Asset-Herausgeber

Asset-Herausgeber

„Für die Türkei ist das Flüchtlingsthema keine Frage des Handelns, sondern ein Thema von Werten – sowohl von humanitären Werten als auch von europäischen Werten.“ Dies sagte der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu kurz vor Abschluss der Vereinbarungen seines Landes mit der Europäischen Union (EU). Wer die Entwicklungen in der Türkei, die massiven Einschränkungen der Pressefreiheit oder das brutale Vorgehen gegen die kurdische Bevölkerung, verfolgt, wird die Inanspruchnahme humanitärer und europäischer Werte seitens des türkischen Regierungschefs brüsk zurückzuweisen. Doch verhilft das EU-interne Gezerre in der Flüchtlingsfrage der Türkei dazu, sich als bessere Europäer darstellen zu können: Türkei 2,7 Millionen, EU 0,9 Millionen syrische Flüchtlinge – die autoritär agierende türkische Regierung ist mit einer weit größeren humanitären Herausforderung konfrontiert, als sie die europäischen Demokratien auf sich nehmen wollen.

Fast die Hälfte der 5,9 Millionen Menschen, die aus Syrien geflohen sind, überlebt in der Türkei – wo die Meinungs- und Pressefreiheit unterdrückt wird, aber Flüchtlingen keine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben droht. Es fällt nicht leicht, mit diesem Widerspruch umzugehen. Doch solange Europa die Krisen in seiner Nachbarschaft nicht selbst bewältigen kann, wird es auf Partner angewiesen sein – so schwierig sie auch sein mögen. Noch heikler wird es, wenn es, wie im Falle des Transitlandes Libyen, kein handlungsfähiges Gegenüber gibt.

Markus Ferber (CSU) sagt, die EU habe die „moralische Verpflichtung“, der Türkei zu helfen, damit es dort Perspektiven für die syrischen Flüchtlinge gebe. Die teils abfällig als „Deal“ bezeichneten Vereinbarungen mit der Türkei tragen dieser humanitären Pflicht Europas Rechnung und setzen Anreize dafür, dass die Flüchtlinge nahe ihrer Heimat bleiben und sich nicht mehr in so großer Zahl auf den lebensgefährlichen Weg nach Griechenland machen. Fraglos sind die Schwierigkeiten bei der Umsetzung groß, doch besteht immerhin die Chance zu einer Lösung, die alle EU-Staaten entlastet und keinen mit den Problemen allein zurücklässt.

Die Türkei, das östlichste NATO-Mitglied, ist eine Schlüsselmacht in einer unruhigen, teils im Chaos befindlichen europäischen Nachbarregion. Nicht allein die Flüchtlingsfrage macht eine Zusammenarbeit mit ihr notwendig. Gleichzeitig führt der Blick auf die Landkarte vor Augen, dass die Türkei nicht gerade von Freunden umzingelt ist und den Rückhalt Europas und des Westens bitter nötig hat. Was geschehen sollte, ist „kein Ausdruck einer neu erwachten europäischen Liebe zur Türkei“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung), sondern eine interessengeleitete Wiederannäherung, in der hier wie dort klar wird, was zum wirklichen Europäer gehört.

 

Bernd Löhmann, Chefredakteur

comment-portlet