Dom zu Speyer, 1. Juli 2017: Gegen 19.45 Uhr endet das Requiem für Helmut Kohl. Die Kaiserglocke verklingt, als der Leichnam des verstorbenen Bundeskanzlers durch das Portal nach draußen getragen wird. „Ut unum sint“, „Dass sie eins seien“, ist in großen Lettern über den geöffneten Bronzetüren zu lesen – ein Vers aus den Abschiedsworten Jesu im Johannesevangelium, die die Frage aufgreifen, was dessen Abschied für die Anhängerschaft bedeutet.
1971 hatte der Ministerpräsident Dr. Kohl die neu gestaltete Dompforte, ein Geschenk des Landes Rheinland-Pfalz, übergeben. Als Kanzler hielt er hier stets mit den Staatsgästen inne, die nicht umhin kamen, mit ihm den Dom zu besuchen. Gut möglich, dass er das Bibelwort als Aufruf zu Versöhnung, Verständigung und Zusammenarbeit – zum Frieden – interpretierte.
„Friede auf Erden“, diese nach den Kriegen zweifelhafteste aller Hoffnungen, hatte er sich, wie viele christliche Politiker seiner Generation, zur Aufgabe gemacht und konnte dennoch oder gerade deshalb viel erreichen: Kanzler der deutschen Einheit! Ehrenbürger eines ungeteilten Europa! Wie ausgerechnet ein Machtmensch, an dem sich „so manche Geister schieden“, zu diesem Versöhnungswerk fähig sein konnte, lässt erstaunen. Müssen Friedensbringer nicht sanft und nachgiebig sein? Reinhold Schneider, der einst viel gelesene Träger des vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels verliehenen Deutschen Buchpreises, hielt das Gegenteil für richtig: „Wir müssen wissen, dass der Friede des Christen ein streitender Friede ist.“
Gewiss war die Trauerfeier in Speyer noch einmal ein mächtiges Zeichen für Völkerversöhnung und Zusammenhalt aus christlichem Geist. Aber wie weit weist es in die Zukunft, wenn gleichzeitig internationale, aber auch nationale Entwicklungen Überzeugungen ins Wanken bringen, die lange als unumstößlich galten? Das Christliche und mit ihm das „C“ sind umso mehr gefordert, als sie gesellschaftlich herausgefordert werden. Die deutsche Gesellschaft hat sich von ihren religiösen Wurzeln zwar nicht verabschiedet, so doch entfernt. Religionsskepsis macht sich breit, während das Religiöse außerhalb Europas an Kraft gewinnt – bis hin zu einem zerstörerischen Fanatismus.
Nicht Hinnahme, sondern standhafte Bewährung, vor allem die Bereitschaft zum „streitenden Frieden“ sind gefragt. Dem Zeitgeist muss man nicht hinterherlaufen, er lässt sich auch formen. So einsam, wie wir manchmal glauben, wird es um uns Christen gar nicht. Mit jeder Taufe könnte uns die Größe der christlichen Weltfamilie bewusst werden. Wer, wenn nicht sie, soll die Gewähr dafür bieten, dass nicht die Unterschiede, sondern Gemeinsamkeiten international handlungsleitend bleiben, dass Offenheit, nicht Abgrenzung Europa und die Welt von morgen bestimmen? Ut unum sint.
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Bernd Löhmann, Chefredakteur