„Spalter, Spalter!“, schreien in einer berühmten Szene von Monty Python wütende Parteigänger der „Volksfront von Judäa“ den Anhängern der Splittergruppe „Judäische Volksfront“ ins Gesicht. Zwischen der „Alternative für Deutschland“ (AfD) und der im Juli 2015 neu gegründeten „Allianz für Reformen und Aufbruch“ (Alfa) scheint es ähnlich zuzugehen. Die einstigen Co-Sprecher der AfD, Bernd Lucke und Frauke Petry, sowie ihre jeweiligen Anhänger überziehen sich on- und offline mit Schmähungen, Vorhaltungen, Plagiatsvorwürfen und finanziellen Forderungen. Das Geschehen nach dem Wahlparteitag von Essen markiert den Wendepunkt in einer Geschichte, die die Euro-Gegner nach ihrer Parteigründung schnell ins Europäische Parlament und in fünf Landtage gebracht hatte. Der Aufstieg der AfD ist vorbei.
Dass Personalentscheidungen in Parteien Abspaltungen und Neugründungen nach sich ziehen, war bisher ein Kennzeichen unreifer Parteienstrukturen in schwach entwickelten Parteiensystemen. Aber auch Bernd Lucke und seine Getreuen gründeten nach ihrer deutlichen Niederlage im Kampf um den AfD-Vorsitz prompt die neue Formation „Allianz für Reformen und Aufbruch“ (Alfa). Es ist eine Ironie, dass diese Parteigründung das Wort „Allianz“ im Namen trägt. Denn wenn etwas von Bernd Lucke in Erinnerung bleiben wird, dann ist es seine Unfähigkeit zum Schmieden von Bündnissen und Kompromissen, zur Anerkennung anderer Meinungen und zur Zusammenführung unterschiedlicher Positionen zu einem gemeinsamen Ganzen.
Verbissenheit und Rechthaberei prägen alle populistischen Parteien, die seit einigen Jahren in Europa auf dem Vormarsch sind – links wie rechts. Im Umfeld von AfD und Alfa, aber nicht nur dort, hält diese undemokratische Verbiesterung auch in der politischen Auseinandersetzung der Bundesrepublik Einzug. Klickoptimierte Online-Medien mit Hang zu Zuspitzung und Krawall, Stillosigkeit und krasse Beleidigungen in sozialen Netzwerken, Verschwörungstheorien und weit verbreitete kontrafaktische Argumentationen zu fast allen Problemlagen begünstigen diese Entwicklung.
Das ist keine gute Nachricht für unsere Demokratie. Wenn die Bundesrepublik vor allem auswärtigen Beobachtern wie ein unwahrscheinlicher Hort der Stabilität erscheint, dann beruht das maßgeblich auf der politischen Kultur der Konkordanzdemokratie. Die Orientierung an politischen Lösungen, die Überwindung politischer Differenzen und der Ausgleich unterschiedlicher Auffassungen und Interessen innerhalb der Volksparteien und im parlamentarischen System machen Deutschland stark.
Politische Projektionsfläche
Mancher Beobachter traute der AfD zu, zur erfolgreichsten Parteineugründung seit den Grünen zu werden. Aus dem Unbehagen an der Euro-Rettungspolitik heraus gegründet, kanalisierte die AfD schnell ein allgemeines Unbehagen von Protestwählern mit der modernen Gesellschaft, mit Individualisierung und Globalisierung – überhaupt mit politischer und gesellschaftlicher Komplexität. Parteisprecher Bernd Lucke spielte virtuos auf der Klaviatur von politischen Andeutungen und der Mobilisierung von Vorurteilen. Ohne sich festzulegen, oszillierte er als Aushängeschild der Partei zwischen liberaler, libertärer, konservativer, nationalökonomischer und rechtspopulistischer Kritik an der aktuellen Politik. Für die extrem heterogene Wähler, Anhänger- und Funktionärschaft der AfD blieb die Partei dadurch eine Projektionsfläche.
Die einen sahen die AfD als Partei, die endlich deutsche Wirtschaftsinteressen wiederentdeckte, andere wähnten in ihr die einzige Partei, die sich gegen „Überfremdung“ in Deutschland stellte – freilich ohne dabei „rechts“ sein zu wollen. Wieder andere wollten eine Partei, die sich für Putins Russland und gegen die Amerikaner positionierte, oder glaubten, christlich-konservative Familienleitbilder in ihr wiederzufinden. Ehemalige Wähler der Linkspartei unterstützten die AfD ebenso wie ehemalige Wähler der FDP, der SPD oder der CDU. Die besten Ergebnisse bei der Bundestagswahl 2013 erhielt die AfD in den Wahlkreisen, in denen vormals die NPD stark gewesen war. Gleichzeitig mobilisierte die AfD mehr als andere Parteien ehemalige Nichtwähler.
Zusammengehalten wurde die bunte Truppe durch multiple „Antis“: gegen die „Merke-lCDU“, gegen „diese EU“, gegen den Euro, gegen „Genderwahn“, gegen „die Asylpolitik“, gegen politische Korrektheit, gegen die Medien, gegen die „Altparteien“, gegen „das System“. Das ging solange gut, wie die inhaltlichen Differenzen nicht thematisiert wurden. Bewusst hat Bernd Lucke Programmdiskussionen und inhaltliche Debatten auf Parteitagen verhindert.
Unglaubwürdige Distanzierung
Die breite Projektionsfläche erklärt, warum der AfD bei den Wahlen 2014 und 2015 die seit der Gründung anhaltenden internen Querelen kaum geschadet haben. Jeder konnte sich unter der AfD vorstellen, was er wollte. Die Partei plakatierte bei der Europawahl in Mecklenburg-Vorpommern „Keine Einwanderung in die Sozialsysteme“ und in Berlin-Zehlendorf „Schluss mit den Niedrigzinsen“. An dem einen Ort positionierte sich die AfD gegen „Grenzkriminalität“ und konnte der ehemaligen DDR im Bereich der inneren Sicherheit Gutes abgewinnen. Anderenorts beschwor sie die liberale Wirtschaftskraft des Westens und die Vorzüge der Freiheit.
Vor diesem Hintergrund ist Luckes echauffierte Distanzierung von den angeblich erst auf dem Parteitag in Essen bemerkten Tendenzen zu Rechtspopulismus und Feindschaft gegen Muslime oder zur offenen Kritik an der Westbindung unglaubwürdig. Es war ganz maßgeblich seine Strategie, gezielt auch an den Rändern um Wähler zu werben.
Zur Projektionsfläche wurde die AfD auch für andere Parteien. Weil die Erfolge der UKIP und des Front National in Großbritannien und Frankreich vor Augen führten, wie weit populistische Ideen in klassische sozialdemokratische und linke Wählerschaften einbrechen können, waren Linkspartei und SPD bemüht, vor der AfD zu warnen und sie als „rechts“ zu brandmarken – ganz offensichtlich, um die eigene Wählerschaft von Sympathien für die Euro-Gegner abzuhalten.
In Teilen der Berichterstattung wurde man sich dagegen schnell einig, dass die AfD vor allem ein Problem für die CDU sei, und bemühte den Vergleich von SPD zur Linkspartei. Zwar sprach selbst die oberflächlichste Analyse eine andere Sprache – beispielsweise verbesserte sich das Wahlergebnis der CDU, obwohl die AfD an Stimmen gewann. In Anbetracht der geradezu „eingemauerten“ Zustimmungswerte der Bundeskanzlerin und des stabilen Abstands zwischen CDU und SPD in den Umfragen kam die AfD als politisches Instrument offenbar gerade recht. Aber auch innerhalb der CDU wurde die AfD instrumentalisiert, um auf vermeintliche programmatische Leerstellen und „verkauftes Tafelsilber“ hinzuweisen und damit trotz des Wahlerfolgs von 41,5 Prozent bei der Bundestagswahl den Modernisierungskurs der Parteivorsitzenden und des Generalsekretärs zu relativieren.
Neben dem Abstieg der FDP waren 2013 und 2014 die Wahlerfolge der AfD eine der wesentlichen Neuigkeiten nach den Urnengängen. Die Wahlen zum Europäischen Parlament und die Landtagswahlen in den jungen Ländern 2014 begünstigten durch niedrige Wahlbeteiligungen, geringere Parteiidentifikation und traditionell hohe Volatilität der Wählerschaften die schnellen Erfolge der AfD. Damit kam sie gleichsam auf eine „Siegerstraße“ der Erfolgsmeldungen mit fast permanent hoher medialer Aufmerksamkeit.
Neue Wahlerfolge unwahrscheinlich
Ein solcher Weg ist für AfD und Alfa jetzt nicht in Sicht. Bis zu den nächsten Wahlen vergeht ein halbes Jahr. In der Zeitrechnung dieser sehr jungen Parteien ist das eine Ewigkeit. In Sachsen-Anhalt, wo einst die rechtsextreme DVU das deutschlandweit höchste Ergebnis erreichte, ist in Anbetracht der Flüchtlingsproblematik und der nunmehr klar rechtspopulistischen Ausrichtung der AfD einiges denkbar. Vor allem die AfD, aber auch Alfa dürfte es dagegen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz schwer haben. Dazu kommt, dass die FDP den Eindruck macht, sich neu zu finden.
In der Fachliteratur ist immer wieder davon die Rede, dass populistische Parteien Indikatoren sein können – für neu entstehende oder relevanter werdende Spannungslinien in der Gesellschaft und drängende politische Probleme. Tatsächlich werden zwei hochkomplexe Herausforderungen die Politik in Deutschland und Europa weiterhin stark bestimmen: die Zukunft der Europäischen Integration, exemplarisch gerade in der Griechenland-Krise ausgedrückt, und die Flüchtlingsbewegungen in die EU-Länder. In der Bundesrepublik gibt es mit der Spaltung von AfD und Alfa nunmehr zu jedem dieser Themen eine populistische Partei. In anderen europäischen Ländern muss man allerdings schon länger damit leben, dass Populisten permanent am politischen Diskurs teilnehmen.
Selbst wenn man gewillt ist, AfD und Alfa diese Barometerfunktion zuzugestehen, muss man feststellen, dass beide Formationen keine politischen Alternativen zu diesen drängenden Themen aufzeigen können. Für die Zukunft Europas braucht es eine Kultur der Kompromisse und der Einigung, nicht die Rechthaberei und den Krawall der Populisten. Um gute Lösungen muss gestritten werden, Ideen und mutiges Vordenken zur Zukunft Europas und zur Bewältigung der Flüchtlingsbewegungen sind nötig. Für Christdemokraten in der Tradition Adenauers und Kohls steht am Ausgangspunkt aber eine europäische Überzeugung, die mehr ist als das instrumentelle Verständnis von Europa als reinem Binnenmarkt und die den Rückfall in die Nationalökonomie nicht zulässt. Zu einer Haltung für ein modernes und offenes Deutschland in einem geeinten Europa gibt es keine Alternative.
Nico Lange, geboren 1975 in Berlin, stellvertretender Leiter der Hauptabteilung Politik und Beratung und Leiter des Teams Innenpolitik der Konrad-Adenauer-Stiftung.