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East, going West! Seit Freiheitsrevolutionen den Ostblock entriegelten, ist die Bewegungsrichtung eindeutig. Die meisten Länder, die ihm zwangsweise angehörten, sind längst – aus freien Stücken – Mitglieder der NATO und der Europäischen Union geworden. Die Ukraine manifestiert ihr Bestreben nach einer Verortung unter den freiheitlichen Demokratien tagtäglich im Widerstand gegen den russischen Aggressor. Der einstige Ostblock-Osten ist größtenteils Westen oder westlich orientiert; aber haben es – neben Putin, der sich dieser Einsicht jedoch gewaltsam verschließt – alle bemerkt?

Bis heute wirken Vorstellungen eines „Zwischeneuropa“ nach, dessen politische Konturen und Zugehörigkeit unbestimmt und daher veränderlich erscheinen. Neuere Raumprojektionen im Geleit postkolonialer Theorie entwerfen einen Globalen Osten im Vakuum der „In-Betweenness“– subaltern zum Globalen Norden, jedoch nicht subaltern genug, um im Marginalisierungsranking zum Globalen Süden aufzuschließen.

Tatsächlich schwingt bei der Chiffre „Osten“ nicht selten der pauschale Vorwurf wirtschaftlicher Rückständigkeit und demokratischer Unreife mit. Bis heute gibt es Erfahrungen mit Ignoranz und Geringschätzung. Allerdings ist nichts herablassender, als den Polen, Balten oder Ukrainern über ihre Köpfe hinweg, eine Rückkehr in die Risikolage des „Dazwischen-Seins“ anzuempfehlen.

Bei Linken wie bei der extremen Rechten keimen Sehnsüchte nach antiwestlichen Gegenwelten neu auf. Sie werden gespeist vom Machtzuwachs ostasiatischer Staaten, vor allem Chinas, dessen Aufstieg manchen hierzulande naturgesetzlich vorgegeben scheint. Weit mehr, als der Westen infrage gestellt wird, stellt er sich aktuell selbst infrage. Besonders in seinen traditionellen Führungsnationen, USA und Frankreich, drohen nationalistische und isolationistische Rückzüge.

Von der einst tödlichen Grenze des „Eisernen Vorhangs“ ist eine vor allem mentale Demarkationslinie geblieben. Die Differenz zwischen „West“ und „Ost“ ist noch nicht überwunden, doch sollte man sich vorsehen, brennende Fragen allein in West-Ost-Oppositionen zu debattieren. Dass die ostdeutschen Wählerinnen und Wähler bei den Europawahlen eine in weiten Teilen rechtsextreme Partei zur stärksten politischen Kraft gemacht haben, gibt schwer zu denken, auch weil darin weit mehr als ein Ost-Problem zutage tritt. Der Weg nach Westen ist noch nicht beendet, auch und erst recht nicht im Westen selbst.

 

Bernd Löhmann, Chefredakteur

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