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Was bedeutet Burnout auf Leitungsebene für die Arbeitswelt?

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Megatrends wie die Digitalisierung oder der demografische Wandel prägen eine Welt, in der Wandel sich nicht mehr schrittweise, sondern rapide und unablässig vollzieht. Hinzu kommen globale Ereignisse wie die COVID-19-Pandemie oder der Klimawandel, die zu einer nie da gewesenen Unsicherheit und Volatilität in der Arbeitswelt führen. Einerseits bergen diese Entwicklungen enormes Potenzial für die Gestaltung einer modernen Arbeitswelt – etwa in Form nachhaltigen Wachstums, eines höheren Innovationsgrads und einer sinnorientierten, gesünderen Arbeitswelt. Andererseits geraten Unternehmen unter einen unnachgiebigen Veränderungsdruck, agiler, innovativer und effizienter zu arbeiten. Dabei wird insbesondere von Führungskräften erwartet, Zukunft zu gestalten.

Allerdings sind gerade sie es, die unter der Last dieser Entwicklungen an ihre Grenzen geraten – mit gefährlichen Folgen nicht nur für ihr eigenes Wohlbefinden und ihre Leistungsfähigkeit, sondern auch für ihre Mitarbeitenden. Durch die Digitalisierung geraten längst nicht mehr nur einzelne Geschäftsprozesse, sondern ganze Geschäftsmodelle unter enormen Innovationsdruck. Mit einem schnellen Ende dieser Entwicklungen ist nicht zu rechnen – eher wird prognostiziert, dass die Veränderungsgeschwindigkeit in der Arbeitswelt weiter zunehmen wird. Für Führungskräfte bedeutet dies, dass lineare und gut prognostizierbare Prozesse der Vergangenheit angehören. Wollen Führungskräfte mit dem Wandel Schritt halten, sind schnellere Entscheidungsfindungen, „Kreativität auf Knopfdruck“ und eine hohe Flexibilität als Reaktion auf unsichere Umweltbedingungen gefragt.

Auch in der Mitarbeiterführung sehen sich Führungskräfte grundsätzlich veränderten Anforderungen gegenüber: Zum einen haben digitale Kommunikationstechnologien zu einer explosionsartigen Zunahme der Arbeit in hybriden Kontexten geführt (Bruch 2022b). Zum anderen sehen sich Führungskräfte im Zuge des demografischen Wandels mit einer zunehmend altersdiversen Belegschaft konfrontiert: Mit der Generation Z (Jahrgänge 1997 bis 2012) tritt eine Generation in den Arbeitsmarkt ein, die neue Vorstellungen und Bedürfnisse an Leadership adressieren. Führen im Kontext dieses technisch-strukturellen und soziodemografischen Wandels erfordert ein stärker sinnorientiertes und weniger hierarchisches Führungsverständnis – wohingegen autoritäre Top-down-Führungsansätze aus der Zeit fallen.

 

Ein strukturelles Phänomen

 

Viele Unternehmen setzen darauf, dass Führungskräfte nicht mehr nur im operativen Tagesgeschäft Spitzenleistung erbringen, sondern zusätzlich als proaktive Gestalter im Wandel agieren. Jedoch droht ihnen angesichts der vielen stark gestiegenen Anforderungen eine Überforderung und damit ein Verlust ihrer Führungsfähigkeit.

Die im Rahmen unserer St. Galler Längsschnittstudie zu New Work und Culture im Zeitraum von 2019 bis 2020 bei über 4.000 Führungskräften aus 110 Unternehmen im DACH-Raum – D für Deutschland, A für Österreich (Austria) und CH für die Schweiz (Confoederatio Helvetica) – erhobenen Daten zeichnen ein bedenkliches Bild: Im Topmanagement etwa berichtet jede dritte Führungskraft, dass sie bereits müde ist, bevor der Arbeitstag überhaupt begonnen hat, oder sie sich während der Arbeit emotional erschöpft und verbraucht fühlt.

Im mittleren und unteren Management ist die Situation kritischer: Von den mittleren Führungskräften geben 43 Prozent an, dass sie Erschöpfung verspüren. Im unteren Management betrifft dies sogar knapp die Hälfte (51 Prozent), das heißt jede zweite Führungskraft fühlt sich müde. Dass sich gerade Führungskräfte im mittleren und unteren Management einer Überbelastung ausgesetzt fühlen, erscheint wenig überraschend: Denn sie tragen meist die Verantwortung für die Übersetzung von Zielen. Auffallend ist zudem, dass es gerade die jüngeren Führungskräfte sind, die angeben, überbelastet zu sein: Bei den Babyboomern (1946 bis 1964) handelt es sich dabei um rund dreißig Prozent, bei den jüngeren Generationen der „Gen Y“ (1980 bis 1996) und „Gen Z“ (ab 1997) sogar um 45 Prozent.

Diese Erschöpfung schlägt sich deutlich messbar auch im Wohlbefinden und in der Leistung der Führungskräfte nieder: Stark erschöpfte Führungskräfte sind rund dreißig Prozent weniger zufrieden und leisten im Durchschnitt zwanzig Prozent weniger. Darüber hinaus erwägen erschöpfte Führungskräfte auch häufiger, ihren Arbeitgeber zu verlassen: Ihre Kündigungsabsicht ist mehr als doppelt so hoch ausgeprägt.

Die zunehmende emotionale Erschöpfung wirkt sich in mehrfacher Hinsicht stark negativ auf Leistung und Wohlbefinden der Führungskräfte am Arbeitsplatz aus. Eine zusätzliche Wirkung zeigt sich bei Betrachtung der Zusammenhänge zwischen der Erschöpfung von Führungskräften und ihrer Art zu führen: Zum einen verdeutlichen unsere Daten, dass es überbelasteten Führungskräften deutlich schwerer fällt, im Sinne einer modernen Arbeitswelt, das heißt insbesondere inspirierend und sinnorientiert, zu führen – und zum anderen, dass sie eher dazu neigen, in destruktive Führungsmuster zu verfallen.

 

Geringere Motivation, schädliche Führungsmuster

 

Positiv gestaltende Führung in einer Arbeitswelt im Umbruch und Wandel erfordert eine differenzierte und vor allem in Abhängigkeit vom Kontext bedarfsgerechte Ausgestaltung verschiedener Praktiken wie etwa den Abbau von Hierarchien („Unbossing“), den Umgang mit gegensätzlichen Anforderungen („Paradoxe Führung“), eine ausgeprägte Diversitätskompetenz und einen hohen Fokus auf das Wohlbefinden von Mitarbeitenden (Bruch/Barton 2023). Besonders hervorzuheben ist an dieser Stelle jedoch die Bedeutung der inspirierenden und sinnorientierten Führung, also einer Art der Führung, die das „Warum?“ der Arbeit stark in den Mittelpunkt rückt und den Bezug von Mitarbeitenden zu diesem Ziel klar aufzeigt und wertschätzt. Diese Art der Führung gilt in Kombination mit einem auf ein Mindestmaß reduzierten zielorientierten Führungsstil in Bezug auf die Motivation und Leistung von Mitarbeitenden als die wirksamste: So stellt sie sich einerseits auf den steigenden Wunsch von Mitarbeitenden nach sinnorientierter Arbeit ein und betont andererseits die gerade in dezentralen und flexibilisierten Arbeitsumgebungen wichtigen emotionalen und wertschätzenden Aspekte der Führungsarbeit (Bruch 2022a). Eine Überbelastung von Führungskräften steht einer solchen sinnorientierten Führung diametral entgegen: Fehlt es Führungskräften an persönlichem Antrieb und Energie, wird es ihnen nur schwerlich gelingen, sich langfristig und authentisch in inspirierende Ziele und eine überzeugende Vision zu investieren – und diese auch emotionalisierend und begeisternd vorzuleben.

Erschöpfte Führungskräfte agieren nicht nur weniger konstruktiv – in einigen Fällen können sie auch aktiv negativ im Unternehmen wirken. Bei manchen Führungskräften übersetzt sich der Kraftverlust in eine geringere Führungsmotivation und Laissez-faire-Führungsmuster. Diese bezeichnen eine Form der Nicht-Führung, bei der die Führungsperson ihre Führungsverantwortung vernachlässigt, sich auch aus wichtigen Entscheidungen heraushält und die Mitarbeitenden sich infolgedessen oftmals auf sich allein gestellt fühlen. Im Hinblick auf den großen Bedarf an gestaltender Führung handelt es sich also um ein besonders schädliches Führungsmuster, das zu stark verringertem Engagement und reduzierter Leistung führt.

Andere Führungskräfte zeigen noch stärker negative Führungsmuster, die sich gar als destruktiv bezeichnen lassen. Sprechen Führungskräfte ihre Erschöpfung über einen längeren Zeitraum nicht gezielt an, kann dies eine Entfremdung von der eigenen Arbeit bis hin zu Zynismus zur Folge haben. Führungskräfte tendieren dann eher zu despotischem Verhalten und/oder Machtmissbrauch oder schikanieren Mitarbeitende verbal und emotional – mit ernst zu nehmenden Folgen: Mitarbeitende in Unternehmen, in denen destruktive Führung stark ausgeprägt ist, sind weniger zufrieden (−18 Prozent) und zeigen eine höhere Kündigungsabsicht (+38 Prozent). Zudem steigt auch ihr Burnout-Risiko um knapp fünfzig Prozent – im Fall der destruktiven Führung überträgt sich die Erschöpfung von Führungskräften also auf Mitarbeitende im gesamten Unternehmen.

 

Selbstführung zur Vermeidung von Erschöpfung

 

Wie lässt sich verhindern, dass sich die Auswirkungen erschöpfter Führung kaskadenartig im Unternehmen verbreiten? Folgende drei Selbstführungsstrategien können Führungskräften als Ansatzpunkte dafür dienen, Erschöpfung zu vermeiden und ihr sinnorientiertes Führen zu stärken.

Grundlegend für zielorientiertes und entschlossenes Handeln ist, sich bewusst Freiräume für Reflexion und zum Innehalten einzuräumen (Bruch / Ghoshal 2002). In einer von Überkommunikation geprägten Arbeitswelt kommt es also mehr denn je auf eine bewusste Gestaltung des hybriden Arbeitsalltags an – einerseits, indem man Ablenkungen weitgehend eliminiert, andererseits, indem man die Quellen persönlicher Energie schützt und ausschöpft. Konkret kann sich etwa anbieten, Online-Meetings generell zeitlich zu beschränken oder in Zeitblöcken zusammenzufassen. Eine weitere Methode wäre, E-Mails bewusst nur zu vorher festgelegten Zeiten am Tag abzurufen. Da im Zuge der vermehrt virtuellen Arbeit, oft unterbewusst, die emotionalen und sozialen Aspekte der Arbeit vernachlässigt werden, gewinnt auch ein aktives Management von Emotionen an Bedeutung. Um das emotionale Wohlbefinden zu stärken, sollten Präsenzzeiten dazu genutzt werden, die Arbeit gezielt mit vielseitigen zwischenmenschlichen Interaktionen zu beleben. Arbeit im Homeoffice bietet sich dagegen eher für Meditations- und Reflexionszeiten an. Weiterhin sollten Führungskräfte den Sinn und Zweck des eigenen Handelns bewusst stärken. Dies stärkt nicht nur den eigenen Antrieb und das Engagement, sondern wird auch für die Mitarbeiterführung zunehmend unverzichtbar: Denn wie zuvor skizziert, wirkt moderne Führung über Inspiration und eine motivierende Vision, die Mitarbeitende auch langfristig zu begeistern vermögen. Umso mehr sind daher eine starke Wertekongruenz und ein geschärftes Verständnis der übergeordneten Ziele notwendig, zu denen man beitragen möchte, um selbst sinnorientiert führen zu können. Zu guter Letzt ist in einer unvorhersehbaren Welt ein umso lernfähigeres Mindset von Führungskräften nötig. Fehler zu machen, bleibt zwangsläufig keine Ausnahme mehr, sondern wird zunehmend zur Regel. Führungskräfte müssen sich das Experimentieren bewusst zugestehen und das „Fehlermachen“ verzeihen, um aus den Fehlern zu lernen. Dazu ist die Überzeugung, dass (fehlende) Fähigkeiten erlernt und entwickelt werden können, unabdingbar – eine Einstellung, die die Psychologin Carol Dweck als Growth Mindset bezeichnet (Dweck 2016). Studien zeigen, dass Menschen, die ein solches Mindset und damit den Glauben an die eigene Lernfähigkeit adaptieren, langfristig mehr lernen und leisten als jene, die glauben, dass Fähigkeiten angeboren und nicht entwickelbar sind.

Diese Selbstführungsstrategien können als erste Ansatzpunkte dabei unterstützen, Erschöpfung auch in einer komplexen Welt vorzubeugen und zu überwinden. Denn mehr denn je benötigen wir energetisierte und fokussierte Führungskräfte, die als Vorbilder im Wandel führen – und die Zukunft mutig und verantwortungsvoll gestalten.

 

Heike Bruch, geboren 1966 in Köln, Professorin für Leadership und Direktorin des Instituts für Führung und Personalmanagement, Universität St. Gallen.

Paul Lee, geboren 1992 in Köln, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut für Führung und Personalmanagement, Universität St. Gallen.

 

Literatur

Bruch, Heike: „Hybrid Leadership: Unbossed, beidhändig, emotional“, in: Personalmagazin, Nr. 5/2022 (a), S. 38–43.

Bruch, Heike: „Hybrid-Work-Kultur: zwischen Sinngemeinschaft und Caring“, in: Personalmagazin, Nr. 6/2022 (b), S. 44–49.

Bruch, Heike / Barton, Leon: „Leadership im Umbruch. Fünf Trends einer modernen Führung“, in: Personalführung, Nr. 2/2023, S. 16–23.

Bruch, Heike / Ghoshal, Sumantra: „Beware the Busy Manager“, in: Harvard Business Review, 80. Jg., Nr. 2, Februar 2002, S. 62–69.

Dweck, Carol: „What Having a ‚Growth Mindset‘ Actually Means“, in: Harvard Business Review, 13. Jg., Nr. 2/Januar 2016, S. 2–5.

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