Ist die „Brexit“-Entscheidung im noch Vereinigten Königreich das Ende aller Illusionen? Zumindest gibt es jetzt kein Vertun mehr, dass die dauerkriselnde „Vernunftehe“ zwischen der Insel und dem Kontinent nicht mehr zu retten ist. Die desillusionierende Wirkung des Votums reicht aber über diese Erkenntnis hinaus. Die britischen Wähler haben am 23. Juni 2016 ein Monument des Unmuts gesetzt, das weithin sichtbar macht, wie brüchig fundamentale politische Orientierungen geworden sind: die europäische Idee, die westliche Gemeinschaft, selbst unser Modell von Demokratie.
Der Sieg der „Brexiteers“ war auch ein Sieg von Populisten – ihr bisher größter vielleicht. Nationalistische und fremdenfeindliche Ressentiments brachen sich in der Anti-Europa-Kampagne Bahn. Ein „atemberaubendes Ausmaß an Verlogenheit und Manipulation“ (Timothy Garton Ash) vergiftete das öffentliche Klima. Populisten unterschiedlichster Prägung fühlten sich durch das Ergebnis bestätigt und ermuntert – von Geert Wilders über Marine Le Pen bis hin zu Donald Trump, dessen kuriose Attraktivität auf die Wähler in den USA selbst ein Krisensymptom darstellt.
Dass die Maulhelden und Wortführer des britischen EU-Ausstiegs hinterher zunächst mindestens so ratlos dastanden wie die zerknirschten Befürworter, entspricht der Erfahrung: Bossi in Italien, Fortuyn in Holland, Schill in Hamburg, zuletzt Meuthen in Stuttgart – niemand bestand die Herausforderung, als Worte in Taten umzusetzen waren. Und nun: „Take back control“? Der aufgeblasene Slogan der EU-Gegner fiel binnen Stunden in sich zusammen. Großbritannien erlebte in den Tagen nach der Entscheidung umfassendsten Kontrollverlust seiner jüngsten Geschichte. Darf man nun hoffen, dass Wähler jetzt besser durchschauen, wem sie auf den Leim gehen? Werden sie begreifen, dass Missmuts- oder gar Protestwahlen nicht immer harmlos bleiben, sondern bisweilen tiefgreifende Konsequenzen nach sich ziehen?
Das Spektakel auf der Insel entlarvt Populisten und ihre Argumente. Aber zu einer Selbstheilung von diesem „Virus“ der repräsentativen Demokratie (Ralf Dahrendorf) wird es nicht kommen. Zuviel Unbehagen an der Politik hat sich aufgestaut. Offensichtlich klafft eine Vertrauenslücke zwischen den Bürgern und ihren politischen Vertretern, in die dubiose Vereinfacher allzu leicht hineindrängen können. So banal es klingen mag: Die Aufgabe besteht darin, die Anbindung an den demokratischen Souverän in der Demokratie – das Volk – zu stärken. „Volksnähe“ ist eine Forderung, die neu und intensiv zu bedenken wäre: frei von Anbiederung, aber auch ohne jegliches Eliteverhalten.
Bernd Löhmann, Chefredakteur