten und eindeutigen Regeln beruhen. Die erfolgreiche Einführung des islamischen Religionsunterrichts hat deutlich gemacht, dass es in manchen Fällen zielführend ist, rechtlich tragfähige Übergangslösungen zu finden. Ähnlich war es bei der Einrichtung von Instituten für islamische Theologie an deutschen Universitäten. Trotz aller Anfangsschwierigkeiten und ungeachtet der berechtigten Kritik an der Besetzung des Beirats für das neue Berliner Institut für Islamische Theologie ist dies eine Erfolgsgeschichte.

 

Aufbau muslimischer Institutionen

 

In anderen Fällen müssen Problemlösungen noch gefunden werden. In den vergangenen Jahren wurde zwar mit großem Aufwand in Strukturen zur Ausbildung islamischer Theologen an deutschen Universitäten investiert, die Erschließung von Berufsperspektiven für die Ausgebildeten jedoch vernachlässigt. Viele der auf den Arbeitsmarkt drängenden Absolventen machen ernüchternde Erfahrungen. Nicht immer erfüllen sie die Anforderungen möglicher Arbeitgeber. Es mangelt an Finanzierungsstrukturen und teilweise an rechtlichen Rahmenbedingungen. Schließlich fehlt es an Akzeptanz und Unterstützung seitens der etablierten Moscheeverbände.

 

Auch in der Seelsorge und Wohlfahrtspflege existiert in mehrfacher Hinsicht Diskussions- und Handlungsbedarf. Muslimische Sozialarbeit ist gegenwärtig nahezu ausschließlich ehrenamtlich oder privatwirtschaftlich organisiert. Es existiert bislang keine professionell-konfessionelle Wohlfahrtsarbeit für Muslime mit entsprechenden Trägerstrukturen. Der Aufbau solcher Trägerstrukturen braucht Zeit und ist kurz- bis mittelfristig nicht absehbar. Auch in diesem Fall erweisen sich die unzureichenden Organisationsstrukturen und die Auslandsorientierung der muslimischen Organisationen in Deutschland als hinderlich.

 

Institutionalisierungsfrage und Finanzierungsfrage sind eng miteinander verbunden. Solange kein nachhaltiges Instrument der Finanzierung muslimischer Institutionen in Sicht ist, wird sich an der Einflussnahme anderer Länder wenig ändern. Gerade die Beschäftigung von deutschen Imamen an hiesigen Moscheen setzt etablierte und transparente Finanzierungsstrukturen voraus. Grundsätzlich ist es nicht die Aufgabe des Staates, finanzielle Ressourcen zur Unterhaltung religiöser Infrastruktur bereitzustellen. Kurz- und mittelfristig sollten Muslime, Moscheegemeinden und staatliche Stellen aber an einem Strang ziehen und an flexiblen Übergangsmodellen arbeiten. Als temporäre Lösung wäre beispielsweise eine gemeinsame Finanzierung durch Beiträge aus den Gemeinden und staatlichen Zuschüssen denkbar.

 

Anerkennung von Regeln

 

Muslimische Normalität in Deutschland braucht also nicht nur den Kampf gegen Stereotype und Vorurteile. Genauso wichtig sind die Förderung einer positiv gedachten deutsch-muslimischen Identität und die Etablierung von tragfähigen Institutionen und Regelwerken. Wenn es gelingt, muslimisches Leben in Deutschland in Form von hier verwurzelten Religionsgemeinschaften zu organisieren, kann ein Verhältnis definiert werden, in dem Freiräume und Grenzen ebenso wie Leistungen und Verpflichtungen festgelegt werden. Dies wirkt Fehlwahrnehmungen und Pauschalisierungen entgegen und schafft Transparenz und Akzeptanz. Bis zur Etablierung solcher Gemeinschaften ist es noch ein weiter Weg. Kurz- und mittelfristig sind daher sachfragenspezifische Modelle auf klarer rechtlicher Grundlage, der Verzicht auf eine exklusive Inanspruchnahme von Verbänden und Einzelstimmen und Flexibilität, Pragmatismus und Kreativität der beste Weg. Ein deutscher Islam wäre damit nicht der Versuch der „Verdeutschung des Islam“ oder der „Islamisierung Deutschlands“ (was immer mit beiden Schlagwörtern gemeint sein könnte), sondern ein institutionelles, juristisches, politisches und gesellschaftliches Projekt der Anerkennung und Organisation muslimischer Präsenz in Deutschland.

 

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Andreas Jacobs, geboren 1969 in Kleve, Koordinator Islam und Politik in der Hauptabteilung Politik und Beratung der Konrad-Adenauer-Stiftung.

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