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Agrarpolitik und Klimaschutz in Europa

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Nach dem Zweiten Weltkrieg hungerten die Menschen in Europa. Ein angemessenes Nahrungsangebot sicherzustellen, war daher eines der entscheidenden Motive für die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) im Jahr 1957. Der neu geschaffene Binnenmarkt ermöglichte den freien Handel über die Staatengrenzen hinweg und den Schutz nach außen durch Zölle. Seitdem soll die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) den Landwirten in den Mitgliedstaaten einen verlässlichen Rahmen zur Nahrungsmittelproduktion bieten. Im Laufe der Jahre kamen zum Ziel der Ernährungssicherung weitere hinzu, die die Rahmenbedingungen dafür definieren: Lebensmittelsicherheit, Tierschutz, Naturschutz sind in der europäischen Agrarpolitik fest verankert, und auch die Entwicklung der ländlichen Räume spielt eine wichtige Rolle. Der Klimaschutz wird in der Gemeinsamen Agrarpolitik nach 2020 ebenfalls einen festen Platz erhalten.

Auf den ersten Blick spielt der Sektor Landwirtschaft in der Volkswirtschaft der Bundesrepublik Deutschland kaum noch eine Rolle: Waren es 1950 rund 25 Prozent der Arbeitskräfte, die in der Land- und Forstwirtschaft sowie der Fischerei tätig waren, sind es 2018 noch 1,4 Prozent. Doch jedem Arbeitsplatz in der Landwirtschaft stehen in Deutschland sieben weitere im vor- und nachgelagerten Bereich gegenüber. Landwirte fragen Investitionsgüter wie Maschinen, Betriebsmittel, wie Saatgut und Futtermittel, oder Dienstleistungen nach. Nachgelagert stehen Molkereien, Schlachthäuser und andere Unternehmen der Ernährungswirtschaft, die Lebensmittel für Verbraucher verarbeiten. Das sogenannte Agribusiness ist überwiegend dem verarbeitenden Gewerbe zuzuordnen, das 2017 rund 1,9 Billionen Euro umsetzte. Rund 226,1 Milliarden Euro stammen dabei aus dem Agribusiness; das ist Rang drei nach den Spitzenreitern Fahrzeug- und Maschinenbau.

Eine Besonderheit des primären Sektors ist die Bindung an die Fläche. Der Wettbewerb um diese ist in der Bundesrepublik besonders groß, denn der Flächenbedarf für Siedlung und Infrastruktur ist enorm. Auch wächst das Interesse an Flächen bei Investoren in Zeiten niedriger Zinsen weltweit. Boden ist der elementare Produktionsfaktor schlechthin und im Vergleich zu Arbeit und Kapital ortsgebunden und damit nicht flexibel.

 

Klimaschutz als Einkommensquelle

 

Die Landwirtschaft in Europa schafft Nahrungsgrundlagen und liefert Rohstoffe. Zusätzlich spielt sie eine wichtige Rolle bei der Erbringung gesellschaftlich gewünschter öffentlicher Umweltgüter. Deshalb hat der Sektor entscheidenden Einfluss auf die Lebensqualität der Menschen. Das gilt besonders für die Bundesrepublik Deutschland, die mit rund 234 Personen je Quadratkilometer eine Bevölkerungsdichte aufweist, die etwa doppelt so hoch ist wie der Durchschnitt aller Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU). Trotzdem werden gut fünfzig Prozent der Fläche in Deutschland landwirtschaftlich und zusätzlich nahezu dreißig Prozent forstwirtschaftlich genutzt. Zusammengefasst sind es rund 286.000 Quadratkilometer. Die land- und forstwirtschaftliche Bewirtschaftung beeinflusst wichtige Ressourcen: Grundwasser, Biodiversität, Luft, Böden. Leider wird in der Berichterstattung häufig der Fokus auf negative Einflüsse der Landwirtschaft auf diese Ressourcen gerichtet. Ein Beispiel sind die Nitratwerte im Grundwasser, die aber nur regional auffällig sind. Die Ursachen dafür sind vielschichtig und strukturell bedingt. Ja, es muss auf verschiedenen Ebenen gehandelt werden, und regional angepasste und praxisnahe Regelungen, die die klimatischen und geografischen Gegebenheiten berücksichtigen, sind notwendig. Trotz solcher Herausforderungen: Land- und Forstwirte haben den Schutz der Ressourcen im Blick, nicht zuletzt, weil sie ihre Produktionsgrundlagen sind.

Auch mit Blick auf das Klima leistet die Land- und Forstwirtschaft enorm viel: Deutschlandweit betrachtet, ist der primäre Sektor für rund sieben Prozent der Kohlendioxid-Emissionen verantwortlich. Gleichzeitig bindet die Land- und Forstwirtschaft doppelt so viel Kohlenstoff, wie sie selbst verursacht! In Europa halten sich die Emissionen und die Bindewirkung der Land- und Forstwirtschaft ungefähr die Waage. Dies geschieht durch die pflanzliche Atmung, bei der Kohlenstoff aus der Luft aufgenommen und umgebaut wird. So entstehen Zellulose und andere langkettige Kohlenstoffverbindungen. Um dieses Potenzial zu heben, sind mehr Anreizmechanismen für die Landwirte notwendig. Klimaschutz muss zu einer Einkommensquelle für die Landwirtschaft werden.

 

Familienbetriebe besser unterstützen

 

Mit der Gemeinsamen Agrarpolitik setzt die EU sich Ziele für das gesellschaftlich gewünschte Gut Umwelt und definiert Eckpunkte für Leistungen zu dessen Schutz. Ein Fördersystem belohnt Umweltleistungen, engt jedoch die Nahrungsmittelerzeugung nicht unnötig ein. Es baut auf zwei Säulen auf: Die erste Säule beinhaltet die flächenbezogene Förderung, für deren Erhalt bereits grundlegende Umweltmaßnahmen nachgewiesen werden müssen. Die zweite Säule beinhaltet die Förderung spezifischer Leistungen für Umwelt, Tierschutz und den ländlichen Raum als Lebensort.

Da die Voraussetzungen der Landwirtschaft in der EU sehr unterschiedlich sind, haben die Mitgliedstaaten jeweils die Möglichkeit, den vorgegebenen Rahmen auszugestalten. Deutschland nutzt den Handlungsspielraum: Hier stehen die Förderung des bäuerlichen Familienbetriebs und Anreize zur Bewirtschaftung benachteiligter Gebiete im Fokus. Denn im Voralpenland oder in den Mittelgebirgen ist es aufgrund topografischer und klimatischer Gegebenheiten kaum möglich, einen land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb so zu betreiben, dass die Erlöse aus dem Verkauf der erzeugten Güter für ein Familienauskommen sorgen. Kleinteilige Strukturen und geringe Möglichkeiten für die Mechanisierung bilden ein großes Hemmnis für diese Betriebe.

Doch genau auf diesen Flächen werden enorme Leistungen für die Umwelt, insbesondere den Grundwasser- sowie Artenschutz und nicht zuletzt für den Klimaschutz, erbracht. Aus diesem Grunde belegt Deutschland über die erste Fördersäule die ersten Hektare eines Betriebes mit einer höheren Prämie als die Flächen, die darüber hinausgehen. Gefördert werden derzeit die ersten 46 Hektar in zwei Stufen. Dieses System muss meines Erachtens für die neue Förderperiode ausgebaut werden, um Familienbetriebe besser zu unterstützen. Diese erhalten zusätzlich Prämien für die Bewirtschaftung von Höhenlagen, steilen Hängen und ertragsschwachen Böden. Das erhält die Kulturlandschaft und stellt damit auch einen wichtigen Beitrag für den Tourismus dar.

 

Gemüseanbau aus dem Orbit

 

Derzeit werden die Rahmenbedingungen für die Gemeinsame Agrarpolitik ab 2021 verhandelt. Stärker in den Fokus wird die Digitalisierung des Agrarsektors rücken. Das Anwendungspotenzial ist enorm, die ersten Ansätze vielversprechend. Der Einsatz der Präzisionslandwirtschaft trägt heute bereits zum Ressourcenschutz bei, Hindernisse beim Ausbau und bei der Anwendung der Digitalisierung müssen daher aus dem Weg geräumt werden. Für die neue Gemeinsame Agrarpolitik ist ein Programm für Direktinvestitionen und Unterstützung zur Digitalisierung der Landwirtschaft für alle Betriebsarten vorgesehen. Es geht unter anderem um Hochpräzisionstechnik beim Acker- und Gemüsebau, mit deren Hilfe Nährstoffe exakt dosiert und quadratmetergenau unter Berücksichtigung der Bodenstruktur und des Wachstumsstandes der Pflanze ausgebracht werden. Dank Global Positioning-Systemen (GPS) wird das regional bereits umgesetzt.

Auch intelligente Systeme, die Unkraut mechanisch anstatt chemisch beseitigen, haben nahezu Praxisreife erreicht. Schon heute können mithilfe von Drohnen Reben und Obstbestände quadratmetergenau mit Präparaten vor Pilzerkrankungen geschützt werden. Mittels punktueller Anwendung moderner Technologien kann der Schutz der Pflanze wirkungsvoll, in reduzierteren Mengen und zugleich ressourcenschonend erfolgen. Weiterhin wird es notwendig sein, weitere Innovationen voranzubringen. Denn wichtige Zulassungen von Pflanzenschutzmitteln laufen aus, gleichzeitig steigt durch die Klimaerwärmung der Infektionsdruck durch Pilze, die mitunter auch für den Menschen bedrohliche Toxine bilden können.

Der Melkroboter ist für Landwirte und Tiere bereits seit Jahren ein Gewinn: Die Kühe gehen in ihrem individuellen Rhythmus an die automatische Melkstation und sind nicht mehr an zwei feste Melkzeiten gebunden. Der Landwirt schätzt die durch den Melkroboter gewonnene Freiheit in der Arbeitseinteilung; gerade für Familienbetriebe bedeutet dies mehr Lebensqualität. Zusätzlich erhält der Tierhalter dank integrierter Sensortechnik zusätzliche Informationen über das Wohl jeder einzelnen Kuh und deren Bedarf an spezifischen Nährstoffen.

Natürliche Bedingungen sind ausschlaggebend für die Art und Weise, wie Flächen bewirtschaftet werden: Boden, Niederschlag und Temperatur sind die wichtigsten Einflussfaktoren. Doch was passiert, wenn sich das Klima verändert? Welche Pflanzen kommen mit Trockenheit und sich anschließenden Starkregenereignissen zurecht? Wie verändert sich der Infektionsdruck durch Pilze oder Bakterien im Pflanzenbestand, wenn Frostperioden ausfallen? Diesen Fragen gehen Forscher intensiv nach. Sie suchen nach Möglichkeiten, wie Klimaanpassung so stattfinden kann, dass Lebensmittelerzeugung auch morgen möglich ist. Vor allem die Pflanzenzucht kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten. Dabei spielen neue Technologien eine wichtige Rolle. Die sogenannte Genschere – CRISPR/Cas – könnte ein wichtiges Werkzeug darstellen, Pflanzenzüchtung schneller und vor allem zielorientierter zu betreiben. Ihre Chance liegt darin, dass Bestandteile des Erbgutes ausgeschaltet oder ausgetauscht werden können. Beispielsweise ließen sich so mehltauresistente Kartoffel- und Weizenarten entwickeln, die den Einsatz von Fungiziden überflüssig machen.

 

Moderne Züchtungstechniken

 

Bis heute heißt Züchtung Beobachten und Selektieren: Treten bei Nutzpflanzen natürliche Mutationen zufällig auf, behält man diese im Auge und wartet, ob sich die neue Eigenschaft bei der nächsten Generation ebenfalls zeigt. Das braucht Zeit. Neue Züchtungstechnologien bieten diesbezüglich enorme Chancen. Aber das Thema ist hochsensibel. Eine offene Diskussion darüber werden wir in den nächsten Jahren in Europa führen müssen, auch weil in anderen Ländern der Welt die „Genschere“ nicht unter das regulierende Biotechnologie-Recht fällt.

Was denken Verbraucherinnen und Verbraucher von Landwirten? Wissen Konsumenten, unter welchen Bedingungen Lebensmittel erzeugt werden? Im Vergleich zu Investitionsgütern spielt Ernährung im Wertekanon der Menschen in Deutschland eine eher untergeordnete Rolle. So gibt der Durchschnittshaushalt in der Bundesrepublik nur etwa zehn Prozent des Haushaltsnettoeinkommens für Lebensmittel aus, die Italiener vierzehn Prozent, Rumänen sogar dreißig Prozent. Beim Lebensmitteleinkauf handelt der deutsche Verbraucher rational, für rund sechzig Prozent ist der Preis ausschlaggebend. Das gilt auch für die Verpflegung außer Haus und für Lebensmittel mit einem hohen Verarbeitungsgrad. Beides hat in den letzten Jahren einen hohen Stellenwert bekommen; der Großteil des Produktpreises ist das Dienstleistungsentgelt, der Rohstoff spielt eine untergeordnete Rolle.

Allerdings registrieren Konsumforscher insbesondere bei jüngeren Menschen eine Tendenz zum Qualitätsbewusstsein, besonders bei Milch und Molkereiprodukten. Dennoch ist die Nachfrage geringer, als viele denken. Denn Verbraucherbereitschaft wird nicht immer in die Tat umgesetzt. Die Nachfragesituation hat zur Folge, dass in Deutschland derzeit gut zehn Prozent der Agrarflächen nach Kriterien der Biolandwirtschaft bewirtschaftet werden. Dass es mehr werden, dazu können Verbraucher beim Einkauf beitragen.

Wirtschaft ist komplex – auch im Agrarsektor. Dieser wird von einer Vielzahl von natürlichen Rahmenbedingungen beeinflusst, dazu kommen internationale Einflüsse wie etwa Warenströme. So ist der Landwirt um die Ecke in den internationalen Handel eingebunden: Gute Ernten in Russland oder dem mittleren Westen der USA senken die Handelspreise an den internationalen Getreidebörsen und damit auch den Verkaufspreis für den deutschen Landwirt. Ob Welthandelsorganisation (WTO), Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (GATT), das Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Ländern oder Strafzölle als außenpolitische Hebel: Internationale Beziehungen sind Teil eines globalen Systems, in das auch die Landwirtschaft eingebunden ist. Ein großes Ziel der Handelsabkommen ist es aber, Standards zu setzen – für Verbraucherschutz, Tier- und Umweltschutz sowie soziale Aspekte. Hier gibt es noch viel zu tun, auch weil Aspekte des Klimaschutzes neu einbezogen werden müssen.

Unsere Verantwortung für die internationale Staatengemeinschaft ist weitreichend: Denn Europa ist seit vielen Jahren verlässlicher Partner der Entwicklungsländer und weltweit der größte Importeur von Agrarprodukten aus diesen Ländern. Die EU-Außenhandelsbilanz im Bereich Land- und Ernährungswirtschaft mit Entwicklungsländern ist inzwischen negativ. Denn es gibt keine Subventionen mehr für den Export europäischer Agrarprodukte in diese Länder, Importe in die EU wurden erheblich erleichtert. Das ist wichtig, denn nur, wenn Europa und die Entwicklungsländer politisch und wirtschaftlich kooperieren, können die Herausforderungen der Zukunft mit Blick auf eine steigende Weltbevölkerung gemeistert werden. Nur ein faires Miteinander kann zum Erfolg führen. Zusätzlich zur Gemeinsamen Agrarpolitik in Europa sind deshalb internationale Abkommen in Übereinstimmung mit der Klimakonvention und den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen wichtig. Auch dort müssen international gültige Standards für die Ressourceneffizienz in der Landwirtschaft erarbeitet werden. Denn wir brauchen Ernährungssysteme, die mehr Lebensmittel mit weniger Ressourcen erzeugen.

 

Norbert Lins, geboren 1977 in Ravensburg, seit 2014 Mitglied des Europäischen Parlaments in der Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten), seit Juli 2019 Vorsitzender des Ausschusses für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung im Europäischen Parlament.

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