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Digitalisierung in Schulen muss mit einer Sprachoffensive verbunden werden

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Digitalisierung ist ein Gebot der Stunde! Kaum jemand bestreitet die Notwendigkeit, die Schulen mit einer modernen Elektronischen Datenverarbeitung (EDV) auszustatten. Schließlich sollen sich die Schüler auf ihr späteres (Berufs­)Leben, das zunehmend von Digitalisierung, Automatisierung und Künstlicher Intelligenz (KI) bestimmt sein wird, optimal vorbereiten.

Aber wie weit soll man mit der Digitalisierung gehen? Wie viel Digitalisierung ist gut? Hier scheiden sich die Geister. Es gibt Rufe, das klassische Schulbuch abzuschaffen und stattdessen jedem Schüler einen Laptop auszuhändigen. Auch das Schreiben per Hand in ein Heft könnte durch Bedienung einer Tastatur am Laptop ersetzt werden. Der Aktionsrat Bildung ging sogar so weit, den Einsatz digitaler Medien in den Kindergärten für Kinder ab einem Alter von zwei Jahren in die Diskussion einzubringen.

„Gebt jedem Kind einen Laptop und alles wird gut!“: So könnte man derartige Forderungen überspitzt zusammenfassen. Aber wäre die Bildungsmisere damit gelöst? Beruht sie auf fehlender Digitalisierung? Oder sind nicht ganz andere Ursachen für die Probleme auszumachen, die nach anderen Antworten verlangen?

Zunächst muss man sich klarmachen, wo die Defizite liegen. Professoren und Lehrer, Ausbildungsbetriebe und zahlreiche Studien belegen die Defizite in der Bildung in ausreichendem Maße: Professoren beklagen lautstark die mangelnde Studierfähigkeit der Studenten. Ausbildungsbetriebe bemängeln Defizite von Auszubildenden, vor allem in Deutsch und Mathematik. Untersuchungen belegen, dass der Wortschatz der Kinder abnimmt und die Lese­ und Sprachkompetenz zu wünschen übrig lässt. Die jüngste Studie des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) bestätigt, dass die Sprachkompetenzen weiter abnehmen. Im Fach Deutsch erreichten 2016 beim Lesen knapp 66 Prozent der Viertklässler bundesweit den Regelstandard, im Bereich der Orthographie nur gerade einmal 54 Prozent. Kompetenzen, die dem jeweiligen optimalen Standard entsprechen, erreichten in Deutschland laut IQB sowohl beim Lesen als auch im Bereich des Zuhörens nur rund zehn Prozent, bei der Rechtschreibung gerade knapp neun Prozent der Schüler.

Auch die Präsidentin des Bayerischen Lehrer­ und Lehrerinnenverbandes (BLLV), Simone Fleischmann, hat die abnehmende Sprachfähigkeit der Kinder und deren abnehmenden Wortschatz beklagt. Kinder sprächen immer eintöniger. Pädagogen sehen einen Grund darin, dass in den neuen Medien immer häufiger mit Abkürzungen und simplem Wortschatz gearbeitet werde. Immer mehr Kinder hätten, so Simone Fleischmann, Wort­ und Satzbildungsstörungen. Zahlen aus dem bayerischen Gesundheitsministerium bestätigen, dass im Schuljahr 2014/15 rund jedes vierte Vorschulkind eine Sprachauffälligkeit hatte. Hier liegt das Hauptproblem der deutschen Bildungsmisere, das wir bei aller Digitalisierungsbegeisterung nicht aus den Augen verlieren dürfen. Wir müssen die Digitalisierung also mit einer Sprachoffensive verbinden, damit die jungen Menschen für Ausbildung und Studium besser gerüstet sind.

 

Grundproblem der Bildungsmisere

 

Als Ursachen für die negativen Befunde sind schnell einige Aspekte ausgemacht: Jahrzehntelang starteten Ideologen ständig neue Versuchsballons in der Schulpolitik und machten Schüler zu Versuchskaninchen; exemplarisch ist dafür die Mengenlehre oder das Schreiben nach Gehör zu nennen.

Eine schwere Verfehlung der Kultusminister gegenüber Schülern, aber auch gegenüber der gesamten übrigen Gesellschaft war die Rechtschreibreform. Als man feststellte, dass sich die Kinder zunehmend schwerer mit Rechtschreibung taten, intensivierte man nicht den Deutschunterricht, sondern schuf ein neues Regelwerk, das angeblich leichter anzuwenden sein sollte als die bisherige Orthographie.

Die reformierte Rechtschreibung, ein­ geführt im August 1998, musste mehrfach überarbeitet werden. 2006 wurde die dritte Fassung der neuen Rechtschreibregeln vorgelegt. Viele Zeitungs- und Buchverlage haben die teils unlogische neue Orthographie nicht übernommen und veröffentlichen nach eigenen Hausorthographien. Am Ende blickte bei dem Durcheinander niemand mehr durch. Als Ergebnis finden wir heute eine Beliebigkeitsrechtschreibung vor.

Eine Erleichterung war das für die Schüler nicht, die heutzutage übrigens nicht besser schreiben als vor der Reform. Denn eines scheinen die Kultusminister nicht bedacht zu haben: Auch die Regeln der neuen Orthographie müssen gelernt und angewandt werden.

Und damit sind wir beim Grundübel der deutschen Bildungsmisere: Es wäre damals wie heute dringend geboten gewesen, größeres Augenmerk auf den Deutschunterricht zu legen. Wer nicht richtig lesen kann und Texte nicht versteht, der wird sich auch in späteren Lern­ und Lebensphasen in der Schule, in der Ausbildung, im Studium oder am Arbeitsplatz schwertun! Wer in den ersten Schuljahren nicht die Grundlagen des Schreibens, Lesens und die Grundrechenarten lernt, der wird später kaum mithalten können.

Der Einsatz von Computern im Unterricht kann an vielen Stellen sinnvoll sein. Lehrer können ihren Unterricht viel­ fältiger und interessanter gestalten – aber nur, wenn das richtige Maß gehalten wird und die neuen Medien mit Bedacht eingesetzt werden. Digitalisierung ja, aber …!

Es ist nicht sinnvoll, dass Schüler nicht mehr mit der Hand schreiben, sondern von früh an überwiegend nur noch auf Tastaturen tippen. Denn eine ausgeschriebene, geübte Handschrift ist mehr als nur eine schöne Visitenkarte eines Menschen. Das Schreiben per Hand ist wichtig für das Einüben von Koordinierung und die Ausbildung der Feinmotorik. Zudem verstärkt das Schreiben per Hand die Merkfähigkeit. Schon heute bemängeln viele Lehrkräfte das schlechte, zum Teil unleserliche Schriftbild. Viele Grundschüler können nicht lange am Stück mit der Hand schreiben.

 

Digitalisierung garantiert keinen Bildungserfolg

 

Auch werden wir den verkümmerten Wortschatz der Schüler nicht erweitern, wenn sich diese überwiegend im Internet und in den neuen Medien bewegen. Die Digitalisierung der Schulen an sich garantiert keinen Bildungserfolg. Sie kann weder gesellschaftliche Fehlentwicklungen beheben noch mangelhafte Grundlagenkenntnisse der Schüler ausgleichen. Daher muss Digitalisierung gezielt eingesetzt und  mit  intensivem  Deutschunterricht flankiert werden. Dann haben wir eine Chance, dass die künftigen Schulabgänger sowohl die klassischen Kulturtechniken beherrschen und ein gutes Grundrüstzeug haben als auch gut aufgestellt sind für die technischen und digitalen Herausforderungen der Zukunft. Dies müssen wir beachten, damit die digitale Revolution nicht ihre Kinder frisst!

 

Astrid Mannes, geboren 1967 in Hilden, 2001 bis 2003 Pressereferentin des Deutschen Didacta Verbands, 2007 bis 2017 Bürgermeisterin der Gemeinde Mühltal, seit 2017 Mitglied der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag.

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