Ein Vierteljahrhundert ist es her, dass sich der Bundestag für Berlin als Sitz von Parlament und Regierung ausgesprochen hat. Die leidenschaftliche Hauptstadtdebatte des Sommers 1991 spielt heute keine Rolle mehr: Berlin steht in Deutschland nicht konkurrenzlos da, ist aber als deutsche Hauptstadt unumstritten.
Keiner hat noch Angst vor einem übermächtigen Berlin. Baudesaster wie am Flughafen Berlin-Brandenburg reizen sogar zu mancher Häme – selbst wenn Projekte wie die Hamburger „Elbphilharmonie“ nicht rühmlicher verliefen. Die fortdauernde Abhängigkeit der Hauptstadt vom Länderfinanzausgleich tut ein Übriges. Dennoch ist Berlin ungerechtfertigterweise auf „arm, aber sexy“ reduziert worden. Dieser scheinbar selbstgenügsame Ausspruch schob in Wirklichkeit die Lösung der Berliner Finanzmisere dem Bund und den anderen Ländern zu. Nie entsprach er den tatsächlichen Entwicklungspotenzialen der Metropole und negierte den Auftrag an die Berliner Politik, auch selbst Verantwortung für die Hauptstadtrolle zu übernehmen.
Wolfgang Schäuble, der mit seiner Rede am 20. Juni 1991 den Ausschlag für den „Hauptstadtbeschluss“ gab, betont, dass es damals um einen sichtbaren Impuls für Mut, Bewegung und Modernisierung ging – kurz, um einen Tribut an die Zukunft des wiedervereinigten Deutschland. Ist Berlin dabei, ein Ort zu werden, an dem sich heute bereits ereignet, was die Zukunft des gesamten Landes mit bestimmen wird?
Als geteilte Stadt hatte Berlin viel an ökonomischer Dynamik, Internationalität und urbaner Liberalität eingebüßt. Offenbar gelingt es, diesen Rückstand aufzuholen, ohne dass Berliner Politik und Verwaltungen mit dieser Entwicklung bisher Schritt halten können. Start-ups und innovative Unternehmen, die sich in beeindruckender Zahl in Berlin ansiedeln, orientieren sich wie selbstverständlich am Geschehen anderer Metropolen dieser Welt und werden von einer Unternehmergeneration nach vorn gebracht, die Globalisierung und Digitalisierung längst für ihre „natürliche Lebensgrundlage“ hält.
Bei aller Bewegung und Erneuerung – eine tiefe Kluft zwischen „Hauptstadt und Provinz“, wie sie zu Weimarer Zeiten existierte, droht nicht. Schließlich gibt es selbstbewusste Regionen im Osten wie im Westen Deutschlands, die wirtschaftlich weit erfolgreicher dastehen und mindestens ebenso begeisterungsfähig für Neues sind. Noch muss niemand unbedingt auf Berlin – „auf diese Stadt schauen“. Erst wenn sie inspirierender und dynamischer ist als andere, wenn sie auf andere ausstrahlt und sie mitreißt, dann haben sich die Hoffnungen des „Hauptstadtbeschlusses“ vor 25 Jahren erfüllt. Aber dazu bedarf es eines politischen Willens, der die Hauptstadtfunktion Berlins und die Entwicklung seiner Potenziale als eigenen Auftrag anerkennt und ausfüllt.
Bernd Löhmann, Chefredakteur