Das Größte, was Religion und Philosophie je über den Menschen ausgesagt haben, findet sich im Alten Testament: Der Mensch sei zum Bild, sogar Ebenbild Gottes geschaffen. Allein das Weihnachtsgeschehen geht darüber hinaus: In Jesu Geburt ist Gott nach christlicher Überzeugung selbst Mensch geworden. Das Christuskind – ein Menschlein, das mit seinen Händchen die Erde umgreift (Bild zweite Umschlagseite) – verkörpert die unvorstellbare Erhöhung des Menschen und verweist doch wieder auf seine Schwäche und Verletzlichkeit.
Für dieses Menschenbild im Spannungsfeld von Allmacht und Ohnmacht scheint es nur noch wenig Raum zu geben. Die einen haben, inspiriert von den atemberaubenden Entwicklungen des Silicon Valley, einen Menschen vor Augen, der über sich selbst und die Welt hinauswächst und alle Widrigkeiten bis hin zum Tod hinter sich lässt. Den Vorstellungen des Post- und Übermenschlichen steht die pessimistische Auffassung einer scheiternden Menschheit gegenüber, die – am Rande ihrer Selbstauslöschung stehend – zur Bedrohung ihrer Mitgeschöpfe und des Planeten wird.
Vieles spricht dafür, dass der Mensch gerade neu erfunden wird. Seine Alleinstellung wankt, wenn Computer Kreativität und Phantasie beherrschen und sogar zu träumen lernen. Trennendes, das vormals das Menschenbild konturierte, hebt sich auf. Nichts ist mehr nicht-menschlich im Denken des Anthropozäns; Natur und Kultur bilden keine Gegenkonzepte mehr. Allenthalben werden einst kategoriale Unterscheidungen fließender: zwischen den Geschlechtern und im Verständnis der Geschlechtlichkeit etwa. Längst wer-den Positionen laut, die eine grundlegende Verschiedenheit des Menschen von Tieren und Pflanzen ablehnen.
Diese Sichtweisen mögen irritieren, abtun lassen sie sich nicht. Auf jeden Fall ist alle Selbstverständlichkeit des biblischen Blicks auf den Menschen aufgebraucht. Wenn sich die Beziehungen zwischen Mensch, Natur und Technik fundamental ändern, hilft es nicht, beiseitezustehen oder lediglich zu bremsen. Doch ob christlich inspiriertes Denken die Kraft aufbringt, Motor ethischer Entwicklungen zu sein und die Spannungen in Dialog und Auseinandersetzung zu überwinden, erscheint fraglich. Die fehlende Orientierungskraft hätte auch politisch tiefgreifende Auswirkungen.
Lohnt es sich überhaupt noch, für den Menschen zu streiten, der für sich selbst und die gesamte Schöpfung zum Problem geworden ist? Mit den Menschen-Bildern stehen und fallen auch die Menschen-Rechte. Unvorstellbar wären die Folgen, wenn der Mensch in fluider werdenden Vorstellungswelten zu etwas Verhandelbarem würde.
Bernd Löhmann, Chefredakteur